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Track by Track: Isolée – „Beau Mot Plage”

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„Beau Mot Plage” ist ein Klassiker der House Music. Rajko Müller alias Isolée nahm 1998 mit seinem Track viel von dem vorweg, was den Sound des Dancefloors die kommenden Jahre in Sachen Minimal prägen sollte. Doch das Stück ist weder Minimal House noch Micro House. Es ist vielmehr eine so rohe wie mitreißende Operation am offenen Herzen der Four-to-the-Floor-bestimmten Grooves. Kompromisslos in aller Stille. Thaddeus Herrmann wollte wissen, wie die Nummer entstanden ist.

1998 war Rajko Müller Student in Frankfurt am Main. Die Zeit der House-Classics der Neunziger, die in der Metropole zum Beispiel im Wild Pitch Club euphorisch gefeiert und seziert worden waren, war fast vorbei. Müller teilte sich zu dieser Zeit eine Wohnung mit nd_Baumecker, der auch Teil des Wild Pitch Club war, vor allem aber im Plattenladen Delirium arbeitete und immer die neuesten Platten mit nach Hause brachte. „Die haben wir uns dann zusammen angehört. Und ich habe irgendwie Musik gemacht”, erinnert sich Müller an die Zeit, die sich für ihn und seine Karriere als entscheidend und richtungsweisend herausstellen sollte. Zwei Jahre zuvor, 1996, hatte er seine erste 12-Inch auf Playhouse veröffentlicht, dem Label von Ata und Heiko M/S/O.

Isolée 2023 in Berlin (Foto: Thaddeus Herrmann)

Dieses Irgendwie-Musik-Machen zog sich zu diesem Zeitpunkt schon seit ein paar Jahren durch das Leben von Rajko Müller – mit Elektronik und Dancefloor hatte das mitunter aber wenig bis gar nichts zu tun, abgesehen von ein paar wenigen Synth-Pop-Experimenten Mitte der Achtziger, als Depeche Mode die großen Helden und ein Synthesizer das Tor zur noch größeren neuen Klangwelt war. „nd_Baumecker hatte mich schon Ender der Achtziger zu den „Technoclub”-Events von Talla 2XLC im Dorian Gray mitgenommen. Das hatte mit dem Techno, wie wir ihn heute verstehen, natürlich nichts zu tun. Das waren EBM, New Beat, Industrial. Ich bin auch in die Batschkapp in Frankfurt gegangen, ein klassischer Indie-Club. Als dort irgendwann die ersten Hip-Hop-Tracks liefen, pfiff das Publikum den Sound aus. Bevor ich als Isolée anfing, spielte ich auch mal Bass in einer Grunge-Band. Das war alles nie ein lineares Ding. Als nd_Baumecker aus UK zurückkam, nachdem er dort Acid miterlebt hatte, weckte das in mir ein neues Interesse an der elektronischen Musik.”

Zwischen immer mehr Platten, Hardware-Klassikern seines Bruders (einem Juno-106 und einem SH-101 von Roland) und nach einer Party mit Eric. D Clark als DJ in Heidelberg kam langsam, aber sicher eins zum anderen.

Wirklich einordnen ließ sich der Sound von Isolée von Anfang an nicht. Die vielen Spielarten der elektronischen Musik immer wieder angedichtete Straightness, die mehr oder weniger klar definierte Verortung auf der Zeitachse oder in lokalen Szenen war schon auf seiner EP System nicht vorhanden. Das Irgendwiebestimmte die Auseinandersetzung mit Klang und Gefühl. Die Indie-Reminiszenzen waren dafür genauso ausschlaggebend wie sein großes Interesse für Electronica im Allgemeinen und die frühen Veröffentlichungen auf Warp Records im Speziellen. Schritt für Schritt, Beat für Beat fand Isolée so seinen ganz eigenen Groove zwischen frischen Eindrücken und gut abgehangenen Erinnerungen. Und dann kam „Beau Mot Plage”.

„Ich wollte auf dem Dancefloor immer ins Staunen geraten.”

Dass dieses Stück eines der größten Aushängeschilder in der Diskografie von Isolée ist, nach wie vor stellvertretend für jene Vorstellung von Klang gilt, an der Isolée bis heute arbeitet, ist keine Überraschung. Dass der Track aber so durch die Decke ging, irgendwie schon. Eigentlich ist „Beau Mot Plage” ein gedämpftes Spiel mit Extremen, die den Dancefloor erst um mindestens drei Ecken gedacht bedienen. Die Atmosphäre ist so luftig wie unscharf. Referenzen an das „Früher” höchstens angetäuscht und dann auch noch spielerisch verfremdet. Das gitarrenhafte Thema fast schon eine Irritation. Und das Arrangement mit seinem Breakdown, der eine:n erst unerwartet trifft und dann auch noch sehr viel Zeit braucht (ungefähr so lange, wie ein MacBook damals für einen Neustart benötigte), um sich selbst wieder auf die Beine zu helfen, ein Affront. Mit anderen Worten: Isolée macht hier alles richtig. Wer braucht schon Meterware von der Stange, wenn es sich so wunderbar vom „schönen Wort Strand” träumen lässt? Wie war das damals? Wie entstand diese Tapsigkeit, die noch heute so verführerisch slammt? Gab es einen idealen Dancefloor, den Isolée bespielen wollte?

Isolée 2005 in New York (Foto: Privat)
Isolée 2005 in New York (Foto: Privat)

„Ich wollte auf dem Dancefloor immer ins Staunen geraten. Mitgenommen werden. Mich fragen, was hier in diesem Moment gerade passiert. Das bedeutet nichts anderes als Offenheit. Diesen Flash wollte ich selber in meiner Musik zusammenbringen. Ich habe schon versucht, die Energie von House aus New York, Chicago oder Detroit für mich umzusetzen. Basic Channel und den Kölner Sound natürlich auch. Aber ich habe nunmal einen vollkommen anderen Hintergrund.”

Isolee – Beau Mot Plage (Playhouse)
Isolées „Beau Mot Plage” auf Playhouse

„Beau Mot Plage” entstand im Sommer, so viel ist sicher. Müller studierte Französisch und Kunstpädagogik, wusste aber noch nicht, ob es das wirklich sein würde, könnte oder sollte. Das Ausgehen lieferte sowohl einen Gegenentwurf als auch die notwendige Ablenkung. Die Nächte waren ein Mittel gegen das Verlorensein am Tag. „Ich erinnere, dass ich zunächst ein Groove-Gerüst hatte. Ich mochte das, es klang aber meinem Empfinden nach noch zu sehr nach dem Dub von Basic Channel. Ich finde solche Bezüge beim Produzieren bis heute vollkommen in Ordnung, Eigenständigkeit ist mir dennoch wichtig. Ich hatte schon zu Beginn den Eindruck, dass dieser Track etwas anderes, etwas Besonderes werden könnte. Sicher war ich mir nicht. Bei diesem gitarrenartigen Sound, der natürlich keine Gitarre ist, drehte sich dieses Gefühl. Damit konnte ich spielen und den Track aufbrechen. Spielen ist tatsächlich auch schon das falsche Wort. Ich setzte die MIDI-Noten in der Piano-Roll. Ich fand den Sound toll und habe experimentiert. Dieses Motiv war ein Stück Freiheit für mich – ich konnte es in alle Richtungen biegen. Das Equipment war zum großen Teil zusammengeborgt, ich selbst hatte nur wenig. Ata zum Beispiel hatte mir seinen DAT-Recorder zur Verfügung gestellt. Der Juno-106 von meinem Bruder war essenziell. Das war für lange Zeit mein Brot-und-Butter-Synth, die eierlegende Wollmilchsau. Nicht nur, weil er so gut zu bedienen ist und klingt, sondern vor allem, weil er eine MIDI-Schnittstelle hat, ich die Noten also wie üblich im Editor setzen konnte.”

Wein, Likör und Isolée 2003 in Marseille (Foto: unbekannt)

Die EP auf Playhouse verkaufte sich deutlich besser als die Isolée-12-Inches davor. „Für mich war der nächste Schritt damit eigentlich schon erreicht. Faktisch ging es so aber erst los. Die Lizenzierung auf Classic, die Remixe. Über diese Dimension hatte ich eh keine Kontrolle, das entwickelte ein Eigenleben.”

„Ich bin ja kein DJ.”

Hat sich aus diesem Eigenleben – inklusive der Remixe von Freeform Five, Heaven & Earth und DJ Q etwas ergeben? „Ich bin ja kein DJ. Es gab dann aber viele Anfragen für Live-Shows. Das war eine Art Grundsatzentscheidung. Ich bin schon sehr nerdy mit Geräten. Wollte ich das nun weiterverfolgen oder mich auch noch mit DJing beschäftigen? Es gibt Momente, in denen ich das Auflegen als sehr frisch und unkompliziert wahrnehme; Musik von anderen zu spielen. Aber für mich war das nichts. Mit dem Live-Spielen habe ich genauso gehadert. Ich wusste einfach nicht, wie ich das hätte bewerkstelligen können. Bei Bands ist das ja ein ganz natürlicher Schritt. Du spielst die Musik irgendwann auch live. Ich spiele ja aber nichts. Ich jamme nicht. Dieser Knoten platzte aber irgendwann. Ich wurde angefragt, in Japan zu spielen. Die Gage war ungefähr so hoch wie mein damaliges monatliches Gehalt bei einem scheiß Hotline-Job für eine Bank. Ich bin dann da mit Losoul hingefahren.”

„Für mich hat Arbeit im Studio etwas Einsiedlerhaftes.”

Und so, wie Isolée damals mit Losoul nach Japan fuhr und einfach machte, dekonstruierte er gleichzeitig auch Standards und Erwartungshaltungen. Bei seinen ersten Live-Sets wie auf seinen kommenden Platten. Das Debütalbum Rest war bereits in Arbeit. Müller kratzte und hinterfragte immer mehr den Status Quo. „Zu Techno hatte ich eher weniger Zugang. Es gab Ausnahmen: Robert Hoods Minimal Nation zum Beispiel, das Album habe ich sehr gefeiert. Manchmal geht es bei solchen Platten auch nur darum, zu lernen, Dinge zu verstehen. Wie verändert eine Hi-Hat ein Stück, wenn sie plötzlich einsetzt? Nehme ich den Vierviertel-Beat dann anders wahr? Diese Platte war ein großer Einfluss, während ich meine erste EP für Playhouse aufgenommen habe. Bei ‚Beau Mot Plage’ war ich schon eher auf der Suche nach meinem eigenen Sound, war dabei aber vollkommen unbefangen. Auf der EP ist ja auch der Track ‚Bleu’. Ich habe die Vocals einfach eingesungen. Heutzutage würde ich mir viel mehr Gedanken darüber machen. Meine Freunde in Frankreich haben sich damals fast totgelacht.”

Isolée 2023 in Berlin (Foto: Thaddeus Herrmann)

Für einen Producer, der parallel nie eine DJ-Karriere angestrebt hat, um im Gespräch zu bleiben, kann Isolée vergleichsweise wenige Alben und EPs vorweisen. Zwölf Jahre liegen zwischen dem aktuellen Album Resort Island und dem Vorgänger Well Spent Youth. Das ist erfrischend, wenn auch überhaupt nicht so, wie das Geschäft schon seit vielen Jahren läuft. „Für mich hat Arbeit im Studio etwas Einsiedlerhaftes. Dafür brauche ich Ruhe und Muße. Die war in den vergangenen Jahren oft einfach nicht da. Ich habe schon hier und da etwas produziert, aber um auf den Punkt zu arbeiten, muss ich in eine Routine kommen. Ich habe auch praktisch immer nur zu Hause produziert. Irgendwann dachte ich, ich suche mir einen Studioraum, auch um mehr Austausch mit anderen zu haben. Das hat überhaupt nicht funktioniert.”

Es ist gut und wichtig, dass es nach wie vor Produzent:innen gibt, die so agieren. Die dann – und nur dann – Musik veröffentlichen, wenn es sich für sie richtig und wichtig anfühlt. So entstehen die wahren Klassiker. Stücke, die auch nach x Jahren noch viele andere an die Wand spielen. „Beau Mot Plage” ist so ein Stück.

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