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Huerco S.: „Ich mache keine Musik, um Leute zu heilen”

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Huerco S. (Foto: Kasia Zacharko)

Mit seinem Opus Magnum For Those Of You Who Have Never (And Also Those Who Have) steht Huerco S. für ein neues Interesse an avancierter elektronischer Musik in den USA. Obwohl sich der Künstler aus Kansas hinter kryptischen Pseudonymen wie Autobouncer620, Bell Le Roy, Independence Ave. Orchestra, Mio Mio oder Royal Crown Of Sweden versteckt, entwickelte sich der oben genannte Release zu einem der wenigen Ambient-Alben der 2010er, das auch außerhalb der Szene Anerkennung fand.

Dass für den Musiker, der bürgerlich Brian Leeds heißt, Aufmerksamkeit und Erfolg kaum eine Rolle spielen, zeigt sich auch daran, dass er selten auftritt und kaum Interviews gibt. Unserem Autor Leopold Hutter beantwortete er via E-Mail eine Reihe von Fragen, die einen Einblick in seine Gedankenwelt, seine Arbeitsweise, und sein Hobby – ein Mercedes-Benz 190e von 1993 – geben.


Es ist manchmal nicht leicht, ein Fan von Huerco S. zu sein. Zugänglich ist seine Musik nicht gerade. Hier bricht ein Track abrupt und ohne Warnung ab, dort versinkt einfach alles in statischem Rauschen. Dann gibt es jahrelang nichts Neues, bis man endlich erfährt, dass da doch wieder eine neue Veröffentlichung unter anderem Namen erschien. Doch irgendwie hat das auch etwas Belohnendes, sich bei der Recherche mit immer neuen Abzweigungen des Schaffens des Künstlers auseinanderzusetzen, schließlich eine deutliche Handschrift zu erkennen und sogar festzustellen, dass die eigene Sammlung bereits deutlich mehr seiner Werke umfasst, als man dachte. Genauso schwierig zu greifen wie seine Musik ist die Person dahinter. Nach mehreren vergeblichen Versuchen meldet sich Brian Leeds endlich via E-Mail zurück und liefert die versprochenen Antworten. Mit Informationen hält er sich trotzdem lieber bedeckt.

Huerco S. in Berlin (Foto: unbekannt)

Auch eine Eigenschaft, die sich widerspiegelt im musikalischen Werk des Amerikaners, der sich seit seiner Highschool-Zeit im mittleren Westen der USA mit elektronischer Musik beschäftigt hat. Zwar spielte Leeds zuerst noch in Bands mit Einschlägen von Noise, Punk und Hardcore, danach wurde es aber immer schwieriger, sich zu gemeinsamen Proben zu treffen oder auf eine Stilrichtung zu einigen. „Ich suchte damals meinen eigenen Weg”, so Leeds, „und schließlich war es einfacher, meine eigene Musik zu machen als in einer Gruppe.”


Der Begriff Outsider House ist in aller Munde, versucht, die trippigen Lo-Fi-Sounds aus Brooklyn und Co.  zu umschreiben. 


Das früheste eigene Material — inspiriert von Freunden wie Pontiac Sterator und vor allem dem Genre Liquid-Drum’n’Bass — ist mit der Löschung von MySpace wohl für immer in die digitalen Jagdgründe eingegangen. Ein paar auf einer CD von 2012 veröffentlichte atmosphärische Jungle-Tracks lassen noch erahnen, womit sich Leeds damals beschäftigte.

Zu dieser Zeit studierte er bereits visuelle Künste an der Uni. „Hauptsächlich Keramik, Glasbläserei und Bildhauerei. Ich hatte aber kein Interesse, daraus einen Job zu machen, und dachte auch nicht, dass ich das mit der Musik irgendwann tun könnte. Das waren einfach Dinge, die mir Spaß gemacht haben.”

Huerco S. (Foto: unbekannt)

Schließlich gelangen seine Tracks aber doch an die richtigen Leute, und spätestens mit „Apheleia’s Theme” auf Future Times landet er 2013 so etwas wie einen Underground-Hit. Der Begriff Outsider House ist in aller Munde, versucht, die trippigen Lo-Fi-Sounds aus Brooklyn und Co. zu umschreiben. Kollege Anthony Naples und Huerco S. sind plötzlich Quasi-Aushängeschilder eines Genres, gegen dessen Label sie sich vergebens zu wehren versuchen.

Sein Debütalbum Colonial Patterns folgt wenig später und traut sich, noch abrasivere elektronische Klänge in den Topf zu werfen. Spätestens jetzt ist klar: Hier produziert einer, der auf keine schnelle Wiederholung eines Dancefloor-Erfolges aus ist, sondern eine künstlerische Handschrift weiter ausbauen möchte. Die nächsten paar EPs, viele davon auf Anthony Naples’ Proibito erschienen, bewegten sich immer weiter weg vom Dancefloor. Zwar pulsierte da immer noch irgendwo ein schwacher Puls, aber es drehte sich schon lange nicht mehr um die Beats – sondern vielmehr um die komischen Geräusche und unter dichter Atmosphäre begrabenen Melodien.


Ein Hörerlebnis wie ein endloser Tunnel, in den nur gelegentlich ein Schimmer von Licht fallen darf.


Das zweite Album For Those of You Who Have Never (And Also Those Who Have) führte diese Entwicklung stringent fort und wurde vielerorts als die Ambient-Sensation des Jahrzehnts gepriesen. Eine neue Weiche, die Huerco S. plötzlich den Stempel als der Ambient-Typ aufdrückte, den er weder haben wollte noch bedienen konnte. „Das hängt mit dem (ein)gängigen Narrativ zusammen, das Ambient-Musik oft angehaftet wird. Ich mache keine Musik, um Leute zu ‚heilen’. Diese gewollt gesamtheitliche Perspektive auf Ambient interessiert mich gar nicht. Ich will lieber, dass die Leute konzentriert zuhören und somit ihre ganz eigene Erfahrung machen können.”

Huerco S. (Foto: Native Instruments)

Tatsächlich bewegt sich Leeds’ Interpretation von Ambient weit abseits einer nichtssagenden Hintergrunddudelei. Stattdessen sind es vielschichtige, oft sehr lange Stücke, in denen sich einzelne Elemente nur langsam bewegen oder aus dem Hintergrund auftauchen, um dann wieder mit ihm zu verschmelzen. Und auch wenn sich dabei teilweise hypnotisierende, einwiegende Melodien aus den Tiefen zwischen Tape-Delay und Rauschen herausschälen – Leeds produzierte das Album angeblich, um sich selbst beim Einschlafen auf Langstreckenflügen zu helfen –, so stößt man beim Durchhören immer wieder auf unerwartete, nicht gerade eingängige Überraschungen.


Den Dancefloor hat Leeds mit seinem aktuellen Album Plonk zwar nicht im Auge. Aber ein Ursprung im Clubkontext wird wieder erkennbar.


Die beiden letzten LPs produzierte Leeds unter dem Pseudonym Pendant. Der vorherrschende Ton dieser Alben scheint fast wie die provokative Antwort auf den vorangegangen Ambient-Erfolg. Die Elemente sind noch düsterer, das Hörerlebnis fühlt sich noch obskurer und herausfordernder an: wie ein endloser Tunnel, in den nur gelegentlich ein Schimmer von Licht fallen darf.

Plonk [Review] hingegen, gerade auf Anthony Naples’ Incienso erschienen, ist so etwas wie die teilweise Rückkehr zu den Wurzeln von Huerco S. Im Fokus stehen diesmal wieder perkussive Elemente, deren deskriptiver Terminus Plonk zum Titel des Album wurde. „Der Name stand schon früh fest, fast noch vor den Songs selbst. Er beschreibt die Art von Sounds, die ich machen wollte.” Rhythmisch bewegen sich die Plinks und Plonks mit einer jazzigen Freiheit, die mal auf, mal abseits des Grids verläuft. „Ich wollte, dass diese Platte präziser und knackiger wirkt als ihre Vorgänger”, so Leeds.

Huerco S. in Kansas City (Foto: Atonal)

Den Dancefloor hat er dabei zwar nicht im Auge, aber es wird doch wieder ein Ursprung im Clubkontext erkennbar. Schlussendlich ist es eine abwechslungsreiche Sammlung an Plonk-Sounds, die lediglich dem eigenen Anspruch an die Erforschung von Klang gerecht zu werden versucht — und das auf unterhaltsame wie kohärente Art und Weise schafft. „Das ist ein Update meiner Soundpalette, beeinflusst von der Musik, dich ich höre, und die notwendige Weiterentwicklung des Huerco-S.-Alias.”


Leeds geben die unterschiedlichen Pseudonyme mehr Freiheit, sie lassen ihn leichter mit Erwartungen brechen, die ein bestimmter Alias hervorrufen könnte.



Neben diesem Projekt und Pendant hat Leeds über die Jahre noch einige weitere Namen benutzt, darunter Bell Le Roy, Independence Ave. Orchestra, Loidis, Mio Mio und Royal Crown Of Sweden. „Vielleicht ist es naiv, anzunehmen, dass Leute, die meinen kreativen Output verfolgen, auch meine anderen Aliasse kennen”, gibt er auf die Frage nach möglichen Verwirrungen zu, „aber es gibt da keine große Geheimniskrämerei. Ich will weder die größte Aufmerksamkeit noch meine vergangenen Erfolge maximal ausschlachten. Mir war schon immer nur das Erforschen von neuen Klängen wichtig.”

Die unterschiedlichen Projekte helfen ihm dabei, Ideen auseinanderzuhalten und mit einer diversen Klangpalette zu arbeiten: „Die Aliasse grenzen in der Regel ein Genre oder bestimmte Sound-Charakteristiken voneinander ab. Bei manchen Projekten steht der Name schon vor der ersten Aufnahme fest, andere kommen erst, nachdem ich Zeit hatte, das Material auch wirklich zu verdauen.” Leeds geben die unterschiedlichen Pseudonyme mehr Freiheit, sie lassen ihn leichter mit Erwartungen brechen, die ein bestimmter Alias hervorrufen könnte.

Huerco S. (Foto: unbekannt)

Ob nach Plonk nun wieder mehr rhythmische Huerco-S.-Platten im Stile der New Yorker Jahre in der Pipeline sind? Zur Zeit lebt Leeds wieder in Kansas, in der Nähe seiner Familie. Eine Rückkehr zu den Dancefloor-Produktionen hält er für unwahrscheinlich: „Die Vergangenheit ist für mich genau das – vergangen. Ich glaube nicht, dass ich mich dem nochmal annehmen werde. Ich bin einfach durch mit dem Sound. Vielleicht mache ich irgendwann nochmal eine Loidis-Platte, aber ehrlich gesagt höre ich kaum noch House-Musik und wüsste auch gar nicht, was ich da noch beizutragen hätte.” Kollaborationen mit alten Weggefährten wie Anthony Naples schließt er aber nicht aus: „Ich habe immer Bock, mit anderen zusammenzuarbeiten, also wer weiß – vielleicht landen wir irgendwann gemeinsam im Studio!”


Leeds Workflow ist eine Mischung aus akribisch genauer Detailarbeit und glücklichen Zufällen, erklärt er.


Nach seiner Zeit in New York zog Leeds 2018 zuerst nach Paris, dann nach Berlin, wo das aktuelle Album Plonk im Winter 2019/20 kurz vor Ausbruch der Pandemie entstanden ist. „Zu 100 Produzent in der Box”, wie er sagt. Also komplett ohne Einsatz von Hardware. „Der Computer ist für mich das mächtigste Werkzeug.” Samples habe er seit seinem ersten Album 2013 nicht mehr benutzt. „Ich benutze zwar einzelne Sounds aus Drum-Kits, bastle dann aber weiter an ihnen herum. Ich sample lieber mich lieber selbst als andere.” Sein Workflow sei eine Mischung aus akribisch genauer Detailarbeit und glücklichen Zufällen. „Manche Tracks oder Melodien entstehen durch peinlich genaue Strukturierung und Komposition, andere sind einfach das Ergebnis von Zufallsgeneratoren. Ich mag es, diese Balance zwischen beiden Welten zu suchen und sie in meine Arbeit miteinzubeziehen.”

Huerco S. (Foto: Kasia Zacharko)

Abgesehen von der Musik pflegt Leeds auch eine ausgeprägte Leidenschaft für Autos, Motorsport und alles, was damit zu tun hat. „Vor Kurzem habe ich mir einen 1993er Mercedes-Benz 190 E gekauft. Der bringt mir jetzt die Feinheiten deutscher Ingenieurskunst bei und die Herausforderungen, die ein fast 30 Jahre altes Fahrzeug mit sich bringt.” Dieses Hobby schlägt sich auch auf der Website seines 2017 gegründeten Labels West Mineral Ltd. nieder. Im Stile des Internets der Neunziger wird dort ein fiktives Unternehmen angepriesen, dessen Geschäft aus der Raffinerie und Entwicklung von „Audio-Mineralen” besteht. Das Design orientiert sich deutlich am Motorsport, und auch Leeds’ Hintergrund als visueller Künstler scheint hier durch. Im Labelroster finden sich allerdings echte Künstler*innen — hauptsächlich aus dem eigenen Freundeskreis: „Ich ließ mich schon schon immer von meinen Freunden inspirieren und wollte ihr Talent zur Schau stellen. Wenn jemandem meine Musik gefällt, dann sind diese Leute direkt dafür verantwortlich. Das will ich mit allen teilen. Familie und Freunde sind extrem wichtig für mich, deshalb wirkt sich das auch auf meine Musik und mein Label aus.”


Abgesehen von der Absicht, in Zukunft mehr mit Rappern zusammenzuarbeiten, hält sich Leeds aber wie gewohnt bedeckt, was seine Pläne für die Zukunft angeht.


Mit dem Ausbruch der Pandemie stellte Leeds allerdings fest, dass viele in seinem musikalischen Umfeld nach neuen Ausdrucksformen oder schlicht finanzieller Stabilität suchten. In ihm regte das den Wunsch, seine berufliche Bildung vielleicht noch in andere Richtungen voranzutreiben: „Ich habe mit dem Gedanken gespielt; aber für US-Amerikaner ist die Universität immer noch ziemlich teuer. Am liebsten hätte ich einen Beruf, der mehr finanzielle Unabhängigkeit bringt und gleichzeitig noch mit meiner Liebe zur Musik vereinbar ist.”

Ob die neuen Formen des Musikvertriebs auch zu diesen Überlegungen beigetragen hätten? Als Künstler hat Leeds sowohl auf CD, Vinyl und sogar Kassette veröffentlicht. Seine Meinung zu den neuen, digitalen Veröffentlichungswegen fällt eher nüchtern aus: „Mir ist wichtig, dass man sehen und hören kann, wie eine Platte gemacht worden ist — nämlich als Ganzes! Beim Streaming geht das verloren, wenn immer nur ein Song als Teil des Endlos-Shuffles gespielt wird. Abgesehen von der schlechten Bezahlung für die Artists empfinde ich aber keinen größeren Groll gegenüber dem Streamen.”

Huerco S. (Foto: Kasia Zacharko)

In Zukunft sieht sich Leeds dafür deutlich mehr mit Rappern zusammenarbeiten, wie etwa auf „Plonk IX”; dessen flimmernder, stotternder Beat wird vom Rapper Sir E.U. mit Grime-artigen Vocals begleitet. „Ich hatte seine Musik durch Future Times schon länger auf dem Radar, und es hat einfach gepasst. Aber es ist ein Unterschied, ob du jemanden fragst, ob er auf deinem Song rappen möchte, oder tatsächlich einen Track zu schreiben, auf den dann gerappt werden soll! Letzteres will ich wirklich gerne öfter machen. Normalerweise schicke ich meine Melodien an Rap-Producer, und die verwenden sie dann in möglichen Kollaborationen.”

Abgesehen von dieser Spur hält sich Leeds aber gewohnt bedeckt, was seine Pläne für die Zukunft angeht: „Keine Spoiler, da müsst ihr einfach warten. Ich gehe aber ungern zurück, sondern gucke immer nur nach vorne.”

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