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[REWIND 2022]: Techno-Mode: Wieso wir alle gleich aussehen

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Mit dem Berghain- und Kitkat-inspirierten Style hat sich die Technoszene Gimmick-Kultur entwickelt, die sich von EDM nur noch in der Farbwahl unterscheidet. So lautet das vernichtende Urteil unseres Autoren Till Kanis. Er erklärt, warum es in unsere Szene schon längst nicht mehr um individuellen Ausdruck und gemeinsames Feiern geht, sondern um Kommerz und Konformismus.

Wir befinden uns in Berlin, dem pulsierenden Herz der Maschinenmusik, das unerbittlich im Takt der Bassdrum hämmert und den willigen Raver:innen ihren scharfkantigen Tanz diktiert. Es ist fünf Uhr früh an einem Sonntag. Während die Sonne gerade so über die ersten Dächer lunzt, kann man in den verwaisten Straßen bereits das behagliche Dröhnen des Basses erahnen. Je näher man dem Ort des Geschehens kommt, desto allgegenwärtiger werden die Begleiterscheinungen, die der Rave mit sich bringt.

Ein Teppich aus Altglas und Kippenstummeln breitet sich vor dem Eingang eines geschichtsträchtigen Berliner Gebäudekomplexes nahe des Checkpoint Charlie aus. Einige schwarz gewandete Gestalten lungern in der Gegend herum und hier und da lesen Taxis die bereits Schwachgewordenen vom Bordstein auf. Drinnen geht natürlich die Post ab. Mehrere Floors, harte Musik, ein böse dreinblickender Türsteher, der dich fragt, ob du auch genau weißt, wo du gelandet bist, Sticker auf den Handykameras – das volle Programm eben. Die Raver:innen sind jung, berauscht und scheinen sich zur gemeinsamen Uniformierung verabredet zu haben: Blank polierte New Rocks, blitzende Stahlketten, nackte Haut und das Best-of der Neunziger-Fußballer-Frisuren. Im Prinzip alles wie immer.

Egal ob Skrillex’ Karikatur von Dubstep, Tiestos Zuckerwatte-Trance oder Höhepunkt basierter Big-Room-House à la Martin Garrix: sie alle wurden von findigen Promoter:innen unter dem Label Electronic Dance Music zusammengefasst, präsentiert und vermarktet

Doch jeglichen Spott beiseite: Plateauschuhe sehen geil aus, schnelle, roughe Musik ist am Puls der Zeit und trägt sich durch die Nacht und mit einer edgy gekleideten Gruppe in der Mittagssonne aus dem Club zu stolpern und die flanierenden Passant:innen zu erschrecken, fühlt sich ebenfalls ziemlich gut an. Deshalb soll sich in diesem Text eben nicht über solch profane wie subkulturell relevante Dinge wie beispielsweise Mode, musikalische Vorlieben oder das Verlangen nach Exzess lustig gemacht werden. Vielmehr geht es darum, auf szeneinterne Entwicklungen aufmerksam zu machen, die uns mittlerweile so natürlich erscheinen, dass es sich anfühlt, als wäre es das Normalste der Welt, eine kommerziell angelegte Großveranstaltung mit dem Versprechen des erlebbaren Undergrounds zu bewerben.

So feiert man in Berlin (Screenshot: Instagram/Nakt)

Doch springen wir zunächst ein paar Jahre zurück. In der Mitte der vergangenen Dekade finden sich auf dem elektronischen Olymp zwar ein paar technoide Schwergewichte wie Ben Klock oder Marcel Dettmann, doch abseits von teutonisch klingenden Namen, die zerklüftete Klangästhetiken versprechen, tummeln sich an der Spitze der öffentlichkeitswirksamen Tanzmusik vor allem Acts, die sich dem diffusen Brei, den man damals EDM nannte, verschrieben haben. Egal ob Skrillex’ Karikatur von Dubstep, Tiestos Zuckerwatte-Trance oder Höhepunkt basierter Big-Room-House à la Martin Garrix: sie alle wurden von findigen Promoter:innen unter dem Label Electronic Dance Music zusammengefasst, präsentiert und vermarktet.

Von Federschmuck und Tortenschlachten

Parallel zur musikalischen Untermalung wurde EDM um ein dazu passendes Lifestyle-Konzept ergänzt, das über die sozialen Medien an die Fans gebracht wurde. Auf riesigen Festivals wie dem Electric Daisy Carnival lebte man das zuckersüße Partylife, schmiss sich ordentlich Molly ein und shufflete dann zu „Tsunami” von DVBBS & Borgeous. Die Herren der Schöpfung waren durchtrainiert und oberkörperfrei, die Girls rockten knappe Kostüme in Neonfarben und alle zusammen krönten sich das sedierte Haupt mit kulturell nicht ganz unproblematischem Federschmuck. Außerdem tauschte man unter dem Motto „PLUR” (Peace, Love, Unity, Respect) bunte, selbstgemachte Armbändchen, die man sich mit einem eigens dafür erdachten Gruß überreichte.

Komm, wir basteln das Berliner Club-Outfit (Screenshot: TikTok/festivalstyled)

Zugegebenermaßen fand das hier beschriebene extreme Ausmaß dieser Absurditäten vor allem in Übersee statt. Doch auch in Europa erfreut sich EDM großer Beliebtheit und Festivals wie Tomorrowland oder Parookaville gehören mittlerweile zu den größten der Welt. Zumal sich die Blaupause für eine vernünftige EDM-Party ja einfach auf Instagram nachschlagen lässt.

Während Steve Aoki und Co. also Millionen verdienten, indem sie Torten in die Gesichter ekstatischer Fans warfen, konnte man darüber in puristischen Techno-Kreisen nur die Nase rümpfen. Hier war elektronische Musik noch eine ernstzunehmende Angelegenheit: schwarze Klamotten, echte DJ-Skills und eine Musik, deren Zauber sich erst nach drei Stunden des konzentrierten Zuhörens offenbarte. Doch in den Jahren, in denen sich die Szene vor dem Berghain die Beine in den Bauch stand, fand unterbewusst eine Entwicklung statt, die anscheinend von den Allermeisten nicht bemerkt oder schlichtweg ignoriert wurde.

Einschlägige Accounts zeichnen eine ästhetische und auch musikalische Vision von Techno, die von jungen Menschen als gegeben, cool und wünschenswert akzeptiert und angenommen wird.

Denn die eingeschworene Technokultur, die sich seit jeher als Hort des individuellen Ausdrucks und der freien Entfaltung rühmt, wurde zu einem vermarktungsfähigen Lifestyle-Konzept glattgebügelt, das sich ohne weiteres über das Internet und die sozialen Medien verkaufen lässt. Das Abziehbild der Ästhetik von Berliner Clubs wie dem Berghain oder dem KitKat wurde von erfolgreichen Instagram und TikTok-Accounts wie raveishere oder kitkat_berlin_official aufgegriffen und kommerzialisiert. Die Betreiber:innen dieser Seiten verdienen teilweise Geld damit, ästhetisch passende Fotos von Raves und Partys ohne Fotograf:innen-Credit geschweige denn mit Verlinkungen der abgebildeten Personen auf ihren Seiten hochzuladen und dadurch ein extrem uniformes Bild von Technokultur zu zeichnen.

Denn dass sich Partygäste ungefragt auf diesen Seiten wiederfinden und Fotograf:innen um ihre verdiente Aufmerksamkeit gebracht werden, ist nur ein kleiner Teil der Misere. Nebenbei zeichnen die einschlägigen Accounts eine ästhetische und auch musikalische Vision von Techno, die von jungen Menschen als gegeben, cool und wünschenswert akzeptiert und angenommen wird. Dies gilt dabei nicht nur für Kleidung oder modische Accessoires, sondern selbst für die richtigen Dancemoves und das Verhalten auf Raves finden sich auf TikTok und Instagram Anleitungen und Ratgeber-Videos. Der angesprochene individuelle Ausdruck bleibt dabei vollends auf der Strecke und wird durch sich angleichende Uniformität ersetzt.

Was EDM- und Techno-Lifestyle verbindet

Tatsächlich sind der oben angerissene EDM-Lifestyle und die neue Instagram-Techno-Ästhetik im Kern nicht besonders weit voneinander entfernt. Zwar ist die begleitende Musik eine andere und man trägt auf dem pseudocoolen Rave Schwarz und nicht Quietschbunt, dennoch bewegt sich alles innerhalb der vom Internet vorgegebenen Normen. Als sexy und schön geltende Menschen tanzen Sportsonnenbrillen tragend den gleichen Tanz zu den immergleichen Tracks und präsentieren ihre gestählten Körper in bester Erste-Reihe-Krieger-Manier. Die DJs glänzen eher durch Influencer-Qualitäten als durch Selektion und Fetisch-Outfits verlieren an Einzigartigkeit und Bedeutung, denn das trägt man halt so beim „Technofeiern”.

Den Rave muss man lieben (Screenshot: Instagram/rombero.bnb)

Ob man nun im Bootshaus zu Salvatore Ganacci abshufflet oder seine besten Karate-Dance-Moves auf einer vermeintlichen Underground-Veranstaltung präsentiert, ist im Grunde egal, denn man ist zum Opfer der Kommerzialisierung und Verballhornung einer Jugendkultur geworden, in der der Fokus nicht mehr auf dem gemeinsamen Feiern, sondern auf der eigenen Selbstdarstellung liegt.

Doch nicht nur einschlägige Social-Media-Kanäle schlachten die globalisierte Techno-Ästhetik aus und rücken sie so immer weiter in den Mainstream. Mittlerweile existieren ganze Modelabels, deren einziger Selling-Point Techno und der in Textilien gewobene Underground sind. So druckt beispielsweise die Ravewear-Marke NAKT aus Berlin die Berghain-Policy „No Photos, No GHB” auf Hoodies und verkauft Radlerhosen, die nicht nur knapp 100 Euro kosten, sondern Raver:innen weltweit helfen, auf Kreativität bei der Outfit-Wahl zu verzichten und sich ein Stück des sagenumwobenen Berlins in den eigenen Kleiderschrank zu holen.

Natürlich werden die Nächte immer noch durchgeravet, aber das ganze Drumherum ist ein einziger schwarz glänzender austauschbarer Brei, der nach der Party möglichst effektiv im Internet inszeniert wird. 

Passend dazu gibt es das Techno-Parfüm „Darkroom”, das dich mit seinem verführerischen Duft zurück an deine besten Rave-Momente erinnert und stilecht im Beton-Flakon geliefert wird. Zu den optischen und den olfaktorischen Punkten auf der Techno-Checkliste gesellt sich dann noch eine Musik, die zwar möglichst schnell und dunkel sein muss, jedoch in ihrem völlig überladenen Pathos immer gleich klingt, und der es deutlich an Raffinesse und Überraschungsmomenten mangelt. Denn um einen Track auf TikTok viral gehen zu lassen, bedarf es am besten einer simplen, aber zügigen Bassline und eines Vocalsamples mit Ohrwurmpotenzial. Hauptsache, es geht irgendwie um Techno, Rausch oder durchzechte Nächte.

Illustration: Dominika Huber

Es ist frappierend zu beobachten, dass sich zumindest dieser enorm große und öffentlichkeitswirksame Teil der Technoszene weg von Party- und Musikzentriertheit hin zu einer Art Gimmick-Kultur entwickelt hat. Natürlich werden die Nächte immer noch durchgeravet, aber das ganze Drumherum ist ein einziger schwarz glänzender austauschbarer Brei, der nach der Party möglichst effektiv im Internet inszeniert wird. 

Das Problem ist dabei nicht, dass Techno-Fans ihre Leidenschaft im Internet ausleben, sondern dass Firmen und Einzelpersonen eine vermeintlich universell gültige Ästhetik festlegen, mit der sie sich zum einen bereichern und zum anderen dafür sorgen, dass ein Großteil der sogenannten Underground-Szene stagniert, auf ausgelatschten Pfaden wandelt und sich dem Mainstream angleicht. Denn letztendlich hat der Instagram-Techno-Lifestyle nichts mehr mit der ursprünglichen musikzentrierten Jugendkultur gemein. Vom globalen EDM-Zirkus unterscheidet sie sich nämlich lediglich in der BPM-Zahl – und in der Farbe der Outfits.

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