Das Berghain hat eine schlechte Woche hinter sich. Erst kündigt der DJ Valentino Mora jegliche zukünftige Zusammenarbeit auf, nachdem ihm trotz seines nachts zuvor gespielten Sets eine Re-Entry-Gebühr abverlangt wurde – ein in der Tat fragwürdiges Gebaren. Dann ruft ein Künstler namens Arabian Panther zum Boykott des Clubs auf. Infolgedessen sagt das französische Label BFDM die für den 18. Januar geplante Veranstaltung ab. Und kurz darauf ziehen Jyoty, Manuka Honey, Scratcha DVA, Or:la, Kampire und diverse weitere Künstler:innen und Kollektive – die Liste erweitert sich laufend – ihre Teilnahme am in Teilen ebenfalls dort stattfindenden CTM Festival zurück.
Auch die levantinische Raubkatze wirft dem Club fragwürdigen Umgang vor. In einem tiefschürfenden Statement auf Instagram erklärt der Künstler, das Berghain habe seines „pro-palästinischen Aktivismus” wegen nicht nur ihn, sondern gleich einen gesamten Abend gecancelt. Minutiös anmutend schildert er die chronologische Folge der Kommunikation zwischen Club, Label und ihm, man will ja schließlich aufklären. Nachdem er zur Persona non grata erklärt wurde, sei aus PR-technischen Gründen die gesamte Ritmo-Fatale-Labelnacht abgesagt worden – was das Berghain den Künstler:innen gegenüber mit Renovierungsarbeiten begründete, wie Arabian Panther und sein Management angeben. Gegenüber dem Magazin Resident Advisor mutmaßt Arabian Panther, der Club wolle sein bevorzugtes Publikum womöglich auf Kosten von arabischen und palästinensischen Gästen „schützen”, sieht sich gar in Gefahr: „Im Kontext des 7. Oktobers wurden sie [das Berghain] von Clubgänger:innen unter Druck gesetzt oder von höheren Stellen bedroht, womöglich von Regierungsmitgliedern”, argwöhnt er verschwörerisch.
Aus ebenso großem Aufklärungswillen verschwand dann sicher auch das Story-Highlight mit dem Titel „Apartheid” vom Instagram-Account des Geschassten, in dem er seine Haltung zum Nahostkonflikt ausbreitete. Auf reddit kursierenden Screenshots zufolge waren das Leugnen sexualisierter Gewalt während des Hamas-Massakers am 7. Oktober und die Verhöhnung der Opfer Teil der Inhalte. Das entsprechende Posting eines anderen Accounts hat Arabian Panther geherzt. Auch kokettierte er mit dem Slogan „From the Dancefloor to the Sea”, angelehnt an die Parole, deren mutmaßlich implizierte Auslöschung Israels immer wieder diskutiert wird. Ebenso steht zur Debatte, ob die Wahl seines Künstlernamens sich auf Dyab Abu Jahjah bezieht; der Anführer der islamistischen Arab European League aus Belgien bezeichnete sich selbst als „Arabian Panther”.
Weil im Stellvertreterkonflikt auf Social Media zwischen Ideologien und Sharepics so manche Gleichzeitigkeit abhanden kommt, lohnt um der stets notwendigen Kontextualisierung willen ein kurzer Blick auf den sehr echten Nahostkonflikt mit sehr echtem Leid und sehr vielen sehr echten Toten. Die schwerlich in Worte zu fassende Gewalt des 7. Oktober ist real, sie wurde gar von Tätern dokumentiert und gestreamt, von Anhänger:innen bejubelt – und wird nun verleugnet, relativiert und verdreht. Ebenso real sind das Leid der palästinensischen Bevölkerung, die Zerstörung, die Gewalt der israelischen Armee und der rechten bis faschistoiden Regierung Israels, der jegliches Maß abhanden gekommen ist. Weder negiert die Tatsache eines Umstands die andere, noch sind beide getrennt zu betrachten.
Vor diesem Hintergrund bleibt fragwürdig, warum das Berghain nicht schlicht den Auftritt eines sich recht militant gebenden Künstlers abgesagt hat und stattdessen offenbar den umständlichen Weg ging. Der Vorwurf des Rassismus indes ließe sich mit Blick auf das Booking entkräften – unter Künstler:innen verschiedenster Herkünfte und Identitäten finden sich auch pro-palästinensisch eingestellte wie etwa Sedef Adasï und Juliana Huxtable. Nur lässt der Club seit jeher eher wenig verlauten.
Was bleibt, ist ein denkbar deutsches Desaster, eine Soap Opera zwischen Senat und Kulturschaffenden, die der Ernsthaftigkeit des Themas unwürdig ist.
Das Label BFDM solidarisierte sich mit Arabian Panther und verweist in seiner Auftrittsabsage zudem etwas kryptisch auf die „aktuelle Lage” in Deutschland, was die hinter den Absagen beim CTM Festival stehende Boykottbewegung mit dem Namen Strike Germany etwas dezidierter benennt: Sie stößt sich an der Berliner Klausel gegen Diskriminierung und Antisemitismus, vom Senat eingeführt als Reaktion auf sich seit dem 7. Oktober verstärkt zeigende Antisemitismen innerhalb Berlins Kulturszene. Darin sehe man institutionalisierten antimuslimischen Rassismus, gar McCarthyismus. Als Konsequenz soll Deutschlands Kulturlandschaft in allen Formen bestreikt werden. Ein Rauchtopf, insbesondere der Vorwurf des McCarthyismus: Bedenkt man diverse im Internet kursierende Listen, die von Einzelpersonen bis Kultureinrichtungen alles markieren, was im Zweifel auch nur eine Veranstaltung zum Thema Antisemitismus angekündigt hat, wird hier eine gängige Praxis aus den eigenen Reihen praktiziert.
Nun muss man kein den Terror iranischer Proxy-Milizen verklärender DJ sein, um sich an der Berliner Klausel zu stoßen. In der Tat stellt sich aus verschiedensten Lagern die Frage, was abseits eines vorschnellen Schusses in den Ofen Joe Chialos Vorstoß sein sollte; allein konservative bis weiter rechtsgerichtete Kreise sind entzückt – dieser Umstand sollte Warnung genug sein. Einerseits ist diese Verordnung wertlos, weil vordergründig performativ, andererseits bietet sie geneigten Kräften ein praktisches Repressionswerkzeug. Schließlich ist die CDU eine rechte Partei, die gewillt ist, ihr unliebsamen Elementen den Fortbestand zu erschweren; Nur passend, dass bereits eine Ausweitung der Klausel auf die Wissenschaftsförderung anklingt.
Was bleibt, ist ein denkbar deutsches Desaster, eine Soap Opera zwischen Senat und Kulturschaffenden, die der Ernsthaftigkeit des Themas unwürdig ist. Als Fallbeispiel beider Lager gilt dafür die Streichung von Fördergeldern für das Neuköllner Kulturzentrum Oyoun, das mindestens zweimal antisemitischen Organisationen eine Bühne bot. Der Berliner Senat übt sich in angewandter Symbolpolitik und jazzt die in Selbstauskunft nicht rechtsverbindliche IHRA-„Arbeitsdefinition Antisemitismus” kurzerhand zur verbindlichen Verordnung hoch, inklusive etwaiger Unschärfen und Auslegungsspielräume.
Der Boykott eines Festivals, das sich seinerseits kritisch zur Chialo’schen Klausel positioniert, ist letztlich auch ein Boykott eines (möglichen) Diskurses.
Im für neuzeitliche Debatten unvermeidlichen offenen Brief beklagen mehrere tausend Berliner Kulturschaffende zwar richtigerweise mögliche Repressionen – aber werfen im Weiteren einiges an Fragen auf. Gibt es ein Grundrecht auf staatliche Subvention? Ist die alternativ genannte Jerusalemer Erklärung nicht mindestens ebenso umstritten wie die der IHRA? Soll da nicht nebenher auch ein wenig an den Grenzen des Sagbaren gerüttelt werden, Stichwort „Israelkritik”? Der Kultursenator derweil rudert zurück, spricht vom „rein deklaratorischen Charakter” ohne Sanktionsmechanismen, er wolle „Diskursräume öffnen”. Es gehe nicht nur um Antisemitismus, sondern auch um Islamfeindlichkeit, Rassismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus. Der perfekte identitätspolitische Sturm.
Inmitten dieses Chaos geht die Trennschärfe verloren; pro-palästinensisch ist alles zwischen der Forderung nach Waffenstillstand und dem Aufruf zur Auslöschung Israels. Pro-israelisch oder pro-jüdisch, verdammte Unschärfen, ist alles von Solidarität mit den Opfern des Terrors am 7. Oktober bis hin zu Vernichtungsrhetorik, betreffend Gaza und dessen Bevölkerung. Und während auf manchen Protesten falscherweise skandiert wird, das alles sei nicht kompliziert, ist es manches in der Tat nicht; einen gewissen Grundkonsens sollte es in den Irrungen und Verwirrungen dieses Konflikts geben: das Recht auf Leben.
Zurück zum Techno: Der Boykott eines Festivals, das sich seinerseits kritisch zur Chialo’schen Klausel positioniert, ist letztlich auch ein Boykott eines (möglichen) Diskurses. Weder der Krieg in Gaza noch eine apartheideske Siedlungspolitik, noch die deutsche Außenpolitik werden durch ein ausgedünntes CTM oder einen entfallenden Freitagabend in der Panorama Bar geändert oder gar beendet. Stattdessen wird den hier heimischen Minderheiten kulturelle Vielfalt versagt – wenn etwa eine Party mit einem All-Black-Line-up nicht stattfände, bemerkt Hengameh Yaghoobifarah im Deutschlandfunk Kultur, leide primär Berlins Schwarze Community.
Für eine Person scheint sich die Sache am Ende gelohnt zu haben: Arabian Panther hat seine Social-Media-Reichweite mehr als verdoppelt.