Es gibt kein Entkommen vor Fred again.. Viele hassen, die meisten anderen aber lieben ihn. Warum, das liegt jeweils auf der Hand: Er steht repräsentativ für den sukzessiven Ausverkauf von Dance Music an einen Mainstream, der vom Rave nur das Kapital, nicht aber die Werte abschöpfen möchte. Er macht das indes sehr gut – mit eingängiger Musik, ästhetischer Konsistenz und einem Dauergrinsen im Gesicht.
Fred again.. repräsentiert einen neuen Typus Star, schreibt Kristoffer Cornils in einer neuen Ausgabe seiner Kolumne konkrit. Profitiert hat der Brite von den Entwicklungen innerhalb einer Szene, die sich gerne von ihm distanzieren würde und sich in Zukunft wohl dem von ihm angestoßenen Paradigmenwechsel anpassen muss. Aber fangen wir zuerst von vorne an: Wer ist dieser Mensch, was macht seine Musik aus und wie lautet das Erfolgsrezept hinter dem System Fred again..? Und was könnte sein Erfolg nach sich ziehen?
Frederick John Philip Gibson ist ein sogenanntes nepo baby, er wurde buchstäblich in den britischen Adel hineingeboren. Das macht ihn weder zu einem schlechten noch einem guten Künstler. Dass er aber überhaupt einer werden konnte, dazu noch ein dermaßen erfolgreicher, hat damit in jedem Fall zu tun. Gibson hat eine langjährige, professionelle musikalische Ausbildung genossen. Und obendrein wohnt seine Familie in direkter Nachbarschaft zu einem gewissen Brian Eno.
Der Ambient-Don nahm Gibson im Teenager-Alter unter seine Fittiche und brachte ihm bei der gemeinsamen Arbeit an zwei Kollaborationsalben mit Karl Hyde ein paar Kniffe bei. Eine Teilnahme an der Red Bull Music Academy später begann Gibson ab dem Jahr 2014, sich als Songwriter für die obere Popstar-Riege zu verdingen. Mit großem Erfolg: Unter anderem schrieb er zwölf der 15 Stücke auf Ed Sheerans Album No.6 Collaborations Project.
Die guten Verbindungen in die Musikindustrie werden ihm geholfen haben, das Talent lässt sich ihm jedoch nicht absprechen. Gibson weiß, was ein erfolgreicher Popsong braucht. Von den Tantiemen solcher Blockbuster-Produktionen ließe sich gut leben, doch war er darauf nicht angewiesen und wollte mehr. Das Mixtape Gang auf dem Label Relentless mit dem MC Headie One – sowie einer Reihe hochrangiger Kollaborationsgäste, ein Leitmotiv in seiner Arbeit – sollte in dieser Hinsicht wohl den Startschuss für seine Solokarriere markieren.
Doch erschien Gang Anfang April 2020 in den rasenden Stillstand hinein. Statt im Pandemiestrudel unterzugehen, gelang es Gibson, die Gemengelage für sich zu nutzen. Nur einen Monat nach Gang veröffentlichte er im Selbstvertrieb die EP Actual Life als Fred again.., auf der er ein vorab etabliertes Schema bediente, dem er bis heute treu bleibt und das einen Wiedererkennungswert garantiert.
Schon ab Sommer 2019 hatte Gibson in unregelmäßigen Abständen Tracks veröffentlicht, die kurze Audio-Snippets aus Interviews, Social-Media-Videos oder Songs sampelten. Der erste noch Auffindbare heißt „Billie (I’m Not Okay)” und ist bereits nach dem Schema betitelt, das Gibson bis heute verwendet: Vorname der Sample-gebenden Person, der Text der Hookline in Klammern dahinter.
Das YouTube-Video besteht aus einem Screenshot von Billie Eilish in einem Instagram-Frame, über allem liegt ein roter Filter. „I find sumin about Billie talkin like unbelievably moving”, lautet Gibsons eigener Kommentar zu seinem Track. Mit ihm und allen Folgenden definierte Gibson so seine spezifische Ästhetik und Selbstinszenierung vor, die ihn bis heute so beliebt macht.
Das Major-Label Warner Music Group (WMG) erkannte offenbar das Potenzial des Ganzen und nahm ihn flugs unter Vertrag. Seitdem erschienen drei Alben von Fred again.. bei dem zu WMG gehörenden Label Atlantic sowie eine Kollaborationsplatte von Gibson mit Brian Eno auf Text, dem Indie-Label von Kieran Hebden alias Four Tet. Der ist einer der engsten Vertrauten Gibsons und nebenbei noch sein DJ-Partner.
Fred again.. repräsentiert einen neuen Typus Star, der sich musikalisch und ästhetisch aus dem Repertoire des Undergrounds bedient und damit Anklang findet.
Gemeinsam mit Brostep-Größe Skrillex haben die beiden es unter anderem geschafft, den Madison Square Garden in New York City an mehreren Terminen auszuverkaufen. Derzeit befindet sich Fred again.. auf einer ausverkauften Solo-Tour durch Europa, ein Stopp war die Mercedes-Benz Arena in Berlin mit einer Maximalkapazität von 17.000. Danach gastiert er für acht (!) aufeinanderfolgende Termine in der Shrine Expo Hall in Los Angeles – das sind dann nochmal gut 50.000 verkaufte Tickets.
Dazu kommen selbstverständlich Streaming-Zahlen, die nicht minder beeindruckend sind. Mehr als eine Viertelmilliarde Plays für „Marea (We’ve lost dancing)” mit The Blessed Madonna alleine auf Spotify etwa. Und entsprechende Social-Media-Klickzahlen, ob nun durch die mehr als zwei Millionen Follower:innen auf Instagram oder doch die über 775.000 TikToker in seiner Gefolgschaft. Und hat hier jemand seinen Boiler-Room-Auftritt nicht gesehen? Natürlich wäre da noch eine ganze Reihe von Nominierungen für Preise, von denen er seit dem Jahr 2020 immerhin ein paar mit nach Hause nehmen konnte.
Das alles ist beeindruckend und nicht überraschend: Ein gut ausgebildeter, noch besser vernetzter und zweifellos talentierter Musiker hat es eben geschafft, mit einem kohärenten Konzept viel Erfolg zu haben. Daran ist doch nichts ungewöhnlich. Oder?
Vielleicht schon. Denn Fred again.. repräsentiert einen neuen Typus Star, der sich musikalisch und ästhetisch aus dem Repertoire des Undergrounds bedient und damit Anklang findet. Der aber letztlich nicht mehr als ein ausgeklügeltes Produkt darstellt, hinter dem eine riesige Marketing-Maschine arbeitet. Die genauer unter die Lupe zu nehmen, lohnt sich. Aber fangen wir doch mit dem an, um das es angeblich gehen soll: der Musik.
Der Puls der Zeit: Chill-Pop-Sad-Vibe-Dance-Tracks
Die EP Actual Life ist als erstes Lebenszeichen denkbar unscheinbar. Die grundlegende Idee ist nett, die Tracks aber wirken in Arrangement und Ausgestaltung farblos. H&M-Umkleiden-Deep-House- oder Schwiegersohn-Techno-Beats bilden das Fundament dieser Tracks. Bisweilen macht Gibson Konzessionen an den Sound des Hardcore Continuum, in klanglicher Hinsicht ruft er die Sample-basierte Ästhetik und Atmosphäre von Burial oder Jamie xx auf.
Es handelt sich um den unbeholfenen Versuch eines Songwriters mit Chart-Garantie, hippe Musik zu machen. Das Ergebnis ist mit seinen von Pop-Blockbustern und Eigenproduktionen durchsetzten Rinse-FM-Mixen seit Herbst 2019 vergleichbar: Das Wissen um die Formsprachen des Undergrounds ist da, die Finger an den Buttons aber sind noch zu sehr auf Pop geeicht, um in einer von beiden Welten definitiv Anschluss zu finden.
Stattdessen soll er seine Nische jenseits von beidem finden. Mit dem Major-Label im Rücken ändert sich ab Mitte 2020 einiges, obwohl die Ästhetik dieselbe bleibt. „Marea (We’ve lost dancing)” ist die erste Single seines Solo-Debütalbums Actual Life (April 14 – December 17 2020) und erscheint am 22. Februar 2021. Das Vocal kommt von Marea Stamper alias The Blessed Madonna, die nicht nur ein Mindestmaß an Kredibilität mitbringt, sondern auch Gibsons Reichweite an der Dance-Music-Basis boosten kann.
Das funktioniert, bis heute ist das Stück sein erfolgreichstes. Dahinter muss kein Kalkül stecken, für einen aufstrebenden Künstler und das Major-Label und entsprechende Marketing-Budgets in seinem Rücken erleichtert es jedoch die Kalkulation. Denn wenn zwei Zielgruppen auf einmal aktiviert werden, macht das in der Breite einen Hit nur umso wahrscheinlicher. Das ist im Pop-Business schon seit Ewigkeiten eine etablierte Strategie, aber auch im vermeintlichen Underground: nach dieser Logik funktioniert in der Techno-Industrie etwa das Remix-Game.
Dementsprechend sind gemeinsame Sets mit Skrillex und Four Tet ein ebenso sicherer Hit. Gibson steht mit zwei verschiedenen DJ-Generationen an den Decks, die jeweils unterschiedliche Zielpublika anziehen und aus zwei verschiedenen Bereichen der Musikwelt Fame und/oder Kredibilität auf ihn abstrahlen. Weniger wichtige DJs, so ein Vorwurf, werden von ihm und seinen erfolgreichen Partner:innen nicht entsprechend priorisiert und behandelt.
Mit Blick auf die Credits seiner Alben zeigt sich auch: Hatte Gibson vor seinem Major-Signing noch weitgehend mit Samples unbekannter Privatpersonen oder eben einem schwer zu lizenzierenden Eilish-Snippet gearbeitet, bedient er sich bald schon fast ausschließlich sicherlich offiziell lizenziertem Material von Menschen mit blauem Haken hinter dem Anzeigenamen. Von sehr bekannt bis noch aufstrebend ist alles dabei. Schneeballeffekte sind da vorprogrammiert – und wohl auch schlicht gewollt.
Actual Life (April 14 – December 17 2020) klingt ausgereifter als die erste EP. Gibson – meist Songwriter, Produzent und Engineer in Personalunion – scheint nach kurzer Suche den Puls der Zeit ertastet zu haben. House und die Klangsprache des Hardcore Continuums, vor allem UK Garage und 2-step, sowie ein paar Downbeat-Momente mit Hip-Hop-Anstrich werden weniger genrekonform als noch zuvor eingearbeitet und klingen dadurch einfallsreicher. Die Arrangements sind cleverer, das Klangbild nuancierter. Es ist okaye Musik, die sich auf diesen 16 Stücken bietet, und sie erreicht ihre Zielgruppe.
Bei der finden die Tracks Anklang, weil sie erprobte Stimmungen in sich vereinen. Sie setzen auf eine Mischung aus Euphorie und Melancholie, die seit Burial eine Reihe von Underground-Dance-Acts in Mainstream-Nähe katapultiert hat. Ob Jamie xx, Bicep oder zuletzt Overmono: Ihre jeweils recht unterschiedliche Musik formuliert immer denselben Zwiespalt der Gefühle.
Sie bewegt sich damit ungewollt atmosphärisch nah an dem, was die Journalistin Liz Pelly vor Jahren mal als „Streambait Pop” bezeichnete: „chill-pop-sad-vibe playlist fodder”. Gemeint ist Musik, wie sie Gibson als Songwriter für Popgrößen regelmäßig geschrieben hat, und die im durchmoodifizierten und aktivitätsorientierten Streaming-Umfeld ausgezeichnet funktioniert. Als Fred again.. kombiniert er beides zu mundgerechten Chill-Pop-Sad-Vibe-Dance-Tracks.
Er liefert damit den perfekten Ausdruck für die Situation von Milliarden von Menschen auf der Welt, die im ersten Pandemiejahr vor allem auf sich selbst zurückgeworfen waren: gleichermaßen schockstarr und aufgekratzt, emotional angeschlagen und voller Sehnsucht nach der Rückkehr in die Normalität. Das passt zu einer allgemeinen Entwicklung: Dance Music trat nach ein paar Hype-Jahren endlich ins Boom-Zeitalter ein. Das mochte im allgemeinen Stillstand paradox wirken, im Rückblick erscheint es aber nur logisch.
Das unausgesprochene Versprechen: demokratisches Miteinander
Dance Music ist immer auch Ausdruck eines entgrenzten Hedonismus. Als eben der zu Pandemiebeginn für unbekannte Zeit zur Mangelware wurde, stieg die Nachfrage nach dem passenden Soundtrack schlagartig an – „Marea (We’ve lost dancing)” bringt das perfekt auf den Punkt. Zugleich sorgte der ebenfalls pandemiebedingte Siegeszug der schnellgetakteten Video-App TikTok dafür, dass die zu dieser Zeit einzige Möglichkeit der Teilnahme am kulturellen Diskurs eine Beschleunigung des Medienkonsums und auch der Produktion nach sich zog: Die BPM-Zahl des Zeitgeistes wurde hochgeregelt.
Ein Titel wie Actual Life ist in diesem Kontext von einer vielsagenden Doppeldeutigkeit. Nicht nur drückte er in Zeiten des Geworfenseins auf das sozial isolierte Selbst eine Tagebuchartigkeit aus, mit der sich wohl viele identifizieren konnten. Auch formulierte sich darin das Begehren nach dem echten Leben unter anderen Menschen aus und brachte die Musik zugleich eine Realität zum Ausdruck, in der sich das aktuelle Alltagsleben maßgeblich vor dem Screen abspielte. Die konzeptuelle Rahmung sorgte auf jeder erdenklichen Ebene für Anknüpfungspunkte, moderner gesprochen: relatability.
Gibson wischt nicht synchron zu seinen Fans im Takt durch die sozialen Medien, sondern gibt das Tempo vor.
Die Logik des zeitgenössischen Medienkonsums und die damit verbundene Lebensrealität sind sowieso seit der Veröffentlichung von Gibsons Billie-Eilish-Track ein fester Bestandteil seiner Ästhetik, wenn nicht sogar deren Leitprinzip. Per Sample und dazugehöriger Caption inszenierte sich Gibson als Fan – als Always-on-Rezipient, der sein Konsumverhalten direkt in seine Arbeit als Produzent überträgt. Wenn er nicht wirkmächtige musikalische Multiplikator:innen oder zumindest Newcomer:innen nach Material abschürft, nutzt er darüber hinaus hin und wieder Aufnahmen von Normalsterblichen wie einem Bühnenhelfer aus Atlanta.
Alles daran impliziert mit dem Zaunpfahl, dass der Aristokratensohn und Pop-Hit-Lieferant die Welt exakt so wie seine Fans erlebt: als stiller Konsument und glühender Bewunderer seiner Mitmenschen. Obendrein stellt er ihnen implizit in Aussicht, dass sie selbst vielleicht eines Tages in seinen Songs zu hören sind. Bezieht er sie doch sowieso ständig in seine Selbstdarstellung mit ein, lässt sich für seine Performance-Videos nicht nur hinter seinem Rücken, sondern auch direkt aus dem Publikum heraus filmen oder postet auch mal direkt Videos von Menschen, die angeblich während seines Auftritts einen zärtlichen Moment miteinander teilen.
Das unausgesprochene Versprechen dahinter lautet, dass sich die parasoziale Beziehung zwischen Fan und Star jederzeit umkehren könnte, weil der Star ein Fan seiner Fans ist. Schließlich lässt er sie auch darüber abstimmen, wo er demnächst spielen oder welche Single als nächstes veröffentlicht werden soll.
Dass solcherlei Umfragen auch einfach cleveres Marketing darstellen, das Auskünfte über die Wünsche der Fanbase gibt, ändert nichts daran, dass es nach außen hin ein demokratisches Miteinander suggeriert – als ob logistisch aufwändige Tourneen oder kleinteilige Release-Kampagnen einzelner Tracks im Kontext der bürokratischen Maschinerie eines Major-Labels einfach per Instagram-Kommentarfunktion entschieden werden.
So laufen die Dinge aber nicht wirklich. Fred again.. macht sich nur auf der Ebene seiner Methoden mit seinen Fans gemein. Er produziert Musik, wie andere ihre Lieblings-App nutzen, jeder seiner Tunes ist im Grunde nur das Pendant zu den Duet- oder Stitch-Videos, die stinknormale Menschen jeden Tag millionenfach auf TikTok hochladen. Sie alle hoffen, möglichst viele Menschen zu erreichen, etwas mit ihnen zu teilen, vielleicht berühmt zu werden. Er tut genau das. Gibson wischt jedoch nicht synchron zu ihnen im Takt durch die sozialen Medien, sondern gibt das Tempo vor.
Ein Audio-All-You-Can-Eat-Buffet: Musik als Meme
Der Track „Delilah (pull me out of this)” von seinem dritten Album bringt nicht nur das seiner Musik inhärente emotionale Kippspiel perfekt auf den Punkt, indem er sich bei einem Song bedient, der sich um eine Panikattacke im Club dreht. Er ist auch bis in die kleinsten Details des Arrangements hinein auf die Weiterverwertung auf Instagram beziehungsweise TikTok zugeschnitten. Er beginnt etwa mit einem Sprach-Sample, darauf folgt die Hook und eine einprägsame Akkordfolge – das an sich lädt geradezu dazu ein, die gesprochenen Worte in Kombination mit der Hook als Punchline im Lipsynch-Format weiterzuverwenden.
Das ist aber noch lange nicht alles. „Delilah (pull me out of this)” besteht im Grunde aus einer Aneinanderreihung von ähnlichen, aber nie komplett gleichen Einzelparts, von denen keiner wirklich länger als eine halbe Minute und also das durchschnittliche TikTok-Video ist. Sie sind relativ deutlich voneinander abgegrenzt, entweder durch kurze Pausen oder schroffe Cuts, so als sollte es Fans erleichtert werden, sie für ihre selbstproduzierten Videos zurechtzuschneiden. Vielleicht ist genau das auch beabsichtigt: Es handelt sich um ein Audio-All-You-Can-Eat-Buffet für das Prosumer-Zeitalter.
Nur, was ist das eigentlich für Musik? Pop, Dance? Beides, aber weder noch. Der Erfolg von Popmusik und Dance Music fußt auf demselben Prinzip: Es ist die Wiederholung, die zum Sieg führt. Die ständig wiederholten Refrains von Popsongs und der stete Beat sorgen für Einprägsamkeit, indem sie sich scheinbar ad infinitum wiederholen und sich so in Gehörgänge und Knie fräsen. „Delilah (pull me out of this)” lässt sich in diesem Sinne nur schwer als Pop-Song oder Dance-Track bezeichnen.
Denn Musik wie die von Fred again.. ist nicht einfach nur repetitiv, sondern vielmehr iterativ. Sie nutzt Wiederholung auf struktureller Ebene immer mit leichten Abwandlungen, weshalb in „Delilah (pull me out of this)” jede einzelne Passage immer klar erkennbar zu diesem Stück gehört und sich doch von allen anderen Einzelteilen unterscheidet. Anders formuliert: Die Stücke folgen keinen songwriterischen Konventionen, sondern der Logik von Memes.
Ebenjener Logik unterwirft sich die gesamte Ästhetik von Fred again.. Angefangen mit den dezidiert als Tagebuch präsentierten Alben über die verschiedenen Farbfilter als chromatische Klammer für unterschiedliche Stücke bis hin zu nach dem immer selben Prinzip erfolgenden Betitelungen dieser verschiedenen Stücke, die selbst die immer selbe Idee mit immer anderen Mitteln umsetzen, funktioniert alles daran über ein Spiel von Wiederholung und Differenz, das gleichermaßen komplett schematisch und ergebnisoffen ist.
An und in seinen Alben wird ein großer Paradigmenwechsel sicht- und hörbar, erscheint ein neuer Imperativ der Kulturproduktion: Nicht mehr Konsistenz, sondern ständige Varianz ist das Gebot der Stunde. Auch die Figur des Stars als solchem ändert sich. Nicht nur inszeniert er sich als Prosumer, als „einer von uns”, sondern als Always-On-Persönlichkeit, gleichermaßen konkret wie diffus. Denn wer eigentlich ist Fred again..?
Whatever You Want (Him) to Be: Persona, Person, Publikum
Popkultur fußte schon immer auf der Diskrepanz zwischen öffentlicher Persona und privater Person, der Bruchlinie zwischen Schein und Sein. Fans identifizieren sich mit der Persona, denn sie wollen so sein wie das, was eben diese Persona im doppelten Sinne des Wortes darstellt. Sie wollen zugleich aber auch durchdringen zu der echten Person dahinter, etwas über deren actual life erfahren. Über die vergangenen anderthalb Jahrzehnte hinweg löste sich die Trennschärfe jedoch auf. Früher nahmen Stars ihre Rolle ein, wann immer eine Kamera auf sie gerichtet war, und legten sie ab, nachdem sie wieder ausgeschaltet wurde. Doch heutzutage sind die Kameras ständig an.
Gibson scheint zugleich Opfer wie Nutznießer dieser Hypermedialisierung zu sein. Ein Typ, der sich beim Live-Auftritt mit einem Schulterblick versichert, dass vor dem Drop die Kamera auf ihn gerichtet ist, der Inside-Jokes mit Four Tet mit der Welt teilt oder seinen besten Kumpel mit einem The-Streets-Feature auf seinem neuen Track überrascht. Alles wird festgehalten. So wirkt es, als würden die TikTok-Videos von Fred again.. direkt aus dem Leben Frederick Gibsons berichten. Nur tun sie das immer und ausschließlich im Kontext seiner Musik. Selbst die Geburt seines Neffen wird in eine Art Nachbericht vom Glastonbury-Festival eingebettet.
Nun ist Musik sein Beruf und also der Hauptinhalt seines Lebens, weshalb das nicht verwundert. Doch jenseits vom gut gelaunten Button-Smasher ist von diesem actual life, über das er mit Ausnahme kurzer, selbst eingesprochener Voice-Notes auf seinen Alben weitgehend andere singen und erzählen lässt, herzlich wenig zu sehen und zu hören. Umso mehr wird hingegen deutlich, wie Fred again.. von anderen wahrgenommen wird, weil er als Fan unter Fans inszeniert wird. Nachdem zuvor Persona und Person ineinander kollabiert waren, faltet er damit das Publikum in die chaotische Gemengelage seiner Selbstinszenierung hinein.
Gibson sei „whoever you want him to be”, schrieb Megan Townsend noch vor wenigen Monaten in einem – zu Unrecht – scharf kritisierten, im Kern aber kritischen Feature zum Hype um und den Hass auf Fred again.. im Mixmag. Streichen ließe sich vielleicht nur das „him”. Denn Fred again.. ist nicht wie noch der klassische Popstar eine Projektionsfläche, die mit den eigenen Begehren gefüllt werden kann, sondern vielmehr ein veritables Wimmelbild von Bedeutungsangeboten, aus denen sich alle zurechtbasteln können, wie sie selbst gerne wären. Wenn er schließlich „einer von uns” ist, können wir so werden, wie er es verschiedenartig in Aussicht stellt. Oder?
Nee. All dies bedeutet wie gesagt nicht, dass dieser neue, von Gibson repräsentierte Typus Star irgendwie demokratisch wäre, dass sein Erfolg anderen vergönnt sein könnte. Denn nicht nur bleibt er in seiner Nahbarkeit jederzeit ungreifbar. Er beweist ebenso immer wieder, dass er eben doch grundlegend anders ist als all jene, die mit der Welt durch ihre Screens so interagieren, wie er seine Musik macht. Und zwar mit vollem Körpereinsatz und explizit zur Schau gestellter Virtuosität.
Rockstar reloaded: Der Geist, den die DJ Culture rief
Es gibt unzählige Tutorials dafür, wie sich der perfekte Fred again..-Track bauen lässt. Seine Fertigkeiten an der Maschine Plus oder der Akai MPC Live II aber sind allein seiner affektierten und tausendfach memifizierten Körpersprache wegen unnachahmlich. Fred again.. mag sich als everybody’s buddy inszenieren, der die Grenzen zwischen sich und Publikum einebnet. Und es macht ja auch Spaß, ihm an den Maschinen zuzuschauen, auch wenn das Gehampel oder einfach nur ihre Verwendung überhaupt nicht notwendig wären. Das sind sie nur, weil sie besser Tickets verkaufen als, sagen wir, ein betont performancefreies Boiler-Room-Set von SND: Es wird Action versprochen, und das Versprechen wird auch eingehalten. Fred again.. macht nicht einfach Musik, sondern Entertainment.
Der Paradigmenwechsel, den Fred again.. als Figur repräsentiert, wird so neue Sachzwänge mit sich bringen.
Doch markiert eben diese Zurschaustellung seiner Virtuosität immer wieder, dass er wie ein traditioneller Rockstar mehr drauf hat als seine Fans. Dass er eben doch nicht „einer von uns” ist, sondern sich nur vermeintlich wie wir durch die Medienwelt bewegt, letztlich aber doch das schlagende Herz seines eigenen Universums bleibt, in dem wir uns nur als zahlende Gäste aufhalten. Er verhält sich damit im Grunde genauso wie die vielen DJs, die Nacht für Nacht ihrem Publikum Verbundenheit und Intimität signalisieren, während sie ein paar Meter über ihnen stehen. Ob sie nun Steve Aoki, Peggy Gou oder Kobosil heißen: Die Superstar-DJs der vergangenen Dekaden und Jahre sind die direkten Vorbilder Gibsons.
Wenn also aus dem Innern der Szene bei der Nennung des Namens Fred again.. gemurrt wird, zielen die Beschwerden auf ein Gespenst ab, das die Dance-Music-Welt selbst gerufen hat. Als DJs die Anonymität der Booth verließen und auf den Tischen zu tanzen begannen, als sie sich für Facebook-Likes in Jesus-Pose schmissen und auf Instagram damit begannen, jeden Aspekt ihres Alltags zu dokumentieren, wurden damit die Grundlagen für die Karriere des 360-Grad-Stars Gibsons gelegt. Und weil das Publikum dabei willig mitzog, kann das System Fred again.. überhaupt existieren und so reibungslos funktionieren, wie es das mittlerweile tut.
Gibson bedient sich nicht allein der durch die DJ Culture etablierten Methodik des Sampelns und der Rekontextualisierung, seine Musik lässt nicht nur die Formensprachen der Dance Music erklingen. Auch schreibt er konsequent eine Bewegung fort, in der sich die Szene immer mehr den Mechanismen des Mainstreams angenähert hat, und konnte sich auf der Brücke zwischen beiden Welten seinen eigenen Platz sichern. Das macht ihn zum perfekten Star eines neuen Zeitalters, der über seine Feature-Gäste, Kollaborationspartner:innen und B2B2B-Buddys seinen Einfluss immer weiter vergrößern kann.
Dahinter steckt ein streng durchexerziertes Konzept, das ihn zum Produkt macht, in das die wirkungsvolle Marketingstrategie bereits vorintegriert ist. Freilich hat er einiges auf dem Kasten, sicherlich gefallen Sound und Auftreten von Fred again.. vielen Menschen. Es wäre jedoch naiv, den unvergleichlichen Erfolg eines Jungadeligen mit machtvollen Förder:innen und einem Major-Label mit der entsprechenden PR-Maschinerie im Rücken nur auf seine zweifelsfrei erstaunlichen Fähigkeiten zu reduzieren. All das greift ineinander, bedingt einander. Und es zahlt sich für alle Beteiligten, ob nun die Chefetage von WMG oder Four Tet, aus.
Was Geld macht, das macht auch Schule. Der Erfolg Gibsons strahlt auf andere ab, wieder andere werden ihm nacheifern. Der Paradigmenwechsel, den er als Figur repräsentiert, wird so neue Sachzwänge mit sich bringen. Die scheinbare Nahbarkeit, das diffuse Einer-von-uns-Gefühl, die knallige Always-On-Selbstinszenierung: All das könnte bald für eben jene Szene zum Imperativ werden, aus deren Trickkisten er sich bedient hat.