Foto: Presse (JessRey)
„Auf die Residents kann man sich verlassen, persönlich und inhaltlich. Sie kennen den Club, die Gäste, die Anlage, und sie sind ein Grundpfeiler der musikalischen Identität eines Clubs, also ebenso wichtig wie die Architektur, der Raumklang oder die Gestaltung“, sagte einst Nick Höppner in der Groove. Mit unserem monatlichen Resident Podcast wollen wir ihnen den gebührenden Respekt zukommen lassen.
Die deutsche Clublandschaft verkleinerte sich im vorangegangenen Jahr und es bleibt zu befürchten, dass es sich dabei nur um den Auftakt eines Trends handelt. Einige gute Meldungen gab es indes zu vermelden. Das Harry Klein schloß zwar nach 20 Jahren seine Tore – ein Trostpflaster: die Reihe Garry Klein läuft weiter –, doch mit dem Legal sowie dem DNA öffneten auch zwei neue Clubs ihre Pforten.
Das Akronym DNA steht für “Diverse Nightlife Aesthetics”, allemal eine Ansage. Eine der Residents, die seit der Eröffnung des Clubs im industriecharmanten Werksviertel für eine vielfältige Ästhetik sorgt, ist JessRey. Seitdem sie sich im auflagenbedingt eher Rave-unfreundlichen Jahr 2021 in München und Umgebung einen Namen machte, hat es die umtriebige DJ weit gebracht – unter anderem bis Kuala Lumpur. Nur logisch wohl, nahm ihr Werdegang in einem noch ganz anderen Teil dieser Welt seinen Anfang.
Vielleicht also kein Wunder, dass sie ihren Beitrag zu unserem Resident Podcast als “Reise” bezeichnet, die weit über Minga und Südostasien hinaus geht – geradezu “galaktisch” wird es, verspricht die angehende Produzentin. Ein bisschen Urlaub von der Realität auf Erden tut doch insbesondere zum Jahresanfang auch gut.
Wie bist du zur elektronischen Musik gekommen?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich kann mich ehrlich gesagt kaum an eine Zeit erinnern, in der ich keine elektronische Musik gehört habe. Allerdings weiß ich noch, dass der Track „New Life on Ibiza“ von Tiësto für mich ein absoluter Wendepunkt war. Er hat mich damals so mitgenommen, dass ich mich ab diesem Moment bewusster mit der elektronischen Musik auseinandergesetzt habe. Von da an habe ich alle elektronischen Genres in Phasen geliebt, gemixt und gefeiert – von Progressive House zu Big Room, Dubstep, Trap, Drum’n’Bass, Tech House und schließlich Techno.
In deiner Biografie steht zu lesen, dass du bereits als Teenagerin deine ersten Gigs gespielt hast – und zwar in Uruguay. Wie kam es dazu?
Das stimmt. Das ist mittlerweile acht Jahre her – wirklich abstrus, wie schnell die Zeit vorbeigeht! Im Prinzip hat alles damit angefangen, dass ich mit 15 Jahren ein Austauschjahr in der Stadt Mercedes gemacht habe. Zu der Zeit habe ich gefühlt 24/7 Mixtapes für mich und den lokalen Box-Club gemacht. Wenn ich so darüber nachdenke, war das schon echt wild, wie ich dachte, auf meinem Mousepad mit Virtual DJ solide Sets kreieren zu können. Wie der Zufall es aber so will, war der beste Freund von meiner damaligen Gastschwester DJ. Auf einer Geburtstagsparty hat mich dann nichts davon abgehalten, vor zehn Personen ein wenig zu mixen. Daraufhin meinte er „Nimm doch einfach das nächste Mal, wenn ich im Club spiele, deinen USB-Stick mit und vielleicht kriegen wir dich an die Decks!“. Ich hatte mein Stick wochenlang bereit, war auf jeder Party bis zum Schluss – und zack, eines Tages kam dann der Moment … um sechs Uhr morgens vor einer Cumbia-Crowd, dennelektronische Musik war zu der Zeit noch eine absolute Nische. Es war der Wahnsinn! Um die 200 Leute haben mit mir gefeiert und direkt nach meinem „Gig“ ist ein Veranstalter zu mir gekommen und meinte, ich solle doch auf deren Festival in einem Monat spielen. Am Ende konnte ich dann durch einen Zufall nach dem anderen regelmäßig in zwei Clubs und verschiedene Stadtfesten und -festivals auflegen. Echt der Wahnsinn, was sich daraus entwickelt hat.
Im Anschluss an deine Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2021 hast du dich schnell in München beziehungsweise Bayern etabliert. Wie hast du die regionale Szene wahrgenommen?
Am Anfang fand ich es gar nicht so einfach, die Szene zu durchblicken. Ich komme aus einer Kleinstadt in der Oberpfalz, wo es nicht wirklich eine Szene gibt. Dann komme ich nach München und kenne natürlich erstmal nichts und niemanden. Mit dem Feiern kamen dann aber auch die Menschen in mein Leben, die mich und die Szene in München definitiv stark geprägt haben. Und das sind vor allem die Münchner Kollektive! Sie prägen die Szene mit intimen Feiern, schaffen einen großen Austausch untereinander und geben Newcomer:innen eine Chance. An dieser Stelle ein großes Shoutout an TeamTURBO – ohne diese bunte Truppe würde ich wahrscheinlich noch allein mit meinem Schatten auflegen. Was ich aber definitiv nicht vergessen möchte, sind die Münchner Clubs. Ich finde jetzt wie auch damals sind wir recht divers aufgestellt. Für jeden Style gibt es einen eigenen Club. Von allen Clubs war das Harry Klein aber mein Epizentrum. Es war der erste Club, in dem ich in München feiern war. Der erste Club, in dem ich in Deutschland spielen durfte. Und der erste Club, in dem ich mich bei wirklich jedem Gig willkommen gefühlt habe. Ich sag euch – bei der Schließung habe ich Rotz und Wasser geheult! Leider ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Szene konstant im Wandel befindet.
Dazu gehört allerdings auch die Eröffnung des DNA, wo du als Resident ebenfalls hinter den Decks standest. Wie lief dieses erste Set?
Es war sehr energetisch. Man hat deutlich gemerkt, dass eine gewisse Stimmung im Raum war. Als hätte sich die Nabelschnur der Clubgeburt zu einer Zündschnur gewandelt und was dabei rauskam, war ein großer Knall! Ich muss aber schon auch sagen, ich hatte am Anfang mit einer gewissen Nervosität zu kämpfen. Mir war bewusst, was es für eine Ehre war, das offizielle Opening-Event zu bespielen und die Clubgeschichte damit mitzuformen. Aber ein, zwei Tracks und das nervöse Gefühl war dahin. Ab dem Moment an habe ich es nur noch genossen. Ich kann mich auch noch erinnern, wie ich einmal innehalten musste während dem Set, weil ich es so wahnsinnig geil fand wie alle – links, rechts, hinten und vorne – am Abfeiern waren.
Der Raum spielt beim Auflegen eine große Rolle, der Club legt auch offenbar viel Wert auf hochwertigen Industrie-Charme. Wie würdest du die Atmosphäre in der DNA beschreiben?
Das Erste, was mir in den Kopf kommt, ist das Wort „intim“. Es ist nicht zu groß und nicht zu klein. Die perfekte Größe, damit eine Menge als Ganzes verschmilzt, sich aber als Individuen kennenlernt. Gleichzeitig ist der Raum sehr offen und zentriert. Egal wo du stehst – du bist mitten auf der Party. On top finde ich es einfach nur hammer, wie die Leute den DJs nicht nur beim Spielen zuschauen, sondern auch hinter ihnen mitfeiern. Das hat einen coolen Nebeneffekt: Die Crowd feiert mit sich selbst. Das schafft eine ganz eigene, wilde Atmosphäre. Etwas, was in vielen Clubs nicht mehr der Fall ist, da die Separation von Crowd und DJ eher zu einem Show-Effekt führt.
Wie würdest du denn das durchschnittliche Publikum beschreiben?
Das ist schwer in Worte zu fassen. Das DNA hat einerseits den Freitag für härtere Musik reserviert, andererseits den Samstag für melodische Nächte. Dementsprechend kann sich das Publikum gerne unterscheiden, je nach Stilrichtung und Line-up. Allerdings konnte ich auch schon beobachten, dass sich das Publikum mischt. Der ein oder andere Hard-Techno-Enthusiast kam dann doch auch zum entspannterem Sound. Und ich muss sagen, das kann gerne auch weiter so gehen. Menschen entdecken dadurch neue Musikstile und lernen neue Leute kennen. Das Publikum wird dadurch diverser und offener, als es eh schon ist. Ich denke, das wird sich in Zukunft auch noch so fortsetzen.
Welche Anforderungen bringt der Job der Resident für dich im Vergleich zu einzelnen Gigs in anderen Clubs mit sich? Stehen deine Sets dort etwa für einen bestimmten “DNA-Sound”?
Ich würde prinzipiell nicht von einem DNA-Sound sprechen. Denn was ich am DNA mit am meisten schätze, ist die musikalische Vielfalt. Es läuft nicht nur die eine Musik XYZ, die gerade im Trend ist. Der Sound ist divers – genauso wie die Künstler:innen. Jede Nacht ist individuell. Nach einem bestimmten Sound-Schema an den Abend heranzugehen, wäre falsch. Umso schöner ist es, sich in diesem Rahmen ausprobieren zu können. Mal kann man etwas melodischer, härter oder hypnotischer werden, je nachdem, was die Nacht bereithält. Der Club regt damit definitiv zum Experimentieren an. Dabei bleib ich natürlich trotzdem bei meinem Sound. Aber vor allem in der Rolle als Resident spiele ich ja nun öfters in der gleichen Venue. Da will ich der Crowd immer wieder ein neues Erlebnis bieten. Sie sollen meinen Sound kennen – aber immer noch gespannt darauf sein, was kommt. Ich denke, das ist definitiv ein Unterschied zu regulären Gigs.
Was war die Idee hinter deinem Beitrag für unseren Resident Podcast?
Der Grundgedanke war, etwas zu schaffen, das mein momentanes musikalisches Spektrum repräsentiert. Ich habe in letzter Zeit so viele verschiedene Stile für mich entdeckt, dass ich die Kombination zu etwas Eigenem wahnsinnig spannend finde. Der Fokus liegt nicht auf einem bestimmten Sound, Rhythmus oder einer BPM-Zahl. Es ist vielmehr das, was die Tracks als Einzelne als Gefühl auslösen und am Ende als Ganzes zu einer emotionalen Reise werden lässt. Das war mein Hauptziel. Wie die Reise am Ende aussieht, wusste ich zu Beginn nicht. Allerdings ist es interessanterweise sehr galaktisch geworden – als würde man eine Reise antreten von der Erde ins Universum und wieder zurück.
Last but not least: Was sind deine Pläne für die Zukunft und was steht in der DNA in nächster Zeit an?
Mein absoluter Fokus ist momentan das Produzieren. Ich kann es einfach nicht mehr erwarten, meine eigenen Kreationen mit der Welt zu teilen. Allerdings bin ich noch stark dabei meinen individuellen Style zu finden und mich technisch weiterzubilden. Daher: Releases kommen, aber es dauert noch ein wenig! Ansonsten stehen viele Club- und Festival-Gigs an, die ich aber noch nicht verraten darf. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass 2024 jetzt schon ein Highlight ist. Das DNA nimmt an der Stelle einen großen Stellenwert ein – und zwar nicht nur, wenn ich selbst hinter den Decks stehe. Es werden große Artists spielen, deren Tracks Bestandteile von jedem meiner Sets sind. Welche das sind, bleibt noch ein Geheimnis. Aber was ich verraten kann: Das DNA wird die ganze Gegend bereichern. Es stehen großflächigere Projekte an, die über die bloßen Räumlichkeiten hinaus gehen. Sehr, sehr spannend! Zum Schluss muss ich es nochmal loswerden: Ich freue mich unglaublich sehr, ein Teil davon zu sein!
Stream: JessRey (DNA) – Groove Resident Podcast 48
01. Pleasurekraft, Jordan Smart – Nostalgic for the Future
02. Noir – Shelter
03. Ilja Djokovic – Moondance
04. Alex Mine, Lazar – Hiding Object
05. Oliver Lieb – Atomo
06. Stoked – Mi Amore
07. Mark Michael – Dream Machine
08. Noir – Damage Control
09. Ilja Djokovic – Quasar
10. BEC – Humanoid
11. Layton Giordani – Feel a Vibe
12. Klanglos – Astronaut’s Journey
13. Mark Michael – Mothership
14. Victor Ruiz – Nimbus
15. Klaps – Little Bit of Psy
16. Roman Tapia – Tamashi
17. Thomas Schumacher- The Fuzz
18. Victor Ruiz – What’s That Called?
19. Charly Schaller – Sama Sama
20. Noir – Psychosis
21. Mark Michael – Rebirth
22. Enrico Sangiuliano – Silence (Inner Mix)
23. Schrotthagen – Furure of Silence
24. Brainchild – Symmetry (Lange Breakbeat Remix)