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Ellen Allien: „Bei den ersten Gigs musste ich weinen”

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Ellen Allien (Foto: Tasya Menaker Bearbeitung: Erased Memories)

In den letzten eineinhalb Jahren gelang es nur vereinzelt DJs, der gähnenden Leere Nennenswertes abzutrotzen. Ellen Allien hat das gut hinbekommen. Ihre Balcony-Sets, die der Quarantäne mit Open-Air-Atmosphäre begegneten, avancierten während der Pandemie zum clubkulturellen Eckpfeiler. Zudem veröffentlichte sie mit AURAA im Mai 2020 ein clublastiges Album auf ihrem Label BPitch, das auch sonst nicht mit neuen Katalognummern geizte.

Nun, da fortwährende Existenzangst zumindest vorläufig einem Anflug von Normalität weicht und das nationale wie internationale Gig-Karussell sich wieder zu drehen beginnt, tourt auch Ellen Allien wieder durch Europa und nimmt die Möglichkeit wahr, wieder vor Publikum zu spielen. Wieso sie dieses aber nicht zwingend braucht, um beim Auflegen etwas zu empfinden, erklärt sie gewohnt lebhaft in einem Café in Berlin-Mitte.

Im Verlauf des Gesprächs streifen wir etliche Themenkomplexe, finden zu ihnen zurück und verwerfen sie ansatzlos. Ellen Allien gestikuliert ausladend, wenn ihr Sachverhalte nahegehen. Mit Dark-Entries-Shirt, schulterlangen rosa Haaren und getönter Brille verkörpert sie kontemporären wie zeitlosen Rave-Spirit gleichermaßen. Das äußerliche Erscheinungsbild untermauern innere Ansichten: Sie betont den Community-Aspekt der Szene, spricht sich gegen Auftritte in Indien oder Mexiko aus und findet deutliche Worte für die politischen Verhältnisse in Russland.


Clubs öffnen unter Auflagen wieder, DJs spielen vor Publikum. Wie hast du wieder Fahrt aufgenommen?

Ich habe kürzlich im Revier Südost aufgelegt, wo die Partys inzwischen schon wieder die ganze Nacht lang gehen. Als die aufgemacht haben, stand ich natürlich auf der Matte. Kürzlich war ich am Wochenende dreimal unterwegs. Mit Maske, was auch nötig ist. Die ersten Gigs, die ich aber dieses Jahr eigentlich gespielt habe, waren die Streams. Gewissermaßen habe ich mein DJ-Sein da einfach weitergeführt. Das habe ich gebraucht. Musik zusammenzumixen ist ja auch mein Hobby. Und ich brauche keine Club-Umgebung, um das auszuleben. Ich kann mich auch hier hinstellen und mit meinen Freunden auflegen – oder alleine. Letztes Jahr war auch Boiler Room in meiner Wohnung. Da dachte ich mir zuvor, wie das wohl sein würde. Und dann hatte ich Flashbacks, als ob ich im Club wäre.

Wie kommt’s?

Ich habe gemerkt, dass das an sich schon ein kreativer Prozess ist. Wenn ich Platten mixe, habe ich Spaß. Es entwickelt sich ein Sound. Wenn ich zwei Tracks zusammenmische, was passiert dann musikalisch? Wie schwingen die Bassdrums, die Töne, die Noten zusammen? Natürlich ist es schön, mit Crowd aufzulegen. Es ist sehr emotional, man guckt sich an. Bei den ersten Gigs musste ich weinen. In der ELSE zum Beispiel, wo ich so einen Berlin-Klassiker gespielt habe. So was habe ich alleine nicht. Aber um etwas zu empfinden, brauche ich beim Auflegen kein Publikum.

Du hast also das Glück, von deinen ganzen Erlebnissen zu zehren, wenn du auflegst?

Genau. Aber ich habe ja früher schon viel Radio gemacht oder zuhause gespielt – wie jetzt eigentlich auch. Ich fühle mich nach dem Auflegen wohl und aufgetankt. Oder wenn ich ins Studio gehe. Das ist ein Prozess, den ich brauche, um mich frei zu fühlen. Vor allem beim Auflegen bin ich wie ein Kind, das auf dem Spielplatz spielt. Du baust LEGO-Steine zusammen und guckst, wie das aussieht. Wenn gut, dann gut. Wenn nicht, schnell weg damit!

Wie genau fehlt dir das Publikum?

Auf jeden Fall nicht in dem Sinne, dass die mich angucken. Ich bin nicht so egozentrisch oder narzisstisch, dass ich gerne angeschaut werde. Was mir gefehlt hat, ist die Community, die ich durchs Spielen wieder empfunden habe. Das war ein Glücksmoment. Vor allem auf der Nation. Jeder kann dort machen, was er will. Ich konnte die Gesichter der Leute sehen, die Euphorie. Vor Publikum zu spielen hat mir auch wieder gezeigt, dass es den Independent-Gedanken in der Szene noch gibt. In die Clubs kommt nicht jeder, du hast da nach wie vor keine Schlägereien. Und, ganz elementar: Man kann dort wieder Leute treffen, mit ihnen reden. Das tut gut. Obwohl ich früher ja sehr schüchtern war, Probleme damit hatte, on stage zu gehen.

Hast du da Maßnahmen getroffen?

Ich konnte den Leuten nicht ins Gesicht gucken, bis mir DJ Disko mal erklärt hat: „Ellen, ich suche mir auf dem Dancefloor, wenn ich unsicher bin, immer eine Person aus, mit der ich Kontakt aufnehme. Und dadurch finde ich meine Sicherheit.” Ich habe nämlich immer nach unten geguckt, deswegen habe ich das dann auch ausprobiert. Vor jedem Gig war ich extrem nervös, obwohl ich eigentlich super vorbereitet war. Aber sich eine Person zu suchen, die meine Musik mag und mich gut findet, mit mir die Vibrations teilt, hat mir geholfen. Dann lief es besser. Ich habe mir damals alles eher von außen angeschaut, war ein Musikfreak, der jetzt nicht auf jeder Afterhour dabei war.

Jetzt wiederum hast du ein gewisses Standing, aufgrund dessen dir gegenüber die Leute eher schüchtern auftreten dürften.

Damit hat es gar nicht so viel zu tun, eher mit dem Community-Gedanken, dass alles offener abläuft. Auch das Reisen hat mir viel gebracht. Man kann mit Standing trotzdem schüchtern sein, wenn man sich unterhält. Vielleicht noch schüchterner, weil dich viele Leute ansprechen. Manchmal kann ich das auch heute noch nicht. Manchmal habe ich aber auch Bock zu quatschen, dann rede ich ganz normal. Wie mit dir gerade. Auch durch das Standing. Anfangs war mir das auf der Straße super unangenehm, wenn mich jemand angesprochen hat. Vor allem, wenn ich noch nicht richtig wach bin.

Was war dein erster Gig nach der Wiedereröffnung der Clubs?

Ein Test-Rave im RSO mit Inhalt der Nacht, kurz danach ein b2b dort mit Dr. Rubinstein. Da wusste ich noch gar nicht, dass demnächst aufgemacht wird. Dann haben die mir erklärt, wie das abläuft, mit den Bändern um den Hals für die Gäste. In Zusammenarbeit mit der Universität. Und ich dachte mir: „Fuck. Das ist ja genau das, was wir nicht wollen in der Clubszene: Kontrolliert werden. Aber wenn das der Szene hilft, dass dadurch vielleicht schneller aufgemacht werden kann, dann mach’ ich das doch.”

Wie war es, in der Umgebung zu spielen?

Es sah nicht so voll aus, und ich dachte mir, wie sich die Leute wohl fühlen. Deswegen wollte ich ein besonders gutes Set spielen, was ich, glaube ich, auch gemacht habe. Ich habe mir die nächsten zehn Tracks schon immer im Voraus überlegt. Die Leute, die da sind und diese scheiß Bänder umhaben, sollten von mir wenigstens 100 Prozent Ellen Allien kriegen.

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Ellen Allien in der ELSE (Foto: itsnotanothershot)

Kannst du danach immer einschätzen, wie dein Set war?

Sicher kann es ich es nie sagen, aber versuchen kann man’s ja. Ich trinke dann nicht so viel, kiffe nicht so viel. Seit dem Einsetzen der Pandemie kiffe ich ja ganz gerne, was ich normalerweise nie gemacht habe. Corona hat meinen Lebensstil verändert. Aber auch nicht jeden Tag. Auflegen ist jedenfalls eine Konzentrationssache, um in einen Flow zu kommen. Dann läuft’s wie eine Maschine. Wenn ich aber abgelenkt bin und zu viel mit Leuten rede, dann kann der Flow reißen.

Hast du davor schon im Ausland aufgelegt?

Ja, in der Ukraine, in Russland und in Italien, wo fünfmal die Polizei kam, da war’s irgendwie verboten. So ein DJ-Set habe ich noch nie gespielt. In Russland kam ich in den Club, alles ohne Maske, die Leute wollten mich umarmen. Ich war das gar nicht mehr gewohnt nach der Isolation und damit überfordert. Normalerweise ist ja alles sehr touchy in der Szene, jetzt ist aber alles sensibilisiert. Ich habe mich verändert in der Zeit.

Denkst du, das wird wieder normal?

Es wird nicht mehr so sein wie vorher. Die Masken-Sache wird uns noch eine Weile begleiten, vor allem im Eventbereich.


„Kaum hatte ich mich wieder gefangen, gab’s plötzlich eine Basswelle, die ich seit zwei Jahren nicht gehört hatte.”


Wie ging es weiter nach dem ungewohnten Empfang?

Es war unglaublich. Bei mir kommen ja auch immer so viele Mädchen, die waren dann wieder in der ersten Reihe.

Würdest du sagen, dass du überdurchschnittlich viele weibliche Fans hast?

Ich denke schon. Und ich liebe das. Wenn ich anfange, aufzulegen, kommen immer ganz viele Girls nach vorne. Auch ganz Junge. Natürlich auch Ältere, die mich von ganz früher kennen. Aber viele sind echt so 20 bis 24, das finde ich so schön. Wenn die auch ihre Heroes haben, wenn wir uns gemeinsam feiern.

Du hast Vorbildfunktion.

Das kann man wahrscheinlich sagen. Als ich anfing, aufzulegen, war das ja kein lukrativer Beruf.

Und beileibe keine Frauendomäne.

Definitiv. Und ich habe das eigentlich sehr elegant gelöst, mit Männern zu arbeiten. Da gab’s kaum Probleme, ich bin da einfach mitgeschwungen. Ich spiele einfach gerne für Frauen. Normalerweise sind in einem Club ja gefühlt 95 Prozent Männer. Wenn’s bei mir dann 40 Prozent Frauen oder queere Personen sind, ist das doch gut. Sieht halt bunter aus. (lacht)

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Foto: I AM JOHANNES

Wie lief der nächste Gig?

Wenig geschlafen, dann ging’s nach Moskau ins Monasterio. Das war ein riesengroßer Club. Ich habe am frühen Abend gespielt, mega Lichtanlage, Visuals und so weiter. Als wir reinkamen, war’s aber stockdunkel, ich bin erstmal gestolpert. Kaum hatte ich mich wieder gefangen, gab’s plötzlich eine Basswelle, die ich seit zwei Jahren nicht gehört hatte. Unter meinen Füßen, am Arsch vorbei, durch die ganze Haut. Alles hat vibriert, Headless Horseman hat gerade aufgelegt. Draußen war Possession. Ich habe dann um 8 gespielt oder so, das Ende der Tagesparty. Alles ohne Maske. Und ich dachte mir dann: „Das kann nicht gutgehen. Was ist denn hier los?” Das fiel mir schon bei der Ankunft am Flughafen auf.

Hast du mit den Leuten drüber geredet?

Ich habe gefragt, ob sie denn alle geimpft seien. Die meinten, dass sie Sputnik nicht trauen, weil es zu viele Nebenwirkungen gäbe. Es gibt ja nur die eine Impfung, angeblich soll die ja sehr gut sein. Aber keiner war geimpft, niemand wollte das. Weil keiner aus der kompletten Community Putin traut. Die denken, das hilft nicht und das Virus ist wie ein Grippe. Das ist so krass gewesen für mich. Als wir am Sonntag dann wieder nach Berlin abgeflogen sind, wurde Russland zugemacht – Lockdown. Da war auf dem Roten Platz eine riesige Party, dann hatten die noch Fußball nebenbei. Und jetzt müssen sich alle, die im öffentlichen Dienst arbeiten, impfen lassen. Putin ist so ein Vollidiot, dass er’s nicht geschafft hat, den Nutzen der Impfung den Menschen verständlich zu machen. Und jetzt zwingt er sie.


„Leute haben auch unter den Stream kommentiert, dass sie das gerettet hätte. Ich dachte mir dann nur: Mich auch.”


Russland ist auch abseits der Impfungen ein schwieriges Pflaster für elektronische Musik und Clubkultur.

In St. Petersburg kam ein Schwulenpärchen nach vorne zu mir mit einem Banner, auf dem „We Love Your Balcony” stand. Nur in so einem Setting können die sich sowas ja überhaupt trauen. Weil sie sonst verfolgt werden, wenn sie sich küssen. Das muss man sich mal vorstellen.

Deine Balcony-Sets blieben also auch in Russland nicht unbemerkt. Wie kamen die zustande?

Nicht mit kapitalistischem Hintergedanken. Ich lag an einem Sonntag mal wieder deprimiert auf der Couch, weil ich nichts machen konnte. Man darf nicht richtig raus, darf nur fünf Leute zuhause haben, die ganze Kacke. Dann meinte ein Kumpel von mir, dass wir einfach den Tisch rausstellen und ich ein Set spielen sollte. Das ist eigentlich der Frühstückstisch. Und dann haben wir das aufgenommen und live gesendet. Miro, mein Mitbewohner und Balkon-Bird, hat sich dann was Schönes angezogen und getanzt. Endlich mal unter freiem Himmel tanzen, das war wie Fliegen. Markus, ein Freund von mir, hat das gefilmt und meinte, dass die Leute total abdrehen. Dann haben wir’s runtergenommen.

Wieso?

Das sollte eigentlich nur so ein Moment sein, auf eine Stunde fokussiert. Man kann da auch nicht so lange spielen, wegen den Nachbarn und so. Obwohl die teilweise eh die Fenster aufgemacht haben, Kinder haben dazu getanzt. Unten auf der Straße blieben Leute stehen und haben zugehört. Man hat gemerkt, dass die Leute froh waren, dass was passiert ist.

Und wie kam es zu den nächsten Ausgaben?

Na ja, es war wieder langweilig, dann haben wir’s wieder gemacht und oben gelassen.

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Ellen Allien und „Balcon-Bird” Miro (Foto: I AM JOHANNES)

Wieso, glaubst du, hat gerade das so gut funktioniert in der Streaming-Landschaft?

Kann ich gar nicht sagen, auch andere Streams hatten ja ihre Klicks. Ich kriege gar nicht mit, dass das so gut ankommt. Wenn ich jetzt natürlich im Interview dazu befragt werde oder Leute in St. Petersburg deshalb auf mich zukommen, merke ich das. Leute haben auch unter den Stream kommentiert, dass sie das gerettet hätte. Ich dachte mir dann nur: Mich auch.

Hin und wieder hast du auch bei HÖR gespielt. Wie nimmst du die wahr?

Die kamen mit der Pandemie und wurden zu unserem Soundtrack in der Wohnung.

Du hast auch selbst oft reingeschaut?

Immer! Sehr viele DJ-Sets, ich habe dort auch Künstler für BPitch entdeckt. Oder für die nächsten Partys, die wir planen. Wir hören ständig HÖR. Ich höre zuhause sowieso sehr viele Podcasts. Da merkt man, wie die Leute performen und ob’s musikalisch für Bookings passt. Außerdem machen wir zweimal in der Woche zuhause Sport auf dem Teppich mit einem Freund, der uns trainiert, da läuft natürlich auch Musik. Und Freddy K hat uns begleitet mit Krzrzrz. Radioshows mag ich nach wie vor sehr gerne.

War es eine bewusste Entscheidung, dein letztes Album AURAA, für mich dein clublastigstes bislang, kurz nach Pandemiebeginn zu veröffentlichen?

Eigentlich bin ich so rangegangen, dass es im September 2020 hätte erscheinen sollen. Dann habe ich aber meinen Labelmanager Guillermo angerufen und meinte, dass die Leute eigentlich jetzt die Musik brauchen. Wir dachten damals ja noch, dass im September wieder alles normal ist. Dann haben wir’s einfach früher rausgebracht, das geht ja als unabhängiges Underground-Label. Kurz übrigens noch zum Wort „Underground”: Klar, man kennt mein Gesicht von Instagram und so weiter und so fort. Mir geht’s bei dem Begriff aber vor allem um die Community und um die Musik. Jedenfalls hat das alles relativ kurzfristig funktioniert und wir konnten’s raushauen.

Wie stand es um BPitch und UFO Inc während der Pandemie?

Wir haben uns entschieden, einfach weiter Musik rauszubringen. Ich war ja schließlich als DJ auch weiterhin aktiv. Wir sind kein Major, das Rockkonzerte braucht, um riesige Verkaufszahlen zu generieren, sondern ein Independent-Label, das auch in Ausnahmezuständen aktiv sein kann, ohne auf Fame zu schauen. Bei BPitch haben wir in dieser Phase auch Musik von Künstlern veröffentlicht, mit denen wir noch nie gearbeitet haben, zum Beispiel von Gotshell aus Kolumbien.

Eine EP, die zunächst digital erschienen ist.

Das liegt daran, dass wir kaum Platten pressen können, weil die Presswerke entweder weniger Kapazitäten haben, oder mit Major-Kram beschäftigt sind. Bei Unserem ist obendrein noch eine Maschine kaputt gegangen, weshalb die neuen Releases von Alan Oldham oder mir – Anfang September sind immerhin noch Lebanon-Hanover-Remixe geplant – gar nicht pressen können. Früher konntest du innerhalb von drei Wochen eine Platte rausbringen, jetzt dauert das sechs bis acht Monate, wenn du Pech hast.


„Indien, wo ich hätte auflegen sollen, war dann zu. Ich war so froh, dass ich das nicht gemacht habe.”


Wie wird sich neben Labels die Clubszene in den nächsten Monaten entwickeln, sofern es keinen strikten Lockdown mehr gibt?

Das kann man ja jetzt schon sehen. Die Außenbereiche der Clubs sind geöffnet, ein paar Festivals gibt’s. Die Sachen in Holland sind ja schon wieder alle zu, in Belgien spiele ich aber bald ein nächstes Test-Festival. Es gilt jetzt erstmal, den Sommer zu genießen. Wenn ich hier bin, gehe ich immer raus, in alle Clubs. (lacht) Ich war wirklich dreimal die Woche unterwegs und konnte danach gar nicht mehr reden. Aber es war so schön.

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Ellen Allien, ganz urban (Foto: Sven Marquardt Bearbeitung: Erased Memories)

Auch mit Maske?

Es gibt ja auch Masken-Gegner. Das finde ich falsch. Leute veranstalten kleinere Partys, wo niemand Maske trägt. Da sollte man echt aufpassen, das Virus verbreitet sich ja durchs Spucken beim Reden. Deswegen: Masken auf. Wir können uns nicht leisten, dass Clubs wieder zumachen müssen. Es wird ja oft nachverfolgt, wo die Infektionen stattgefunden haben.

Du hattest bestimmt auch Angebote, etwa in Indien oder Mexiko zu spielen, oder?

Indien habe ich abgesagt, nach Mexiko wollte ich nicht, weil ich nicht wusste, was mit Corona passiert. Indien, wo ich hätte auflegen sollen, war dann zu. Ich war so froh, dass ich das nicht gemacht habe. Jetzt aufzulegen ist auch so eine Sache. Ich hatte mir überlegt, das erst zu tun, wenn alles vorbei ist. Andererseits müssen wir ja auch weitermachen. Wenn sich alle an die Regeln halten, passiert kaum was in den Clubs.

Das Problem an Gigs beispielsweise in Indien liegt ja auch darin, dass die dortige Bevölkerung weitaus stärker unter den Konsequenzen leidet.

Das Problem ist, dass man über die Lage vor Ort oft nicht Bescheid weiß. Als ich nach dem Angebot aus Indien gegoogelt habe, waren die Zahlen dort angeblich sehr niedrig. Ich habe dann viel mit Kollegen geredet, mit Leuten, die im Business arbeiten, nicht DJs. Die meinten alle, dass das in diesen Ländern nicht kommuniziert wird. Das fand ich ekelhaft, dort für Reiche zu spielen. Obwohl man natürlich sagen muss, dass Clubbing bei uns auch viel Geld kostet. Wenn ich 200 Euro in der Tasche habe, sind die danach weg.

Sansibar war auch eine Anlaufstelle für diverse bekannte DJs. Und Raver*innen, die wider besseres Wissen hingeflogen sind.

Ekelhaft, ja. Obwohl hier auch Partys sind, weswegen ich die Hysterie für etwas übertrieben halte. Eine arme Bevölkerung gibt’s im UK auch. Oder in Marzahn oder Schöneweide, das sieht man nur hier im Berliner Zentrum nicht. Natürlich ist die Armut in Sansibar oder in Mexiko schlimmer. Als ich das erste Mal in Mexiko City gespielt habe, das war ’98 oder so, standen da nur Reiche rum, die Armen kamen gar nicht rein. Da war ich mir sicher, dass ich da nie wieder auflegen möchte. Die Szene dort hat sich aber gebessert oder wurde nach und nach aufgebaut – dann konnte ich wieder kommen.

Ellen Alliens nächste Tour-Termine: 08.08.2021 / BE / Zwevegem / Voltage Festival 09.08.2021 / HU / Novalja / Barrakud Festival 21.08.2021 / UK / London / E1 22.08.2021 / DE / Berlin / Revier Südost 28.08.2021 / FR / Paris / KM25 29.08.2021 / UK / Bristol / Motion Open Air 05.09.2021 / UK / Glasgow / Riverside Festival

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