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Moving The Needle: Soli-Party im ://aboutblank

Im ://aboutblank findet am Sonntag, den 19. November, eine Soli-Party mit dem Titel „Moving the Needle” für die Opfer des Terroranschlags auf dem Supernova Festival in Israel statt. Neben elektronischer Musik gibt es auch ein Podiumsgespräch, mit dabei sind unter anderem die Journalist:innen Anastasia Tikhomirova und Nicholas Potter und der israelische Künstler und Betreiber des Labels Liquid Memory Records Ori Raz. Ziel ist es, einen offenen Dialog in der Club- und Kulturszene zu fördern.

Während das ://aboutblank sich bereits Mitte Oktober zu dem Terroranschlag äußerte, schwieg die Mehrzahl der Akteur:innen in der Berliner Szene. Teilen sei es laut den Veranstalter:innen schwergefallen, die Anschläge als Terrorismus zu verurteilen. Moving The Needle soll einen empathischen Zugang zum Thema ermöglichen. Außerdem sollen sichere Räume frei von Antisemitismus und Rassismus geschaffen werden, in denen Menschen in diesen schwierigen Zeiten zusammenkommen können.

Mit der Veranstaltung plant man außerdem, die Opfer des Massakers auf dem Supernova-Festival zu unterstützen und Spenden für die Organisationen Tribe Of Nova, Ofek und Beit El-Meem zu sammeln.

Tribe of Nova ist eine Gemeinschaft, die für die Grundwerte Freiheit, Bewegung, Verbindung und Einheit steht. OFEK zählt als die erste auf Antisemitismus und Community-basierte Beratung spezialisierte Stelle in Deutschland. Beit El-Meem dient als Zufluchtsort für alle Geschlechter und sexuellen Identitäten in der arabischen Gesellschaft Israels und setzt sich für die arabische LGBTQ-Gemeinschaft ein.

Wir haben mit den Veranstalter:innen von Moving The Needle gesprochen und gefragt, wie sie das Konzept der Party in der Realität umsetzen wollen und wie sie das Klima in der Berliner Szene seit dem 7. Oktober wahrnehmen.

GROOVE: Wie kamt ihr auf die Idee zur Veranstaltung? Wie ist sie aufgebaut? 

Moving The Needle: Es ist beunruhigend, dass nach dem Anschlag auf das Supernova am 7. Oktober eine Empathielücke erkennbar ist. Viele junge Erwachsene wurden an diesem Tag Opfer von terroristischen Gewaltverbrechen. Die elektronische Musikszene definiert sich oft als subkultureller Raum mit linksgerichteten, progressiven und feministischen Ansätzen. Dennoch fehlte es offensichtlich an Solidarität und klaren Standpunkten zu den Anschlägen der Hamas, obwohl alle DJs eine Verbindung zu den Geschehnissen haben, weil sie entweder bereits auf einem Musikfestival aufgetreten sind oder auf einem zu Gast waren. Das ist unsere Szene, die hier angegriffen wurde. Es geht hier nicht nur um politische Konflikte; es betrifft ein Musikfestival. Das Schweigen in der Musikszene hat uns dazu motiviert, uns zusammenzuschließen, um die Ereignisse stärker ins kollektive Bewusstsein zu rücken. In den letzten Wochen schien es keinen Raum für diese Diskussion zu geben.

Wie soll Moving The Needle dazu beitragen, den offenen Dialog, den ihr euch wünscht, zu erreichen?

Es gab einen Anschlag auf ein Festival, damit auch auf die Community der elektronischen Musik. Was macht das mit unserer Szene? Wie finden Dialoge gerade statt? Wie kommen Jüdinnen und Juden sowie Palästinenser:innen ins Gespräch?

Es ist interessant, wie die Perspektiven auf diese Veranstaltung variieren, insbesondere wenn man die Betroffenenperspektive eines israelischen Kollegen einbezieht. Unser Ziel ist es, einen offenen Dialog zu fördern und die Geschehnisse auch aus der Perspektive jüdischer Künstler:innen zu betrachten, die unterrepräsentiert sind. Gleichzeitig stellen wir uns die Frage, für wen diese Clubräume überhaupt erreichbar sind.

Um eine umfassendere Perspektive zu bieten, haben wir eine Organisation namens Beit El-Meem einbezogen, die arabische LGBQTI+-Communitys in Israel unterstützt. Unser Fokus liegt auf der mangelnden Empathie für Israelis, Jüdinnen und Juden. Daher sammeln wir auf dem Event Spenden für Supernova und Ofek. Dennoch streben wir einen offenen Dialog an und versuchen, keine extreme Haltung zu diesem Thema einzunehmen. Unser Ziel ist es, sich zunächst mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Es gab einen Anschlag auf ein Festival. Wie beeinflusst das unsere Szene? Wie finden Dialoge in dieser Situation statt? Wie können Jüdinnen:Juden und Palästinenser:innen miteinander ins Gespräch kommen? Wie können wir solidarisch mit Jüdinnen:Juden und Palästinenser:innen sein?

Ihr thematisiert im Pressetext einen „drastischen Anstieg von Antisemitismus” seit dem Pogrom Anfang Oktober. Wie nehmt ihr das Klima in der Berliner Szene momentan wahr?

Es gibt eindeutige Beispiele dafür, wie sich das Klima vor und nach dem 7. Oktober verändert hat. Ein aktuelles Phänomen ist die Tendenz zu Boykotten und Absagen von Auftritten, wenn keine eindeutige Parteinahme für die palästinensische Seite erfolgt oder es sich um israelische Kollektive handelt. Ein Vorfall, der dies verdeutlicht, ereignete sich bei HÖR Berlin, als während eines Streams ein Shirt mit der palästinensischen Flagge über dem gesamten israelischen Staatsgebiet gezeigt wurde. HÖR wurde daraufhin boykottiert. Der Plattform wurde vorgeworfen, nicht solidarisch mit Palästinenser:innen zu sein und ihre Macht für böse Absichten zu nutzen. Dies entspricht nicht der Wahrheit. HÖR hat nie zuvor Solidaritätsbekundungen mit Palästinenser:innen verunmöglicht und auch palästinensische Künstler:innen eingeladen. Dies trägt zu einer verzerrten Realität bei und behindert den Dialog erheblich.

Die Darstellung von Jüdinnen und Juden als übermächtig ist ein bekanntes Merkmal von Antisemitismus. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, Antisemitismus zu definieren, da er anders funktioniert als Rassismus. Obwohl beide Phänomene miteinander verknüpft sind, zeichnet sich Antisemitismus nicht dadurch aus, dass Jüdinnen und Juden als minderwertig gelten, sondern dass die Vorstellung genährt wird, dass sie übermächtig seien. Diese Ambivalenz erschwert es den meisten Menschen, antisemitische Tendenzen bei sich selbst zu erkennen. Sie glauben, für die Unterdrückten und gegen die Unterdrücker einzustehen.

Boykotte und das Absagen von Auftritten tragen dazu bei, dass sich Menschen voneinander distanzieren, und es entsteht eine deutliche Polarisierung. Wie erwähnt häufen sich derzeit Boykotte und Cancelling. Auch gegenüber Künstler:innen, die sich nicht anti-israelisch positionieren wollen. Dieses Muster ist auch von der BDS-Bewegung [Boycott, Divestment and Sanctions, Anmerkung der Redaktion] bekannt, der viele aus der Szene anhängen. Es gibt zum Beispiel Compilations mit dem Titel From The River To The Sea, ebenfalls eine der Losungen der BDS-Bewegung. Viele realisieren nicht, dass diese Parole für die Auslöschung des einzigen jüdischen Staates steht, was in letzter Konsequenz die Vertreibung der Jüdinnen und Juden bedeutet. In der Szene, insbesondere bei Künstler:innen, die nicht direkt betroffen sind, herrscht eine extrem starke und vor allem laute, einseitige Haltung dazu vor. Kein anderer Konflikt wird derart intensiv von der Szene beleuchtet.

Wie erklärt ihr euch diese extreme Polarisierung in der Szene?

In unserer Szene ist dieses Phänomen im Vergleich zu anderen Musikgenres besonders stark ausgeprägt. Einerseits könnte dies darauf zurückzuführen sein, dass sich Clubs und Künstler:innen hier gerne als politisch links, anti-rassistisch und weltoffen präsentieren. Trotz dieser Selbstdarstellung wird jedoch häufig mit ungenauen Begriffen operiert, und es fehlt an kritischer Selbstreflexion.

Die ablehnende Haltung gegenüber Israel könnte einerseits mit der Komplexität des angespannten israelisch-palästinensischen Konflikts zusammenhängen, andererseits mit der Tatsache, dass Israel als jüdischer Staat und als von den USA unterstützter Staat wahrgenommen wird. Jüdinnen und Juden erfahren historisch betrachtet die älteste Form der Diskriminierung. Interessanterweise findet man in vielen Clubs Schilder mit Aufschriften wie „No Sexism, No Racism”, jedoch fehlt oft der Hinweis „No Antisemitism”.

Es fällt auf, dass in unserer Szene selbstreflektierte Auseinandersetzungen mit antisemitischen Ressentiments rar sind und eine defensive Reaktion hervorrufen. Obwohl solche Feindbilder in jeder Gemeinschaft existieren, ist der Nährboden für einen Boykott gegenüber Israel in unserer Szene besonders fruchtbar.

Wie kann man als Künstler:in und Veranstalter:in am besten mit dieser Thematik umgehen?

Als Veranstalter scheuen wir es, uns als Einzelpersonen zu aktuellen Themen zu positionieren, aus Furcht um unser Team und unsere berufliche Laufbahn. Mittlerweile kursieren sogar schwarze Listen. Die Listen sind umfassend, und das Ziel ist deutlich: In einer Tabelle mit dem Titel „Index of Cultural Institutions & Collectives’ Stance Towards The Current Palestinian Liberation Movement” werden 510 Kunstkollektive, Clubs, Museen, Theater und Universitäten weltweit aufgeführt. Diese werden entweder als „Supporter” oder „Silent” eingestuft. In Deutschland werden in der Liste unter anderem die Technoclubs ://about blank und Institut fuer Zukunft, die Berliner Volksbühne und die Bauhaus-Universität Weimar aufgelistet. Es ist beunruhigend, dass Solidarität oder eine differenzierte Meinungsäußerung zu brisanten Themen oft als riskant empfunden werden, selbst wenn Raum für den Schmerz der Palästinenser:innen und der jüdischen Menschen geschaffen wird. Zwar gab es produktive Dialoge, jedoch haben Gespräche mit einigen Künstler:innen gezeigt, dass viele Fehlinformationen im Umlauf sind und Einsicht oft ausbleibt.

Besonders in sozialen Medien gestaltet sich der Umgang mit diesen Themen schwierig, weil das DJ-Dasein oft von narzisstischen Elementen geprägt ist und der DJ stets im Mittelpunkt steht. Das Hinterfragen von möglicherweise antisemitischen Ressentiments wird vermieden, weil es das positive Selbstbild eines DJs gefährden könnte. Das steht im Zusammenhang mit den sich verändernden Dynamiken des DJ-Daseins und der Entwicklung von Subkulturen. Der DJ nimmt stets eine zentrale Rolle ein und bildet den Mittelpunkt der Party. Die Vermarktung seines Images und auf Social Media gewinnt zunehmend an Bedeutung. Von DJs wird mittlerweile nicht mehr nur erwartet, Musik aufzulegen, sondern auch, sich politisch zu positionieren oder andere performative Elemente zum Image hinzuzufügen.

Als Künstler:in ist man nicht zwangsläufig ein:e Expert:in für bestimmte Themen, daher ist es wichtig, in Dialogen sorgfältig Quellen abzuwägen und problematische Einstellungen zu hinterfragen. Die Debatte ist stark emotionalisiert, was dazu führt, dass oft das sachliche Besprechen von Fakten vernachlässigt wird.

Wie erklärt ihr euch den Mangel an Empathie für die Opfer des Anschlags?

Die Frage nach der fehlenden menschlichen Empathie hat mich lange beschäftigt, und es wäre möglich, eine Erklärung zu finden, die an das vorhin Gesagte anschließt. Ich bin der Auffassung, dass das mit Vorurteilen gegenüber dem jüdischen Staat in Verbindung steht, wie sie in unserer Szene, insbesondere innerhalb der BDS-Bewegung, dominieren. Die Erklärung hierfür liegt auch in einem offensichtlichen Antisemitismus und der Entschmenschlichung von Israelis. Der Staat Israel wurde historisch immer kritisch betrachtet, obwohl er als Schutzraum für Jüdinnen und Juden gegründet wurde. Israel galt stets als Terrain, für das man sich besser nicht engagieren und auf dem man als DJ nicht auftreten sollte. In einem Kontext, in dem Israelis nie als Opfer, sondern immer als mächtige Täter und Unterdrücker existieren, bleibt wenig Raum für Empathie und Solidarität.

Moving The Needle (Foto: Presse)

Moving the Needle

19. November 2023
://aboutblank
Berlin

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