Hattet ihr Probleme, bestimmte Künstler:innen zu buchen? Und wie haben sich die Gagen entwickelt?
Bernhard: Im kompletten Stillstand war immer wieder zu hören, dass die Pandemie zu mehr Regionalität führen würde: mehr lokale Bookings, weniger Flüge. Ich habe damals schon nicht daran geglaubt und hatte damit leider Recht. Tatsächlich würde ich sagen, dass sich die Gagenspirale noch schneller gedreht hat. Agenturen haben uns durch die Blume gesagt, dass sie gerade ausgefallene Einnahmen wieder reinholen müssen.
Mitch: Nach wie vor ist es schwierig, langfristige Beziehungen aufzubauen, weil alles viel schnelllebiger geworden ist. Mit den PollerWiesen versuchen wir, Trends selbst aufzuspüren oder sogar auszuprägen und weniger auf Headliner:innen zu setzen – obwohl wir natürlich darauf angewiesen sind, Künstler:innen zu buchen, die ein großes Publikum ziehen. Die Gagen haben sich so entwickelt, wie es sich schon vor der Pandemie angedeutet hatte. Etablierte Künstler:innen haben während der Pandemie nicht gelitten. Schlechter ging es denjenigen, die die Musik gerade erst zu ihrem Full-Time-Job gemacht hatten.
Bernhard: Diese Entwicklung war vorher schon da. Ich frage mich nur, wer diese Gagen zahlen kann! Es muss ja Festivals und Clubs geben, die sich das leisten können. Wir gehören nicht dazu.
(Gelächter)
Fritz: Wir haben dieses Problem glücklicherweise nicht, weil wir unser Line-up nie veröffentlichen. Einmal haben wir eine Ausnahme gemacht, in einem Krisenjahr, in dem wir unbedingt Tickets verkaufen mussten. Das hat sich scheiße angefühlt. Wir machen in der Regel keine Werbung mit Namen, sondern mit der Veranstaltung. Es funktioniert natürlich, sich einen Sven Väth einzukaufen. Bei uns gibt es aber eine feste Headliner-Gage und alle, mit Ausnahme von Live-Bands mit mehreren Mitgliedern, bekommen das Gleiche. Es soll so gerecht wie möglich sein und nicht so, dass sich jemand einen ganzen Abend lang den Arsch aufreißt und jemand anderes für nur eine Stunde aufs Gelände kommt und ein Vielfaches verdient. Gewisse Ungerechtigkeiten gibt es immer. Wir versuchen aber, das einzudämmen. Das Line-up nicht zu veröffentlichen, hilft uns dabei.
Bernhard: Ich denke, dass eine Neuausrichtung in der Arbeit mit Agenturen und Artists stattfinden sollte. Das klingt jetzt ein bisschen hippiesk, aber: Die Solidarität sollte wieder in den Vordergrund rücken, nicht die Suche nach neuen Märkten, wo sich noch mehr Rekordgagen kassieren lassen.
„Es war ein Trugschluss, zu glauben, dass die gesamte Öffentlichkeit auf unsere Rückkehr gewartet hat.”
Mitch Kastens
Ist euch euer Kernpublikum über die vergangenen Jahre hinweg erhalten geblieben? Oder hat sich die Publikumsstruktur verändert?
Bernhard: Bei unseren letzten beiden Ausgaben ist das Publikum nicht komplett weggeblieben, aber die bestmöglichen Ergebnisse hatten wir auch nicht. Vor der Pandemie kamen viele Menschen aus Slowenien, Ungarn oder Italien zu uns. Die fehlten im Jahr 2021 und kamen erst im vergangenen Jahr wieder. Die Publikumsstruktur hat sich definitiv verändert. Prinzipiell aber ist uns unser Stammpublikum erhalten geblieben. Altersmäßig bewegt sich unser Publikum zwischen Anfang zwanzig und vierzig. Laut unseren Social-Media-Statistiken wird es graduell älter, vor Ort sieht es aber anders aus. Wir fragen uns dennoch, wie wir die jüngeren Zielgruppen erreichen können. Für mich ist die spannende Frage, wie sich das entwickeln wird. Wie können wir mit der nachkommenden Generation in Kontakt bleiben, ohne uns zu verbiegen?
„Leute, wir sind jetzt hier – und mehr brauchen wir nicht. Keine Telefone, keine Videos. Wir sind hier, Punkt!”
Ewa Tomko
Mitch: Die Frage haben wir uns auch gestellt. Es war ein Trugschluss, zu glauben, dass die gesamte Öffentlichkeit auf unsere Rückkehr gewartet hat. Wir wissen alle, welche Kanäle aktuell stark sind und wie sie bedient werden. Schwierig wird es bei den Veranstaltungen. Es gibt in Tobias Rapps Buch Lost and Sound eine schöne Erklärung dafür, warum die harte Türpolitik des Berghains notwendig ist: Um eine gewisse Auswahl an Personen in einem Freiraum zusammenzubringen. Wir sind ein klassischer Rave, und der soll nicht zur gläsernen Veranstaltung werden. Unsere Fotograf:innen werden klar gebrieft, dass sie sich unauffällig verhalten sollen. Es ließen sich Leute bezahlen, die das via TikTok dokumentieren, aber die Frage lautet: Kommunizierst du dann noch die Veranstaltung, die du eigentlich machen willst? Ist das der Freiraum, in dem sich alle so verhalten können, wie sie wollen? Wir haben als Veranstaltung eine lange Geschichte und das Publikum erinnert mich manchmal an das eines Fußballstadions. Es sind alle unterschiedlichen Charaktere aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten vertreten. Eltern, die in den Neunzigern bei uns waren und jetzt mit ihren Kindern wiederkommen! Das macht uns nicht zu einem hippen Event, aber es macht uns authentisch, und das liebe ich daran. Für uns ist es schwierig, die neue Generation zu erreichen, ohne unsere Werte aufzugeben.
Ewa: Denselben Struggle haben wir auch! Was wollen wir auf Instagram kommunizieren? Und wollen wir das überhaupt? Wir weisen dann immer auf unseren Newsletter hin. Aber so ein Newsletter besteht immer aus viel Text! Es geht viel darum, den Menschen verständlich zu machen: Leute, wir sind jetzt hier – und mehr brauchen wir nicht. Keine Telefone, keine Videos. Wir sind hier, Punkt!
Fritz: Für eine gute Party braucht es eine bestimmte Anzahl von Menschen auf dem Dancefloor, die wissen, wie es läuft. Je mehr Telefone auf der Tanzfläche sind und je mehr Menschen nicht wissen, wie sie sich zu verhalten haben, desto eher kippt die Stimmung. Wir haben das im letzten Jahr auch beobachten können. Die Crowd war eine ganz andere als noch vor zehn Jahren. Das haben wir auch den sozialen Medien zu verdanken. Deswegen ist unsere Crew auch so groß. Wir möchten auch selbst raven, und dazu braucht es eine Menge von Menschen, die den Vibe erhält. So kann etwas vermittelt werden, wird anderen gezeigt, wie der Hase läuft. Es ist wie ein außer Kontrolle geratener Kindergeburtstag! (lacht) Positiv ist, dass wir immer mehr Pol:innen bei uns zu Gast haben, die etwas davon zu ihren eigenen Festivals mitnehmen.
Ewa: Die polnische Festivalkultur orientiert sich mehr am Mainstream, überall sind Sponsorenlogos zu sehen. So bunt wie ein Zoo! Es wird langsam besser, aber Pol:innen fahren meistens zu Veranstaltungen, die von Deutschen organisiert werden – weil sie wissen, dass die Party geiler wird. Für mich fing das 2013 mit dem Plötzlich am Meer an, wir befanden uns damals noch im Mittelalter. Das Audioriver hat eine lange Geschichte, aber auch da: Logo, Logo, Logo – und nur Leute mit ihren Handys in der Hand.
Fritz: Wir werden wohl damit anfangen, die Telefone abzukleben. Die Leute können natürlich machen, was sie wollen, aber zumindest macht es dann am Anfang einmal ‚Klick’. Auf dem Campingplatz oder am See sollen ja auch gerne alle ihre Videos drehen. Aber die Tanzfläche sollte respektiert werden. Dazu muss aber auch gesagt werden, dass die DJs ein Teil des Problems sind. Ich kann die ganzen DJ-Rücken nicht mehr sehen!
(Gelächter)
Fritz: Sie tun mir auch leid, sie müssen es ja machen! Es ist einfach so passiert und sie versinken im Content-Strudel. Aber wir sollten das unterbinden und vertraglich festhalten, dass auf den Bühnen nicht gefilmt wird. Da müssen wir aber bei uns selbst anfangen, bei unseren Residents etwa. Für die bedeutet ein Gig beim Garbicz auch mal zehn Follow-up-Bookings, und dafür brauchen sie dieses Material. Das ist eine schwierige Situation. Aber am Ende geht es um Musik. Darum, die Augen zu schließen und zuzuhören.
Ewa: Wir wollen keine Situation haben, in der die Menschen mit Stativen auf dem Dancefloor stehen und Videos drehen!
Fritz: Selbst bei einer sehr durchmischten Veranstaltung wie den PollerWiesen sollte doch der kleinste gemeinsame Nenner sein, die Telefone für ein paar Stunden in den Taschen zu lassen. Verlangen kann man das nicht, aber man muss dafür sensibilisieren. Irgendwer filmt es ja sowieso, also muss man es nicht selbst machen!
Im zweiten Teil des Festival-Roundtables äußern sich die Protagonist:innen zu den Vorbereitungen für die diesjährigen Ausgaben, tun ihre Einstellungen zu staatlichen Förderungen kund und denken darüber nach, ob sich die Szene durch die Pandemie gesundgeschrumpft hat.