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KI/KI: „Trance wird nie verschwinden”

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Es ist das erste Wochenende nach Silvester, das Berghain und sein Stammpublikum befinden sich noch im Erholungsmodus. Mit Live From Earth übernimmt am Sonntag ein Berliner Techno-Label der Stunde die Panorama Bar. Ungewohnte Aufgaben also für eine Anlage, die eher auf House als auf Härte ausgelegt ist. Zu Gast ist auch die niederländische DJ und Producerin KI/KI. Bereits im Vorjahr hat die 26-Jährige zweimal die Booth des Berghain besetzt, jetzt bespielt sie erstmals das zweite Stockwerk.

Zunächst habe sie überlegt, ein richtiges „Panorama-Bar-Set” zu spielen, sagt Kiki Wesselo, wie KI/KI eigentlich heißt, einen Tag später im GROOVE-Gespräch. Allerdings sei die Anlage für die Veranstaltung extra angepasst worden, um das eher Techno-lastige Line-up nicht einzuschränken. Und so bewegt sich KI/KI in dem Sound, der sie seit ihrer Jugend geprägt und in den letzten Jahren international bekannt gemacht hat: Techno und Trance, eindeutig verwurzelt in den Neunzigern, ohne dort hängengeblieben zu sein.

Genau dieser Sound ist es, der KI/KI schon in ihrer Jugend anzog. In ihrem Heimatdorf im Osten der Niederlande gab es aber kaum Zugang zu solcher Musik, zu einer „Szene” schon gar nicht. Dies änderte sich, als ihre Mutter nach Amsterdam zog. Dort verbrachte sie zunächst einige Jahre lang ihre Wochenenden, bevor sie schließlich mit 16 ihr Leben vollständig in die Metropole verlagerte, die sie heute ihre Heimat nennt. Hier entdeckt sie nun mehr und mehr Musik, vor allem die Raver-Szene in Amsterdam habe sie zugleich fasziniert und eingeschüchtert. Diese Einschüchterung sei schließlich genau der Grund für den Umzug gewesen: „Es war einfach nicht gesund, so eine komische Angst vor den Leuten dort zu haben. Letztlich waren das schließlich genau diejenigen, zu denen ich aufgeschaut habe.”

Foto: Dominique van Rhee

Autodidaktisch erlernt, produziert KI/KI zu dieser Zeit bereits selbst Musik, denkt aber kaum daran, auch aufzulegen. Vor allem in ihrer ursprünglichen Heimat sei das ein völlig abwegiges Ziel gewesen, für das sie meist belächelt wurde. In ihrem Freundeskreis sei sie die Einzige gewesen, die überhaupt elektronische Unterground-Musik gehört habe. Viele ihrer Freund:innen spielten in Bands, DJs waren aber weit und breit Mangelware. Und auch in Amsterdam habe sie das Auflegen, trotz ihres Hobbys als Producerin, kaum in Erwägung gezogen. Als Mädchen habe es ihr auch schlicht an Vorbildern gemangelt: „Meine ganze Jugend habe ich fast nur Typen auflegen sehen. Deshalb habe ich lange Zeit gar nicht  daran gedacht, dass ich das auch machen kann.”

Über das Producing wird KI/KI doch zur DJ, wenn auch anders als vielleicht erwartet. Ihr erster Freund in Amsterdam kann zwar auflegen, aber nicht produzieren. So wird bereits beim ersten Date ein nützliches Tauschgeschäft vereinbart. KI/KI zeigt ihm, wie man produziert. Er zeigt ihr, wie man auflegt. Es folgen: gemeinsame Gigs, zunächst auf Hauspartys, wenig später als Residents in einem Amsterdamer Club. Der sei zwar nicht besonders cool gewesen, verschaffte ihr aber wertvolle Erfahrung.

Erfahrungen macht sie in dieser Zeit auch mit Sexismus, denn statt Unterstützung gibt es regelmäßig dumme Sprüche und Mansplaining. „Wenn du als Frau einen Fehler beim Mixing gemacht hast, lag es daran, dass du eine Frau warst. Und nicht daran, dass dir einfach die Übung fehlte, weil überall nur Typen gespielt haben”, so KI/KI. Dass nun, einige Jahre später, immer mehr Frauen als DJ den Durchbruch in die Clubs und auf die Festivalbühnen schaffen, sei unglaublich schön zu sehen und ein längst überfälliger Fortschritt: „Es gibt zwar immer noch keine Gleichheit, aber die wird sich über die Jahre einstellen, wenn mehr und mehr junge Frauen Vorbilder haben, denen sie folgen können.”

„Es gibt zwar noch immer keine Gleichheit, aber sie wird sich über die Jahre einstellen, wenn mehr und mehr junge Frauen Vorbilder haben.”

KI/KI

Trotz negativer Erfahrungen blickt KI/KI positiv auf die Anfangszeit ihrer DJ-Karriere zurück. Zwar kann sie ihrer Vorliebe für härtere Klänge zu diesem Zeitpunkt nur begrenzt Ausdruck verleihen, dafür lernt sie den Umgang mit unterschiedlich zusammengesetzten, oft sehr kleinen Crowds. Die Gelegenheit, ihren eigenen Sound zu prägen, kommt schließlich über einen Kontakt zur Partyreihe „SPIELRAUM” zustande. Die Veranstalter:innen überlassen KI/KI im Juni 2018 den zweiten Floor im Club Radion für ein Neunziger-Rave-Set, noch dazu für die ganze Nacht. Ihr längstes Set habe bis dahin vielleicht zwei Stunden gedauert, erzählt sie. Zunächst mit New Beat, den sie damals sehr gemocht habe, findet sich KI/KI in den Abend, erhöht langsam die Intensität und kann schließlich selbst ihre härtesten Tracks spielen: ein voller Erfolg. Danach läuft alles wie im Zeitraffer: erste Bookings, erster Manager, SPIELRAUM-Residency, noch mehr Bookings, zunächst in den Niederlanden, dann international.

Diese ersten anderthalb Jahre seien wahnsinnig schnell vorbeigegangen, sagt KI/KI rückblickend. „Ich habe damals noch Produktdesign studiert, gleichzeitig quasi nicht geschlafen und dann angefangen, für ein Jahr zu touren. Als COVID kam, dachte ich mir erst mal ‚fuck, was soll ich denn jetzt machen?’ Aber letzten Endes war das sogar ganz gut, weil ich meine Abschlussarbeit schreiben konnt. Das wäre sonst viel zu viel gewesen.”

Foto: Dominique van Rhee

Auch der DJ-Karriere tat die Pandemie keinen Abbruch. Eine Aufzeichnung ihres Acid-Sets beim Intercell wurde bisher über zwei Millionen Mal aufgerufen. Nachdem in Europa 2021 ein Großteil der Clubs zwischenzeitlich wieder geöffnet hatte, füllte sich KI/KIs Tourkalender rapide. Nach einem Monat voller Gigs habe sie sich gefragt, wie sie die nächsten bereits ausgebuchten sechs Monate durchhalten solle. Nach einer Weile habe aber einerseits ein Gewöhnungseffekt eingesetzt, sie andererseits unter der Woche eine gesunde Routine gefunden.

Diese Routine beinhaltet vor allem viel Zeit im Studio und die Arbeit an ihrem Label slash, das im Juli 2022 mit einer EP von Alpha Tracks an den Start ging. Die ursprüngliche Idee hinter slash sei zunächst gewesen, dem älteren und härteren Sound eine Plattform zu verschaffen, der sie in ihrer Anfangszeit geprägt habe. „Nicht um irgendetwas aus der Mottenkiste zu holen, sondern um Musik von Artists zu veröffentlichen, die ebenfalls von diesem Sound inspiriert sind, und zu sehen, was dabei herauskommt, wenn diese Artists mit solchen von damals kollaborieren”.

Diesen Ansatz bilden die beiden ersten Veröffentlichungen des Labels deutlich ab. So findet sich auf der ersten slash-Veröffentlichung ein Remix von Orlando Voorn als Format, auf einer im Februar veröffentlichten Doppel-Compilation hingegen Tracks von jüngeren Künstler:innen wie Narciss oder peachlyfe. Die erwähnten Einflüsse lassen sich auf diesen drei Releases deutlich wiedererkennen. Vor allem die Compilation zeigt, dass der Einfluss von Trance nicht zwangsläufig Einheitsbrei hervorbringen muss. Neben euphorischer Härte für die Peaktime tauchen auch experimentellere Tracks auf und solche, die trotz hohem Tempo viel Tiefgang haben.

Härte, Tiefgang und Euphorie sind auch angemessene Beschreibungen für KI/KIs erste eigene EP, die jüngst erschienen ist. Leave it to the vibe umfasst drei Versionen des gleichen Tracks. Das Titelstück ist ein von Trance angehauchter, aber geradliniger Techno-Antreiber für die Peaktime, „Leave it to the drums” eine toolige Reduzierung desselben. Standout-Track der EP ist jedoch der rework „To the vibe”, in dem KI/KI ihrer Liebe zum Trance hörbar Ausdruck verleiht. Unter der massiven Kickdrum gurgelt eine kurze Acid-Line und erinnert stark an Emmanuel Top, während sich darüber eine interstellar anmutende Melodie Gehör verschafft. Die Progression des Tracks kitzelt erst langsam Euphorie hervor und führt schließlich in die Trance-typische Gefühlswelle, ohne dabei auf einen plumpen Mega-Breakdown zurückgreifen zu müssen. Episch, aber mit dem richtigen Maß an Zurückhaltung, ein Track wie eine gute Pille.

Euphorische Härte mit Tiefgang

Beim Hören drängt sich deshalb auch eine Parallele zur 2018 erschienenen, ersten Compilation auf Courtesys Label Kulør auf. Darauf angesprochen bestätigt KI/KI diese Beobachtung sofort: „Courtesy hat diesen Sound wiederentdeckt. Ich habe großen Respekt vor ihr und ihrem Label, speziell auch vor diesem ersten Release. Das war das erste Mal, dass ich neue Musik gehört und gedacht habe, dass ich das spielen kann. Das Gefühl hatte ich vorher nie. Sie hat damit wirklich eine Welle ausgelöst.”

Dieser ersten Welle sollten in den letzten Jahren noch weitere folgen, nicht alle so sorgsam kuratiert und vielseitig wie Kulør 001 sowie einige andere primär skandinavische Trance-Releases. Die Erkenntnis, dass Trance nicht zwangsläufig ein Frontalangriff auf den Serotoninspeicher sein muss, ist jedoch geblieben und findet sich nicht nur auf KI/KIs Label, sondern auch in ihren DJ-Sets wieder.

„Sobald andere das gleiche spielen wie ich, bin ich geneigt, was anderes zu tun.”

KI/KI

Für diejenigen, die KI/KI bislang nur durch kurze Peak-Time-Clips auf Instagram kannten, dürfte ihr Set in der Panorama Bar vielleicht überraschend viel Tiefe geboten haben. Zwischen einzelnen Bangern nimmt sie sich die Zeit, neu aufzubauen, Tempo rauszunehmen, wieder anzuziehen und auf einen neuen Höhepunkt hinzuführen. Sie habe einen interessanten Prozess hinter sich: Zu Beginn ihrer Karriere habe kaum jemand ihren Sound gespielt, durch den Trance-Hype der letzten Jahre sei es für sie aber reizvoller geworden, ihre Sets gleichmäßiger zu gestalten. „Sobald andere das Gleiche spielen wie ich, bin ich zwar nicht gleich durch damit, aber geneigt, was anderes zu tun.” Das ist bemerkenswert, hätte der zunehmende Erfolg doch auch Anreiz bieten können, diese Welle des Hypes so richtig mitzureiten.

Foto: Dominique van Rhee

„Ich will andere Leute und ihre Musik nicht als Hype aburteilen, weil ich weiß, dass manche das auch über mich gesagt haben. Und ich wusste immer, dass ich nicht bloß ein Hype war, deshalb habe ich einfach weiter mein Ding gemacht.” Zu Recht weist sie darauf hin, dass Trance bis zum Ende des vergangenen Jahrzehnts als komplett uncool galt. Der letzte große Hype Anfang der Zweitausender hatte das Genre auf die gigantischen Festivalbühnen gebracht, aufgeblasen und schließlich in einer Konfettiwolke explodieren lassen. Trance, das war für viele, die zu Techno feierten, lange Zeit Kirmesmusik, das Uncoolste, was man hören könnte, die totale Verdummung eines ehemals liebevoll produzierten Sounds.

Welche Musik als Trance bezeichnet werde und welche nicht, sei oft davon abhängig, wer sie spiele, so KI/KI.

Teil des aktuellen Trends ist jedoch auch die vermeintlich ironische Reproduktion genau dieser Ästhetik. Ob KI/KI das manchmal störe? „Ich spiele ab und zu auch mal einen dieser Tracks. Musik soll Spaß machen und muss nicht die ganze Zeit total ernst sein. Aber ich hoffe trotzdem, dass Trance nicht komplett zu einem Gimmick verkommt, wie es Anfang der Zweitausender der Fall war. Das wäre eine Schande. Ich denke auch an diejenigen, die diesen Sound ursprünglich entdeckt haben. Wie sie wohl auf diese aktuelle Entwicklung blicken? Ich hoffe einfach, dass der ursprüngliche Sound respektiert wird, auch wenn das ‚gimmicky’ Zeug gerade viel Aufmerksamkeit erhält.”

Was Kritiker:innen an Trance nicht verstehen

Manche Kritik an Trance sei zu engstirnig und von Leuten formuliert, die sich mit dem Genre überhaupt nie auseinandergesetzt haben, meint Wesselo. „Die tun so, als sei Trance eine bestimmte Sache, aber das ist es nicht. Trance ist vieles Verschiedenes in einem wirklich breiten Spektrum.” Die Einflüsse von Trance sind nicht erst seit der jüngsten Wiedergeburt über die vermeintlichen Genregrenzen hinaus spürbar. Welche Musik als Trance bezeichnet werde und welche nicht, sei oft davon abhängig, wer sie spiele, so KI/KI.

„Überdauern werden diejenigen, die wirklich Herzblut investieren.”

KI/KI

Beim einen DJ sei es House oder Techno und bei der anderen Trance. Das deckt sich mit der eigenen Beobachtung: Das Genre ist vor allem unter vielen, die Trance kategorisch ablehnen, zur Projektionsfläche der eigenen musikalischen Verbohrtheit und zum Label unerwünschter Veränderung geworden. DJs, die in den richtigen Kreisen als cool gelten, dürfen oft spielen, was sie wollen. Vor allem bei relativen Newcomer:innen, die normative Erwartungen an Race oder Gender sprengen, kann der gleiche Sound dann schnell „uncool” sein. Dennoch werde nicht alles, was die aktuelle Trance-Techno-Welle hervorspült, die Zeit überdauern, vermutet KI/KI, zeigt sich aber gleichzeitig optimistisch, dass sich Qualität durchsetzen werde. „Überdauern werden diejenigen, die wirklich Herzblut investieren und an das glauben, was sie tun. Und nicht diejenigen, die ein Gimmick daraus machen.”

Kurz vor dem Ende ihres Panorama-Bar-Sets, durch die Jalousien deutet sich bereits Tageslicht an, die Toilettenschlange ist maximal lang, erlaubt KI/KI sich noch einen Griff ins Repertoire ihrer persönlichen Lieblinge. Sie zieht das Tempo steil an und spielt langsam das melodiöse Intro von Nostrums Hard-Trance-Klassiker „Polaris” von 1995 ein. Als nach einer knappen Minute die Kickdrum einsetzt, schnellen in der Crowd noch einmal die Arme in die Höhe und kommen so schnell auch nicht mehr herunter. Die Energie dieses brettharten und dennoch detailverliebten und wunderschönen Tracks bleibt fast 30 Jahre nach seinem Erscheinen unabweisbar. Es sind solche Tracks, die eine These stützen, die KI/KI am nächsten Tag im Interview aufstellen wird: „Trance wird nie verschwinden.” Zumindest nicht, solange genügend Producer:innen und DJs die Wurzeln des Sounds pflegen und in die Gegenwart holen, ohne ihn als, genau, Gimmick auszuschlachten.

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