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Track by Track: Telex – „Moskow Diskow”

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Das Cover von Moscow Disko von Telex

Unsere Szene lebt von den Tracks, die Nacht für Nacht und Tag für Tag gespielt werden. In der Rubrik Track by Track wollen wir den wichtigsten von ihnen die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdient haben – durch Interviews, Analysen, persönliche Erinnerungen. Ob sie unsere Szene maßgeblich prägten, grundlegende musikalische Veränderungen einläuteten oder sich mit Nachdruck ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben: Wir rollen Rave-Geschichte auf – Stück für Stück, Track by Track.

Vor 43 Jahren veröffentlichte das belgische Trio Telex seine dritte Single „Moskow Diskow”. Die ikonische Novelty-Nummer vom Discozug nach Moskau schlug 1979 wie ein Molotowcocktail auf den internationalen Dancefloors ein und wurde zu einer stilprägenden Blaupause für House und Techno. Dan Lacksman und Michel Moers haben unserem Autor Harry Schmidt die Entstehungsgeschichte ihres größten Hits erzählt. 


„Dieser Track wurde im Studio geboren”, erinnert Dan Lacksman den Beginn der Entstehungsgeschichte von „Moskow Diskow”. 1979 veröffentlicht, wurden die vier Minuten und 13 Sekunden nicht nur zum größten Hit des belgischen Trios Telex, sondern auch zu einer wichtigen Blaupause elektronischer Dancefloor-Musik, deren Nachhall insbesondere in House und Techno stilprägend wirkte. Was „Moskow Diskow” indes von vielem, was daraus entstanden sein mag, unterscheidet, ist seine Einprägsamkeit: Wer die Lokomotivpfeife über dem schnaubenden Staccato der Sechzehntel, der exaltierten Hookline und der mechanischen Stimme einmal gehört hat, wird die Nummer bei jeder weiteren Begegnung sofort wiedererkennen.

Unwiderstehlich der Groove, unvergesslich die indexikalischen Soundeffekte. Für Telex war es der Beginn einer eigenartigen Erfolgsgeschichte: Obwohl die Zusammenarbeit von Marc Moulin, Michel Moers und Dan Lacksman über 30 Jahre andauerte und erst 2008 mit dem Tod Moulins ihr Ende fand, obwohl die kreative Bilanz dieser drei Dekaden mit sieben Studioalben sowie einer Teilnahme am Eurovision Songcontest als eine an künstlerischen wie bizarren Höhepunkten reiche zu bezeichnen ist, blieb die ikonische Qualität von „Moskow Diskow” unerreicht. 

Telex in den 1980er Jahren (Foto: Frank Uyttenhove)

„Wir sprachen über Songs für unser erstes Album und kamen auf die Idee eines Zugs mit einem Diskothek- anstelle eines Speisewagens.” Dazu die Vorstellung, dessen Destination in der russischen Metropole zu verorten, veranlasst durch die phonetische Nachbarschaft von Disco und Moskau im Englischen. „Dann ist alles sehr spontan und schnell gegangen”, erzählt der 1950 im westfälischen Werl geborene, aber in Brüssel aufgewachsene und ansässige Musiker: „Zu dieser Zeit hatten wir lediglich eine Achtspurbandmaschine – eine Tascam 80-8, die hab ich immer noch – und mussten Spur für Spur einzeln aufnehmen. Wir gingen dabei fast immer so vor, dass wir damit begonnen haben, einen grundlegenden Rhythmustrack aufzubauen, Schicht um Schicht: zuerst die Bassdrum, dann die Snare, dann die Hi-Hat. An diesem Punkt dachten wir: Warum nicht das Schnaufen einer Dampfmaschine zur Hi-Hat machen, mit einem Flanger etwa?” Als nächstes wurde die Bassline eingespielt, dann die Chords – am Ende des Studiotags sei der Track im Wesentlichen fertig gewesen, so Lacksman.

Auch das Equipment hat der Synthesizer-Pionier noch genau vor sich: „Zu dieser Zeit hatte ich noch keine sehr große Auswahl: Kick-, Snare- und Zuggeräusche entstanden auf dem Modular Moog, die Chords auf dem Polymoog, die Bassline dann wieder auf dem monophonen Modularsystem. Sowohl die Stimme als auch die Chords wurden durch den Vocoder geschickt.” Die Parameter habe man intuitiv eingestellt: „Wir haben nichts gemessen. Es gab ja noch keine digitale Informationen, etwa über das Tempo – wir haben einfach an den Knöpfen gedreht, bis zu dem Punkt, an dem man sagt: Okay, das klingt gut.” Tatsächlich sind es 130 BPM, mit denen der Diskozug nach Moskau über den Dancefloor brettert – im Vergleich zum seinerzeitigen Umfeld von Disco und Wave also verhältnismäßig schnell, zumindest am oberen Rand der Skala angesiedelt, lässt „Moskow Diskow” sich auch und gerade unter dem Aspekt der Geschwindigkeit gut in den Kontext eines House- oder Techno-Sets integrieren. „Dazu kam hier noch ein wenig human touch: Die Handclaps sind echt!”, sagt der Producer mit dem grauen Moustache und lacht. 


„Die französische Version haben wir zuerst aufgenommen. Um die englische Spur auf der Achtspurmaschine mitzuschneiden, mussten wir die französische löschen – die eigentliche Originalversion gibt es also nicht mehr.“ 

DAN LACKSMAN 

Als Marc Moulin, Michel Moers und Dan Lacksman ihr Trio Telex 1978 in Brüssel gründeten, lag hinter jedem von ihnen bereits eine gewisse Wegstrecke in seiner Laufbahn als Musiker: Moulin war in der ersten Hälfte der Siebziger als Leader, Keyboarder und Songwriter der Jazz-Funk-Band Placebo erfolgreich und als Radio-DJ gut vernetzt, Moers vor allem als Sänger, Gitarrist und Komponist des Folk-Rock-Acts Nuit Câline à la Villa Mon Rêve hervorgetreten. Lacksman wiederum, early adopter der Soundsynthese – 1970 war sein EMS VCS 3 der erste Synthesizer in Belgien, später wurde der Moog zu seinem Hauptinstrument –, hatte bereits als Tape-Operator im Studio Madeleine sowie als Producer für Patrick Hernandez („Born to be Alive”), Lio („Le Banana Split”) und Plastic Bertrand einschlägige Erfahrungen mit Instant-Hit-Formaten gesammelt.

Komplett auf dem Moog entstanden zwei Alben als Electronic System, ebenso wie die meisten Produktionen, die Lacksman unter Künstlernamen wie Electronic Butterflies, Discotheque Sound und Syne Wave veröffentlichte. Mit „Coconut” erschien 1972 das Produkt der Schlussfolgerungen, die der hierbei als Dan Lacksman Association firmierende Producer aus dem Moog-Welthit „Popcorn” noch im gleichen Jahr gezogen hat. Lacksmans Expertise in der Gattung des Novelty-Song-Genres stellt unzweifelhaft auch einen der grundlegenden Faktoren für die Produktion von „Moskow Diskow” dar.

Telex (Foto: Jean Christophe Guillaume)

„Wir mochten es, mit Klischees zu spielen”, erklärt Moers zur Entstehung der Lyrics, „und zu dieser Zeit war, vor allem im amerikanischen Englisch, der Gebrauch französischer Wörter in Mode: ‚I move toujours, chic, fantastique, Brigitte Bardot (…)’ Zusammen mit der Grafik des russischen Konstruktivismus ergab das eine Mixtur in meinem Kopf – diese Lyrics waren wirklich wie ein Wortspiel, bei dem es darum ging, die einzelnen Wörter zu verbinden. Seinerzeit dachte ich: ‚Das sind die unsinnigsten Lyrics, die ich je geschrieben habe’ – aber es hat wirklich Spaß gemacht”, blickt der schlanke Brillenträger zurück. „Marc hatte eine schöne, kleine, jazzige Melodie geschrieben, aber die zu singen, wäre lächerlich gewesen. Also entschieden wir uns für diesen Sprechgesang – der eine Distanz herstellt, aber gleichzeitig auch eine größere Annäherung zulässt.” Außerdem sei es bei Telex immer darum gegangen, dass die Stimme „kein Solo-Act, sondern Teil der Musik ist”, so Moers. Neben dem französischen Original existiert auch eine englischsprachige Fassung – genau genommen existiert sogar nur noch diese: „Die französische Version haben wir zuerst aufgenommen. Um die englische Spur auf der Achtspurmaschine mitzuschneiden, mussten wir die französische löschen – die eigentliche Originalversion gibt es also nicht mehr.”


„Telex war für uns drei immer ein pures Fun-Projekt. Wir hatten alle unsere Jobs und waren nicht davon abhängig, damit Erfolg zu haben, um den Kühlschrank zu füllen.”

DAN LACKSMAN

Der Erfolg von „Moskow Diskow” war immens und hält bis heute an: Rund 60 verschiedene Ausgaben werden auf Discogs unterschieden, darunter auch eine Reihe von Remixen, denen Moers und Lacksman – mit Ausnahme der Fassung von Carl Craig – jedoch nicht viel abgewinnen können. Wie oft sich ihr größter Hit insgesamt verkauft hat, wissen die beiden nicht. Die Resonanz war jedenfalls international: Schon bald nach der Veröffentlichung sei in den frühen Achtzigern ein Russe aufgetaucht, um sich mit der Platte einzudecken – mit einen ganzen Rucksack voll. Ganz aus dem Nichts gekommen war die Nummer indes nicht, als „Moskow Diskow” 1979 wie ein Molotowcocktail auf den Dancefloors einschlug: Unüberhörbar haben Telex an Kraftwerks „Trans Europa Express” Maß genommen. Auch den vollsynthetisch pulsierenden Disco-Grooves von Giorgio Moroder gestehen Moers und Lacksman einen gewissen Einfluss zu.

Im Grunde jedoch sei die „Einfachheit der Maschinen” der Haupteinfluss gewesen, meint Moers, der ausgebildeter Architekt ist und in den vergangen Jahrzehnten hauptsächlich als Fotograf und Grafiker gearbeitet hat. Auch auf der Ebene der Bandgeschichte hatte „Moskow Diskow” Voraussetzungen: Mit „Twist à Saint-Tropez” und „Rock Around the Clock” (letzteres erreichte im August 1979 Platz 36 in den britischen Charts, exakt dieselbe Position wie kurz darauf auch „Moskow Diskow”) gingen dem Track zwei Singles mit Coverversionen von Hits aus der Rock’n’Roll-Ära voraus, die ihre schweißnassen Inhalte im elektronisch-mechanischen Klangbild einer Maschinenwelt in ironischer Absicht rekontextualisierten.

Telex in der Entstehungszeit von „Moskow Disko” (Foto: Archiv Telex)

Synth-Pop, New Wave, Electro – all das war gerade daran, am Horizont des Dancefloors heraufzuziehen. „Moskow Diskow” erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem Disco seinen Zenit bereits überschritten zu haben scheint, (wobei gerade nochmals die Spätformen wie Italo Disco und Hi-NRG besonders heftig schillernde Züge ausprägen konnten) und markiert eine Schnittstelle zu dem, was folgen sollte: Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen „Moskow Diskow” und A Number Of Names’ zwei Jahre später erschienenem „Sharevari”, das vielen als erste Detroit-Techno-Platte gilt, sind nicht von der Hand zu weisen und reichen von den Sechzehntel-Stabs bis zur Behandlung der Vocoder-Vocals.

Vieles deutet darauf hin, dass der legendäre Radio-DJ Electrifying Mojo neben Kraftwerk und Yellow Magic Orchestra auch Telex in seinen Playlists hatte. Moers und Lacksman sehen sich mit ihrem Trio hingegen lieber als Solitär: „Wir navigierten im Zwischenraum von Pop und Experimental”, fasst Moers das musikalische Programm von Telex zusammen. Einzig in den US-amerikanischen Brüdern Ron und Russell Mael, die zusammen Sparks bilden, vermögen die beiden eine gewisse Producer-Seelenverwandtschaft zu entdecken – die führte allerdings an mehreren Stellen zur konkreten Zusammenarbeit, etwa auf dem dritten Telex-Album Sex, aber auch auf einigen der Sparks-Alben der frühen Achtziger.

„Telex war für uns drei immer ein pures Fun-Projekt. Wir hatten alle unsere Jobs und waren nicht davon abhängig, damit Erfolg zu haben, um den Kühlschrank zu füllen”, betont Lacksman. Entsprechend habe man auch keine PR-Arbeit gemacht und sei auch sonst nicht auf die Bühne gegangen, pflichtet Moers bei. Bis auf eine einzige Ausnahme: den Auftritt von Telex für Belgien beim Eurovision Songcontest 1980. Mit „Euro-Vision” legten sie eine spektakulär steife Perfomance hin, in weißen Dandy-Schals mimten Moulin und Lacksman ironisch das Spielen ihrer Keyboards und machten das Playback sichtbar – Moers’ Vocals waren das einzige Live-Element, hinter ihm ragte die Wand der Moog-Module auf. Ihr Ziel, Erster oder Letzter im Feld der 19 Bewerber zu werden, verfehlten sie nur knapp: Am Ende stand Platz 17 für „Euro-Vision”. Die Zeit überdauert hat dagegen „Moskow Diskow”: Ob sie am Tag, als dieser dampfmaschinenfeuchte Traum für eine Zielgruppe, in der sich Salonmarxist*innen, Electronic-Disco-Fans und New Waver überschnitten, entstand, das Gefühl einer historischen Leistung verspürt haben? „Wir dachten eigentlich eher, dass wir Einwegmusik machen”, sagt Lacksman belustigt. „Wir sind vielleicht ein bisschen auf unseren Stühlen rumgerutscht”, ergänzt Moers, „aber wir haben nicht im Studio getanzt.”


Die Compilation This is Telex ist auf Mute/PIAS erschienen.

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