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Am Start: Simona Zamboli

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Simona Zamboli (Foto: Presse)

Ihr größter Traum sei es immer gewesen, sich einmal in einer anderen Dimension wiederzufinden, erklärt Simona Zamboli. Was uns irdischen Wesen meist versagt bleibt, ist Zamboli durch die Musik, durch ihre Arbeit als Produzentin und Sound Engineer gelungen. Wie genau die Italienerin mit ihren experimentellen Live-Sets und ihren Alben Ethernity und Loisirs einen Ausbruch aus dem Alltag und eine Reise in ein musikalisches Paralleluniversum unternimmt, ist nur eines der Themen, über die sie mit unserer Autorin Celeste Lea Dittberner gesprochen hat.

So abstrakt und entrückt manche Ideen Zambolis wirken, so konkret ist ihre Karriere. Mit Veröffentlichungen auf Detroit Underground und Mille Plateaux hat sie einen eigensinnigen Mix zwischen Avantgarde und Techno geschaffen, mit dem sie sich lokal und international einen Namen gemacht hat. Eine handfeste politische Botschaft hat ihre Musik auch: Zamboli rechnet sich zur feministischen Emanzipationsbewegung in der elektronischen Musik. In welcher Beziehung diese politischen Investments zu ihrer Faszination für die Unendlichkeit mit einem Hang zur Melancholie stehen, erläutert Zamboli, indem sie die Brüche und Widerstände ihres Werdegangs offenbart.


Kaum betritt Zamboli den digitalen Raum, strahlt eine junge Frau mit blau gefärbten Haaren in die Kamera, die vor Lebensenergie nur so sprüht. Bevor wir auf ihre Musik zu sprechen kommen, erklärt sie, wie man im Italienischen den Vornamen Celeste ausspricht und übersetzt dessen Bedeutung. Nachdem ich erfahren habe, dass mein Name „Die Himmlische” bedeutet und auch als Bezeichnung für die Farbe Himmelblau verwendet wird, erkundige ich mich nach dem Zusammenspiel der beiden Alben Ethernity und Loisirs.

In beiden Produktionen lassen sich Parallelen erkennen, die darauf hinweisen, dass die Alben möglicherweise eine gemeinsame Storyline verfolgen, in der auch die Titel eine spezielle Rolle spielen. Die LPs klingen beide sehr räumlich und futuristisch, Ethernity etwas ruhiger und weniger basslastig als Loisirs.

Simona Zamboli (Foto: Presse)

Loisirs ist eine Synthese aus dem Album Ethernity und ihrer in Italien produzierten und gespielten Live-Sets. Mit dem Detroit-Underground-Album konnte sie ihrer musikalischen Persönlichkeit und Entwicklung einen Rahmen geben, erklärt Zamboli. Auf Ethernity manifestiere sich hingegen eine Kombination fundamentaler Wesenszüge ihres Naturells. Es spiegelt ihre melancholische Veranlagung wie auch ihre stets positive Sichtweise der Dinge wider.

Melancholie und dennoch eine positive Sichtweise – das lässt sich nur auf höchster Ebene vereinen. Kein Wunder, dass Zamboli da philosophisch wird: „Äther bedeutet für mich, dass ich mich in einem Raum befinde, der nicht physisch ist, aber für immer existieren kann. Nicht im Hier und Jetzt, aber irgendwo und für immer. Das ist das Gefühl, das ich mit meiner Musik erzeugen möchte.”

Zamboli musste ihren eigenen Weg finden und sich als Frau alleine durch ihr männerdominiertes Studium schlagen. Insofern fühlte sie sich wie eine Kämpferin, stark, und doch isoliert.

Ebenfalls überrascht es nicht, dass die junge Künstlerin ihre Musik keiner Kategorie zuordnen möchte, sondern vielmehr den stetigen Wandel und die Unvergänglichkeit in Bezug auf grenzenlose Reichweite thematisiert, die eben auch im Äther, jener hypothetischen Substanz, durch die sich Licht ausbreitet, zu finden ist. Ihre Musik eingrenzen möchte sie unter keinen Umständen, da sie sich nicht nur auf ein Genre spezialisieren, sondern auch in anderen Bereichen experimentieren möchte. So wie das Mille-Plateaux-Album Ethernity überwiegend der Avantgarde zugeordnet werden kann, macht sie mit Loisirs einen Schritt in Richtung IDM und kombiniert neue Produktionen mit Merkmalen des Vorgängers.

Das Publikum als Stimmungs-Spiegel

Mit Ethernity hat Zamboli eine lange Reise durch die Welt der Produktion elektronischer Musik unternommen, und erst in der Entstehungsphase von Loisirs sei sie am Ziel dieser und eines neuen technischen Verständnisses angekommen, erklärt sie. Aus diesem Grund habe sie sich während der Produktion von Loisirs auch weitaus freier und unbeschwerter gefühlt als bei Ethernity, das seinen Ursprung bereits im Jahr 2018 hat.

Verzerrungen und düstere Klänge charakterisieren ihre musikalische Signatur. Die Kombination der doch sehr anamorphotischen Beats, der unregelmäßigen Rhythmen und der sehr gefühlvollen Melodien, die einer ruhigen Linie folgen, verwandelt die Finsternis in ihrer Musik in eine angenehme Nostalgie. Sie steigert die verträumte Sehnsucht nach vergangenen – oder auch zukünftigen – Glücksmomenten.

Davon abgesehen reflektiere der Duktus ihrer Produktionen auch ihren eigenen sehr emotionalen Charakter, erzählt die Künstlerin. Ihre dunklen und traurigen Seiten offen darzulegen, falle ihr nicht gerade leicht. Das gelinge ihr nur durch ihre Kunst.

Simona Zamboli (Foto: Presse)

Simona Zamboli erzählt, dass ihr im Anschluss an frühere Auftritte häufig gesagt wurde, dass ihre Musik eine sehr deprimierende Wirkung habe. Zu dieser Zeit war es allerdings auch noch gar nicht ihre Intention, Tanzmusik zu produzieren. Jetzt, wo Auftritte vor Publikum wieder realisierbar sind, will sie jedoch auch ein paar Sets spielen, die für die Tanzfläche geeignet sind – allerdings ohne ihren Stil dafür radikal zu ändern. Besagte Kritik, der sie häufig ausgesetzt ist, sei auch der Grund, weshalb sie sich selbst manchmal wie eine Eremitin in der italienischen Elektronik-Szene fühle, erzählt sie. In diesem Zusammenhang ist das neue Album, Loisirs, nach Ethernity und ihren Live-Performances, der Versuch, ihre Musik einem breiteren Publikum näher zu bringen.

Die Hörer:innen seien für sie eine Art Stimmungs-Spiegel, an dem sie sich orientieren kann, so Zamboli. Und trotzdem werden dunkle Emotionen immer ein Teil ihrer Musik bleiben, selbst wenn sie dafür Beschwerden erntet. Sie erzählt lachend von einer Situation, in der ihr vorgeschlagen wurde, sie solle doch mal in der Morgensonne spielen – das würde bestimmt die Stimmung ihrer Sets aufhellen.

Ziemlich anmaßend. Für Zamboli sei das jedoch nicht so schlimm, versichert sie. Sie stehe zu ihrer Musik, und Melancholie sei nun mal der Teil, der sie ausmache. Ihrer Meinung nach kann niemand ein Genie sein, ohne auch mal durch eine dunkle Periode im Leben gegangen zu sein. Nur so lerne man, sich selbst zu lieben und aus dem Innersten zu strahlen.

Dabei spielt für sie die Musik eine zentrale Rolle. „Meine Musik ist sehr gefühlvoll”, erklärt sie. „Die Düsterkeit der Produktionen drückt zwar etwas Negatives aus, aber dadurch entsteht auch ein Bezug auf das Positive, sozusagen als Gegenstück.”


Das würde ich machen, wenn ich keine Musikerin wäre:
„Ich wäre gerne eine Art Detektivin, egal in welcher Hinsicht. Ich liebe es auch, zu zeichnen und zu malen, allerdings bin ich viel zu chaotisch, um hauptberuflich Bildende Künstlerin zu sein.” (Simona entwirft die meisten ihrer Albencover selbst)

Wohnort:
Seit 2018 lebe ich in Mailand. Geboren und aufgewachsen bin ich in einer kleinen Stadt in der Nähe von Neapel. Ich liebe meinen Heimatort immer noch, vor allem die Landschaft und den Kontrast zwischen den Bergen und der Küste. Irgendwann brauchte ich aber einfach einen Ortswechsel, denn die Leute dort hängen einfach zu sehr in veralteten Denkmustern fest.

Seit wann am Produzieren:
Seit 2019. Mein erster Release Take Your Time Hurry Up war komplett selbst produziert und wurde auch von mir veröffentlicht, das erste Album Hyber Nation allerdings von Silent Method Records.

Diesen Track höre ich zurzeit gerne:
Der Track „Please Leave Me Alone” von Tommy Cash hat schon am Anfang meiner Karriere einen großen musikalischen Einfluss auf mich ausgeübt. Besonders gefällt mir der zerpflückte Beat und der dunkle melodische Part. Der Song ist immer noch eine Inspirationsquelle für mich.


Musik hat Simona Zamboli auch als Teenager immer begleitet, damals hörte sie überwiegend Punk, Hardcore Punk und Progrock wie Led Zeppelin und Tool. Elektronische Musik entdeckte sie mit ungefähr 16 Jahren für sich, als sie zum ersten Mal Aphex Twins „Come To Daddy” im Nachtprogramm eines Musiksenders sah. Am stärksten hätten sie in ihrer musikalischen Entwicklung aber Pan Sonic, Senking und Autechre beeinflusst, schwärmt sie. Aber auch Stile wie Minimal Techno, Doom Ambient, Grime und ein Sound, den sie Sad Hardcore nennt.

Während ihres Musiktechnik-Studiums wusste sie noch nicht, wohin es gehen sollte, geschweige denn wer sie eigentlich ist und was für Interessen sie vertritt. Sie erzählt, dass sie viel zu schüchtern gewesen sei, um sich selbst richtig auszudrücken. Damals lebte sie in ihrer eigenen kleinen Welt und habe sich gefühlt, als sei sie eine Art Walküre, eine nordische Sagengestalt. Zamboli musste ihren eigenen Weg finden und sich als Frau alleine durch ihr männerdominiertes Studium schlagen. Insofern fühlte sie sich wie eine Kämpferin, stark, und doch isoliert.

Eine Art Vorbildfunktion

So wie sie im Gespräch wirkt, ist das eigentlich kaum vorstellbar. Zamboli scheint offen, mitteilungsfreudig und extrem ambitioniert in dem, was sie tut. Damals in ihrem Studium sei sie aber fast nur von Männern umgeben gewesen und fühlte sich deshalb wie ein Fremdkörper. Das habe sie verunsichert, erklärt Zamboli. Die patriarchalischen Strukturen in ihrem Studiengang und der gesamten Industrie haben sie damals sehr eingeschüchtert. Darunter musste schließlich auch ihre Kreativität leiden.

Als sie dann irgendwann ihre ersten Synthesizer kaufte und anfing, sich autonom das Komponieren beizubringen, veränderte sich auch ihr Selbstbild. Sie realisierte, dass sie die nötige Kreativität und das Talent besitzt, um Musik zu produzieren. Nach kurzer Zeit traute sie sich auch, ihre Musik auf Soundcloud zu veröffentlichen und sich mit anderen Leuten aus der Szene zu vernetzen. Sie fing nicht aufgrund ihres akademischen Wissens an, Live-Sets zu spielen, sondern weil sie in der Zeit gelernt habe, sich selbst zu lieben, so Zamboli.

Oftmals habe Zamboli das Gefühl verspürt, sich irgendwo unter dem Radar zu befinden, ungesehen und ungehört.

Besonders stolz sei sie auf den Mille-Plateaux-Release von 2021. Hätte sie sich doch niemals erträumen können, eines Tages selbst von ihrem Lieblingslabel aufgenommen zu werden. Mille Plateaux ist seit den Neunzigern eines der bedeutendsten Labels für experimentelle elektronische Musik und hat Zamboli enorm inspiriert. Der Gründer des Labels, Achim Szepanski, habe viel Vertrauen in sie und in ihre Produktionen gehabt, erzählt sie stolz. Das steigerte einerseits ihr Selbstbewusstsein, und andererseits begann sie daran zu glauben, irgendwann vielleicht selbst etwas Revolutionäres erschaffen zu können.

Nach ihrem Studium des Sound Engineerings begann sie nicht nur, elektronische Musik zu produzieren, sondern auch für eine Werbefirma als Broadcast Engineer zu arbeiten – sie übernahm das Mixing und Mastering von Werbe-Audios. Diese Tätigkeit verkörpere den technischen Teil von ihr, so Zamboli. Unabhängig von diesem Job produziert sie auch Werbemusik – unter anderem für Coca Cola, L’Oreal oder Vichy. Das ist im Gegensatz zu der Musik, die sie für sich selbst produziert, sehr kommerziell. Allerdings mag sie die Abwechslung. 

Ein Werbeclip, musikalisch unterlegt von Simona Zamboli

Auf die Frage, ob sie eine Inspiration für junge Künstlerinnen sei, antwortet sie, dass sie häufig von Musikerinnen über die sozialen Medien kontaktiert werde. Das mache sie glücklich, auch, weil sie sich am Anfang ihrer Karriere gewünscht hätte, nicht ganz alleine dazustehen. Das Gefühl der Einsamkeit begleite sie selbst schon sehr lang, weshalb sie großen Wert auf Solidarität lege. Sie freue sich darüber, eine Art Vorbildfunktion einzunehmen, denn das impliziere ja auch, dass ihre Arbeit gesehen und bewundert wird. Oft dachte sie, dass sie eher irgendwo unter dem Radar zu finden sei, fühlte sich ungesehen und ungehört.

So sieht sie jetzt nicht nur in ihrer eigenen musikalischen Entwicklung Fortschritte, sondern auch einen strukturellen Wandel innerhalb der Szene, der so langsam an den vorherrschenden patriarchalen Formen kratzt. Sie will ein Teil dieser Bewegung sein und freut sich, wenn sie ihren Part dazu beitragen oder anderen eine Stütze sein kann. Dies tut sie auch, indem sie sich mit anderen weiblichen Artists zusammenschließt, zum Beispiel über das Kollektiv female:pressure, das sie voriges Jahr im Juli zu einem Showcase im Mensch Meier in Berlin einlud. Für die Zukunft seien gemeinsame Projekte mit anderen Künstlerinnen geplant, erzählt sie stolz. Die junge Produzentin scheint es sehr zu genießen, mit Frauen zusammenzuarbeiten, und betrachtet weibliche Künstlerinnen wie Aïsha Devi als Vorbilder. 

Man könne jeden existierenden Buchstaben aus dem Alphabet nutzen und daraus eine neue Sprache formen. So habe sich die Avantgarde auch aus bereits bestehenden Genres herauskristallisiert, erklärt Zamboli.

Zum Schluss kommt sie noch mal auf ihre Produktionen zu sprechen. Als ihr einmal gesagt wurde, dass sie eine der wenigen Personen sei, die es schafft, Industrial mit weicheren IDM-Klängen zu mixen, sei das eines der schönsten Komplimente gewesen, das sie je erhalten habe, so Zamboli. Sie liebe nun mal Hybride aus sphärischen, moody Sounds, sehr harten und rauen Klängen und soften, süßen und humanen Parts.

Simona Zamboli (Foto: Presse)

„Musikalische Avantgarde ist kein neuer, sondern ein primitiver Begriff”, denn avantgardistische Musik ist für sie eine Art Sprache, die neuen Wind ins Jahrhundert weht und ein vollkommen neuartiges Hörerlebnis evoziert. „Avantgarde ist ein Begriff aus der Vergangenheit, der in die Zukunft weist”; so wie man jeden bereits existierenden Buchstaben aus dem Alphabet nutzen und daraus eine neue Sprache formen könne, so hätte sich auch die Avantgarde aus bereits bestehenden Genres herauskristallisiert, erklärt sie.

Apropos Zukunft – gibt es bereits konkrete Pläne? Zunächst möchte Zamboli sich auf ihre Live-Sets fokussieren und habe schon einige Termine für Gigs in Italien und Mexiko in Aussicht, erzählt sie. Für die kommenden Alben strebe sie an, etwas komplett anderes zu machen, um die Hörer:innen mal ein wenig zu überraschen. Was, will sie nicht verraten. Bevor sie sich mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht verabschiedet, fügt sie noch schnell hinzu, dass ihr eines ganz wichtig sei: Sie möchte sich dennoch immer treu bleiben.

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