An einem Abend Hennessy von einem Ghetto-Tech-Rapper eingeflößt bekommen, während man mitten in einer johlenden Crowd steht, zwei Tage später in einer Kirche ein roboterunterstütztes Orgelkonzert hören. Beides in einem 4000-Seelen-Städtchen. Solche Kontraste erlebte man auf dem Weekender-Festival in Belgien Ende August immer wieder.
Hinter der Veranstaltung steckt das Team des Meakusma Festivals in Zusammenarbeit mit dem lokalen Kulturverein, ArsVitha. Nach einem besonders großen Meakusma im vergangenen Jahr legte das Festival dieses Jahr eine Pause ein. Stattdessen rief das Team den Weekender ins Leben – kleiner (schätzungsweise 1800 Gäst:innen über drei Tage verteilt), kürzer (Freitagnachmittag bis Sonntagnachmittag) und in einem anderen Städtchen. Statt in Eupen im kleineren Sankt Vith, einem Ort mit rund 4000 Einwohner:innen im deutschsprachigen Teil Belgiens.
Trotzdem vereinte der Weekender, was auch das Meakusma auszeichnet: Experimentierfreudigkeit und ein Programm, das zu Neuentdeckungen anregt. Obwohl das Festival als abgespeckte Version gedacht war, lief bei rund 46 Künstler:innen immer wieder Musik an mehreren Locations parallel. Darunter viele weniger bekannte Acts. So geriet man oft zufällig in eine Performance, die umso mehr überraschte.
Musikalische Überraschungen
Adiciatz zum Beispiel: Ein Duo, bestehend aus Jonquera, eine Hälfte des Duos Pilotwings, und Manon Nogier. Online findet man von ihnen nur einen Song, eine Aufnahme eines Konzerts auf YouTube. Am Samstagnachmittag spielten sie im Kuckuck, einem Kunst-Space mit DIY-Charakter am Rande der Stadt, proggig angehauchte Folk-Songs mit Mittelalter-Einschlag. Nogiers Gesang hatte etwas Mystisches, stellenweise in einer nicht zu erkennenden Sprache mit gutturalen Lauten, mal auf Französisch oder Englisch. Zusammen mit der japanischen Harfe, Trommeln und Synths, die beide spielten, hatte der Klang etwas Royal-Außerweltliches.
Außerweltlich war auch das Orgelkonzert von Maxime Denuc am Sonntag in der Sankt Vither Kirche. Mithilfe eines programmierten Roboters (der normalerweise zum Stimmen von Orgeln eingesetzt wird – wenn man an der Orgelpfeife zugange ist, kann man schließlich nicht die entsprechende Taste spielen) entlockte er der Orgel ein Klangspektrum, was menschlich nicht zu machen wäre. Arpeggios, schnelle Melodien, darunter tiefe Flächen riefen Emotionen von verträumt bis ergreifend hervor. Man hatte den Eindruck, die Orgel kann alles.
Locations in der ganzen Stadt
Die Kirche war eine von mehreren über die Stadt verteilten Locations, mehr als 15 Minuten laufen musste man dennoch nie. So machte der Weekender Orte mit Musik erlebbar, die man sonst gar nicht oder in einem anderen Kontext betreten würde: Auf dem Dach des historischen Büchelturms spielten Systemet und Lead am Samstagnachmittag ein dreistündiges Drone-Liveset. Im Kino Corso, ein echtes Kino mit Retro-Charme, fanden meist Konzerte in Richtung Ambient statt. Gemütliche Kinosessel boten das ideale Setting, um etwa Memotone aus Bristol bei seinen Improvisationen mit E-Gitarre, Klarinette und Effektgeräten zuzuhören (oder auch mal einzunicken vor Entspannung).
In der Alten Post, die früher wirklich Teil des Postgebäudes war, ging am Samstagabend – Achtung, Dad Joke – die Post ab. Accidental Meetings rahmten den Abend mit zeitgenössischem Dub ein. Das Kuckuck am Ortsrand beherbergte Konzerte wie das von Adiciatz oder der Band Melokan Fusion und DJ-Sets. Hinter dem Gebäude konnte man in einem Garten abhängen, immer wieder wehte ein leichter Kuhgeruch von den umliegenden Feldern her – Urlaub auf dem Lande eben.
Wie auf einer privaten Gartenparty fühlte man sich am Samstag im Garten des Waldbaden, einem vegetarischen Restaurant. Das Zentrum bei Nacht war die Triangel, ein Konzerthallen-Komplex (die einzige Mehrzweckhalle im Süden Ostbelgiens, wie eine Sankt Vitherin verriet). Mit seiner geradlinigen Architektur erinnert der Ort an die Berliner Philharmonie. Dort spielten nachts die technoideren Acts wie Isolée oder Ojoo Gyal, aber auch MC Yallah und Debmaster oder die britische Hype-Band Bar Italia. Mit Neunziger-Jahre-Rock verbreiteten sie ordentlich Melancholie (von der guten Sorte).
Auch das eingangs erwähnte Cognac Trinken passierte in der Triangel, beim Konzert von Hi Tech am Freitagabend. Das Trio aus Detroit hat auf Omar S’ Label FXHE zwei Alben veröffentlicht. Hier wollten die Drei zeigen, wie sie in Detroit feiern: Mit Hennessy, „Cashapp” und ordentlich Ghetto Tech. Anfangs machte das Publikum eher zögerlich mit, aber die zwei Front-Rapper King Milo und Milf Melly legten sich energetisch wie zwei Animateure ins Zeug. Sie stiegen ins Publikum hinab, verteilten Shots, holten Leute auf die Bühne. So bekamen sie die Crowd doch zu einem kleinen Moshpit.
Ein Rave-Festival ist der Weekender nicht
Dass das Publikum nicht sofort auf Abfahrt aus war, lag vielleicht daran, dass es so gemischt war: Von weit angereisten Musiknerds und Meakusma-Stammgäst:innen über 20-Jährige aus der Umgebung, die nachts in Gruppen zum Feiern kamen, bis hin zur Supermarktkassiererin, die am Samstag noch neugierig fragte, wie das Festival sei, und am Sonntag dann beim Orgelkonzert in der Kirche saß – zum Weekender kamen die unterschiedlichsten Typen an Menschen in den unterschiedlichsten Altersgruppen. Von Kindern bis zu grauen Haaren.
Der geringe Ticketpreis von rund 50 Euro für das ganze Wochenende half dabei vermutlich. Auffällig war auch der hohe Anteil an Locals. Rund die Hälfte war regional, schätzte Michael Kreitz, einer der Veranstalter. Bei einem Festival mit so einem avantgardistischen Programm überrascht das durchaus. Fragte man hier und da nach, schien die Grundhaltung in Sankt Vith gegenüber dem Festival positiv: Man freute sich, dass was passiert, dass Hotels und Campingplätze ausgebucht sind. Der konservative Bürgermeister lobte in der Lokalpresse, dass mit dem Weekender Musikrichtungen nach Sankt Vith kämen, die im Ort zuvor gefehlt hätten.
Man hätte ein Festival fast nur mit Konzerten oder eines fast nur mit Ambient-Live-Sets erleben können, je nach Festival-Itinerary. Nur die Balance zwischen experimentellen Live-Konzerten und Dance-tauglichen DJs war in diesem Jahr etwas schief, die Tendenz ging klar zum Konzert. Wer sich rausschießen und abzappeln wollte, war eher auf den Samstagnachmittag und die Nacht beschränkt. Ein Rave-Festival ist der Weekender nicht. Am ersten Abend war um drei Uhr Schluss, am zweiten Abend ging es in einer Location (länger als der Timetable ankündigte) bis rund 6 Uhr. Gerüchteweise, die Autorin lag zu der Zeit schon im Bett.