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Modelabel Nakt: Was für den kühlen Körper schwer aushaltbar ist

240 Euro kostet die Bomberjacke im Shop der Fetisch-Marke Nakt. Für 90 gibt’s das Kettenhemd. Wer untenrum nicht frei sein will, bügelt nochmal 100 Tacken für Shorts raus und schnallt den Gürtel mit 70 Eiern enger. Dafür duftet man in der Prêt-à-Raver-Fashion schon in der Schlange nach der Afterhour. Schließlich geht Techno für Nakt auch durch die Nase. Auf die setzt man am Ende die schnelle Brille – und macht große Augen, wenn jemand fragt, wieso wir im Club alle gleich aussehen.

Nakt ist in der Diskussion um den „Raver Style” zum Hassobjekt geworden. Die Berliner Fetisch-Marke inszeniert den Club-Lifestyle in Lack-und-Leder-Maßen. Auf TikTok klickt das gut, auf Instagram noch besser. In den Clubs des sogenannten Undergrounds wollen viele das Nakt-Logo trotzdem nicht sehen. Manche sprechen sogar von einem „Ausverkauf der Szene”, doch: Was viele scheiße finden, ist längst im Trend: Knappe Bodys, nackte Haut, „Rave-Fashion” eben.

Das hat mehrere Gründe. Pinterest, das Styling-Moodboard der sozialen Netzwerke, prognostiziert für dieses Jahr: „Die Rave-Kultur ist auf dem Vormarsch.” Auf Basis der Hashtags von 450 Millionen aktiven User:innen veröffentlicht die Plattform eine Trend-Vorhersage. In diesem Jahr angeblich gut dabei: „Haarfarbe halb-halb”, „RomCom-Looks”, „Spielerisch sparen” – und „Berlin Rave Fashion”.

Knappe Bodys, nackte Haut – „Rave Fashion” von Nakt (Foto: Nakt Instagram / @jasonfosco)

„2023 is all about the rave”, weiß auch Instagram mit seinem „Trend Report”. Fast zwei Drittel der Gen Z, die auf Insta rumscrollt, wolle in diesem Jahr „einen Rave besuchen”, um „im Moment zu sein” oder einfach nur „loszulassen.” Kein Wunder, dass TikTok-Videos mit dem Hashtag „raverfashion” bisher fast 100 Millionen Mal geklickt haben. Techno ist trendy, die Kids wollen dancen – und dabei im richtigen Look ballern, selbst wenn dabei alle aussehen, als kämen sie gerade aus demselben BDSM-Dungeon.

Die Attitüde des Undergrounds anziehen

„Einschlägige Accounts zeichnen eine ästhetische und auch musikalische Vision von Techno, die von jungen Menschen als gegeben, cool und wünschenswert akzeptiert und angenommen wird”, schreibt GROOVE-Autor Till Kanis. Diese „Vision von Techno” mag als „Berghain-Style” im Mainstream angekommen sein, aber: Von Balenciaga über Prada bis hin zu Moncler haben in der Vergangenheit fast alle Luxusmodemarken den Club als Inspirationsquelle entdeckt. Die einen orientierten sich am Dancefloor der Neunziger, bei den anderen pumpten Beats von Richie Hawtin auf dem Catwalk. Immer dabei: die Attitüde des sogenannten Undergrounds.

Inzwischen verschneidern längst nicht nur Designer-Brands den Clubbesuch. Auch DJs machen Mode. Der ehemalige Ostgut-Artist und Influencer Kobosil vercheckt Techno-Couture mit Drucken wie „Guestlist” über seine „44 Label Group”. Honey fucking Dijon zitiert mit bunten Oversize-Sweatern die US-amerikanische Dance History. Und Peggy Gou vermarktet „High-End-Streetwear” für alle, die „herausstechen wollen.” Weil sich nicht alle Shirts für eine halbe Mille leisten können, gibt es „Techno Club Outfits” aber auch von der Stange.

Bei Nakt kommt auch das Fetish-Gear von der Stange (Foto: Nakt Instagram / @sorrymutti)

Ein deutsches Unternehmen, dass es mit Rave-Readymades von der Timeline auf die Dancefloors geschafft hat, ist Nakt. Inzwischen erreicht die Modemarke mehr Menschen, als Menschen ins Berliner Olympiastadion passen. Auf Insta folgen Nakt, das der gelernte Medienpsychologe Moritz Danner 2018 gegründet hat, über 80.000 Menschen. Via TikTok klicken regelmäßig mehr als 25.000 Follower:innen in eine Mischung aus Ravetok-Memes und Content aus der Umkleidekabine. Der Griff in die Mode der Subkultur zieht. Wer die Seite googelt, liest in der Selbstbeschreibung: „Die Outfits sind für Berliner Clubs und das Berghain gemacht.”

Das ist keine Überraschung. Inspiration habe sich Danner aus dem Berghain geholt – aus Unzufriedenheit über Preise der „fancy Designer-Outfits” und mit dem Wunsch nach eigenem Style. Zuerst schneiderte er in seinem Wohnzimmer, dann präsentierte sich Nakt auf einer Modeschau in der Griessmühle, später organisierte er Partys im Club OST. Inzwischen arbeiten DJs, Designer:innen und Tätowierer:innen – so etwas wie die „Nakt-Army” – für das Modelabel. Mit der britischen DJ Rebekah hat man während der Pandemie sogar eine „Schlangen”-Kollektion entworfen. In der Berliner Sonnenallee lässt sich der „Berghain-Look made in Berlin” außerdem stilecht im Four-to-the-Floor-Rhythmus shoppen.

Techno funktioniert immer wieder als Mode

„Moden setzen sich zusammen aus der Abfolge von abweichendem Verhalten und dessen Nachahmung”, schreibt der Autor und Künstler Hans-Christian Dany in seinem Buch Mode und Uniform. „Die Abweichungen entstehen oft aus einem Überdruss am Jetzt-Zustand. Zum Ausbruch kann es kommen, da Einzelne sich im Uniformen nicht mehr erkennen und nach Unterscheidungsmerkmalen suchen, um sich wieder besonders zu fühlen.”

Das Ausscheren aus der Menge des Gleichen bleibe zwar zuerst eine vereinzelte Schrulle, wie Dany weiter schreibt. Zur Mode werde die Abweichung, wenn sie von vielen nachgeahmt wird – „in jenem Moment, in dem sich ein geteiltes Unterbewusstes zu dem vereinigt, was in der Luft liegt, und das Aktuelle hervorbringt.”

„Ich kann verstehen, wenn die Leute haten”

Moritz Danner von Nakt

Im ersten Kurzfilm, den Nakt 2019 produziert, folgt die Kamera vier Frauen durch eine Clubnacht. Sie tanzen in Slow-Mo zum Strobo, schließen die Augen zu dreamy Ambient, erzählen in schicken Outfits vom „Moment”, „etwas Größerem” und einer „großen Messe”, die man auf dem Dancefloor feiere. Das Video erfasst in knapp sechs Minuten, was zu diesem Zeitpunkt schon „in der Luft liegt.” Techno funktioniert als Trend, weil er in den Zeitgeist passt – irgendwie kinky, auf jeden Fall freizügig und immer für eine Insta-Inszenierung gut.

Plötzlich stehen Leute neben einem auf dem Dancefloor, die jünger sind, die Codes nicht kennen und auch kein Interesse daran haben, ihr Verhalten aus dem Vergangenen zu übernehmen. Sie machen alles anders, indem sie alles gleichmachen.

Wer heute durch die Techno-Timelines wischt, kann ein Muster erkennen. ADHS-Gestampfe knarzt aus dem Handyspeaker, während Leute im Full-Body-Harness vorführen, wie man ins Berghain kommt oder sich auf der Tanzfläche bewegt. TikTok treibe die Kommodifizierung von Techno auf die Spitze, schrieb GROOVE-Autorin Cristina Plett zuletzt. Dadurch werde die Szene zu einer „Gimmick-Kultur”, die individuellen Ausdruck mit Uniformität ersetze, kritisiert Till Kanis im oben erwähnten Beitrag. In der ablehnenden Haltung lässt sich erkennen: Viele wollen inszenieren, wie man feiert, aber nur selten feiert jemand, wie man sich inszeniert.

Nakt inszeniert man sich gerne (Foto: Nakt Instagram / @sorrymutti)

„Ich kann verstehen, wenn die Leute haten”, sagt Nakt-Chef Danner im Gespräch mit der GROOVE. „Wir sind sehr viral, die Leute schauen zu, was wir machen.” Allerdings könne man weder Designer:innen noch Models, Praktikant:innen oder eine Booking-Agentur bezahlen, ohne gewinnorientiert zu arbeiten. Von einem Sellout der Szene sei man deshalb weit entfernt. Im Gegenteil: „Die GROOVE profitiert, weil sie darüber schreiben kann. Techno-DJs profitieren, weil sie öfter gebucht werden. Clubs profitieren, weil mehr Leute kommen. Und Modelabels wie wir profitieren, wenn mehr Leute Techno cool finden.”

Danner spricht in diesem Moment als Geschäftsmann, nicht als Raver. Er weiß genau, dass er mit der Fetisch-Mode von Subkulturen sein Geld macht. „Trotzdem”, sagt er: Bei Nakt finde man Rave nicht einfach geil, um daraus ein Business zu machen. „Alle, die bei Nakt arbeiten, kommen aus der Technoszene, wir leben diesen Lifestyle.” In Berlin, so Danner, hätte sich aber eine „elitäre Cancel-Kultur” entwickelt, die als uncool abstempelt, was bekannt wird. „Warum sollte man nicht mehr unseren Harness tragen wollen, nur weil Thomas aus Stuttgart plötzlich auch einen anzieht?”

Alles anders gleich machen

Wer sich gegen eine Mode wende, schreibt Hans-Christian Dany, bringe sie noch mehr in Mode. Schließlich verleihe man ihr erst Kontur, wenn man ihr Aufmerksamkeit schenkt. Was sich in der Kritik zu Techno-Mode zeigt, ist Trauer um die Vergangenheit und Wut über die eigene Vergänglichkeit. Plötzlich stehen Leute neben einem auf dem Dancefloor, die jünger sind, die Codes nicht kennen und auch kein Interesse daran haben, ihr Verhalten aus dem Vergangenen zu übernehmen. Sie machen alles anders, indem sie alles gleichmachen.

Die gemeinsame Nachahmung stört die Realkeeper. Sie fürchten die Veränderung der Masse. Dabei wären sie lange genug dabei, um wissen zu können, dass die Ablehnung einer Mode ihre Bestätigung bedeutet. Seien es Trance-Edits oder Fetish-Wear, der angebliche Geruch des Darkrooms oder die Inszenierung des sogenannten Undergrounds – immer geht es um die Aneignung von Kulturtechniken, die als Mode auftritt und durch ihre Ablehnung erst Legitimation erfährt.

Nakt sind nicht die ersten, die sich die Bomberjacken aneignen (Foto: Nakt Instagram / @helptheratz)

„Moden können hohe Geschwindigkeiten entwickeln, die für einen noch kühlen Körper schwer aushaltbar sind”, so Dany. Vielleicht ist Techno-Fashion für TikTok deshalb ein idealer Laufsteg. Man stampft sich auf der Stelle warm und schwitzt im Takt der Timeline – härter, schneller, drüber. Der Inszenierung misstrauen all jene, die Techno aus dem Schlagschatten der Selbstdarstellung verbannen wollen und dabei von fehlender Individualität labern.

Nakt verkauft ein Bild von Techno, das den Moment abbildet. Es ist eine Mode, die in die Feeds und Storys passt, weil sie Individualität und Zugehörigkeit verspricht.

Dabei kann man sich in der Menge des Gleichen verlieren und Individualität für sich behaupten, weil sich Nachahmung in der Mode als Subjektivierung erleben lässt. Man zieht sich an wie alle, erlebt sich aber als besonders, während man sich anpasst. Nicht umsonst stapeln sich bei H&M die Nirvana-Shirts. Man trägt das Shirt, obwohl es viele tragen, weil man weiß, dass man dadurch seinen eigenen Geschmack und Zugehörigkeit zeigt.

Nakt verkauft ein Bild von Techno, das den Moment abbildet. Es ist eine Mode, die in die Feeds und Storys passt, weil sie Individualität und Zugehörigkeit verspricht. Gleichzeitig weiß auch Moritz Danner, dass ein Trend den nächsten bedingt. Techno-Couture und Prêt-à-Raver-Fashion mögen ihre Peaktime noch nicht erreicht haben, allerdings folgt auf angestaute Spannung immer Entladung. Wohin sie führt? Vielleicht in eine Enttäuschung. Womöglich tanzen wir am Ende doch alle nakt, ohne dass es gut aussehen würde.

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