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Marrøn: „Ich bin als DJ auf der Tanzfläche geboren”

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Freitag in Ljubljana, Samstag in Genf und Sonntag im Berghain – ein straffes Wochenendprogramm, das das Leben von Jessey Voorn gerade gut widerspiegelt. Der niederländische DJ, der als Marrøn bekannt ist, hat sich in den vergangenen Jahren mit groovigem Techno einen Namen in der internationalen Clubszene gemacht. Im Mai spielt er seine sechste Klubnacht. GROOVE-Autorin Pia Senkel hat den ehemaligen Profi-Basketballer vor seinem Auftritt in seinem Airbnb getroffen – und mit ihm über Olympia, neue Familienmitglieder und Freestyle-Sets gesprochen.

Wochenende, Wedding, dritter Stock: Aus einer Wohnung tönt dumpfe Technomusik. An der Tür steht Jessey – freundliches Lächeln, braune Jogginghose und ein lockeres Tanktop, durch das seine vielen Tattoos auf den Armen und der Brust sichtbar sind. Morgens um acht sei er in Berlin gelandet, sagt er, als wir ins Wohnzimmer gehen. Sein Manager hatte zuvor bereits angekündigt, dass sich Jessey vor seinem Gig im Berghain noch ausruhen müsse.

Zuerst Basketball, dann Berghain (Foto: Presse)

Im Jahr 2014 besuchte Jessey Voorn das erste Mal den Berliner Club. Damals ahnte er noch nicht, dass er die legendären Partys irgendwann auch aus der Sicht der DJs erleben würde. Er war auf dem besten Weg, professioneller Basketballspieler in den Niederlanden zu werden. Mit einem Profi-Boxer als Vater hatte er schon in jungen Jahren ein sportliches Vorbild sowie Eltern, die ihn beim Erreichen seiner sportlichen Ziele stets unterstützten. Jessey trainierte zweimal täglich, hatte ein bis zwei Spiele pro Woche, die Schule wurde zweitrangig.

Als Jessey seinen Traum erfüllte, warf er in der niederländischen Profiliga neun Punkte pro Spiel. Mit der Teilnahme an den Olympischen Spielen 2021 im 3×3-Basketball beendete er aber seine Sportlerkarriere. Jessey hatte zu dieser Zeit schon länger aufgelegt, jobbte nebenbei als Model. „Irgendwann musste ich mich entscheiden. Nach 23 Jahren Basketball wollte ich einen Neuanfang und meiner Leidenschaft für Musik nachgehen, deshalb entschied ich mich für die Musikkarriere. Ich denke, es war die richtige Entscheidung.”

Vom Parkett auf die Tanzfläche

Vom Profisportler zum Techno-DJ? Klingt erstmal nach einem ungewöhnlichen Karriereweg. Tatsächlich sei Jessey schon immer gerne feiern gegangen. Die Liebe zum Dancefloor habe ihn einst auch zum DJing gebracht: „Ich hatte keine Lust mehr, immer durch Sets zu skippen, um einen guten Song zu hören. Ich wollte Sets, in denen mir alle Songs gefielen. Also habe ich angefangen, meine eigenen zu mixen. Ich bin also als DJ auf der Tanzfläche geboren, da komme ich her.”

Marrøn arbeitete schon als Model (Foto: Presse)

Mit seinem allerersten Set war Jessey allerdings überhaupt nicht zufrieden – zwar enthielt es ausschließlich Songs, die er gerne hörte, aber die Dynamik des Sets stimmte nicht. Also stellte sich Jessey an die Decks und trainierte. Zunehmend zufriedener mit seinen Sets, startete er schließlich seinen eigenen Podcast auf Soundcloud, in dem er sie der Öffentlichkeit präsentierte.

2016 gründete er mit einigen Freunden schließlich die Eventreihe Eerste Communie in Amsterdam. Ihnen habe etwas in der lokalen Technoszene gefehlt. „Wir wollten auch, dass ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen, für die Musik, für den Sound”, so Jessey, der zu dieser Zeit noch für einen südholländischen Basketballverein auf Punktejagd ging.

Energie, fließe!

Mit Resident-DJs wie Rene Wise oder Amoral wurde die Partyreihe international bekannt. 2016 startete man aber mit Rückschlägen. Die ersten Partys liefen nicht gut. Erst als man in den folgenden Jahren illegale Raves in Amsterdam organisierte, stieg die Zahl der Besucher:innen rasant an. Mittlerweile finden Veranstaltungen der Eerste Communie im Levenslang in Amsterdam statt – einem Club mit einer Kapazität von bis zu 700 Menschen.

Die Partyreihe ist mit ihren Residents gewachsen. Um die Namen auf dem Line-up sei es aber nie gegangen. „Wenn Gäste sagen, dass sie wegen Marrøn gekommen sind, bedeutet das, dass sie das Konzept nicht verstanden haben. Bei uns geht es niemals nur um die Künstler:innen, sondern um die Atmosphäre, von der sie ein Teil sein werden”, so Jessey.

Will sich immer mit den Menschen verbinden: Marrøn (Foto: Presse)

Deshalb bewege er sich nach wie vor gerne auf der Tanzfläche. „Ich will ein Teil des Publikums sein. Von der Tanzfläche aus kann ich verstehen, was ich hören und spielen will, was andere mögen und welche Energie ich kreieren will. Wenn ich nicht selbst hin und wieder auf der Tanzfläche stehe, kann ich mich nicht mehr mit den Menschen verbinden.”

Vorbereitung? Freestyle.

Bei Auftritten kommt Jessey in der Regel etwa eine halbe bis Dreiviertelstunde vorher auf die Party, um den Vibe der Gäste sowie den Sound des Clubs zu spüren. Denn er bereitet seine Sets nicht vor, er entscheidet spontan, welche Tracks passen und welche nicht: „Ich habe immer alle meine Tracks auf meinen USB-Stick dabei und bereite meistens die ersten fünf Tracks vor, insbesondere in Clubs mit Soundsystemen, die ich noch nicht kenne. Das heißt aber nicht, dass ich diese Tracks dann auch spiele. Mein Set ist immer freestyle: Dabei wechsle ich auch gerne zwischen neuer und alter Musik, so kann ich kreativ bleiben und bin in meiner Auswahl an Tracks nicht limitiert.”

Angst, nicht schnell genug die richtigen Tracks zu finden, habe Jessey nicht – er habe einen sehr spezifischen Techno-Style, der stark auf Loops und Rhythmus basiere. Manchmal überrasche er sich allerdings selbst, wenn er den Namen eines Tracks vergisst und nur in die ersten Sekunden reinhören kann.

„Wenn ich nur das spiele, was die Leute hören wollen – wer bin ich dann?”

So bleibe die Musik für ihn aber interessant, so Jessey. Natürlich schaue er sich auch an, wie die Stimmung der Besucher:innen ist, aber das stehe für ihn nicht im Vordergrund: „Wenn ich nur das spiele, was die Leute hören wollen, weil es gerade gehypt wird, wer bin ich dann? Was ist meine Identität? Meine Musik ist tanzbar, rhythmisch und energetisch – das sind die wichtigsten Elemente. Ich spiele das, was ich auf der Tanzfläche gerne höre.”

Es mag nach Klischee klingen, aber: Inspiration hole er sich vor allem aus dem Berghain. Der Club zeige Jessey nicht nur, welche Musik er hören will, sondern welche er spielen möchte. „Eine meiner besten Party-Erfahrungen war ein Closing von Freddy K. Ich stand sechseinhalb Stunden ohne Pause auf der Tanzfläche. Ich war wie gefesselt und hypnotisiert von seiner Musik.”

Haltung verbindet

Inzwischen hat sich Jessey eine eigene DJ-Karriere aufgebaut. Er legt weltweit auf. Via Instagram folgen ihm fast 100.000 Menschen. Seine Social-Media-Kanäle verwaltet Jessey trotzdem selbst. Er möchte authentisch bleiben und den direkten Kontakt zu seinen Fans pflegen: „Wenn du das aus den Händen gibst, wird es künstlich. Mir ist egal, wie viele Follower ich habe oder wie viele Likes ich bekomme. Mir geht es nur darum, mich persönlich und musikalisch mit den Menschen zu verbinden.”

Seine sozialen Netzwerke nutzt Jessey nicht nur, um sich als DJ zu präsentieren und seinen Fans nah zu sein. Er nutzt seine Reichweite auch, um eine politische Haltung zu zeigen. So hat sich Jessey in der Vergangenheit auch zum Nahost-Konflikt geäußert und dadurch bereits den ein oder anderen Auftritt verloren. „Ich akzeptiere die Konsequenzen, denn das zeigt mir, mit wem ich arbeiten möchte und mit wem nicht. In einer Zeit, in der Cancel Culture groß ist, ist es wichtig, dass ich bei meiner Meinung bleibe und nicht für Organisationen spiele, die meine Redefreiheit einschränken wollen.”

Marrøn will nicht nur Licht und Schatten sehen (Foto: Presse)

Jessey will nicht als DJ über Politik sprechen, sondern als Mensch, denn: „Ich kann nicht guten Gewissens nach Hause gehen und meinem Kind einen Gute-Nacht-Kuss geben, wenn es gleichzeitig nur wenige 1000 Kilometer von hier Väter gibt, die ihr Kind nicht schützen können. Die nicht wissen, ob ihr Kind am nächsten Tag überhaupt noch da ist. Der Fakt, dass im Gaza-Streifen gerade so viele Kinder getötet werden, ist furchtbar für mich. Deshalb fühle ich mich als Mensch dazu verpflichtet, darüber zu sprechen.”

Dass Künstler:innen Einfluss auf die Meinung ihrer Fans haben, gehe mit einer großen Verantwortung einher, so Jessey. „Einer meiner größten Idole ist deshalb Muhammad Ali. Er ist immer ein Mensch geblieben, auch als er ein professioneller und berühmter Boxer war. Er riskierte seine ganze Karriere, sein ganzes Leben, um ein guter Mensch zu sein und andere Menschen zu leiten. Ich sage nicht, dass ich genauso bin. Aber ich tue, was ich kann, um ein besserer Mensch zu werden und das zu tun, was ich für richtig halte.”

Familie ist kein Teilzeitprojekt

Neben seiner Musik hat Jessey eine zweite große Leidenschaft: seine Familie. Vor knapp drei Jahren kam seine Tochter zur Welt. Deshalb verbringt er so viel Zeit wie möglich in seiner Heimatstadt Amsterdam: Als DJ habe er unter der Woche viel Zeit – und die nutze er, um auf seine Gesundheit und sein Wohlbefinden zu achten, gut zu essen, gut zu schlafen, zu trainieren und viel Zeit mit seinen Freund:innen und seiner Familie zu verbringen.

Arbeitet gern und viel in der Nacht: Marrøn (Foto: Presse)

„Ich arbeite oft nachts, wenn meine Tochter im Bett ist. Ich habe keinen Nine-to-five-Job. Menschen, die jeden Tag von neun bis fünf arbeiten, sehen ihr Kind oft nur eine Stunde morgens und eine Stunde abends. Ich kann mein Kind den ganzen Tag sehen”, so Jessey. Natürlich habe er manchmal Shows, für die er eine Woche oder zwei Wochen unterwegs sei, aber die meiste Zeit sei er in Amsterdam. Ohne seine Frau wäre das alles aber nicht möglich: „Sie macht einen großartigen Job als Mutter. Ohne sie könnte ich nicht das tun, was ich jetzt tue. Sie ist eine tolle und wichtige Unterstützung.”

Ohne sie könnte Jessey nicht alle DJ-Möglichkeiten wahrnehmen, die sich ihm bieten. Denn normalerweise lehne er keine Gig-Vorschläge ab, die ihm sein Agent von der Triangle Agency zukommen lässt. „Er fragt auch hin und wieder, ob es mir nicht zu viel wird, aber ich arbeite gerne”, sagt Jessey und meint: „Nur der Januar ist ganz für mich und meine Familie.”

Als Jessey die Tür hinter sich schließt, klöppelt immer noch die Kickdrum. Er müsse sich jetzt wirklich ausruhen. Ab Mitternacht spielt er das Closing im Berghain. Acht Stunden später postet er ein schwarzes Bild auf seinem Instagram-Account, darunter: lautes Wummern, „vielen Dank!”

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