Talla 2XLC (Foto: Groove Ausgabe 14 von 1992)
Der junge Frankfurter Andreas Tomalla lebte Mitte der Achtziger in einer Wohngemeinschaft mit zwei buddhistischen Mönchen. Da seine Mitbewohner oftmals lautstark im Wohnungsflur ihrem Glauben huldigten, war es für den Studenten extrem schwierig, Besuch zu empfangen, weil er durch den Lärmpegel oftmals die Klingel nicht hören konnte. Also fasste sich einer der Glaubensbrüder ein Herz und schnitzte ein Klingelschild mit der Aufschrift „Talla 2 x LC”, wobei „Talla” für Tomalla und „2 x LC” für zweimal lange klingeln stand. Aufgrund der Tatsache, dass der Geistliche der deutschen Sprache nicht in Gänze mächtig war, kürzte er „Klingeln” kurzerhand mit dem Buchstaben C ab.
Eingefleischte Fans wissen es bereits, aber diese Geschichte ist natürlich völliger Quatsch und von Techno- und Trance-Visionär Talla 2XLC frei erfunden. In Wirklichkeit leitet sich der Name von der Kasettenbezeichnung XS60 ab.
Obgleich es auf den ersten Blick lediglich eine witzige Anekdote sein mag, so verdeutlicht sie doch, dass Tomalla bereits zu einer Zeit aktiv war, als Techno- und Trance-DJs noch in bester Rockstarmanier in der popkulturellen Medienlandschaft Rede und Antwort stehen mussten. Denn von Talla 2XLC lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass er in der aufblühenden deutschen Technoszene ab den frühen Achtzigern von Anfang an dabei war.
So war er es, der bei der Arbeit im Plattenladen City-Music als Erster die Kategorisierung „Techno” verwendete und damit nicht nur die Begrifflichkeit für ein ganzes Genre, sondern auch für die dahinterstehende Jugendbewegung prägte. 1984 rief er gemeinsam mit Matthias Haibach die Partyreihe Technoclub ins Leben, die weltweit als erste Veranstaltungsreihe gilt, auf der ausschließlich elektronische Musik gespielt wurde. Ab 1988 fand der Technoclub dann seine Heimat im heute legendären Dorian Gray, das sich bis zur Schließung an Silvester 2000 im Frankfurter Flughafen befand.
Auch wenn Tomalla heutzutage vor allem mit Trance assoziiert wird, dessen Popularität er ab Mitte der Neunziger maßgeblich mitprägte, so liegen seine elektronisch-musikalischen Anfänge im weitaus brachialeren EBM und Industrial. Er ist Gründungsmitglied der EBM-Bands Bigod 20 und Robotiko Rejekto, Wegbereiter der Armageddon Dildos und ebenfalls Schöpfer der Genre-Zweitbezeichnung Aggrepo (Aggressive Popmusik). Die Passion für den roughen Sound der frühen elektronischen Körpermusik spiegelt sich auch in seiner Selektion für die Groove-DJ-Charts vom März 1992 wieder.
Denn mit klassischem EBM wie Schnitt Achts „Grouch”, musikgewordenen Exorzismen auf Calva Y Nadas „Rascheln” oder elektronischen Arbeiter*innenliedern von Snog besteht die Liste fast ausnahmslos aus wahren Klassikern und ungehobenen Schätzen für alle, die nach Nitzer Ebb, Front 242 und The Invincible Spirit gerne etwas tiefer graben möchten. Lediglich Platz 1 mit Negrosex’ „Tekno La Droga” stellt eine Ausnahme dar und bietet einen wahnwitzigen Ausflug in frühe europäische Technoproduktionen.