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Juni 2021: Die essenziellen Alben (Teil 3)

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Raxon – Sound Of Mind (Kompakt)

Raxon - Sound Of Mind

„The best thing about not having shows is there is no pressure for making dancefloor-oriented tracks, and I was starting to get sick of breakdown/drops in general.” Mit diesen Worten aus einem kürzlich veröffentlichten Interview kündigt der in Ägypten geborene Produzent und DJ Raxon sein Debütalbum Sound Of Mind auf Kompakt an, das sich wie zu erwarten nicht nur auf die satten Funktion-One-Anlagen in schwitzigen Clubs konzentriert. Wie viele weitere Alben entstand auch dieses Projekt teilweise in Zeiten des Lockdowns, der sich spürbar durch introvertierte und atmosphärisch angetriebene Titel wie „Exit Station” zieht oder sich in 90er-Jahre-Breakbeat-Manier in grummelnden Bässen verliert. Die Old-School-Break-Loops werden mit bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Vocals oder Flugzeug-Soundeffekten wie in „Vice” vermischt, als wäre das Album nicht in einem Studio, sondern in einem Raumschiff aufgenommen worden. Blinkende Lichter, viele Knöpfe, komische Sounds – gewisse Gemeinsamkeiten sind vorhanden. Zufall? Mit „Phantom Report” oder „El Multiverse” kehrt der in Barcelona ansässige Produzent wieder zum vertrauten Four-To-The-Floor-Groove à la Raxon zurück und erinnert an seinen ersten Release vor zwei Jahren – ebenfalls auf Kompakt, im Rahmen der Speicher-Serie. So verschieden die insgesamt elf Titel auch klingen mögen, finden sich alle in einem futuristischen Sound-Konstrukt wieder, das sich wie eine ganz eigene Sprache durch die einzelnen Spuren ausbreitet. Simon Geiger

Ripatti – Fun is Not a Straight Line (Planet Mu)

Ripatti - Fun is Not a Straight Line

Der Finne Sasu Ripatti tauchte in den späten Neunzigern auf der Bildfläche auf. Er nannte sich Vladislav Delay und dekonstruierte munter alles Mögliche, dabei setzte er gerne jenen Effekt ein, den er sich in den Künstlernamen geschrieben hatte. Richtig groß wurde er mit seinem auf Force Tracks erschienenen House-Album Vocalcity. Im letzten Sommer stand zum 20-jährigen Jubiläum dieses Meilensteins eine Wiederveröffentlichung unter eigener Regie an. House-Musik und straighte Beats interessieren den Finnen aber schon sehr lange nicht mehr. Wie wir nun erfahren, ist Sasu Ripatti seit Illmatic von Nas ein großer Hip-Hop-Fan. In der Komplexität moderner Hip-Hop-Beats findet er heute das, was er an den schematischen Strukturen von House vermisst. Und so veröffentlicht er nun mit Fun is Not a Straight Line als Ripatti ein Hip-Hop-Album. Erwartungsgemäß ist das natürlich die dekonstruierende Sasu-Ripatti-Version von Hip Hop. Etwas überraschend ist, dass er diesen neuen Longplayer als Fortsetzung von Vocalcity betrachtet. Deshalb, weil auf Vocalcity alles fließend war. Seine House-Tracks damals schwebten majestätisch durch den Raum. Auf Fun is Not a Straight Line fließt und schwebt nichts. Die häufig an Juke-Anarchie erinnernden Stücke kommen zerhäckselt daher, ein ständiger Beschuss durch Sound-Partikel. Die Linie zwischen Fun is Not a Straight Line und Vocalcity ist also keine gerade. Trotzdem gibt es tatsächlich eine Verbindung zwischen beiden Platten: Vocals. Sasu Ripatti verarbeitet 1000 kleine Vocal-Samples. Manchmal ist es offensichtlich, dass diese Rap-Stücken entnommen sind, manchmal sind sie aber so kurz, dass jegliche Spekulation über die Herkunft zu nichts führt. Ähnlich verhält es sich mit den Beats; die klingen für einen kurzen Moment mal nach Old School, dann wieder nach Dirty South, am Ende weiß man es dann doch nicht so genau. 39 Minuten dauert dieser wilde Ritt. Danach macht sich ein Gefühl der Erschöpfung bemerkbar. Die Nachbarn, die Fun is Not a Straight Line an einem schönen Sommertag bei offenem Fenster eventuell miterleben durften, verspüren vermutlich ein Gefühl der Erleichterung, nachdem sich der letzte Track „girl is hip” in einem zerrenden Sound auflöste. Holger Klein

羅伯特 – Lexicon (Piece of Work)

Lexicon_piece of work

Bereits im Januar veröffentlichte Bézier unter dem Alias 羅伯特 ein Album auf seinem neuen Label-Projekt Piece of Work. Ein weiterer Schritt in Richtung seiner asiatischen Wurzeln. Denn der queere Künstler wuchs als Robert Yang zwar in den Staaten auf, hat in den letzten Jahren aber immer mehr kreativen Bezug auf seine taiwanesische Heimat genommen. Als Teil von Honey Soundsystem aus San Francisco macht er seit jeher aktivierende Körpermusik in der Cruising-Tradition der Badehäuser der Westcoast-Metropole. Auf Lexicon klingt auch wieder Yangs große Liebe für starke Synths durch. „Acid-Geschwurbel” für die einen, gekonntes Amalgam aus Disco, Synth, IDM oder Electro für die Kenner. Die Arpeggios flitzen schnell und treiben die Melodie noch schneller vor sich her, hier wird alles in Großbuchstaben geschrieben. Ob an an der Zehn-Minuten-Grenze kratzend oder im Kurzformat, Atempausen gönnt die LP trotzdem keine. Dauernd passiert was, denn Lexicon ist (genau wie sein Produzent) Maximalist, hat eher eine Idee zu viel als zu wenig. Schwere Rhythmus-Maschinen für körperlichen, schweißtreibenden, boomenden Sound und queere, intensive Italo-Ästhetiken: all das macht die Platte zu einem fantastisch-euphorischen Frühsommer-Hit. Leopold Hutter

Squarepusher – Feed Me Weird Things (Warp) (Reissue)

Squarepusher - Feed Me Weird Things

Eine Gitarre spielt ein paar Stop-and-Go-Akkorde, begleitet von jazzigen Schlagzeugrhythmen. Dann rattern die Maschinen los und ein Bass spielt eine halsbrecherische Melodie. Das „Squarepusher Theme” ist ein nicht nur dem Titel nach programmatisches Stück, das den musikalischen Ansatz – irgendwie humorvoll, von zeitgenössischer Clubmusik genauso beeinflusst wie gelangweilt, Gniedelbass! – über fast sechseinhalb Minuten genüsslich ausformuliert. Ursprünglich auf der Squarepusher-Plays…-EP im Mai 1996 auf Rephlex erschienen, eröffnet es nun das Reissue des kurz darauf veröffentlichten Debütalbums von Thomas Jenkinson, der bei Release gerade einmal 21 Jahre alt war. Am Ende der Jungle-Hochzeit und parallel zur Verfestigung des IDM-Genres schuf der sich unter dem Namen Squarepusher sehr schnell eine eigene Nische, aus der er bis heute nicht herausgekommen ist, die er aber stetig erweitert hat.

Das nun wieder auf Vinyl und erstmals auch auf digitalen Streaming-Plattformen erhältliche Feed Me Weird Things – auch dieser Titel ist als Manifest zu lesen – bietet allerdings den Ursprungsmythos dieses Sonderlings, der darauf gemütlich Dub-Stücke im Chaos versank („The Swifty”), atonalen Jazz und Breakcore zusammendachte („Smedleys Melody”) und Jungle-Intermezzi wie ein Stockhausen-Stück klingen ließ („Future Gibbon”). Dass die Stücke der damaligen Vorab-Single das nun einrahmen – „Theme From Goodbye Renaldo” und „Deep Fried Pizza” stehen am Ende der Tracklist – ist nicht nur als nette Beigabe zu verstehen, sondern beweist einmal mehr, dass Jenkinson mit dem Album nicht unbedingt ein kohärentes Narrativ auserzählen wollte. Vielmehr ging es schließlich darum, Narrative und die ihnen zugrundeliegende Strukturen überhaupt auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Dass die bisher von der Abfallentsorgung noch nicht abgeholt wurden, macht Feed Me Weird Things auch 25 Jahre nach Veröffentlichung noch immer zu einem ebenso monumentalen wie exzentrischen Werk postmodernen Muckertums. Kristoffer Cornils

Trinity Carbon – Trinity Carbon (ESP Institute)

Trinity Carbon - Trinity Carbon

Das Label ESP Institute in Los Angeles hat verschiedene Vorzüge. Einer davon ist eine starke Neigung zur Clubmusik, die an den ausgefransten Rändern der gebräuchlichen Genres operiert. Eine würdige Adresse für das erste Album des Duos Trinity Carbon. Nach zwei Drum’n’Bass-lastigen EPs auf dem Label Art-E-Fax haben die beiden in Berlin ansässigen Briten Patrick Conway und Laurie Osborne alias Appleblim sich für ihr selbstbetiteltes LP-Debüt etwas von ihrer anfänglichen albionistischen Traditionspflege entfernt. Nicht, dass sie jetzt auf Breaks, Bass oder Dub verzichten würden. All das gibt es weiter bei ihnen, doch nie in so ganz vertrauter Form. Vorbild war ihnen der im vergangenen Jahr verstorbene Kollege Andrew Weatherall, selbst ein Meister des Ausprobierens und Rekombinierens. Bei Trinity Carbon meint man, ganze Dekaden britischer Einflüsse von IDM bis Dubstep in die Tracks eingerollt zu hören, so kompakt, dass die einzelnen Schichten stets gegenwärtig, doch mitunter bloß im Ansatz zu hören sind. Die Größe der Platte ist, dass sie mit alldem nicht angibt, sondern, very understatement, die Dinge diskret einfließen lässt. Tim Caspar Boehme

USRNM – MSPriints (Rednetic)

USRNM - MSPriints

Stuart Bowditch veröffentlicht Ambient unter dem Pseudonym Hybernation, als USRNM beschäftigt er sich mit kristallinem Electro. Und induziert eine Wachtraum-Trance: mit einem Handclap nur kann „AltQQ” die meist als linear gedachte Kontinuität der Wirklichkeit beiseite schieben, „So Meta” schiebt mit quietschigen Fiepsern die eigene Kreuzschiff-Rave-Tauglichkeit beiseite. Immer wieder klingt MSPriints (kein Schreibfehler) nach Kompromiss-Techno, doch arbeitet Bowditch damit, wie er auch immer wieder die Maschinenarbeit beim Produzieren reflektiert.

So wie im Titel „Kernel”, was ja ein Getreidekorn ebenso sein kann wie der Kern eines Betriebssystems. Hier lagern sich mehrere Ebenen träumender Maschinen über- und hintereinander und fächern so einen begehbar anmutenden Hörraum auf, während in „about cache” eine hin-und herschwingende Harmonie zwischen Beat und Grundrauschen vermittelt. Also entsteht eine Tracksammlung der programmierten Fiktionen. „V replaces U” schiebt und rauscht durch glazial geformte Gegenden, „Cults” verfremdet und abstrahiert Trommel- und Trance-Folkloren. Auch das Beliebte hat immer schon Dellen, zeigt Bowditch als USRNM. Wir erwachen, so geklärt und sortiert das möglich ist. Christoph Braun

VC-118A – Spiritual Machines (Delsin)

VC-118A Spiritual Machines

Samuel van Dijk legt ein beeindruckendes Veröffentlichungstempo an den Tag. Seit dem Jahr 2014 hat er allein unter seinem Pseudonym Multicast Dynamics acht Alben veröffentlicht, zu denen neben einer Reihe von EPs im Laufe des letzten Jahrzehnts noch drei weitere LPs als VC-118A kamen. Spiritual Machines gesellt sich nun dazu und erscheint wie der Vorgänger Inside auf Delsin, wo sich der Sound des von Dub Techno und kosmischem Electro geprägten Projekts bestens in den Katalog einpasst. Über 13 Tracks hinweg abstrahiert van Dijk seinen bisher sowieso schon sphärischen Sound umso mehr. Selbst von Percussion dominierte Tracks wie „Aurora” erinnern eher an liquiden und den sogenannten intelligenten Drum’n’Bass oder den Autoren-Jungle eines Djrum, während wattige Dub-Rhythmen wie auf „Machina Overloop” eher an vernebelten Trip-Hop denn an den luftleeren Raum denken lassen, in dem sich der Produzent zuvor mit seinem VC-118A-Projekt bewegt hat. Die Entgrenzung seiner Musik ist keine, die im imaginären (Welt-)Raum stattfindet, sondern die stilistischer Natur ist. Die einnehmende, fast schwelgerische Atmosphäre und also van Dijks Handschrift ist geblieben, der musikalische Ansatz aber dehnt und differenziert sich zunehmend aus, schreitet im nach wie vor beeindruckenden Tempo voran. Kristoffer Cornils

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