Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresrückblicks REWIND2023. Alle Texte findet ihr hier.
GROOVE-Autor Till Kanis hatte an dieser Stelle bereits letztes Jahr versucht, den pop- und deutschrapaffinen Status Quo der Szene zu erfassen und damit die Gemüter gespalten. Nun schreibt er gegen die Kommerzialisierung der Clubnacht an – und schlägt vor, das Geld nicht an der Garderobe abzugeben, sondern in einen Generator zu investieren.
Wenn man sich zurückerinnert, erscheint 2022 ganz weit weg. Rave-TikTok war einigermaßen neu, wöchentliche Pop-Edits haben uns insgeheim doch gekriegt und Rap über Techno-Beats hat verblüffenderweise unerwartet gut funktioniert. Doch ein Jahr später hat sich auf den ersten Blick nicht viel getan. Noch immer regiert die Kettendynastie, TikTok schafft virale Fakten und Rap über Gabber-Beats findet auf den ganz großen Bühnen statt. Einzig hat die Gewöhnung eingesetzt, und die kam so schleichend, dass mittlerweile selbst die letzten Realkeeper gemerkt haben, dass es keinen Spaß macht, sich immer wieder über dieselben Internet-Phänomene aufzuregen. Was ist also neu in diesem Jahr, außer, dass der musikalische Höher-schneller-weiter-Wettbewerb wieder einmal in die nächste Liga aufgestiegen ist und sich die angesprochene Routine selbst bei den Hatern breitmacht?
Den aufmerksamen Beobachter:innen wird auffallen, dass elektronische Musik und die Industrie drumherum in Teilen in eine umfassende Meme-Kultur abzudriften scheinen. Dabei ist die Rede keineswegs von Memepages wie @atzensafespace oder @technothegathering, die kulturelle und szenische Codes humoristisch aufarbeiten und zugänglich machen, sondern von solchen Businessmoves, die nach dem größtmöglichen Bild jagen, um Fakten, Gesprächsstoff und im Endeffekt Geld zu generieren. So werden Skrillex und Marusha ins Berghain gebucht, Stella Bossi zeigt uns das KitKat von Innen und die mehr oder weniger immer gleichen 150 DJs danken Wochenende für Wochenende ihren Fans auf Instagram für die sagenumwobene Energy.
Dass die romantisch verklärte Subkultur dabei ihre selbst proklamierten Werte hintergeht, scheinen die Szeneakteur:innen vergessen zu haben, oder es ist ihnen schlichtweg egal. Natürlich muss man bei allem Spott eingestehen, dass ein Skrillex-Gig in den heiligen Hallen durchaus von humoristischer Tiefe zeugt und die Tempelwächter vielleicht auf die revolutionäre Idee gekommen sind, dass man sich selbst nicht immer ganz so ernst nehmen sollte. Trotzdem ist das im Grunde nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn faktisch führt die Kombination aus dem Streben nach viralem Content und den omnipräsenten, steigenden Preisen zu einer Abwärtsspirale, die in Meme-Partys für Bonzen mündet, und das ist nun wirklich nicht besonders underground. Denn obwohl die Ironie längst nicht mehr nur aus den Nähten der Fahrradfahrer-Trikots, sondern auch aus den Bookings, den Tracks und den Designs tropft, bleibt der Spaß letzten Endes nur jenen zugänglich, die Reichweite haben oder die es sich leisten können.
Dabei ist die Preisexplosion die zweite einschneidende Entwicklung, die sich innerhalb der Szene und darüber hinaus identifizieren lässt. Denn als unmittelbare Folge von durchdringender Kommerzialisierung auf der einen Seite und Inflation auf der anderen wird Clubkultur und das Hobby des Ausgehens teuer, und zwar so richtig! Zwar hat diese Entwicklung nicht erst vorgestern ihren Anfang genommen, jedoch scheinen die Preissprünge in diesem Jahr so enorm, dass erste etablierte Clubs beginnen, radikale Gegenmaßnahmen einzuleiten. So macht das Berliner OXI alle hauseigenen Veranstaltungen kostenlos zugänglich und das ://about blank bietet eine monatliche Party mit erschwinglichen Preisen an. Auch übernehmen immer mehr, vor allem kleine oder ehrenamtliche Veranstalter:innen, das Konzept von Soli-Tickets für potenzielle Gäste mit geringeren finanziellen Möglichkeiten.
Immer mehr MCs rappen auf Deutsch über Bass Music oder Hardcorebeats, verbinden Breakdancekultur mit Raves und bringen die Dancefloors auch abseits der Szene zum Brennen.
Dennoch bleibt es überaus alarmierend, dass sich zu der wachsenden Uniformität von vermeintlichen subkulturellen Freiräumen die steigende monetäre Auslese gesellt, die dafür sorgt, dass regelmäßige Clubbesuche nur noch erschwinglich sind, wenn man entweder über einen gewissen Wohlstand verfügt oder in der Szene tätig ist und somit auf Gästelistenjagd gehen kann. Infolgedessen werden große und einstmals bedeutende Clubs mehr und mehr von einer bizarren Mischung aus Rich Kids, Partytourist:innen und sakralen Szenekundigen bevölkert, die das elitäre Spaceshuttle gemeinsam abheben lassen.
Doch auch wenn meckern Spaß macht und es sich von der Tastatur aus besonders gut schießen lässt, muss man hervorheben, dass es 2023 auch andere Entwicklungen gab, die gerade für die musikalische Landschaft interessant und förderlich sind. Denn bereits im letzten Jahr haben wir festgestellt, dass die wachsende Popularisierung von elektronischer Musik zu einer Durchmischung von Genres und Einflüssen führt, die überaus erfreulich ist und frisch daherkommt. So treibt die wachsende Überschneidung von Tanzmusik, Rap und der angesprochenen Club-Meme-Kultur weiter Blüten, und immer mehr MCs rappen auf Deutsch über Bass Music oder Hardcorebeats, verbinden Breakdancekultur mit Raves und bringen die Dancefloors auch abseits der Szene zum Brennen. Dabei beschränkt sich diese Entwicklung nicht nur auf Szenegrößen wie Domiziana, Viko63 oder Ski Aggu, sondern bietet auf SoundCloud einer ganzen Riege an interessanten Künstler:innen einen Nährboden und ein Sprungbrett. So seien an dieser Stelle stellvertretend für viele andere zum Beispiel Kleptos, Cyndholz, Sarah4k, SQF2000 oder das Tiefbasskommando genannt, die die angestaubten Grenzen zwischen den Genres verschwimmen lassen. Denn im Endeffekt sorgt jede genreüberschreitende Entwicklung für ungeahnte Nova, die das Spektrum der Tanzmusik bereichern können.
Und auch abseits der musikalischen Perspektive gibt es auf kultureller Ebene erfreulicherweise regen Widerstand gegen die steigenden Preise und die Uniformierung. Denn nach wie vor existiert in so gut wie jeder Stadt ein florierender Untergrund, der mit eigenen Konzepten, neuen Ideen und Leidenschaft die Subkultur am Leben erhält und etablierte Strukturen hinterfragt.
Dabei geht es im Grunde nicht einmal um musikalische Ausrichtung, sondern zuallererst darum, subkulturelle Werte für alle zugänglich und erlebbar zu machen, sich der Kommerzialisierung entgegenzustellen und vom:von der Konsument:in zum aktiven Teil der Szene zu werden, ohne dabei den Fokus auf Geld oder Fame zu legen. Gerade in Zeiten, in denen allein der Eintritt in den Club gerne mal 20 Euro oder mehr kosten kann, ist es wichtiger denn je, dass es Menschen gibt, die daran arbeiten, Clubkultur allen zugänglich zu machen, um damit im Endeffekt die Szene nach vorne zu bringen und dem Nachwuchs ein Forum zu geben. Überlegt euch also, ob ihr euren 25-Euro-Berghain-Eintritt nächstes Mal nicht lieber in die Miete eines Generators investiert und euch auf den Weg unter den nächsten Autobahnzubringer macht. Denn im Endeffekt ist die Rückbesinnung auf den radikalen Gegenentwurf zum überteuerten Clubbesuch das valideste Mittel gegen dessen fortschreitende Kommerzialisierung.