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Motherboard: Juli 2024

Das Berliner Duo Halo hat offenbar einige Jahre gebraucht, um sich zu finden. Und eine ganze Dekade, um zusammen ein Album zu produzieren. Nun, der Reifeprozess hat sich definitiv gelohnt. In The Company Of No One (Edition DUR/Fun In The Church, 28. Juni) gibt einer Fülle gediegener Electronica-Popsongs Raum und Muße. Was bei den Akteurinnen Masha Qrella und Julia Kliemann allerdings nicht weiter verwunderlich ist. Beide sind seit Ende der Neunziger unter anderem in/mit Komëit und Contriva aktiv und haben maßgeblich zur Definition eines eigenen Indie-Sounds beigetragen, der sich als eigenwilliges Gegenstück sowohl zur sogenannten Hamburger Schule wie zum süddeutschen The-Notwist-und-mehr hinstellte. Das Album von Halo ist einerseits eine klare Fortführung des melancholisch rumpelnden Sounds der Jahrtausendwende, bleibt dort aber nicht stehen. Selbstredend gibt es brummige Analogelektronik, knarzenden Bass, perlende Gitarren und sanft-eindrücklichen Gesang, hier sogar im Wechsel und Doppel, doch alles klingt wie neu. Nostalgie war schon gestern morgen.

Die Vorabsingle „Under The Milky Way” hat schon einiges klargemacht und erwarten lassen. Die Orcas, also Drone-Melancholiker Rafael Anton Irisarri und Ambient-Singer-Songwriter Benoît Pioulard, begeben sich offensichtlich auf Wurzelsuche nach Shoegaze, Post-Punk und frühem Indie-Folk. Die Wahl des gecoverten Songs von der australischen Kombo The Church ist allerdings bezeichnend: ein eher spätes, dem damaligen Mainstream sehr nahes, das Genre kaum bereicherndes oder gar definierendes Stück Gitarren-Pop mit milde Pathos suggerierendem Vibrato auf der schweren Stimme und jede Menge Hall auf den Drums – also so ziemlich das übliche für die späten Achtziger. Es ist aber eben genauso ein eingängiger wie großer Popsong, eine Hymne. Es geht also nicht um Coolness und Cratedigger-Gatekeeping, sondern um die Rekonstruktion einer komplexen Gefühlslage, die in manchen Aspekten der heutigen vielleicht gar nicht so unähnlich ist. How To Colour A Thousand Mistakes (Morr, 19. Juli) beschwört die wohlbekannten und vielgeliebten Geister, die zwischen dem Post-Pretty-In-Pink-Werk der Psychedelic Furs und Echo & The Bunnymen noch so herumschwirren. Aber genau das ist überaus sympathisch gelungen.

Die Archäolog:innen der Äonen nach dem Internet, werden sie sich wundern oder es für ganz selbstverständlich halten, was die Artefakte der fulminanten Angel Marcloid ihnen sagen über das längst verschüttet geglaubte Zeitalter. Es ist doch so einfach. Kindheitserinnerungen aus einem unbeachtet plärrenden Röhrenfernseher mit Dauerwerbesendungen und Wetterkanal. Darunter und darüber je nach Wind das herüber grollende Black-Metal-Kreischen der pubertären, elternprovozierenden Nachbarjungs. Wiedererweckt im digitalen Wendekreis der Fire-Toolz ergibt sich daraus: Breeze (Angel Marcloid/Doom Trip, 5. Juli), das jüngste Tape aus der längst vergangenen Zukunft. Wie üblich genial.

Der kanadische Pianist John Kameel Farah wurde im deutschsprachigen Raum unter anderem durch die Beteiligung an Gregor Schwellenbachs populärem Projekt Six Pianos bekannt. Dessen Interpretation von Steve Reichs Smash-Hit der Minimal Music tingelte durch die Philharmonien, wollte und konnte dezidiert ein Publikum ansprechen, das mit Rave und Techno groß geworden ist. Dass Farah anderes kann als (zugegeben höchst beeindruckende) Reich-Interpretationen, demonstriert er mit dem ebenfalls kanadischen Schlagzeuger Nick Fraser auf Farahser (Elastic Recordings, 17. Mai): Dynamische Duo-Improvisationen zwischen schleifig-suchenden Wiederholungen und explosiven Ausbrüchen. Der Appeal an die Rave-Kundschaft ist etwas weniger offensichtlich, aber es ist ein nicht weniger starkes Stück, das hier präsentiert wird.

Man könnte ja glauben, ein profilierter Auftragskomponist und Musiker wie der Schwede Anders Matti Bye wäre mit zwei, drei Soundtracks zu Filmen und Serien pro Jahr – darunter nicht gerade wenige Blockbuster – doch reichlich ausgelastet. Aber weit gefehlt, offenbar dient die Erfahrung mit der gezielt komponierten Stimmungsbegleitung als Inspiration für seine freien Arbeiten. Von Haus aus Pianist, setzen Klavier und Keyboards das Fundament von Matti Byes Stücken. Auf dem deutlich neoklassischen Album Capri Clouds (Denovali, 10. Mai) steht das Solopiano sogar im Mittelpunkt, gelegentlich noch umrahmt von leichter, folktronischer Postrock-Instrumentierung. Das ein knappes halbes Jahr zuvor auf Vargs Label erschienene Between Darkness and White Snow (Northern Electronics, 11. Dezember 2023) geht ebenfalls vom Klavier aus, lässt es aber in dunklen Hallräumen und zähflüssigen Synthesizerflächen weitgehend wieder verschwinden.

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