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JANEIN: „Diese eine Nacht in der Distillery hat was mit mir gemacht”

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Eine Nacht in der Distillery in Leipzig veränderte das Leben von Jan, der fortan als JANEIN versuchte, elektronische Musik in allen Aspekten zu verstehen. Mittlerweile ist er mit seinem düsteren, schweren, emotional aufgeladenen Technosound auch über die europäischen Grenzen hinaus ein gefeierter DJ. Auf seinem Vinyl-Only-Label SEELEN. veröffentlicht er Musik von Künstler:innen wie Verschwender, Narciss oder Shaleen.

Bei seinem Besuch in der GROOVE-Redaktion gab er einen Einblick in den Dialog, in dem elektronische Musik und seine Persönlichkeit seit einem Jahrzehnt stehen, und verriet, wie Rødhåd ihn in der prägenden Nacht seinen Lebens mitriss und welchen Stellenwert Umwelt- und Klimaschutz bei seinen Gigs auf der ganzen Welt hat.

Mit 16 Jahren – nach seinem Realschulabschluss – ist Jan aus einem ländlichen Dorf alleine nach Leipzig gezogen und wollte auf eigenen Beinen stehen. Er ist gebürtiger Leipziger, hatte die Stadt aber mit sieben Jahren zusammen mit seinen Eltern verlassen, die in ein Haus auf dem Land ziehen wollten. Jan war keineswegs von kleinauf Technofan, er entdeckte die Leipziger Clubs eher zufällig: Er hörte damals Metal und Hardcore Punk, besuchte die Konzerte seiner Lieblingsbands und tobte sich in wilden Moshpits aus – aber die waren in der Regel gegen 22 Uhr vorbei. Deshalb bog er danach ab und zu in einen Club ab.

JANEIN (Foto: Nastya Platinova)
JANEIN (Foto: Nastya Platinova)

Keine Nacht dürfte so prägend für den damals dann 19-jährigen Jan gewesen sein, wie die Dystopian-Party mit Rødhåd in der Distillery am 5. Januar 2013. Diese Nacht erwähnt er immer wieder in unserem Gespräch. „Das war meine erste Berührung mit richtigem Techno, der Club war supervoll. Die Nacht ist einfach komplett eingebrannt in meinem Kopf. Die Musik zu spüren und dieses ganze Erlebnis drumherum haben mich dazu bewegt, selbst aufzulegen. Damit fing das alles nach und nach an. Ich hab’ mich dann mit der Musik mehr auseinandergesetzt, so wie ich es davor auch schon mit Hardcore Punk gemacht habe, und habe dann die Liebe zu Techno entdeckt. Ich wollte die Musik bis ins kleinste Detail verstehen”, erklärt er.

Sein damaliger Booker setzte ihm die Idee eines eigenen Labels in den Kopf, mit der Begründung, Jan habe ein besonderes Musikverständnis, das er so noch nicht kannte.

Damals machte Jan eine Ausbildung zum Einzelkaufmann im Saturn, die er auch beendete – in dem Beruf arbeiten wollte er aber nie. So kaufte er sich im Anschluss an die unvergessliche Nacht in der Distillery Equipment und fing an, sich selbst Musikproduktion beizubringen: „Wenn man die Musik wirklich verstehen möchte, kommt man um das Produzieren nicht herum”, erzählt er. Seine Faszination ist immer wieder deutlich herauszuhören: „Bis heute packt mich die Musik einfach. Diese eine Nacht in der Distillery hat was mit mir gemacht. Es gibt einen Track aus dem Set von Rødhåd, der ist enorm hängen geblieben: ein Remix von Sandwell District von ‚I Feel It Deep’ von Ben Sims. Da sind Voice-Samples drin, die singen: ‚In my heart, in my soul, I feel it deep’. Wenn ich die Augen zumache, sehe ich mich dort auf dieser Tanzfläche in der Distillery auf dem Floor, der Club ist voll, alle stehen zusammengepfercht da und jeder tanzt sich die Seele aus dem Leib.” Bis heute spiele er diesen Track in all seinen Sets. Wenn er ihn nicht spiele, fühle er sich unvollständig. Er wirkt immer noch überrascht, wenn er erklärt, wie die Musik sein Leben verändert hat.

Ein Herz und eine Seele

Seit knapp sechs Jahren beschäftigt Jan sich nun hauptberuflich mit seiner Karriere als Techno-DJ. 2018 gründete er auch sein Label SEELEN. Sein damaliger Booker setzte ihm die Idee eines eigenen Labels in den Kopf, mit der Begründung, Jan habe ein besonderes Musikverständnis, das er so noch nicht kannte. Weil er davor ohnehin schon immer wieder andere Künstler:innen angeschrieben und nach unveröffentlichter Musik gefragt hatte, um seine Sets qualitativ aufzuwerten, fiel ihm die Entscheidung nicht schwer. Gemeinsam mit Stigmatique, der mit bürgerlichem Namen Marcus Richter heißt, stellte sich Jan der Herausforderung, ein Label hochzuziehen: „Wir hatten beide keine Ahnung, wie das funktioniert, wie man ein Presswerk findet, wie man Vinyls überhaupt verkauft. Wir sind einfach gestartet und machen bis heute alles selbst: den Vertrieb, die Grafik, den Versand. Ich verschicke die Platten und den Merch von mir zuhause aus. Ich will alles selbst in der Hand haben, dafür brauche ich kein anderes Unternehmen.”

JANEIN (Foto: Nastya Platinova)
JANEIN (Foto: Nastya Platinova)

Jan und Marcus kannten sich schon aus Leipzig vom Sehen und Feiern. Persönlich lernten sie sich auf einem Festival näher kennen, auf dem Jan aufgelegt hat und Marcus die Künstler:innenbetreuung übernahm. So kam eins zum anderen: Sie trafen sich nach dem Festival, machten gemeinsam Musik und legten zusammen auf: „Ich hatte vorher niemanden, mit dem ich so auf einer Wellenlänge war, mit dem man sich neue Musik zeigen konnte.” So gründeten sie 2018 SEELEN. als Vinyl-Only-Label. Mittlerweile haben sie Platten von mehr als 40 Künstler:innen veröffentlicht. Als eine Art Hobby sehen sie sich Line-ups von Clubs und Raves an, um neue Talente ausfindig zu machen. Alle Platten sind limitiert, meistens auf 300 Stück, bei ganz besonderen Werken werden sogar nur 100 Stück produziert. Das Geld, das sie über die Vinylverkäufe generieren, fließt wieder ins Label.

Er brauchte einen Reset und Zeit, um über die vergangenen Jahre nachzudenken und zu reflektieren. Für knapp ein Jahr lang war es komplett still um JANEIN.

Bei den Veranstaltungen von SEELEN. sollen die Besucher:innen dasselbe fühlen und erleben, wie Jan damals bei Rødhåd in der Distillery: „Es ist schon oft passiert, dass Gäste auf mich zugekommen sind und gesagt haben, dass sie durch uns Techno entdeckt haben. Das ist natürlich ein rührender Moment. Wenn man selbst den Weg zur Musik auf einer Labelnight gefunden hat, ist es toll, das anderen zurückzugeben.”

Das Schwarze Loch

Die Pandemie setzte Jans Karriere ziemlich zu. Während andere DJs die Zeit nutzten, neue Musik zu produzieren und sie über Livestreams in die Welt zu tragen, verkaufte Jan sein gesamtes Equipment. Er brauchte einen Reset und Zeit, um über die vergangenen Jahre nachzudenken und zu reflektieren. Für knapp ein Jahr lang war es komplett still um JANEIN. Für eine kurze Zeit arbeitete er als Minijobber in einem Supermarkt, er versuchte im Lockdown ein möglichst geregeltes Leben zu führen – doch erfüllt hat ihn diese Beschäftigung natürlich nicht.

JANEIN (Foto: Nastya Platinova)
JANEIN (Foto: Nastya Platinova)

Irgendwann wurde er dazu aufgefordert, Urlaub zu nehmen, was er als Anlass nahm, nie wieder an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren: „Das war keine schöne Zeit, ich habe mich selbst nicht mehr mit mir identifiziert und mich gefragt: Was machst du hier eigentlich? Wo bin ich jetzt? Mit der Kündigung war bei mir der Groschen gefallen: Kommst du jetzt klar?versuchst du, dich jetzt wieder aufzuraffen? Hör’ jetzt auf, dem nachzujammern, was weggebrochen ist, fokussiere dich, sei klar im Kopf.”

Er spielt gerne, er spielt auch gerne viel, aber er muss sich nicht kaputtspielen bei 15 Gigs im Monat.

Ab dem Moment fing er an, regelmäßig Sport zu machen, seine Ernährung umzustellen und sein ganzes Leben umzukrempeln. Er musste weg von den Existenzängsten, aufhören, zu hinterfragen, wieso seine Musik weniger gehört wurde: „Ich war wie ein schwarzes Loch. Ich fange gerade erst an, mir nach und nach wieder Equipment zuzulegen.” Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie ist seine DJ-Tätigkeit immer noch stark heruntergefahren. Aktuell spielt er zwei, drei Gigs im Monat, hofft aber, bald wieder mehr spielen und auch wieder mehr reisen zu können.

Umweltbewusst auflegen

Der Umwelt zuliebe fliegt Jan nicht nur für einen Gig irgendwohin. Wenn er in den Flieger steigt, um an einem weit entfernten Ort aufzulegen, möchte er auch so viel Zeit wie möglich dort verbringen. Bei seinen Touren in Australien war er einen ganzen Monat dort. An den Wochenenden hat er aufgelegt, unter der Woche ist er herumgereist. Nur zwölf Stunden für einen Gig an einem Ort zu sein, kommt für ihn nicht in Frage. Er spielt gerne, er spielt auch gerne viel, aber er muss sich nicht kaputt spielen bei 15 Gigs im Monat – vor allem, weil er dann wohl auch nicht mehr die Qualität liefern könnte, mit der er seinem Anspruch gerecht wird.

JANEIN (Foto: Nastya Platinova)
JANEIN (Foto: Nastya Platinova)

Klimaschutz und Umweltbewusstsein haben auch bei Veranstaltungen von SEELEN. einen hohen Stellenwert: „Wir buchen Künstler:innen nicht sinnlos. Entweder sagt die Agentur, sie spricht mit dem Künstler oder der Künstlerin darüber, ob ein Zug als Transportmittel auch in Ordnung ist, oder wir buchen ihn oder sie im Zweifelsfall nicht. Wenn jemand von Leipzig nach Frankfurt fliegen möchte, um dann von Frankfurt weiterzureisen, stellen wir die Agentur vor die Wahl: Der Act muss zwei oder drei Stunden Zug fahren und dann von Frankfurt aus zum nächsten Gig fliegen. Ein Inlandsflug ist keine Option, das machen wir nicht.”

Die Sportart seiner Wahl ist das Laufen, das macht den Kopf frei. Außerdem habe er keine Lust mehr auf Rückenschmerzen.

Jan hat selbst den Anspruch, möglichst umweltbewusst zu reisen. Dabei ist ihm auch die Reisezeit egal. Er fährt gerne schon einen Tag früher, um pünktlich mit dem Zug anzukommen. Wenn es gar nicht anders geht, steigt er auch in den Flieger, aber nur, wenn es keine andere Alternative gibt. „Geld verdienen ist wichtig, aber für mich persönlich auch nicht so wichtig. Es ist natürlich gut, Geld zu haben, um sich einen gewissen Lebensstil ermöglichen zu können. Aber was bringt das, wenn ich am Ende alles andere drumherum runterrocke und irgendwann gar nichts mehr geht? Da muss der Ehrgeiz nicht nur mir selbst gelten, sondern auch der Umwelt.”

Kochen ist wie Auflegen

Die Pandemie hat Jan dazu bewegt, sein Leben umzukrempeln, etwa mehr Sport zu treiben. Daran hält er auch weiterhin fest. Auf die Frage nach seinen Hobbys nennt er zuerst das Kochen. Für ihn ist Kochen wie Auflegen: „Du stehst am Herd und hast drei oder vier heiße Herdplatten mit Gerichten, die du zusammenfügen musst, wie ein DJ Set.” Er kocht sehr gerne, eigentlich jeden Tag, und achtet sehr auf eine ausgewogene Ernährung. Dass er nicht nur ein begeisterter DJ, sondern auch ein leidenschaftlicher Koch ist, spricht sich auch in seinem Freundeskreis rum: Mittlerweile laden sich Freunde zu ihm ein, bringen Zutaten mit und lassen sich von Jan bekochen. Ein Lieblingsgericht hat er allerdings nicht. Wie bei der Musik auch möchte er sich nicht festlegen, wer sein Lieblings-Producer oder -DJ ist. Das kann sich abhängig von Stimmung und Gefühlen Tag für Tag ändern.

JANEIN (Foto: Nastya Platinova)
JANEIN (Foto: Nastya Platinova)

Die Sportart seiner Wahl ist das Laufen, das macht den Kopf frei. Außerdem habe er keine Lust mehr auf Rückenschmerzen. Schließlich nehme man bei der Arbeit als DJ nicht unbedingt die gesündeste Körperhaltung ein: „Man macht ja irgendwie die ganze Zeit die gleiche Bewegung, nach rechts und links, Kopf nach vorne, die Kopfhörer zur Seite, der Körper ist schon die ganze Zeit am Arbeiten. Wenn ich nach langen Sets auf meinen Schrittzähler schaue, hat man schnell seine 20.000 Schritte zusammen. Dann weißt du auch, was du getan hast. Man hat wenig Schlaf, alles tut weh.”

„Man macht ja irgendwie die ganze Zeit die gleiche Bewegung, nach rechts und links, Kopf nach vorne, die Kopfhörer zur Seite, der Körper ist schon die ganze Zeit am Arbeiten.”

JANEIN

Durch Sport, egal ob Laufen oder Krafttraining, fühle er sich viel besser und selbstbewusster. Das spiegelt sich auch im Gespräch wider: Man merkt: Jan ist mit sich im Einklang. Was seine Gelassenheit ebenfalls begünstigen dürfte, ist die Fähigkeit, egal wann und zu welcher Uhrzeit schlafen zu können. Er könne jederzeit abschalten, aber auch zu jeder Zeit aufstehen.

Keine Party

Die Leipziger Technoszene sei eine eingeschworene Gemeinschaft, die sehr offen und Awareness-bedacht miteinander umgehe, erzählt Jan. Ihm gefällt, dass dort echte Safe Spaces geschaffen werden, wo sich jeder wohlfühlt und keine Gedanken machen muss, wenn man feiern geht: „Es gibt in Leipzig keinen Club, wo es erlaubt ist, Fotos zu machen, und das ist auch gut so. Es sind einfach Räumlichkeiten, die geschaffen werden, wo man dem Alltag entfliehen und abschalten kann.” Er gehe selbst nur noch selten feiern – eigentlich nur noch zu ausgewählten Gigs, die einen persönlichen Bezug haben. Er höre sich gerne die Sets seiner DJ-Kollegen und -Kolleginnen an, bleibe dann aber auch nur für die Setlänge.

Jan fokussiert sich lieber auf seine eigenen Produktionen. Aktuell versucht er, wieder den Anschluss zu finden. Ein Ziel, das er für nächstes Jahr hat: Sein eigenes Album zu produzieren – ein großer Meilenstein in seiner Karriere. Außerdem konzentriert er sich auf das Auflegen: „Egal, wo ich spiele, ich freue mich darauf und versuche, das Schönste und Beste rauszuholen. Das ist mein Job. Ich will ja nicht selbst Party machen, sondern dass die Leute die Nacht ihres Lebens haben. Vielleicht sitzen sie in 50 Jahren mit ihren Freund:innen zusammen und erinnern sich genau an die Nacht, in der ich gespielt habe – so wie bei mir mit Rødhåd. Das ist das Verrückte an der elektronischen Musik und am Feierngehen: Dass man es mit so was vermeintlich Einfachem schaffen kann, so nachhaltig im Kopf zu bleiben.”

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