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Tinko Rohst von OYE: „Das gibt mir die Kraft, weiterzumachen”

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Tinko Rohst (Foto: Felix Messmer)

OYE Records ist seit zwei Jahrzehnten einer der beliebtesten Plattenläden Berlins, der zudem als Plattform für eine Reihe von Labels dient. Während der musikalische Fokus von OYE in den frühen Zweitausendern besonders auf Latin und Brazilian Music lag, hat sich der Laden mit seinen beiden Filialen in Kreuzberg und im Prenzlauer Berg in der folgenden Zeit zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für organischen, discoaffinen House entwickelt, der dem Berliner Techno-Einerlei mit farbenfrohen, spielerischen Sounds begegnet.

Dabei verkauft OYE längst nicht nur Platten. Aus dem Umfeld der Läden wurden diverse Labels gegründet, etwa Box Aus Holz, OYE Edits oder Money $ex Records. Zum 20. Geburtstag des Ladens haben wir mit Geschäftsführer Tinko Rohst gesprochen. Im Interview verrät er, wie man in Krisenzeiten nicht die gute Laune verliert, wie sich der Musikmarkt in den letzten Jahren verändert hat und was man von OYE in der Zukunft erwarten kann.

GROOVE: Was macht für dich OYE aus?

Tinko Rohst: Leute kommen in den Laden und fühlen sich direkt wohl. Natürlich hat jeder mal einen schlechten Tag, aber meistens sind wir zu unseren Kund:innen nett. (lacht)

Was unterscheidet OYE von anderen Plattenläden?

Im Independent-Bereich ist OYE einer der größten Läden Deutschlands. Wir decken mit unserer musikalischen Bandbreite viele Stile ab. Das Angebot von Clubmusik ist in Berlin einzigartig, das gibt es nur in wenigen europäischen Großstädten. Hier in unserem Laden im Prenzlauer Berg verkaufen wir auch Platten von Bands wie Radiohead oder Pink Floyd. Wichtig ist: Alles, was bei uns auf den Plattentellern landet, müssen wir auch mögen.

OYE stand schon oft vor seiner Schließung. Wir hatten Existenzängste, ich konnte nächtelang nicht schlafen – auch das gehört zu den einschneidenden Momenten.

OYE wurde 2002 gegründet. Wie bist du persönlich dazugestoßen?

Lowis [Willenberg, d.Red.] hat den Laden am 21. September 2002 mit einem Partner eröffnet. Wir waren damals gut befreundet, haben Partys veranstaltet und gemeinsam aufgelegt. Nach kurzer Zeit stand ich hinter dem Verkaufstresen. Im Laufe der Jahre habe ich immer mehr Verantwortung übernommen. Seit dem Abgang von Markus [Lindner] bin ich Geschäftsführer und führe OYE mit tatkräftiger Unterstützung unserer Mitarbeiter:innen.

OYE Store
OYE Records (Foto: Sabine Hoffmann)

Ihr betreibt zwei Filialen. Wie viele Leute arbeiten bei OYE und wie sind die Aufgaben verteilt?

Früher hatten wir bis zu 13 Mitarbeiter. Momentan sind wir zu fünft. In der Kreuzköllner Filiale hält immer nur eine:r Stellung. Hier in Prenzlauer Berg sind wir zu dritt. Unser jüngstes Mitglied ist gerade 15 geworden. Das bringt frischen Wind in den Laden. Außerdem entstehen immer wieder tolle Projekte. Ludwig [Labuzinski], ehemaliger Praktikant bei uns, hat mit Max [Graef] Box Aus Holz gegründet. Wir konnten mit OYE die passenden Strukturen bieten und uns um Mastering, Vertrieb und Presswerk kümmern. Wir finden es wichtig, jungen, motivierten Leuten eine Plattform zu geben – dann läuft alles von selbst (lacht).

Man hat gemerkt: Shops, die sich verstärkt auf den digitalen Markt konzentrieren, konnten deutlich stärker aus der Krise herausgehen.

Auf welchen Moment in 20 Jahren OYE bist du besonders stolz?

Unseren Pop-up-Store in Beirut werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Die Party direkt vor unserer Haustür in der Oderberger Straße war auch ein ziemlicher Abriss. Wir waren so laut, dass wir das Ganze nicht mehr wiederholen dürfen. (lacht) Abseits davon zählen aber vor allem die alltäglichen Momente. Wenn Kunden mit einem Plattenstapel strahlend vor mir stehen, geht mir jedes Mal das Herz auf. Das gibt mir die Kraft, weiterzumachen. Schließlich stand OYE schon oft vor seiner Schließung. Wir hatten Existenzängste, ich konnte nächtelang nicht schlafen – auch das gehört zu den einschneidenden Momenten.

OYE Records 20. Geburtstag
Sabine Hoffmann von OYE Records (Foto: Presse)

Wie ist der Pop-up-Store in Beirut entstanden?

Eine Bekannte hat dort ein Festival mit dem Ziel organisiert, die Stimmung aus Berlin in den Libanon zu bringen. Neben uns waren noch andere Künstler:innen und Restaurants aus Berlin vertreten. Wir haben kistenweise Platten per Post rübergeschickt und uns anschließend selbst auf den Weg gemacht. Vor Ort haben wir gemerkt, dass es Probleme mit dem Zoll gibt. Mit Regierungshilfe sind wir zum Zollamt von Beirut gefahren, landeten Zigarre rauchend in einem gekachelten Raum und haben über die Freigabe der Pakete verhandelt. Am Ende ging alles gut. Wir konnten viele Platten verkaufen und einen Einblick in die libanesische Partykultur bekommen. Das Land hat eine unerwartet große Techno-Szene, die allerdings hauptsächlich von Mittel- und Oberschicht getragen wird.

Mit Kassetten kann man sich vom Mainstream abgrenzen, weil Schallplatten ohnehin alle machen.

Welche Spuren hat Corona bei euch hinterlassen?

Es war eine schwierige Zeit, aber durch die relativ gute Unterstützung vom Staat konnten wir überleben und mussten niemanden entlassen. Die Festangestellten waren in Kurzarbeit. Ich stand sechs Tage die Woche im Laden, habe Online- und Pick-Up-Bestellungen abgewickelt und jede Menge Platten gehört. Trotz des Online-Stores ist der Umsatz deutlich eingebrochen. Wir leben von der Laufkundschaft – besonders die Touristenströme vom Mauerpark haben wir schmerzlich vermisst. Man hat gemerkt: Shops, die sich verstärkt auf den digitalen Markt konzentrieren, konnten deutlich stärker aus der Krise herausgehen.

OYE Store2
OYE Store. Foto: Sabine Hoffmann

Wie hat sich dadurch der Musikkonsum verändert?

Ich nehme einen Bewegung weg von Singles und Clubmusik hin zu Alben-Themen wahr. Eine durchaus positive Erscheinung.

Wenn Du auf deine Zeit bei OYE zurückschaust: Wie hat sich der Musikmarkt über die Jahre hinweg verändert?

Die Kassette erlebte in den letzten Jahren ein bemerkenswertes Revival. Auch die CD wird mit Sicherheit ein Comeback starten – irgendeine Nischen-Liebhaberin wird sich schließlich immer finden. Außerdem bringt jedes Format individuelle Vor-und Nachteile mit sich. Viele Leute unterschätzen zum Beispiel den distributionellen Aufwand von Schallplatten. Kassetten sind dagegen viel leichter herzustellen und damit für kleine, unabhängige Künstler erschwinglicher zu produzieren. Und: Mit Kassetten kann man sich vom Mainstream abgrenzen, weil Schallplatten ohnehin alle machen.

OYE Vinyl
OYE Records (Foto: Sabine Hoffmann)

In Zeiten des unlimitierten Streamings sind Schallplatten eine Besonderheit. Hat sich deshalb das Standing von Vinyl und Vinyl-Sets in den letzten Jahren nochmal verändert?

Es gibt immer eine Bewegung und die Gegenbewegung dazu, angeführt von Personen, die nicht im Mainstream mitschwimmen wollen. Im Clubbereich fand Anfang der Zehnerjahre ein Vinyl-Hype statt. DJs wollten sich abgrenzen und ein Stück Individualität in ihr Schaffen bringen. Mittlerweile spielen die meisten DJs wieder mit USB-Stick – sei es aus Bequemlichkeit oder weil Clubs die Voraussetzungen für Vinyl-Sets nicht garantieren können. Trotzdem gibt es vereinzelt Leute, die die Vinyl-Scheiben hochhalten, darunter auch ich. Das wird sich auch nicht mehr ändern.

Was schätzt du persönlich an Vinyl?

Ich sitze an einer unerschöpflichen Quelle und habe auch nie gelernt digital aufzulegen. Trotzdem: Bei den heutigen Preisen überlegt man sich zweimal, ob man sich eine Platte leistet. Die Kramkiste erfreut sich deshalb immer noch großer Beliebtheit – nach 50 Jahren Dance-Geschichte gibt es auch viel zu entdecken. Und: Die junge Generation interpretiert das für sie Unbekannte neu, kontextualisiert es anders und macht daraus ihr eigenes Ding.

Für OYEs 20. Geburtstag habt ihr acht Events an verschiedenen Orten geplant. Welche Idee steckt dahinter?

Wegen Corona und der herrschenden Ungewissheit wollten wir nichts Großes planen. Außerdem hatte ich in der Zeit viel zu tun und konnte mich nicht wirklich um die Organisation der Events kümmern. Also hat das Sabine [Hoffmann] übernommen und mehrere kleinere Events über das Jahr hinweg organisiert. Zum nächsten Geburtstag kommt hoffentlich wieder ein großes Event, bei dem wir drei Tage durchspielen. Ein bis zwei Instore-Partys sind auch geplant. Grundsätzlich habe ich immer Lust aufzulegen. Daran hat sich auch nach 30 Jahren nichts verändert, auch das Lampenfieber ist nach wie vor ein treuer Begleiter. (lacht)

Möchte sich OYE zusätzlich zu einer Partyreihe entwickeln oder bleiben die Geburtstagsevents die einzigen Veranstaltungen?

Wir haben bereits eine Residency in der Paloma Bar, wo wir zumindest viermal pro Jahr auflegen. In Zukunft wollen wir die kleineren Events beibehalten. Dadurch wird eine Basis geschaffen, von der aus wir uns an größere Projekte wagen können. Schließlich stehen wir für einen bestimmten Sound. Für große Partys müssen wir mit Veranstalter:innen zusammenarbeiten, die unser Konzept verstehen. Bei allem darf man nicht vergessen: Wir sind ein Plattenladen und kein Partypromoter. Viele von unseren Kunden sind DJs und machen im Zweifelsfall ihre eigene Party.

Zum Schluss: Wo siehst du OYE in den nächsten Jahren?

Ich habe keinen Masterplan – der würde ohnehin über kurz oder lang verworfen. Viel mehr erschaffe ich Möglichkeiten, indem ich junge Leute einstelle und ihnen eine Plattform biete. So bleibe ich selbst up to date. Dennoch habe ich eine Schublade voller eigener Ideen. Seit Markus’ Abgang ist zum Beispiel die Distribution ins Stocken geraten. Ich würde sie gerne wieder aufnehmen, auch weil das für OYE inhaltlich Sinn macht. Außerdem träume ich schon lange von einem rollenden Plattenladen, mit dem ich um die Welt tuckern kann, am liebsten durch Gegenden in Osteuropa, wo die Clubszene noch in den Kinderschuhen steckt.

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