GROOVE-Autor Lutz Vössing und sein Idol DJ Manny (Fotos: Hana Pololanikova, LIKES.THIS)
Normalerweise laufen Musiker*innen-Interviews nach dem immer gleichen Schema ab: Nach einer Anfrage bei Promoter*in oder Booker*in wird ein Termin für ein Treffen oder einen Zoom-Call ausgemacht. Doch manchmal kommt diese geölte Maschine ins Stottern. Groove-Autor Lutz Vössing hat alles Menschenmögliche getan, um die in Brooklyn ansässige Footwork-Größe DJ Manny an die Strippe zu bekommen und ihn zu seinem neuen Album Signals In My Head zu befragen. Dem gescheiterten Interview war schon eine andere, unglückliche Begegnung von Lutz mit seinem Idol vorausgegangen: Der ebenfalls gescheiterte Versuch, von DJ Manny das nur einen Tag lang auf Bandcamp erhältliche Album The Vault nach dessen Veröffentlichung käuflich zu erwerben.
Teil 1: Der Kontakt
Alles begann Mitte Juni mit einem ominösen Album und einer euphorischen E-Mail. The Vault heißt das Werk, von dem nur „Get You” überhaupt zu hören ist. Offiziell ist es laut Discogs am 2. April 2021 auf Bandcamp veröffentlicht worden, allerdings nur für einen einzigen Tag. Und daher nicht mehr auffindbar. Der Künstler: DJ Manny, Speerspitze des Chicagoer Footwork, ehemaliges Ziehkind von DJ Rashad, neben DJ Paypal und Jana Rush einer der Spannendsten im Genre und neuerdings mit Wohnsitz in Brooklyn, New York.
Mannys Sound ist geprägt von klassischem, vertracktem Footwork, beinhaltet aber auch Einflüsse aus Hip Hop und R’n’B. Die schnelle, zum Teil aggressive Musik bekommt so auch etwas sehr Gefühlvolles, spricht auf eine ganz andere Art und Weise an als die klassischen Vertreter*innen des Genres. Ich war also gespannt, was dieser Herr noch so zu bieten hat.
Die Dinge begannen, etwas absurd zu werden: Die Informationen in seinen Mails wirkten erratisch und waren nicht ganz nachvollziehbar.
Deshalb schrieb ich ihm sofort per Mail. Ich sei an dem Album interessiert, würde es gerne kaufen. Der einzige öffentlich zugängliche Track gefällt mir sehr gut. Ob es ein Re-Release des Albums gebe? Er antwortete alsbald, dass das Album gerne direkt bei ihm gekauft werden könne. „Toll, gerne! Ich würde es gerne bei dir kaufen. Gibt’s das auch als Vinyl?” „Leider nicht.” „Alles klar, cool. Wie komme ich nun an The Vault, Mister?” „Wird leider nicht re-releaset, aber kannst die neue Signals In My Head vorbestellen.” „Hab’ ich schon, Mann.” „Kannst The Vault bei mir persönlich kaufen.” „Ja, geil, warum nicht gleich?” „Ich kann dir ‘nen riesen Ordner mit Stuff und mit The Vault geben. Hier, via PayPal.” Er schickt mir seine Paypal-Adresse. „OK, cool, ich hab’ dir jetzt 16 Pfund geschickt, sollte passen, wa?” „Kannst du mir bitte 50 schicken, ich sende dir dann einige unveröffentlichte Sachen und die The Vault EP.”
Wer schon mal in sein neues Planet-Mu-Album gehört hat, dürfte über diesen allzu geschäftsmännischen Move nicht ganz so überrascht sein. Denn da singt er unter anderem ausgiebig übers Money-Getten. „If you want it, don’t sit there. Waiting. Gonna get to the money. Don’t wait on it. Go get it.” Die Dinge begannen, etwas absurd zu werden: Die Informationen in seinen Mails wirkten erratisch und waren nicht ganz nachvollziehbar, manche Aussagen kamen in separaten Mails und seltsamen Zeitabständen.
Es fühlt sich alles falsch an. Aber genau so beginnen die besten Geschichten. Ich bleibe also dran.
Nachdem mein Geld bereits auf dem Weg war, kam die Frage: „Can u send like 50 I’m sending you some unreleased tunes with The Vault EP.” Das Geld war also raus, die Musik aber nicht da. Und scheinbar ein Geschäftsmann auf der anderen Seite, der mich in seinen Fängen hielt. Der Schweiß begann in Strömen von der Stirn zu fließen. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Ist das überhaupt der echte DJ Manny? Aufgeben wollte ich nicht. Dazu war mir die Musik doch zu lieb. Und ich war bereits zu tief im Rabbit Hole verschwunden.
„Also, ich wäre ganz glücklich nur mit The Vault :-)” – „Bist du sicher? Du wärst der Einzige mit den anderen Tracks. Hier nochmal mein PayPal” – „Haha, danke, bin nicht rich.” – „Kannst du mir 20 Pfund schicken? Sag Bescheid, wenn du das Geld verschickt hast.” Ich: „Hab’ dir doch bereits 16 überwiesen!” – „Ich werde dir den Link mit der Musik innerhalb einer Stunde schicken, wenn das Geld da ist.”
Wow. Was passiert hier? Das riecht doch nach Scam. Jedoch entscheide ich mich, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, um zu schauen, ob noch was passiert und ich doch an meine gewünschte Musik komme. Es fühlt sich alles falsch an. Aber genau so beginnen die besten Geschichten. Ich bleibe also dran. On a mission!
Doch erstmal heißt es: weiter warten.
Tage später, auf Nachfrage: „Hab’ das Geld jetzt.” Drei Tage und drei Mails später: „Jooo, schicke sie dir!” Es folgt ein Link mit einer Liste seltsam betitelter Tracks, die namentlich nicht mit den Titeln auf Discogs übereinstimmen und auch – von der Anzahl der Tracks her – kein vollständiges Album ergeben. Auf Nachfrage schickt er Tage später weitere Files. Meinerseits gibt man sich zufrieden mit dem, was man hat. Also einem Album, das The Vault sein könnte. Oder zumindest ein Ordner, der mit The Vault betitelt ist. Das Warten hatte also vorerst ein Ende.
Ich dachte, Geld und Manny seien für immer weg. Nun, ganz so sollte es nicht sein. Zwar war mein Geld weg, aber Manny betrat in Form eines Interview-Angebots seines Labels Planet Mu erneut die Bühne. Ja, man kannte die Causa The Vault in der GROOVE-Redaktion und sah Potenzial in einem aufklärenden Interview. Und auch meine Begeisterung für Teklife war allgemein bekannt.
Teil 2: Das Warten
Durch die Veröffentlichung seines neuen Albums hatte sich mittlerweile die Möglichkeit ergeben, regulär über das Label ein Interview anzufragen. Signals In My Head wurde auf Planet Mu veröffentlicht und ist – wie kaum anders zu erwarten – großartig. Wie schon bei genanntem „Get You” auf The Vault zu erahnen war, hat seine neue Veröffentlichung einen krassen, wunderschönen R’n’B-Einschlag. Das gewohnte ultra-synkopische, hitzige „Footwork-Groundwork”, das den Körper zum Vibrieren bringt, bekommt dadurch einen herzerwärmenden Gegenpart. Die ursprünglich als Teil des Footworks gemachte Musik findet nun endgültig ihren Weg in die Wohnzimmer und Hi-Fi-Kopfhörer. Grund genug, mit einem der spannendsten Newcomer ein Interview zu fixieren. Jetzt ganz offiziell über den Promoter des renommierten, professionell arbeitenden Labels Planet Mu.
Erster Termin: Donnerstag um 18 Uhr EST. 40 Minuten warten. Ich sitze am Schreibtisch, seine Musik noch in den Ohren, meine vorbereiteten Fragen vor mir, gespannt auf das breite Grinsen meines Interviewpartners, das ich so gut von Fotos und Videos kenne. Ich hoffe, dass ich ihn dazu bringen kann, ein wenig von sich aus ins Plaudern zu kommen und meine eigene Begeisterung erst mal ein wenig in Schach zu halten. Doch vorerst heißt es: Weiter warten. Denn es erscheint kein Manny auf dem Bildschirm.
Langsam begann ich, an mir selbst zu zweifeln. Liegt es nun an mir, dass das nicht klappt?
Auskunft vom Label: Herr DJ hatte wohl am Tag zuvor ein wenig intensiv gelebt. Es müsse ein neuer Termin ausgemacht werden. Ok, nächster Dienstag. Ein gut gelaunter Manny, zehn Minuten verspätet im Zoom-Raum. Ein inneres Aufjauchzen, mein Frust weicht der Freude. Doch die Verbindung ist so schlecht, dass wir das Interview nach fünf Minuten abbrechen müssen. Ich verstehe kein Wort. Ja, nun. Er wolle sich aber melden, wenn er ein Café mit Netz gefunden habe. Es passiert nichts. Gespräch fehlgeschlagen.
Später stellt sich auf Nachfrage heraus, dass die Telefonrechnung nicht bezahlt war und die Internetverbindung deswegen gedrosselt. Ja, nun, kann passieren. Dritter Versuch: Geplant auf Samstag. Kein Manny. Laut WhatsApp seit Tagen nicht online. Tage später die Nachricht von ihm: „Sorry, hab’s verpeilt, können wir einen neuen Termin ausmachen?”
Langsam begann ich an mir selbst zu zweifeln. Liegt es nun an mir, dass das nicht klappt? Und ich sagte mir: „Lutz, sei beharrlich, du hast noch nicht alles versucht.” Ich erinnerte mich an die Worte von Manny: „If you want it, don’t sit there”. Und ich nahm den Kampf gegen dieses Monster von Interview wieder auf. Zumindest in Gedanken.
Ich verharre bei dem Gedanken an das Interview, das mittlerweile die Form einer Idée fixe angenommen hat. Wirklichkeit und Vorstellung verlieren ihre Konturen. Zu Manny: Du bist also wieder da! Manny: Meinst du? Lutz: Ich freue mich, dich wiederzusehen. Ich dachte, du wärst weg für immer. Manny: Ich auch. Lutz: Sollen wir einen neuen Termin ausmachen? Ich überlege. Ich habe Donnerstag, Freitag, Montag und Dienstagabend Zeit! Manny: freundlich: Okay! Schweigen. Bis heute habe ich nichts mehr von Manny gehört.