Nach 25 Jahren und einer Pandemie geht das Licht aus: Die JUICE gibt es nicht mehr. Damit verabschiedete sich 2022 eines der wichtigsten Medien für Hip Hop in Deutschland – „bis auf Weiteres”, wie es hinter Verlagstüren heißt. Ob man mit Beefs, 16ern und Punchlines jemals wieder in der JUICE flexen kann, weiß nicht mal Fler.
Klar ist: Die JUICE wird fehlen. Nicht nur den Diehard-Fans im Deutschrap, sondern auch uns – weil sich Hip-Hop immer öfter in den Club verirrt. Ob Rin, Pashanim oder Luciano, sie alle haben in diesem Jahr auf den Technofloor geschielt. Was sich sonst im neuen Crossover-Trend getan hat, weiß Ex-JUICE-Chefredakteur David Regner. Er hat für uns die letzten Platten der Woche in diesem Jahr zusammengestellt.
Tarek K.I.Z, Longus Mongus, Drunken Masters – „Fusion”
Seitdem Deutschrap den endgültigen Sprung in den Mainstream geschafft hat, gibt es kaum noch einen Kontext, in dem das Genre wirklich fehl am Platz wirkt. Selbst auf dem Fusion Festival werden vermehrt Deutschrap-Artists für Performances gebucht, wodurch direkt ein neuer Sehnsuchtsort für sie entsteht, der ein wenig abseits des typischen Live-Publikums angesiedelt ist.
Die Rapper Tarek von K.I.Z und Longus Mongus von BHZ sowie das Produzentenduo Drunken Masters haben sich von diesem Vibe inspirieren lassen und einen sehnsüchtig-melancholischen Techno-Track geschaffen, der Eskapismus vom Alltagsleben in Dauerschleife propagiert. Mit humorvollen Zeilen voller Ironie von Tarek und der melodischen Ohrwurm-Hook von Longus Mongus finden die Stärken eines Rap-Urgesteins und New-Wave-Vertreters auf ballernden Acid Synths zusammen und machen Deutschrap tauglich für den (Festival-)Dancefloor.
Dass dieses Experiment gut angekommen ist, beweisen auch die Aufnahmen von der Live-Premiere des Songs, die selbstverständlich auf der Fusion stattfand und das Publikum mehr als abgeholt hat.
Domiziana – „Ohne Benzin (1.1x Speed Version)”
Schnelle Beats, virale Challenges und ein steiler Karrierestart. Kaum jemand ist in letzter Zeit im Deutschrap dermaßen durch die Decke gegangen wie Newcomerin Domiziana, die erst seit diesem Jahr Songs veröffentlicht. Eine virale TikTok-Dance-Challenge spülte ihren Debütsong „Ohne Benzin” einige Monate nach Veröffentlichung nach ganz oben, er hält sich nach zwischenzeitlichem Platz 1 auch mehr als 25 Wochen später noch immer in den Charts.
Eingängige, minimalistische Lyrics holen in den kalten Winter Berlins, der durch Drogenkonsum erträglicher gemacht wird und dem gesamten Vibe eine gewisse Euphorie verleiht. Satzfetzen rund um das titelgebende Benzin werden mit hoher Stimme auf stampfende Kicks samt bouncenden Bässen gehaucht und an den richtigen Stellen mit Autotune verzerrt. Besonders in der ebenfalls vielgehörten „1.1x Speed”-Version entsteht dadurch ein Sound zwischen treibenden Techno- und fragilen Hyper-Pop-Elementen, der die aktuell diversen Genre-Einflüsse auf Deutschrap widerspiegelt. Das perfekte Mashup der Berliner Rapperin zwischen ekstatischem Rave und TikTok-Alltagsbegleitung.
Teuterekordz – „Monochrom”
Teuterekordz, meist einfach nur Teute genannt, sind eine Crew aus dem Prenzlauer Berg, deren Grundeinstellung wohlwollend als kollektiv-eskalativ beschrieben werden kann. Die Mitglieder Beko, Dispo, Eddy-T, Lucky, Modus sowie Sechser sind allesamt in der Nähe des Teutoburger Platzes verortet und bekannt dafür, sich lieber im Laternenschein als im Sonnenlicht durch die Hood zu bewegen. Dabei wird selbstverständliches einiges an Alkohol und weiteren Substanzen konsumiert, denn Teute liefern den Sound für erinnerungswürdige Nächte.
Was auf den ersten Blick nach stumpfem Abriss aussieht, wird häufig um politische Zwischentöne ergänzt, die keinen Zweifel an der korrekten Einstellung der Crew lassen – „Asozial statt National” lautet das Motto. Zwischen Studio-Hustle, Kiez- Repräsentanz, Sprüher-Action und Partystimmung hat die Crew eine eigene Nische und treue Anhängerschaft gefunden, die besonders bei Live-Gigs zum Tragen kommt.
„Monochrom” aus dem aktuellen Album Kein Nirvana ist mit seinem mitreißenden House-Beat samt sprunghaften Synths von Produzent Arkona die optimale Grundlage, um sich noch ein stark gemischtes Getränk in den Becher zu kippen und den Rave mit den Atzen einzuleiten.
Ski Aggu – „Party Sahne”
Wenn jemand wissen möchte, was die sogenannte New Wave im Deutschrap eigentlich ausmacht, liegt es nahe, dieser Person Musik von Ski Aggu vorzuspielen. Der Rapper aus Berlin-Wilmersdorf veröffentlicht seit circa zwei Jahren Songs, arbeitet häufig mit jungen Talenten aus der lokalen Szene zusammen und liefert dabei konstant Singles mit Hit-Potenzial.
Unter anderem sein Auftritt beim diesjährigen Comeback des Splash! nach der Corona-Pause hat gezeigt, dass diese Songs nicht nur in den digitalen Sphären von Streamingdiensten und Social Media funktionieren, sondern gerade live und mit feierwütigem Publikum ihre ganze Energie entfalten. Simple Texte, tanzbare Beats und eine positive Lebenseinstellung sorgen für Sound am Zeitgeist.
„Party Sahne” vereint dabei nicht nur Techno-Sound mit Rap, sondern entwickelt seinen Charme dank amateurhaftem DIY-Cover und seiner sympathischen Video-Ästhetik. Schnelle Brillen und eine Abwandlung des Oldschool-Hits „Disco Partizani” treffen auf ein „Jerk it out”-Caesars-Palace-Sample, das für Nostalgie-Gefühle und schnelle Wiedererkennung sorgt. Was in der Vergangenheit erfolgreich funktioniert und teilweise das musikalische Aufwachsen der jungen Deutschrap-Generation geprägt hat, erklingt 2022 in neuem Soundgewand.
2LADE, Drunken Masters – „Blood Rave”
Zum Abschluss noch einmal mit Beteiligung der Drunken Masters, die sich eben damit auskennen, wie man einen richtigen Abriss gestalten muss. Als Duo haben sie bereits die Bühnen großer Festivals auseinandergenommen, während Mitglied Joe als Tour-DJ von K.I.Z regelmäßig ausverkaufte Hallen zum Beben bringt.
Zuletzt ist auch 2LADE in den Kreis jener Rapper gestoßen, die sich auf den krachenden Produktionen der Drunken Masters austoben. Sein Markenzeichen: Tiefe Stimme, gnadenloser Flow, actiongeladene Videos und eine Vorliebe für laute Bässe.
Kein Wunder also, dass die Kooperation der beiden Seiten mit „Blood Rave” einen düsteren Sound ergibt, der in der Hook jegliche Kontrolle verliert. „Moshpit auf sofort, aber dalli”, lautet die passende Ansage von 2LADE, der seine Stimme mühelos an die ballernden Kicks im Acid-Techno-Track anpasst. Im Takt wippende Hip-Hop-Hände sind mittlerweile längst out und werden zum Beispiel von rot flackernden Strobos abgelöst, in deren Zwielicht entweder ausladend getanzt oder sogar rücksichtslos gemosht wird. Ein Song, der böse um die Ecke kommt.