Emeka Ogboh – 6°30ʹ33.372ʺN 3°22ʹ0.66ʺE (Danfotronics)

Den Rhythmus im Geschnatter finden, Melodie im Hupen von Bussen hören, Verkehrsrauschen wie Synth-Pads behandeln – einen Ort in acht Tracks komprimieren. Emeka Ogbohs aktuelles Album porträtiert den Busbahnhof Ojuelegba in Nigerias größter Stadt, Lagos, klanglich.

Während sein vorheriges Album Beyond The Yellow Haze, das im letzten Jahr noch über Ostgut Ton veröffentlicht wurde, sich mit Geräuschen aus ganz Lagos beschäftigte, zoomt sein neuestes Werk von der Makro- auf die Mikroebene und steckt die Nadel genau auf 6°30ʹ33.372ʺN 3°22ʹ0.66ʺE – die Koordinaten besagten Busbahnhofs.

Mit künstlerischer Virtuosität formt und transkribiert Ogboh Field Recordings und Interviews aus verschiedenen Stellen in und um den Busbahnhof zu einer Art auditiver Topografie. Beim Hören entsteht ein Bild des Ortes im Kopf: Welche Menschen dort umherschwirren und welche Geschwindigkeit dort herrscht. Es ist so, als wäre man mit Ogboh dort und würde sich dem Trubel hingeben. Das Album, das über Ogbohs neu gegründetes Label Danfotronics erscheint, wird zu einer Aufzeichnung von Ogbohs Suche nach Struktur und Rhythmus in der anarchischen, großstädtischen Hektik.

6°30ʹ33.372ʺN 3°22ʹ0.66ʺE fügt sich geschmeidig in Ogbohs Gesamtwerk ein. Seine Arbeiten sprechen die Sinne an und befassen sich oft mit öffentlichen Räumen. In einer Installation im Gropius Bau in Berlin in diesem Jahr rekreierte der Wahlberliner das Erlebnis eines typischen Marktplatzes in nigerianischen Dörfern. Für die documenta 14 konzipierte Ogboh 2017 ein Bier, das Gemeinschaft über geteilte Erinnerungen an Geschmack symbolisieren soll. Es sind meist bestimmte Orte, die über Sinneserfahrungen greifbar gemacht werden. Private, öffentliche, kollektive Erinnerungen und Historien werden dabei in Klang oder Geschmack überführt oder kodiert. Seinem aktuellen Album ist zudem eine Karte beigefügt, auf der die genauen Aufnahmeorte mit Tracktiteln vermerkt sind.


Mit einer Begierde, die Wirklichkeit des Ortes zu fassen, ist eine Aufzeichnung der sozialen, kulturellen, historischen und geografischen Aspekte des Busbahnhofs Ojuelegba entstanden.


Der Busbahnhof Ojuelegba ist der ehemalige Standort eines heiligen Schreins für Eshu, den Gott der Yoruba für Tanz und Verwirrung. An einer großen Kreuzung gelegen, ist die Haltestelle Dreh- und Angelpunkt des Geschehens in der Nachbarschaft. Mit diesem Ort als Ausgangspunkt interviewte Ogbohs verschiedene Fahrer der typisch gelben Danfo-Busse, wodurch eine verbale Abbildung der Nachbarschaft anhand mündlicher Beschreibung der Busrouten, von Essen, spiritueller Geographie, Geschichte und Prostitution entstand. Gesprochen wird in Nigerian Pidgin, einer dort dominanten Kreolsprache, die auf Tracks wie „Verbal Drift” mit seinen in mehreren Loops übereinandergelegten Interviewpassagen besonders zur Geltung kommt.

An anderer Stelle, auf „Oju 2.0”, fügt Ogboh dem ständigen Lärm des Busbahnhofs ein dezentes Knistern und Ploppen hinzu, das die Allgegenwärtigkeit und Fülle des Klangs unterstreicht. Aus dem Gemenge aus Unterhaltungen, Hupen, dem Aufheulen von Motoren und Durchsagen entsteht eine Art immersiver Ambient urbaner Klänge. Während meist der Dunst des Lärms im Vordergrund steht und die beigefügten Elemente – langsam scheppernde Drums und entzerrte Synths – das Geschehen akzentuieren anstatt überschatten, kann man aus „No Counterfeit” die Techno-Anleihen heraushören, und „We Dia Hia” winkt Dub zu.

Ogbohs Ansatz für sein aktuelles Album ist ein durchaus explorativer. Mit einer Begierde, die Wirklichkeit des Ortes zu fassen, ist eine Aufzeichnung der sozialen, kulturellen, historischen und geografischen Aspekte des Busbahnhofs Ojuelegba entstanden. 6°30ʹ33.372ʺN 3°22ʹ0.66ʺE ist eine auditive Topografie des Ortes, die dessen Subjekte, Objekte, Geschichte und Sprache umfasst – ein erlebbares Klangartefakt, das in persönlicher Erfahrung Ogbohs und objektiver Zugänglichkeit durch Klang aufgeht. Louisa Neitz

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