Black Mirror Park – MITMIXEN 052 (MITMISCHEN BERLIN)
Das Intro aus anfangs soften und dennoch bissigen Bässen geht schnell über in keineswegs stereotype Technobeats. Obwohl der neue Mitmischen-Berlin-Mix von Black Mirror Park als Techno markiert wurde, verzichtet der Künstler auf dumpfen, repetitiven Techno. Der DJ und Producer wohnt in Berlin, wo er mit seiner Crew „Sonntagsinstitut Collective” nicht nur das Berliner Nachtleben auffrischt, sondern gleichzeitig Musik, Events und emanzipatorische sowie solidarische Projekte zu verbinden versucht. Das Kollektiv kombiniert elektronische Musik, Post-Punk, Pop, Electro, Techno, House.
Der Mix spiegelt dieses Vorhaben wider, indem der Artist sich zwar auf energiegeladene Technotracks verlässt, dennoch Acht nimmt auf die Inkorporation erhebender Töne. Traumhafte, progressive Klänge sorgen für ein aufheiterndes und abwechslungsreiches Hörerlebnis. Die gelegentlichen Vocals, die vor allem gegen Ende des Mixes auftreten, stehen dabei im Kontrast zur schnellen, elektronischen Technomusik. Der sorgsam und kreativ zusammengestellte Mix reflektiert den Zeitgeist der Technoszene. Nicht umsonst steht in der Instagram-Bio des Künstlers „Techno, but make it fun.” Charlotte Elsen
E-Talking – Love On The Rocks (HÖR)
Der französische DJ und Producer Emmanuel Corre alias E-Talking präsentierte auf HÖR ein kosmisches, träumerisches Set, das in eine Sphäre aus stampfenden House-Beats und Bongo-ähnlichen Percussions gleiten lässt. Zu Beginn findet man sich in einer galaktischen Umgebung wieder, überflutet von wirbelnden Pads, üppigem Drumming, ausgefallenen Vocals verschiedener Arten und Ethno-Rhythmen, die sich in einem energetischen Tanz aufbauen und ineinander übergehen. Nach einem warmen, verschwommenen Anfang folgt ein stetiges Heranwachsen, indem das Tempo deutlich erhöht und keine Zeit verschwendet wird – sanfte Techno-Elemente vereinen sich mit Deep-House-Sensibilität. Immer wieder kehren auch leichtere Momente ein, die sich auf einem butterweichen Klangteppich aus Pads und verspielten Synthesizerklängen betten. Balancierend zwischen adrenalingeladen und träumerisch – ein Gruß an die ständige kreative Expansion und Wandelbarkeit des Universums. Laura Baumgardt
Justin Aulis Long – RND 088 (Research & Development Mix Series)
Justin Aulis Longs Selbstverständnis liegt irgendwo zwischen einem „homerischen Dichter, Alchemist und Selektor”. Seine rituellen Handlungen beinhalten „heilige Objekte (Schallplatten), die Werkzeuge des Selektors (Plattenspieler und Mischpult) und Körper wie auch Geist, um harmonische und disharmonische Stimmen eins werden zu lassen.” Der unkonventionelle, vielleicht etwas verwunderliche, alchemistische Bezug zu seiner Musik kann aber sogleich wieder beiseite gelegt werden, denn sein Mix für die Research & Development-Serie ist vor allem eines: ein großartig gespannter Bogen von Post-Punk über Chicago-Acid-House, Dub Techno zu EBM und wieder zurück. Was das mit homerischen Hexametern zu tun haben soll, ist ohnehin schwer nachzuvollziehen. Die Tracks sind kantig, roh und mit einer großen Prise Punk-Coolness versehen.
Der Mix beginnt mit einem speziellen Highlight: „Bela Lugosi’s Dead” von Bauhaus ist eine wunderbare Dark-Wave-Nummer, die im Übrigen nicht nur zum Soundtrack von Good Luck Chuck wurde, sondern auch der Opener des höchst gelungenen Sickness von William Strobeck ist. Auf L.I.E.S. Records hat Long zusammen mit Ken Zawacki unter dem Alias Circling Vultures veröffentlicht. Es erschienen zwei EPs, die sich mit dem Post-Punk-Verhalten und dessen Übertragung in Warehouse-Raves befassen. Seine Residency in der Smart Bar in Chicago verankert ihn umso mehr mit der Stadt und seiner Musikkultur, was ihn zu einem Selektor macht, durch den man auf Neues stößt und Altes lernt. Stephan Gilgenreiner
Spekki Webu – Spekki Webu At Solstice 2023 (Post Bar)
Mückenspray auf die wenigen unbekleideten Hautstellen, Skipass abholen, rein in den Sessellift, kurze Wanderung, dem Wind trotzen, Solstice Festival. Am 22. Juni um 16 Uhr, die namensgebende Sonnenwende ist erst einen Tag her, läutet Spekki Webu eine drei Tage lange psychedelische Bergtanzerfahrung auf dem Rukatunturi ein. Sonst ein Wintersportparadies, eine Art kleines finnisches Aspen, nur in günstiger, tanzen auf dem 493 Meter hohen Berg nun etwa 1500 Personen, und der Mirror-Zone-Chef setzt mit konzentriertem, leichtfüßigem Techno auf der Valley-Stage die Grundstimmung für den Synapsenfasching.
Eilig hat es der Niederländer dabei nicht. Wieso auch? Die Sonne geht am Polarkreis in diesen Tagen nicht unter, eine Peaktime existiert nur in den Köpfen sowie entlang des Konsumverhaltens und des Sonnenstands. Während ein Video-Snippet seines b2bs mit Mama Snake aus dem letzten Jahr auf der Mountain-Stage, in dem die Menge zu „Freestyler” von den Bomfunk MC’s durchdreht, dem Festival und seiner Reichweite zweifellos geholfen haben dürfte, setzt Spekki Webu in diesen viskosen drei Stunden wenn überhaupt sachte, punktuelle Nadelstiche. Während die Nebelmaschine erste Schwaden über das Holzpodest pustet und vereinzeltes Johlen aufbrandet, verhärtet sich der Eindruck, dass hier mehr stattfindet als bloßes Eintanzen. Dieses Set, das nach dem ersten Drittel an musikalischer Varianz und Geschwindigkeit zulegt, verkörpert mit seinem undurchsichtigen Mäandern die akustische Essenz des Solstice, nicht mehr und nicht weniger. Maximilian Fritz
Unsafe+Sounds 2023 – Hope. A Politics Of Healing (Struma+Iodine)
Unsafe+Sounds ist ein Festival in Wien, das dieses Jahr zum neunten Mal stattfindet. Der Spaß dauert mehrere Tage. Man kommt ein bisschen rum in der Stadt. Und erlebt Musik, die von ausfallschreitendem Technotrancetamtam über Hyperhyperpop bis Zirbenkissenambient alles abdeckt, was sich mit dem schönen Wörtchen divers assoziieren lässt. Über 70 Kunstbefohlene kommen dieses Jahr also nach Wien oder leben schon dort. Das lange Line-up studiert sich wie ein Handout als Einführung in fortgeschrittene Subkultur.
Zur Vertiefung lauscht man sowieso dem Mix, den die Kuratorin des Festivals, Shilla Strelka, zusammengestöpselt hat. Der lullt zuerst ein, dann nickt man ein bisschen mit. Irgendwann nascht man von den bunten Zuckerln und plötzlich hat man keine Ahnung mehr, wieso man sich gerade völlig verschwitzt, mit abgeklebten Nippeln und Full-body-Harness in der dunklen Kammer auspeitschen lässt. Na ja, time flies when you’re having fun! So oder anders gibt’s das demnächst in Wien. Und hier als Podcast zum Vor- oder Nach- oder Mitdingsen. Christoph Benkeser
Transparenzhinweis: Unsafe+Sounds-Festivalkuratorin Shilla Strelka ist GROOVE-Autorin. Der Rezensent des Textes tritt selbst auf Unsafe+Sounds Festival auf. Die GROOVE hat das Festival im Rahmen einer Medienpartnerschaft angekündigt.