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Techno House Deutschland: Mikro ist an, sag’ mal was 

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Techno House Deutschland (Foto: HR/Presse)

In der achtteiligen Doku-Serie Techno House Deutschland versuchen die ARD-Stationen hr, MDR, rbb und SWR die Geschichte der elektronischen Tanzmusik in besagtem Land zu erzählen und dabei auch die politische, soziale und kulturelle Bedeutung des Phänomens zu erfassen. Unser Autor Gregor Wildermann – Mitbegründer des legendären Frühneunziger-Fanzines House Attack und Autor der Frontpage – erklärt, warum das größtenteils misslingt.


Wonach schmeckte der Nebel, in den man in den ersten Tagen von Techno, 1989, 1990 eintauchte? Im besten Fall nach Marshmallows oder Erdbeeren. Manchmal war da aber auch so ein Metallgeschmack, der einem nicht ganz geheuer war, der sich in der Flut der Sinneseindrücke hintanstellen musste. Stroboskop und Nebelkanone waren Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger der komplette Gegenentwurf zur klassischen Diskothek.

Zum einen war die Musik deutlich konsequenter. Bei Acid, Techno, House, Breakbeats, Jungle, Gabber, Ambient, Minimal, Electro gab es keinen Anfang und kein Ende. Es war mehr oder weniger egal, wer du warst, wo du herkamst oder hinwolltest. Wir lebten im Jetzt. In dieser Explosion neuer Musik, die im selben Moment so futuristisch wie archaisch war. Und wenn man eben anfängt, das im Rückblick irgendwie einzuordnen, könnte ja auch eine Kamera laufen und jemand sagt: „Erzähl’ doch mal, wie das so war”. Aber wo fängt man an und wo hört man auf?

Illustration: GROOVE/ Bild: HR/Thomas Niedermueller

Diese und ähnliche Fragen werden sich auch die Autor:innen der Doku-Serie Techno House Deutschland gestellt haben – und inmitten einer Pandemie ohne jedes Clubgeschehen war es bestimmt nicht einfach, Antworten zu formulieren. Allerdings wirkt die fertige Serie so, als hätten deren Autor:innen das über Teile nicht einmal versucht. Ein Punkt vorweg: Wer auch immer bei der ARD die Reihenfolge der Episoden festgelegt hat, muss an dem Tag einer Sinnestäuschung aufgesessen sein. Eigentlich möchte man schon nach der ersten Folge gar nicht mehr weiterschauen, weil die wirre Mischung an Thesen, Anekdoten, Punchlines und Bildern so krude ist, dass man nur noch erschöpft nach der Fernbedienung sucht. Als Anfang funktionieren Folge 3 und 4 wesentlich besser, viele der Interviewpassagen erzählen wenigstens eigene, persönliche Geschichten.


Wer auch immer bei der ARD die Reihenfolge der Episoden festgelegt hat, muss an dem Tag einer Sinnestäuschung aufgesessen sein.


Diese Serie läuft nicht auf einem Musiksender, der bei seinem Publikum eine gewisse Sachkenntnis voraussetzen kann, sondern in der ARD, produziert vom Hessischen, Mitteldeutschen und Südwestdeutschen Rundfunk. Wer mit dieser Doku 30 Jahre deutsche Club- und Musikgeschichte besser verstehen will, wird schlichtweg allein gelassen.

Stattdessen tauchen diverse Talking Heads auf. Dabei machen Personen wie Ata, Dimitri Hegemann, Roman Flügel, Monika Kruse, Claudia Schneider, Alan Oldham oder Sven Väth für sich gar nichts falsch. Im Gegenteil, es sind Leute, die kompetent und sympathisch von sich und der Szene aus der Zeit erzählen können. Allein Sven Väth hätte auch nur über seinen Wollpullover reden können und selbst das hätte für Zuschauer von sieben bis 77 Jahren einen gewissen Unterhaltungswert gehabt. Aber es fehlt nahezu über die gesamte Laufzeit jegliche Form von inhaltlicher oder historischer Einordnung. Motto: Mikro ist an, sag’ mal was.

Handwerklich schwer nachvollziehbar ist auch, dass manche Interviewpartner:innen nur für ein oder zwei Sätze zu Wort kommen, ohne jede Einleitung oder Erklärung. Dafür scheint die Körpergröße einer Frankfurter Türsteherin deutlich wichtiger zu sein. Verloren wirken dagegen Personen wie zum Beispiel Upstart und Dorothea Zenker, die zum Club Ultraschall in München einige wenige Oneliner beitragen dürfen. Dabei muss es definitiv mehr Material gegeben haben, wie mir Monika Kruse, die insgesamt zwei Stunden interviewt wurde, persönlich versicherte. Auch wenn es durchaus üblich ist, im Schnitt von gedrehtem Material nur kurze Passagen zu verwenden, wirkt gerade die seltsame Themengewichtung in den acht Folgen wie eine Serie von Fehlentscheidungen, die fortlaufend Verwirrte und Enttäuschte zurücklässt.

Illustration: GROOVE/ Bild: HR/Thomas Niedermueller

Dabei zeigen die vom MDR produzierten Folgen 5 und 6 durchaus, wie man es richtig machen kann, ohne sich in den Details zu verlieren. Beide Episoden über die Szene im Osten Deutschlands sind wesentlich besser geschrieben, produziert, gefilmt, über weite Strecken in ihrer Machart ziemlich makellos. Was sofort auffällt: Hier gibt es allein schon wegen der persönlichen Vorstellung der Protagonist:innen einen roten Faden, der den ersten vier Folgen völlig fehlt. Hätte nicht dieses einfache Stilelement wenigstens vorher festgelegt werden können? In den Statements und Geschichten dieser beiden Folgen wird zum ersten Mal herausgemeißelt, warum elektronische Musik gerade nach der politischen Wende als Befreiung wahrgenommen wurde und welche sozialen Konsequenzen – und unternehmerischen Risiken – der Betrieb eines Clubs haben kann. Auch die inhaltliche Klammer mit Insomnias „God is a DJ” und dem Statement eines Pfarrers über Techno zeigen, dass Aussagen von Menschen, die nicht Teil der Szene sind, hilfreich sind, wenn man Musik und Phänomen erzählen will.


Zum Abschluss wirkte die Doku wie ein nicht endender Werbe- und Imagefilm, für den man das Pressematerial der Festivalleitung kopiert hat.


Zum Abschluss versuchen Folge 7 und 8 Ähnliches mit dem Blick auf die Geschichte der Nature One, einem Festival im Hunsrück. Jedoch wirkt dieser Teil wie ein nicht endender Werbe- und Imagefilm, für den man das Pressematerial der Festivalleitung kopiert hat. Auch die Talkrunde mit Protagonisten wie DJ Dag oder Paul van Dyk hat jenen ganz speziellen Charakter eines Ehemaligen-Treffens, das merklich angestaubt wirkt.

War Techno nicht mal angetreten, diesen unvermeidlichen Blick ins Gestern hinter sich zu lassen? Forward ever, backwards never? Wenn man weiß, was eine wirklich gute Doku in einem auslösen kann, wird man Techno House Deutschland über weite Strecken leider nur wie eine Materialsammlung empfinden, die von der ARD trotzdem durchgewunken wurde, weil man das Sommerloch und den Content-Plan füllen wollte. Und dazu kann man noch sagen, was „für die jungen Leute” getan zu haben. Positiv gesehen bleibt die Aufgabe einer guten Doku-Serie somit noch als offene Position bestehen, doch es darf befürchtet werden, dass ein Budget dafür erst wieder im nächsten Jahrzehnt angesetzt wird. Dann würde ich auch gerne erfahren, warum der Nebel von damals mal nach Marshmallows oder eben Metall geschmeckt hat.

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