Al Wootton – Artefacts (Trule)
Durch seinen lediglich angedeuteten Rumms und die kurzgeschorenen Akzente, mit denen er seine Beats programmiert, hat sich Al Wootton rund um den großen Bass viele Freund:innen gemacht. Dass er diesen Ansatz mühelos in das Vokabular von Techno übersetzen kann, zeigt er etwa auf seiner EP Artefacts.
Durch die gerade Kickdrum gebündelt, wirkt die Sache naturgemäß erst einmal deutlich aufgeräumter. Die bei ihm üblichen Feinheiten finden sich dafür im Drumherum. Behutsam dosiert, damit man nicht den Überblick verliert, öffnet sich in jedem Track der Raum und gibt sich nach und nach als überraschend tief und verwinkelt zu erkennen. Der Körper hat das da längst schon gemerkt. Tim Caspar Boehme
Cameo Blush – Silkworm (Scarlet Tiger)
Von Bicep und Overmono angefangen bis hin zu Fred again.. sind hochgeschwinde Rhythmen und emotionale Untertöne mittlerweile zur Währung eines neuen britischen Verständnisses von Dance Music geworden, das Konzessionen an die Welt des Pop macht. Es ist eine Klaviatur, auf der auch John Dunk zu spielen vermag, wobei seine Produktionen unter dem Pseudonym Cameo Blush mit ihrem bassigen Sound und verknoteten Rhythmen noch eher im Leftfield als links vorne vor der Booth zuhause sind.
Silkworm ist die zweite EP des Briten für Scarlet Tiger und fährt einen Überwältigungskurs, der trotz des gelegentlichen Einsatzes hochglänzender Pads, greller Trance-Arpeggien und zerhackstückelter Vocals der Tradition des Hardcore Continuum treu bleibt. Der Titeltrack spielt über sechs Minuten einen rasanten Rhythmus zwischen 2-Step und Post-Dubstep durch, „Fantasy” lässt in ähnlichem Tempo allerhand melodische Elemente einen ruckeligen Groove kontrastieren und „Don’t” erlaubt sich eine zeitgeistige Hommage an Reggaeton. Hochenergetisch, aufgekratzt und doch pathetisch – der Sound des Jetzt in noch intensiverer Form. Kristoffer Cornils
Floating Points – Someone Close (Ninja Tune)
„Someone Close” ist ein fantastischer neuer Track von Floating Points. Elektronisches Vogelzwitschern lässt den Tag hereinbrechen, dann durchkreuzen ein paar schräge Flächen das Soundbild und verwischen ihre Spuren. Das Teil kommt ganz beatlos daher und bietet sich als Mixmaterial ebenso an wie für Ambient unter Himmelszelten. Dazu veröffentlicht Sam Shepherd drei weitere Stücke aus dem Jahr 2022 auf Vinyl.
„Grammar” schwingt locker im 130er-Tempo im Hin und Her des 2-Step, bevor sich alles in eine Acid-Soße stürzt. „Vocoder” zerstaucht die Breakbeats, bis das ganze Klangbild granular erscheint. Durch das Zerstückeln und Zelebrieren von Stimm-Samples hält das Stück die Spannung hoch, es ist wie ein Comic-Strip. Noch mehr so „Problems”, in dem eine Gesangsstimme noch mehr durchmachen muss, und das über einem schnell getakteten „Funky Drummer”-Sample: Pitch, Vordergrund-Hintergrund, das ist im Vergleich schon 3D-Kino. Und so reizend. Christoph Braun
Lawrence Le Doux – Insula Dulcamara (Nous’klaer)
Beim Belgier Lawrence Le Doux geht Atmosphäre vor Tanzzwang. Letzteren gibt es bei ihm schon auch, doch seinen Namen scheint er durchaus als Programm zu sehen.
Seine jüngste EP demonstriert das mit sanft verpluckertem House und sacht hallendem Dub ohne das Techno durch Bassdrumverzicht („Notation”) oder durch sehr untechnotypischen Einsatz derselben („Nord Zimmer”). Dann wieder verträumt flottierende Grooves und Arpeggien und zum Beschluss eine dunstverhangene Insel-Elegie. Dabei stets fein gefügte Sounds und herrlich unaufdringliche Melodien. Sorgt für eine perfekte Balance zwischen offener Struktur und direkter Ansprache des Gefühls. Tim Caspar Boehme
Nene H –Trifecta (Live From Earth Klub)
Schnelle, leicht an-industrialisierte EP von Nene H: die in Istanbul geborene und zwischen Kopenhagen und Berlin pendelnde Produzentin schüttelt auf „Ring The Sirän” die Schampusflasche, die Beats perlen, bis der Korken losgeht. Mit 78 werden die Beatzahlen gemessen, doch doppelt so schnell trifft es Mark und Bein. „Fukken Lie” geht es ähnlich, es überschlägt sich in den leicht gebrochenen Schlägen, und darüber redet jemand irgendetwas, wie das in langen Nächten eben passieren kann. „Hold Ud, Skat!” klingt schon nostalgisch nach Warehouse-Rave, gibt ihm aber diese spezielle Berlin-Dystopie mit. Etwas zischt immer, eine Ansage wird immer gemacht, es rumpelt. Und nach einem Wölkchen-Break kommt die Kickdrum mit einem Handschlag zurück. Christoph Braun