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Sam Goku: Die Faszination für das Gegensätzliche

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Sam Goku veröffentlichte kürzlich ein Album auf Permanent Vacation, das unser Autor Tim Caspar Boehme als musikalische „Magie” bezeichnete. Schließlich befinde sich auf Gokus Klangpalette neben Ambient und Field Recordings auch Techno im herkömmlichen Sinn – in seiner Zusammenführung habe das etwas Mysteriöses, „das nicht an die Wiederholung bewährter musikalischer Muster denken lässt, sondern an Neues.”

Trotz magischer Musik lässt sich der Münchner Producer und DJ nicht auf Esoterik ein. Im Zoom-Gespräch wirkt Goku abgeklärt und professionell. Er spricht über seinen Kurzurlaub in Mailand und seine Großeltern in China, aber auch darüber, warum die Panorama Bar für die Entstehung seiner Tracks wichtig ist und wieso in seinem Produktions-Setup Einfachheit der Schlüssel ist. Ganz zu Beginn verrät Goku GROOVE-Autor Philipp Gschwendtner außerdem, was sein Lieblingsbuch mit seiner Vorliebe für Gegensätze zu tun hat.

Gegensätzliches brauche einander, um gemeinsam um eine Mitte schwingen zu können. So schreibt der deutsche Schriftsteller Hermann Hesse über die beiden Figuren seines Romans Narziß und Goldmund. Es ist eines der Lieblingsbücher des Münchner DJs und Producers Sam Goku, der eigentlich Robin Wang heißt und kürzlich sein zweites Album auf Permanent Vacation veröffentlichte – eine Platte, die wie die Erzählung für Gegensätzlichkeiten steht.

Wang lächelt entspannt in die Kamera seines Laptops. Die Akustik-Elemente hinter ihm an der Wand lassen erkennen, dass er im puristisch eingerichteten Home-Studio sitzt. Er wirkt ausgeruht. Gerade sei er aus Mailand zurückgekommen, wo er einen Gig im Tempio del Futuro Perduto spielte und ein Wochenende Kurzurlaub anhängen konnte. Er brauche das gerade, denn in den letzten Monaten verbrachte er viel Zeit im Studio, sein Privatleben blieb außen vor. Jetzt könne er endlich wieder andere Dinge genießen.

Andere Orte, die er sich für seine Tracks vorstellt, speisen sich auch aus Erinnerungen an seine Kindheit, sagt Sam Goku (Foto: Manuel Schuller)

Things We See When We Look Closer, Robins zweites Album, erschien auf dem Münchner Label Permanent Vacation und lebt von Polarität: „Untenrum – also die Bassline und Drums – ist es rhythmuslastig und clubkompatibel”, beschreibt er. „Was darüber liegt – Flächen und Melodien – soll etwas Schönes sein.” Genauer will Wang das nicht analysieren, vielleicht weil Worte nicht ausreichen, um die „Magie” seiner Musik zu beschreiben. Es gehe ihm viel eher darum, das Gefühl einzufangen, das er beim Produzieren hatte. Dazu versetzt er sich gedanklich an einen Ort und hält seine Empfindung in Klängen fest.

Die Panorama Bar im Kopf

Für seine Dancefloor-orientierten Tracks habe sich Wang zum Beispiel die Panorama Bar vorgestellt. Vor einigen Jahren setzte er sich zum Ziel, irgendwann dort zu spielen, und baute sich aus Erzählungen seine eigene Vorstellung vom Dancefloor. Der Traum erfüllte sich mittlerweile, 2022 spielte Sam Goku ein Set im Rahmen der Klubnacht. Er weiß jetzt, wie es sich anfühlt, vor der gekachtelten Wand an den CDJs zu stehen. Sein eigener imaginärer Club ist trotzdem wichtig in seinen Produktionen, denn jeder Track, den Wang für den Dancefloor produziert, muss in seiner Vorstellung dort funktionieren.

Andere Orte, die er sich für seine Tracks vorstellt, speisen sich auch aus Erinnerungen an seine Kindheit. Er wuchs in der Nähe von Düsseldorf auf, besuchte als Kind aber manchmal seine Großeltern in China. Sie leben in der vergleichsweise provinziellen Stadt Tianshui, fernab der Küstenmetropolen. Im Innenhof ihres Hauses habe sein Opa Blumen gezüchtet. An die Farben und Gerüche zu denken, wecke noch immer starke Gefühle, so der Producer. Es müssen friedvolle und schöne Zeiten für ihn gewesen sein. Das lässt der meditative Sog vermuten, der von Tracks wie etwa dem titelgebenden „Things We See When We Look Closer” ausgeht. Die Anziehung entsteht aus überbordender Vielfalt, surrender Lebendigkeit und verführerischem Überschwang.

Foto: Manuel Schuller

Die Szenen seiner Kindheit, die Wang mir beschreibt, werden für mich beim Hören erlebbar. Sie bilden die Dynamik des Albums ab, das von arrhythmischen Drones bis hin zu technoiden Brechern wie „Lotus Drive” reicht. Sam Gokus charakteristische Klangfarbe lässt Einflüsse aus der chinesischen Kultur erkennen, man wird ihr aber nicht gerecht, indem man sie als Melange zweier Kulturen versteht. Vielmehr löst Sam Goku Grenzen auf und schafft seine eigene Welt, mit eigenen, unverwechselbaren Farben und Klängen.

Mit elektronischer Musik kam Wang in Clubs wie dem Kölner Bootshaus in Kontakt. Zunächst waren es IDM und Electro, die ihn faszinierten, später Tech House. Er nennt zum Beispiel Pleasurekrafts „Tarantula” oder die Ed-Banger-Veröffentlichungen als Einfluss. Nachdem es Robin zum Studium nach München verschlagen hatte, zeigte ihm sein WG-Mitbewohner Ableton Live. „Er gab mir einen Crashkurs. Ab dem Moment war ich gehookt und verbrachte teilweise zehn bis zwölf Stunden täglich damit”, so Wang.

„Ich kannte mich ganz gut mit Photoshop aus und habe das Prinzip des Layerns einfach in die Musik übernommen.”

Wenn er heute darüber spricht, spürt man seine Dankbarkeit dafür, eine solch erfüllende Tätigkeit gefunden zu haben. Zweifel kamen ihm nicht in den Sinn – auch, weil er sich in dem Programm schnell zurechtfand. „Ich kannte mich ganz gut mit Photoshop aus und habe das Prinzip des Layerns einfach in die Musik übernommen. So wusste ich sofort, was zu tun ist.” Er habe auch stets darauf verzichtet, Tutorials zu schauen, erarbeite sich seine Arbeitsweise lieber selbst. Ein Ansatz, der seinen charakteristischen Sound erklärt – irgendwo zwischen der Energie eines synergetischen Dancefloors und der Entspannung einer Zen-Meditation.

Wang betont, dass ihm Ruhe wichtig sei. Deshalb lebe er gerne in München. Unter blau-weißem Himmel sei das Leben ziemlich entspannt. Er spricht von der hiesigen Clubszene, die man nur schwer mit jener in Berlin vergleichen könne. Als gelegentlicher Clubgänger, der wegen des Acts komme und nicht, um zu connecten, sei ihm das aber nicht so wichtig. München habe eben einen anderen Vibe: „Es gibt megageiles Programm, die Clubs sind trotzdem nicht gut gefüllt. Manchmal frage ich mich schon: ‚Was machen die Leute?’”

Foto: Manuel Schuller

Da er nicht jedes Wochenende auf dem Dancefloor verbringt, findet er öfter Zeit, die Umgebung Münchens mit seinem Field Recorder zu erkunden. Aufnahmen, die er in den Wäldern des Umlands macht, spielen eine wichtige Rolle in seiner Produktion. Häufig liegt unter dem ganzen Track eine Ambience-Spur, um ihm einen Ortsbezug zu verleihen. Interessant ist, dass Wang es schafft, die Sounds aus ihrer Umgebung zu lösen und in seiner idealisierten Klangwelt neu anzusiedeln. So klingen manche Tracks eher nach flirrendem Dschungel als nach einem Wald im Münchener Speckgürtel.

Er kreiert seine eigenen Welten – auch in den Titeln seiner Tracks, die sich wie Kapitel eines Reiseführers durch Sam Gokus Landschaften lesen. „Silver Rushing Streams”, „Fungi Spin” oder „Mangrove Railways” verorten den Sound in seinem Universum. Die Artworks, die Wang für seine Releases selbst designt, schärfen das Bild, das man sich als Hörer:in davon machen kann.

Da er schon als Kind gerne zeichnete, arbeite er mit der Kamera ähnlich wie mit dem Field Recorder. Er sammelt Bilder, die er zu Collagen zusammenstellt. Dabei entstehen Resultate in kräftigen Farben, die mehr eine Stimmung als ein konkretes Motiv wiedergeben. Auf den ersten Blick scheinen diese bunten Welten in Kontrast zu dem unaufgeregten, ruhigen Mann vor der Kamera zu stehen. Die liebevolle Art, wie er über seine Arbeit spricht, macht jedoch klar: Sie ist ein tiefgehender Ausdruck seiner Persönlichkeit und Sam Goku ein Gesamtkunstwerk.

Zwischen dem Bauen von Welten und absoluter Konzentration

Wangs Arbeitsweise erinnert an „Worldbuilding”, also die Kunst, Welten für Science-Fiction-Filme oder Games zu erschaffen. Sie sind nach ausgedachten Prämissen gestaltet, aber in sich kohärent. Er nickt, den Begriff habe er schon öfter in Bezug auf seine Musik gehört. Polygonia, eine befreundete Münchener DJ, fühlte sich von seinem Album an Game Music erinnert. „Das ist keine Intention, aber ich habe selbst viele Videospiele gespielt, also kann es gut sein, dass das unterbewusst einfließt”, meint Robin.

Ähnlich wie beim Zocken mag Robin am Musikmachen die absolute Konzentration, die er im Tun verspürt. Um in den Flow zu kommen, hält er seine Arbeitsprozesse deshalb übersichtlich. Von einem Akai-MIDI-Controller abgesehen, gibt es keine Hardware. Die Magie seiner Musik entsteht aus Samples und Plug-ins in Ableton Live. Schließlich produziere er lieber, als über Signal-Routing nachzudenken.

„Mein alter Mitbewohner hatte einen Juno- und einen Moog-Synthesizer. Die Sounds fand ich natürlich nice, aber insgesamt ist mir die Handhabung zu kompliziert. Wenn ich eine Idee habe, möchte ich sie schnellstmöglich umsetzen, sonst ist sie vielleicht weg. Das geht für mich am besten mit digitalen Tools”, sagt Wang und meint: „Neue Hardware schafft zwar neues Potenzial, ich glaube aber nicht, dass ich meinen bisherigen Arbeitsprozess schon ausgeschöpft habe.”

Allerdings schließt der Producer nicht aus, dass er bald etwas an seinem Setup verändert. Er denkt manchmal in Richtung eines Live-Sets. Dass das gut zu seinem Sound passen würde, habe er schon einige Male gehört. An die Umsetzung hat er sich allerdings noch nicht gewagt: „Auflegen macht unfassbar viel Spaß! Ich weiß nicht, ob das bei einem Live-Set auch so sein könnte. Würde ich mein Album zum Beispiel live spielen, wären das Sounds, die ich schon tausende Male gehört habe. Auch wenn ich daraus immer wieder etwas Neues basteln kann, ist es trotzdem ein Vibe. Beim Auflegen habe ich einen unendlichen Pool an Vibes. Damit zu spielen ist, was ich daran so liebe!”

„Wenn zwei sich streiten, bin ich derjenige, der vermittelt und sagt: ‚Ihr meint doch im Grunde das gleiche.’”

Im Moment verbringe Wang sowieso Zeit mit anderen Dingen. „Nach dem Album war erstmal kreative Flaute, weil ich alles reingesteckt habe. Es entstand in einer riesigen Welle von Inspiration, in der ich richtig viel Zeit im Studio verbracht habe.” Regelrecht eingesperrt habe er sich, danach sei er kreativ ausgelaugt gewesen. Nun kümmere sich Robin um alltägliche Dinge, trifft Freund:innen, schaut Fußball. Daraus entstehe Inspiration für das nächste Projekt. „So wechseln sich die Phasen zyklisch ab.”

Gerade finde er auch wieder mehr Zeit zum Lesen. Wir sprechen über die typischen Figuren bei Hermann Hesse. Ihm fällt auf: „In seinen Erzählungen gibt es immer einen Gegenpart, einen gespiegelten Charakter.” Man merkt ihm seine Faszination für das Gegensätzliche, Ausgleichende und die Schönheit an, die in der Balance zu finden ist. Es gehe nicht darum, Dinge zu ändern oder abzuschwächen, sondern durch Ausgleich friedliche Koexistenz zu schaffen. „Wenn zwei sich streiten, bin ich derjenige, der vermittelt und sagt: ‚Ihr meint doch im Grunde das gleiche’”, so Robin Wang. Als Sam Goku will er das in seiner Musik vermitteln. In ihr versuche er „die Vereinigung gegensätzlicher Welten”, wie er sagt. „Weil sich diese Welten bedingen und brauchen.”

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