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Motherboard: Juli 2024

Die wahrhaft integrativen Kräfte kommen meist nicht aus den erwarteten Zusammenhängen. Und sie müssen definitiv keine Kompromisse eingehen, um Menschen und Musiken zusammenzuführen. Yetsuby zum Beispiel. In Südkorea ist die hintere Hälfte (manda) des Ambient-Duos Salamanda ein Star, der auf alchemistische Weise zwischen Breakcore-Underground und K-Pop-Mainstream vermittelt. Ihr zweites Album b_b (All My Thoughts, 12. Juni) zeigt überdeutlich, warum: Wenn ein Track gleichzeitig nach Vaporwave-Manier mit Versatz-Samples der Fourth-World-Tradition spielt, perkussiv den klassisch japanischen Kankyō-Ongaku-Ambient hommagiert, dabei aber wie topmoderner Hyperpop im 160BPM-Tempo mit immensem Hit-Potenzial klingt, macht er alles richtig. Darum ist die Produzentin aus Seoul im Motherboard selbstverständlich ebenso ein Star.

Aus Korea, inzwischen in Kanada lebend, ist die Produzentin Leevisa auf dem Sprung vom Digital-Hardcore-Underground-Idol zum Popstar, behält aber einiges an experimenteller Kratzigkeit und In-Your-Face-Direktheit auf den eingängisten Stücken. Hits kann sie nämlich sehr offensichtlich schreiben, lässt es aber nicht unbedingt darauf ankommen, alles offensichtlich zu halten. Es ist vor allem die derbe, raue Produktion, aber ebenso Leevisas Rest-Weirdness, die den elektronischen Pop-Glitch von Metro Blue (Perpetual Care, 20. Juni) so speziell macht und so großartig. Keine Kompromisse machen und dennoch im Zentrum der Aufmerksamkeit ankommen, das ist das Rezept für großen Pop. Leevisa beherrscht es im Schlaf.

Schwer zu verstehen, warum Emika nicht schon längst so breitenwirksam ist wie etwa Bonobo oder Four Tet. Wo sie doch ungefähr alles, was sie können, ganz locker aus den Keys schüttelt – und noch mehr. Als da wären: pianistische Neoklassik von raffinierter Schlichtheit, folkige Electronica mit kleiner IDM-Hirnwaschmaschine, dubsteppende Splitterbeats und shoegazy-dreamy Synthpop, alles ganz selbstverständlich analytisch durchdrungen bis in den Kern und einfach mal sorgfältiger produziert, besser gemacht und emotional packender durchgezogen, als es das Gros des jeweiligen Genre-Mainstreams je zustande gebracht hat. Aber vielleicht ist es genau dieser individuelle Blick vom jeweiligen Außen, der Emika für die Torwächter und Schlüsselmeister der Stile zu so einem No-Go macht. Für alle anderen könnte, ja, sollte HAZE (Emika Records, 31. Mai) ein Album des Jahres werden, denn hier fügt sie all die Stilistiken in ein üppiges Album zusammen, auf die ihr so eigene total selbstverständliche organische Art und Weise.

Apropos Breitenwirksamkeit: Selbst ein modeselektierender Szary kann abseitig-experimentell, wenn er will. Auf dem schönen Vinyl-Only-Album Datei (Edition DUR, 28. Juni) sogar ausnehmend stabilfragil und hartbrechlich. Was vom moderaten Stadiontechno übrig bleibt in den dunklen, leisen Stunden, nachdem die großen Gesten und starken Gefühle von Glitch geschreddert zu zartbitteren Feinheiten werden. Von Sascha Ring sind wir solche Grenzgängereien gewohnt, von Sebastian Szary nicht unbedingt. Denn tief im Inneren ist das ein Remixalbum, eine leise Ambient-Hommage an das maximal Effektlaute. Und umso toller dadurch, dass es so unerwartet kam und, erwartbar perfektionistisch gemacht, letztlich doch sehr anti-perfektionistisch klingt.

Zu diesem Album sind derzeit keine Hörbeispiele verfügbar.

Dass sich ein etabliertes House-Label traut, ernsthaft tief in die Quellen der Musik einzutauchen, auf die sein Stil sich beruft, ist eher selten. Home (Rhythm Section International, 21. Juni), das Debütalbum des Berliner Vokal-Ensembles A Song For You, ist daher ein gewisses Wagnis, wenn es von Beats und Elektronik wegführt, von Soul und R’n’B ausgeht und letztendlich bei spirituellem Jazz und Gospel ankommt. Allzu unwahrscheinlich ist die Wette allerdings nicht, denn das bis zu 50-köpfige Kollektiv um die beiden aus Neuseeland und Australien kommenden Songwriter und Produzenten Noah Slee und Dhanesh Jayaselan versammelt eine kaum glaubliche Menge an Talent und kam mit dem Konzept bereits auf die Volksbühne. Dass das Kollektiv die wohlbekannten musikalischen Formen mit neuem Inhalt füllt, ist da kaum noch überraschend. Es geht um nicht weniger als Selbstbestimmung und Zugehörigkeit, um Weltoffenheit und globale Gemeinschaft, Freundschaft, Solidarität und Freude.

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