Otik (Foto: Presse)

Breakbeats sind längst im Kommerzkontext angekommen. Aber auch im vermeintlichen Underground kocht man oft mit Rezepten, die schon vor einigen Jahrzehnten nicht ganz frisch waren. Anders Otik. Die Rhythmusskulpturen des Musikers aus Bristol sind echte Breakbeat-Science, die sich auch mit Heldentaten aus den Neunzigern messen kann.

Dabei erinnert nicht nur die Vertracktheit und Eigenständigkeit seiner Tunes, sondern auch sein eher verhaltener, leicht introvertierter Ansatz an Kollegen wie Nikki Nair oder Etch. Bisher ist Otik hauptsächlich als Recording Artist sichtbar, seit 2014 sind von ihm elf Maxis erschienen. In den letzten Jahren hat er versucht, sich auch als DJ zu etablieren – bis Corona ihm einen Strich durch die Rechnung machte.

Unsere Autorin Andrea Würtenberger erlebte im Gespräch einen Otik, der sich von der pandemiebedingten Auszeit nicht aus der Ruhe bringen ließ, sondern die Gelegenheit nutzte, um zu begreifen, wo er heute mit seinem Sound steht, und eine Zukunft zu planen, in der er einen unmittelbareren Kontakt mit seinem Publikum aufbaut.


Leider führten technische Schwierigkeiten dazu, dass Otik, bürgerlich Ashley Thomas, 20 Minuten auf den Beginn des Zoom-Calls warten muss und eine holprige Verbindung das Gespräch erschwert. Thomas lässt sich davon aber nicht irritieren oder verärgern, er reagiert entspannt – er habe heute genug Zeit und sowieso nichts Großes für den Abend geplant, sagt er lächelnd. Generell macht er einen gelassenen, ein wenig zurückhaltenden Eindruck, was meine Neugierde auf den Musiker, dessen Tracks nachhaltig faszinieren, über dessen Werdegang aber kaum etwas bekannt ist, noch weiter steigert.

Schon in seiner Jugendzeit im Bristol der 2000er drehte sich vieles um Musik. „Immer, wenn ich bei meinen Großeltern väterlicherseits war, gab es eine Menge Reggae”, erinnert er sich. „Aber bei meiner Mutter hörten wir viel elektronische Musik wie Faithless oder Café del Mar. Als ich 2013 mit dem Produzieren anfing, hörte ich Künstler*innen wie James Blake, Caribou, Radiohead – die waren damals zweifellos ein Einfluss.”

Otik (Foto: XMXDEUS)

2010 zog Thomas nach London, um dort Music Culture zu studieren. „Mittlerweile sehe ich mich auch als Londoner”, erklärt er. „Das ist einfach der beste Ort für das, was ich im Moment mache. Die Szene in London ist stilistisch vielfältiger. In meiner Wahrnehmung von Bristol gibt es dort mehr Basslastiges und Dubstep. Als DJ machte ich im Gegensatz dazu die Erfahrung, dass die Leute in Bristol offener sind für das, was an den Rändern stattfindet. Ich kann dort vielfältigere Musik spielen. So haben beide Städte ihre Vorteile. Auf meinen Gigs in Bristol habe ich mehr Spaß, auch wenn es für mich natürlich toll ist, in London aufzutreten. Ohnehin habe ich erst mit dem Auflegen angefangen und konnte pandemiebedingt noch nicht genug Erfahrung sammeln.”


Dein erster richtiger Gig:
2013 im De Popupklup in Amsterdam zusammen mit Peverelist und Asa.   

Seit wann am Produzieren:
2013

Dein erstes Release:
Die EP Persist, die 2013 auf Prism Tracks erschien ist und Remixe von Thefft, GoldFFinch, Artifact und eplp enthält.       

Was auf deinem Rider nicht fehlen darf:
Bei Alkohol bin ich nicht allzu wählerisch, Wasser ist unerlässlich!

Diesen Track spiele ich zurzeit oft:
Aphex Twin – Alberto Balsalm

Das würde ich machen, wenn ich kein Musiker wäre:
Wahrscheinlich irgendwas mit Sport, Fitness – oder Musikjournalismus


Otiks Interesse an einer Karriere im Musikgeschäft wurde vor neun Jahren geweckt, als seine Debüt-EP auf Prism Tracks erschien. „Tremble”, ein Track von dieser EP, kam beim US-amerikanischen Musikmagazin XLR8R als Premiere. „Das war das erste Mal, dass ich Feedback zu meiner Musik erhielt. Davor teilte ich meine Musik mit niemandem – nicht mal mit meinen Freunden. Die positiven Reaktionen gaben mir das Selbstbewusstsein, dass ich mit meiner Musik noch weiter gehen kann.”      


 „Auf einmal wurde ich Künstler*innen vorgestellt, zu denen ich aufschaute, mit dem Ergebnis, dass sie mich unterstützten. Dann kam auch Martyn ins Spiel.”


Wenig später veröffentlichte Thomas auf Labels wie Infinite Machine, Durkle Disco und Duskys 17 Steps. Was zu Beginn nach einem starken Einfluss von House, Two Step und Dubstep klang, entwickelte sich stetig in Richtung von basslasstigem Techno. Sein individueller Sound wurde insbesondere auf DEXT mit der Deep Red EP von 2017 und der ein Jahr später erschienenen Top Ten EP auf Keysound spürbar. Die wichtigste Veröffentlichung in Otiks Karriere war jedoch bisher die im Jahr 2020 erschienene Wetlands EP auf Intergraded. „Wetlands war ein entscheidender Wendepunkt für mich”, erklärt er. „Zum einen hat sich in dieser Zeit mein Sound deutlich weiterentwickelt. Zum anderen lernte ich großartige Leute kennen, auch mein zukünftiges Managementteam. Ohne Wetlands wäre ich auch nicht auf 3024 gelandet. Midland, der Betreiber von Intergraded, hat etwas in mir gesehen, das andere nicht sahen, und er hat mir seine Plattform zur Verfügung gestellt.”

Otik (Foto: Presse)

Durch die betont perkussive Wetlands EP, auf der er sein einzigartiges Rhythmusverständnis erstmals voll ausspielt, bekam Otik mehr und mehr Aufmerksamkeit. „Auf einmal wurde ich Künstler*innen vorgestellt, zu denen ich aufschaute, mit dem Ergebnis, dass sie mich unterstützten. Dann kam auch Martyn ins Spiel. Er meldete sich bei mir, um eine Platte mit mir zu machen.”


„Ich versuche, ein wenig Hoffnung in meine Musik zu bringen, auch wenn sie immer noch sehr emotional und atmosphärisch ist.”


Der niederländische Berghain-Resident Martyn steht für eine Verschmelzung von Detroit-Sound und UK-lastigen Breakbeats. Mit seinem Label 3024 hat er sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, junge Nachwuchsproduzent*innen zu unterstützen – so auch Otik. Nachdem das Label im Sommer 2021 drei Compilations herausgebracht hatte, erschien Otiks EP Soulo. Otik verband darauf harte Drum-Patterns mit hymnischen, oft melancholischen Melodien, ohne pathetisch zu klingen.

Soulo ist auch Otiks Beitrag zur Pandemie. „Soulo war ein Versuch, die Leute ein wenig aufzumuntern, denn sie ist in der Coronazeit entstanden”, erklärt er. „Ich hatte das Gefühl, dass die Leute so etwas gebrauchen könnten. Da ein Großteil meiner Musik ziemlich düster ist, dachte ich, es wäre schön, ein wenig Positivität hineinzubringen, aber trotzdem den Sound zu bewahren.” Den Titel Soulo hat Otik aus den Wörtern Soul, „Seele”, und „Sol”, Sonne zusammengebaut. „Ich versuche, ein wenig Hoffnung in meine Musik zu bringen, auch wenn sie immer noch sehr emotional und atmosphärisch ist”, fügt er noch hinzu.


„Die Leute sollen beim Hören meiner Tracks erkennen, dass ich das bin.”               

Mit dem Release auf 3024 ging für Thomas auch ein Traum in Erfüllung. „Leon Vynehalls Music For The Uninvited war eine der ersten Dance-Platten, von denen ich besessen war. Von da an verfolgte ich die Outputs des Labels. 3024 übte im Lauf der Jahre einen großen Einfluss auf meinen Sound aus.”

Otik (Foto: XMXDEUS)

Leon Vynehall ist ein Künstler, der Otik prägte. Ein anderer ist Burial. „Ich möchte, dass man mich mit meiner Musik wiedererkennt. In dieser Hinsicht bin ich sehr von Burial inspiriert. Er macht nicht nur großartige Tracks, sondern fasziniert mich auch durch seine Fähigkeit, Musik zu machen, die nach ihm klingt. Wenn man das erreicht hat, spielt es keine Rolle, in welchem Genre man aktiv ist. Das bedeutet nicht, dass ich Burial kopieren möchte, aber ich versuche, einer ähnlichen Intention nachzugehen. Die Leute sollen beim Hören meiner Tracks erkennen, dass ich das bin.”                  


„Ich bin es gewohnt, die Musik anderer Leute zu spielen, also wird es aufregend sein, endlich die Reaktionen auf meine eigene Musik zu erleben.”


Ein weiteres Thema, dass Otik beschäftigt, ist sein Publikum, was vielleicht damit zu tun hat, dass er eher ein Einzelgänger ist. „Ich möchte Musik mit Menschen teilen, die mich selbst in Stimmung bringt”, sagt er dazu. „Wenn die Leute sich mit meiner Musik verbunden fühlen, haben sie auch eine Verbindung zu mir – das ist für mich schöner Gedanke.”      

Otik (Foto: XMXDEUS)

Um die Beziehung zu seinen Fans selbst stärker zu erleben, möchte Otik in Zukunft auf Tour gehen. Aufzulegen ist dabei nur eine Option. „Ich habe so viel Musik veröffentlicht, die ich endlich live spielen möchte. Ich fände es schön, endlich mal einen Gig zu haben, auf dem ich nur meine Musik spiele. Ich bin es gewohnt, die Musik anderer Leute zu spielen, also wird es aufregend sein, endlich die Reaktionen auf meine eigene Musik zu erleben. Im Auflegen betrachte ich mich noch immer als Anfänger”, sagt Otik bescheiden.

30 bis 40 Gigs hat Thomas bisher hinter sich. Er gehört zu den Künstler*innen, die am Beginn der Pandemie ihre ersten größeren Erfolge hatten. Insofern ist ihm zu wünschen, dass Otik bald das Touren nachholen kann. Musik soll trotzdem weiterhin von ihm erscheinen. „Ich habe schon ein ganzes Album aufgenommen. Das werde ich aber noch nicht veröffentlichen. Ich will sehen, ob es mir in einiger Zeit auch noch gefällt. Ich denke, dass es bei einem Album sehr wichtig ist, dass es zeitlos ist.”

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