Bas Grossfeldt – WE ARE NOW (Prince Madonna)
Søren Siebel alias Bas Grossfeldt lebt in Köln als Künstler. Er erschafft Rauminstallationen und schwingt liquide zwischen Clubmacher, Labelbesitzer (SPA Records) und Musikproduktion. Der Nullerjahre-Deutsch-Rap- und 1970er-Can-Fan wurde mit dem Umbau des legendären Kölner-Stadtgarten-Kellers, dem Studio 672, das 2019 in Anlehnung an die Krautrock-Legende Liebezeit in „Jaki” umbenannt wurde, in den letzten vier Jahren zur überregionalen Nachtlebengröße. Im Jahr 2020 schaffte er mit seiner Veröffentlichung Lost in Sensation auf Juan Atkins’ Metroplex auch den Sprung nach Detroit.
Grossfeldts neues Album WE ARE NOW, das als Kassette erscheint, klingt metrisch nach DAW und elektroakustisch. Ein Stilmittel ist das leise aufgenommene Output-Signal, das – digital aufgeblasen – in sanftes Elektronikrauschen zerfließt („I AM BLUEISH”). Grossfeldt verwendet die Klassiker der 90s-Rave-Breakbeat-Deep-House-Soundästhetik und verhallt sie sphärisch-düster zwischen 140BPM, House- und Downtempo („I AM NEGATIVE SPACE”). Weißes Rauschen und softes übersteuertes Mikrofon-Kratzen drehen sich im Kreis („I AM CIRCLE”). Die Conga-Loops des Titeltracks klingen wie vorgestern. Das hat tatsächlich etwas Krautrockiges. Geil wäre es ohne die Mainstream-UK-Rave-Stabs und -Strings. Auf „I AM PYRAMID” geistert die Filter-Mumie nachts zu sehr durchs Breakbeat-Museum. Und „I AM NO” erinnert an die verspielte Kompakt-House-Schule der Neunziger. Die Titel lassen eine Nähe zu Mark Fishers Ghosts of My Life erahnen. Heilung oder weitere Ausbeutung? Das bleibt unklar. Mirko Hecktor
Daniel Avery – Ultra Truth (Phantasy Sound)
Daniel Avery interessiert sich für etwas extremere Klanglandschaften. Auf seinem Debütalbum Drone Logic etwa erkundete er entkoppelte, abstrakte Sounds, eine Art Tanzmusik ohne Tänzer:innen. Dieser Prozess eskaliert in der Pandemie. Während es auf dem letzten prä-pandemischen Werk mit entrücktem Drum’n’Bass-Gehämmer oder unterkühlten, warpigen Bleeps noch vergleichsweise normal zuging, ist auf Together Static aus dem letzten Jahr eine eigentümliche, sakrale Stille eingekehrt. Das aktuelle Album knüpft da direkt an, klingt aber irritierend aufgeräumt.
Ultra Truth beginnt mit sanften Piano-Akkorden, die auch in eine Meditations-Playlist passen würden. Dass Katharsis nicht ohne Schmerz möglich ist, deutet Avery dann an, indem er die Klavierklänge digital verzerrt. Diese Spannung hält aber nur für einen Moment an, die meisten Tracks sind downbeatiger, popaffiner IDM, der abgeklärt wirken will, dabei aber das Kind mit dem Bad ausschüttet und meist so einfältig und harmoniesüchtig klingt wie oben erwähnte Funktionsmusik. Dass der seinem Mentor Andrew Weatherall gewidmete Track „Lone Swordsman” mit erfrischenden Bicep-artigen Breakbeats da rausfällt, hilft leider kaum. Alexis Waltz
DJOKO – Endless Explorations Pt. III (Berg Audio)
Das neue Album von DJOKO auf dem etablierten Dub-Techno-Label Berg Audio ist eine wahre Freude für die Ohren. Endless Explorations Pt. III besteht aus acht energiegeladenen Tracks, die verschiedene Subgenres des House und Techno bedienen. Der Titeltrack eröffnet die Platte mit eingängiger Percussion und tiefer Bassline, bevor sich schwebende Synths im Mittelteil aufbauen und in einem treibenden Break untergehen. Der zweite Track „Cellular” führt das Album weiter, wobei die behutsam eingebauten sphärischen Elemente eine wunderschöne Atmosphäre schaffen. Auch „Cosmic Interference” und „Journey To Nowhere” bieten abwechslungsreiche Klanglandschaften, die es ermöglichen, sich in DJOKOs Universum zu verlieren.
Wer sich beim ersten Teil der Review gefragt haben sollte, ob der Autor noch ganz bei Trost ist – nein, für das Geschwurbel war ein Chatbot verantwortlich. Dass DJOKO eine Platte produziert hat, die mit „schwebenden Synths” eine „wunderschöne Atmosphäre” schafft, mag theoretisch stimmen. Der Autor würde euch damit aber nie fadisieren. Hier also ein Wortlaut, der die Arbeit des Kölner Producers nicht in Computer-Says-No-Sprache zusammenfasst: Mit Endless Exploration III zerbröselt man die Winterdepression in zwei Gramm gute Laune. Ob zum Afterglow mit „Eternal” oder im Tunnelblick mit „Final Checkpoint” – DJOKO crackt den Dub-Techno-Code im Model 500, überspielt den Basic Channel und jelinekisiert den Zauberberg. Damit entdeckt er nicht das Ende des Echos. Für Mind-Games im Mood-Mode streamt man sich das Ding dafür gleich nochmal in die abgefrorenen Lauscher. Christoph Benkeser
Honey Dijon – Black Girl Magic (Classic Music Company)
Eigentlich ist das ein Fall für Thomas Meinecke: Chicago, New York, Berlin, Disco, House, Techno, DJ, Transgender, Berghain, Louis Vuitton, Dior, Comme des Garçons, Beyoncé, Madonna – damit wären nur die wichtigsten Stationen der glamourösen Karriere von Honey Redmond alias Honey Dijon benannt.
Und all diese Koordinaten spiegeln sich auch in den 15 Tracks auf Black Girl Magic wider, das wie ihr Debütalbum The Best of Both Worlds auf Classic Music Company erscheint. Erneut arbeitet Redmond mit einer Fülle von Stimmen, neben Chris Penny war auch Classic-Labelhead Luke Solomon an Songwriting und Produktion der meisten Tracks beteiligt. Das tolle Spoken-Word-Intro „Love Is” mit Lyrics von Kameelah Waheed gibt das Grundthema vor, „Love Is a State of Mind” verortet das Geschehen auf dem Hi-NRG-House-Dancefloor. Auf „Work” und „C’s Up” ist auch Chicago-Legende Mike Dunn zu hören, zu Letzterem hat auch Jimmy Edgar beigesteuert.
Herausragend sind der Jump-up-Disco-Tune „Everybody” mit Vocals von Pabllo Vittar und Urias sowie das laszive „Show Me Some Love” mit Channel Tres und Sadie Walker. „Downtown” klingt wie eine Ballroom-Nummer aus den Achtzigern. „Don’t Be Afraid” wiederum könnte – mit einer Referenz auf Gil Scott-Heron – auch ein Derrick-Carter-Track der späten Neunziger sein. Durch „It’s Quiet Now” zieht ein Hauch von CeCe Penistons „Finally”. Ballroom, New Jack Swing, R’n’B liefern weitere Stichworte für den historisch informierten Eklektizismus von Honey Dijon. Harry Schmidt
Kerri Chandler – Spaces And Places (Kaoz Theory)
Ein neues Album von Kerri Chandler – eigentlich gibt’s keinen Anlass, sich davon etwas zu erwarten. Wer den jüngeren Output des in New Jersey geborenen Produzenten kennt, weiß das. Als DJ düst der US-Amerikaner immer noch von Club zu Club. Und so verweisen die Tracktitel von Spaces and Places sehr gerne auf bereiste Lokalitäten wie Watergate, Club Qu oder Magazzini Generali.
Aber erst mal eine ganz kurze Rückblende. Vor etwa 30 Jahren machte sich Kerri Chandler als einer der heißesten Beatmaker im House-Geschäft einen Namen. UK Garage hätte ohne ihn (und Todd Edwards) einen anderen Lauf genommen. Und so mancher Kerri-Chandler-Hit hat tatsächlich die Jahrzehnte überdauert, so zum Beispiel „Atmosphere”. Heute hat House dieser Spielart keine Konjunktur mehr. Als DJ schlägt sich der 53-Jährige trotzdem professionell durch.
Als Produzent sucht Chandler heute einerseits Anschluss an diesen standardisierten Industrienorm-House der Zehnerjahre. Andererseits hält er die Fahne klassischer Vocal-House-Produktionen hoch. In der Summe funktioniert hier aber wenig bis gar nichts. Die Tracks an sich sind nur selten überzeugend. Den Songs fehlen die Songs. Bei Defected wären die meisten dieser 21 Stücke wohl durchgefallen. Holger Klein