Das Wichtigste gleich vorweg: Der Sound stimmt! Eine beruhigende Erkenntnis nach den kleinteiligen Diskussionen über die Lautstärkenbegrenzung, die einige aus der Frankfurter FDP gerne bei 50 bis 55 Dezibel gesehen hätten. Damit könne man eine „Kanarienvogel-Ausstellung machen, aber keinen Love Family Park” lautete die vielzitierte Ansage von Steffen Charles, Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur Cosmopop. Nein: Eine Kanarienvogel-Ausstellung ist das Tagesfestival nicht geworden. Man konnte sich auf 65 Dezibel als Belastung für die Anwohner:innen einigen, und dank des ausgefeilten Soundsystem vibrierten die Dixiklos gehörig vom Bass.
Es gab Abstriche, etwa ein nerviges Essenpfandsystem, das vorsah, gebrauchte Teller et cetera an einer zentralen Sammelstelle zurückzubringen. Die Schlange dort war die längste auf dem Gelände. Alles in allem aber war der erste Love Family Park nach der vierjährigen Pause ein Erfolg, vor allem nach den ganzen Unsicherheiten, mit denen die Veranstalter zu kämpfen hatten.
Die vor Vorfreude explodierende Tram 17 wackelte gemächlich Richtung Messe, um die Feierwütigen im Schatten des gut sichtbaren Taunus am Haupteingang des Festivals auszuspucken.
Nachdem das Festival von 2001 bis 2013 auf den Mainwiesen in Hanau stattfand, musste es einige Male umziehen. In diesem Jahr fand es nach Stationen in Mainz und Rüsselsheim also erstmals im Rebstockpark nahe der Frankfurter Messe statt – bis zuletzt eine Zitterpartie wegen eingangs erwähnter Diskussionen. Charles und sein Team sind der Stadt entgegengekommen mit einer Verkleinerung: 10.000 anstatt 20.000 Gäste und Musik auf zwei statt drei Bühnen. Auch der Zeitraum von 10 Uhr morgens bis 22 Uhr abends war ein sehr verträglicher. Die Enten jedenfalls hat die Musik nicht gestört.
Die Festivalbesucher:innen prägten an dem Tag das Stadtbild rund um den Frankfurter Hauptbahnhof. Von Glitzerpink bis Kuttenschwarz, von gerade volljährig bis nahezu in Rente tummelte es sich um die Straßenbahnstation am Bahnhof, um mit der Tram 17 Richtung Messe zu gelangen. Dieses angenehm diverse Publikum war sicher auch dem Line-up geschuldet, denn neben Veteranen und Techno-Popstars wie Sven Väth oder Solomun bei einem seiner wenigen Deutschland-Gigs spielten Nina Kraviz, Clara Cuvé, Enrico Sangiuliano, Anfisa Letyago, Kobosil, Vintage Culture und KENYA20HZ aus Brasilien, die französische DJ und Multiinstrumentalistin Chloé Caillet, Innellea und DJ Gigola und MCR-T im b2b.
Die vor Vorfreude explodierende Tram 17 wackelte an dem Tag gemächlich Richtung Messe, um die Feierwütigen im Schatten des gut sichtbaren Taunus nahe des Haupteingangs zum Festivalgelände auszuspucken. Bauzäune begrenzten das Gelände, das von außen die Anmutung eines großen Hühnerkäfigs hatte, sich schließlich aber als sehr festivaltauglicher Ort herausstellte. Die nächsten Anwohner:innen schienen in sicherer Entfernung, und nicht nur Menschen aller Couleur tanzten, sondern auch die vielen Libellen, die vom kleinen See im Park aus einen Abstecher unternahmen. Auch das Wetter spielte mit: kein Regen und 26 Grad bei einem Wechsel aus Sonne und Wolken. Man konnte das Aufatmen der vielen im Rhythmus kopfnickenden Sanitäter:innen regelrecht hören, weil mit allzu vielen dehydrierten Raver:innen nicht zu rechnen war.
Gleich hinter dem Eingang wurde man von einer mit Blumen verzierten, grünen Fotowand empfangen, vor der sich pausenlos Menschen für die Erinnerung und den Input für ihre Social-Media-Feeds ablichten ließen. So grün wie die Wand war die Wiese im Rebstockpark lange nicht mehr – die zuvor heißen Wochen hatten den Park an vielen Stellen in ein steppenartiges Gelände verwandelt.
Von jung bis zu den älteren Jahrgängen: die Szene auf der Bühne wirkte wie eine Analogie auf das generationenübergreifende Festival.
Gemütlich war es dennoch, vor der größeren und kleineren Bühne und auch dazwischen. Ziemlich im Zentrum des Geländes spendeten mehrere Bäume Schatten. Menschen lümmelten dort, beschallt von der Musik, auf ihren Picknickdecken, gönnten sich einen Snack, einen Drink, eine kleine Auszeit oder gleich ein kurzes Nickerchen. Es lässt sich viel erledigen in zwölf Stunden, wobei man, da ist Luft nach oben, schon Zeit für den Getränkenachschub einplanen musste. Daran konnte auch das bargeldlose Chipsystem nichts ändern.
Bei der Musik wiederum haben die Veranstalter alles richtig gemacht, das Line-up überzeugte durch den Stilmix. Gerade auf der kleinen Bühne ging es bunt her. Nina Kraviz knüppelte die feiernde Menge mit ihrem treibenden Sound durch den Nachmittag und beschloss ihr Set mit ihrem Remix von Paradisios Sommerhit „Bailando”, allerdings in der weitaus bekannteren Version von Loona. Das zog: Die Menge feierte den Track und verabschiedete die russische Produzentin und DJ applaudierend und winkend von der Bühne. Anschließend gaben sich die beiden Live-From-Earth-Mitglieder DJ Gigola und MCR-T bei einem vocallastigen b2b die Ehre.
Auf der Hauptbühne folgte auf den tech-housigen Sound von Innellea und Vintage Culture Solomun mit einem Dreistunden-Set. Es knubbelte sich, wie nicht anders zu erwarten, auf dem großen Platz vor und auch oben auf der Bühne. Weit vorne tanzte eine aufblasbare Banane durch die Reihen, während der Hamburger DJ-Superstar die Besucher:innen auf Reisen schickte.
Das Finale auf der großen Bühne durfte dann traditionell Sven Väth begehen – für ihn sicher auch in diesem Jahr aufgrund des Heimspiels eine besondere Ehre. Väth zählt zu den Mitbegründern des Festivals und hat seit 1996 keine Ausgabe verpasst. In dem Frankfurter steckt – und das war unter den Tanzenden zu spüren – viel deutsche Technogeschichte.
Die Platten, die er auflegte, hielt er zwischendurch lachend und mit großen Augen hoch, um sie den auf der Bühne Feiernden zu zeigen. Für Abkühlung sorgten zwei Jungs, die rechterhand von Väth am Bühnenrand standen und zwischendurch Eis in die Menge warfen. Linkerhand von Väth standen zwei grauhaarige Frauen und wippten im Beat. Von jung bis zu den älteren Jahrgängen: die Szene auf der Bühne wirkte zugleich wie eine Analogie auf das generationenübergreifende Festival.
An dem Tag ist literweise Raver:innenschweiß in den Boden des Rebstockparks gesickert, und das ist gut so! Nach den Zeiten, in denen die Clubs und eine ganze Kultur quasi stillstehen mussten und wenige Perspektiven aufgezeigt bekamen, ist es von immenser Bedeutung, dass außerinstitutionelle Events im öffentlichen Raum nicht nur stattfinden dürfen, nein: dass sie gewollt sind. Es ist daher ein starkes Zeichen, dass die Stadt Frankfurt diese Ausgabe des Love Family Park doch noch unter annehmbaren Bedingungen möglich gemacht hat. Auf der Homepage dankte das Festival der Regierungsfraktion (Grüne, SPD, FDP und Volt) im Römer, insbesondere den Dezernentinnen Ina Hartwig, Rosemarie Heilig und Annette Rinn.
Aber: Nach dem Festival ist vor dem Festival. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte Charles, dass in diesem Jahr Verluste im sechsstelligen Bereich angefallen seien. Weil die Kosten seit der Corona-Pandemie deutlich stärker als die Inflation gestiegen seien, sei eine solche Veranstaltung mit 10.000 Besucher:innen nicht kostendeckend zu stemmen. Die Verhandlungen für die Ausgabe im kommenden Jahr stehen also schon bevor. Man wolle sich, so Charles, nach dem erfolgreichen Testlauf mit nur zwei anonymen Lärmbeschwerden wieder für ein Format mit 20.000 Besucher:innen, drei Bühnen und einer Lautstärkenbegrenzung von 70 Dezibel stark machen. Back to the roots also, aus völlig plausiblen Gründen.