Flying Lotus (Foto: Eric Coleman)
Read the English version here.
Electronik-Wunderkind, Arbeitstier und Konsolero Steven Ellison alias Flying Lotus besinnt sich seiner Wurzeln. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Flamagra, mit Gästen wie George Clinton, Shabazz Palaces oder Solange, nutzte der Musiker aus Los Angeles die Zeit des Lockdowns, um sich intensiv der Story des schwarzen Samurai Yasuke zu widmen. Für die sechsteilige Netflix-Produktion fungiert Ellison als Executive Producer und liefert einen epischen Soundtrack zur Anime-Serie. Im Interview erzählt er unserem Autor Lutz Vössing, wie ihn das Format Anime seit jeher inspirierte, was die Arbeit als Filmmusiker für ihn bedeutet und wo das das politische Potential des schwarzen Samurai liegt.
Welche Gefühle haben Animes und Mangas in dir als Kind ausgelöst?
Als Kind haben mich Animes beeindruckt, weil es keine Grenzen im Bezug auf die Ideen gab. Anime eröffneten mir einen Raum, in dem sich Ideen und Konzepte mit wunderschönen und surrealen Bildern verbanden. Dazu kam, dass Animes etwas für Erwachsene waren. Sie wurden ernst genommen. Auch das hat sie für mich attraktiv gemacht. Als Kind schaute ich Samstagmorgen Cartoons wie Batman – The Animated Series. Das war toll, aber doch etwas für Kinder. Da passierte nichts allzu Verrücktes. Wenn man dann diese Anime-Sendungen für Erwachsene sieht, dann denkt man: „Oh mein Gott, sind das verrückte Geschichten!” Da sterben Menschen tatsächlich. Man sieht Blut, Eingeweide, Nacktheit. Für ein Kind ist das heftig. Und es war generell inspirierend zu wissen, dass es eine andere Kunstform gibt, in der man sich filmisch ausdrücken kann.
In der Presse hast du kritisiert, dass es in den Animes, die du gesehen hast, keine Schwarzen gab. Wie hat das auf dich als Kind gewirkt, und was bedeutet es für dich jetzt, die Geschichte von Yasuke, dem schwarzen Samurai, neu zu adaptieren?
Ich weiß, dass Japan und seine Kultur elitär sind. Die Künstler*innen dort arbeiten in einer Art Blase, die wunderschön ist. Man möchte sie fast nicht kritisieren. Weil man sich denkt: „Ihr seid großartig in dem, was ihr tut. Ich will das nicht stören.” Aber die heutige Welt ist ein riesiger Schmelztiegel. Und leider spiegeln das viele Arbeiten nicht. Vielleicht ist Japan kein so großer Schmelztiegel. Aber es gibt viele schwarze Kinder auf der Welt, die Anime lieben. Die Anime-Community wächst sehr. Es war traurig für mich, keine schwarzen Charaktere zu sehen, als die sich die Kinder verkleiden können, zu denen sie als Helden aufschauen könnten. Es gibt keinen schwarzen Charakter in Dragon Ball Z. Es gibt keine schwarzen Charaktere, die stark sind und verrückte Sachen machen. Ein Teil dessen, das wir mit Yasuke erreichen wollten, ist dieser Moment. Wir wollten sehen, wie er ein paar Dinge ein bisschen anders macht. Wir wollten eine andere Geschichte erzählen. Es war also eine Gelegenheit, aus der Normalität herauszutreten.
Wie bist du überhaupt auf die Geschichte gestoßen?
Ich habe vorher am Rande davon gehört. Aber nicht viel. Und man weiß ja nie, was Gerüchte sind und was nicht. Zu dieser Zeit gab es nicht viel über ihn zu erfahren. Irgendwann hat mir dann ein befreundeter Produzent das Projekt gezeigt und gefragt, ob ich interessiert sei. Und natürlich wollte ich da dabei sein.
Wie war die Arbeit an dem Album? Mit kurzen, Dilla-artigen Tracks geht mehr in Richtung Instrumental-Hip-Hop War das eine bewusste Entscheidung?
Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Ich habe diesen Sound noch in keiner Serie gehört, besonders nicht im Anime. Also wollte ich dem Unbekannten nachgehen. Und etwas kreieren, das wirklich den Geist dessen einfängt, was ich erlebte, als ich den Anime schaute.
War der Kontrast zu deinem früheren Album Flamagra befreiend für dich?
Ich weiß nicht, ob er befreiend war. Es ist eher so, dass ich gerne mit Visuals arbeite und gerne Videos komponiere. Dieser Bereich ist perfekt für mich. Es ist die perfekte Kombination, das, was ich von Anfang an machen wollte. Wenn ich die Gelegenheit habe, es zu tun, lasse ich mich voll darauf ein. Aber ja, bei jedem Projekt möchte ich das Gegenteil von dem machen, was ich vorher gemacht hab’. Das mache ich immer so. Flamagra hat viele Vocals und viele Gäste. Diesmal hatte ich nur wenige, die Leute, denen ich nahe stehe – und das war’s. Vielleicht werden es beim nächsten Mal wieder mehr. Aber ich komme an den Punkt, an dem ich eine Sache mache und denke: „Das letzte Album war wirklich fett und laut. Jetzt will ich was machen, das weich und sanft klingt. Jetzt will ich wasf ür die beat heads machen.”
Deine Karriere als Musiker begann beim Zeichentricksender Adult Swim, wo du Filmmusik komponiert hast. Gehst du mit Yasuke einen Schritt zurück zu deinen Wurzeln?
„Es ist in gewisser Hinsicht eine Rückkehr zu meinen Wurzeln, auch musikalisch.”
Ich denke schon. Es ist in gewisser Hinsicht eine Rückkehr zu meinen Wurzeln, auch musikalisch. Das war von Anfang an meine Leidenschaft, ich wollte immer Teil dieser Szene sein. Wenn ich auf YouTube all diese Lo-Fi-Hip-Hop-Kids sehe, denke ich: „Ich habe das Gefühl, dass ich diese Kultur mit losgetreten habe, auf die die Kids heute stehen. Und ich tauche nicht mal in den Playlists auf. Was ist da los? Was zum Teufel ist hier los? Ich muss an mir arbeiten!” (lacht)
Welche Playlists meinst du genau?
Die Lo-Fi-Hip-Hop-Sender. Ich fühle mich wie ein Urvater dieser Szene. Aber ich bin nicht einmal mehr dabei, weil es eine neue Generation von Kids gibt, die solche Sachen machen. Das ist großartig. Aber diese Welt geht mir auch ab. Die Lo-Fi-Szene liebt Anime, deshalb verstehe ich das Album auch als eine Art Liebesbrief an diese Community.
Lass uns über die Musik selbst sprechen. Wie kam es dazu, dass du den Fokus mehr auf Synthesizer als auf klassischen Jazz gelegt hast, der ja sonst in Shinichiro Watanabes Animes oft zu hören ist?
Eins war klar: Sobald ich irgendetwas in der Anime-Welt gemache , fangen die Leute an, Vergleiche anzustellen. Sie machen nichts anderes. Sie wollen einfach nur vergleichen: „Das ist ein Hip-Hop-Ding, also ist das wie Samurai Champloo, Cowboy Bebop oder Afro Samurai.” Ich weiß, wie das Internet funktioniert. Und das ist teilweise echt nervig. (lacht) Ich wollte also einen Sound, den ich noch nie in einem Anime gehört hatte. Ob die Leute nun vergleichen wollen oder nicht: Dieser Scheiß ist absolut anders als das andere Zeug, das in Animes zu hören ist. Also hab ich diese Idee verfolgt und versucht, die Dinge ein wenig anders zu machen.
Waren deine Alben nicht schon immer Soundtracks zu Filmen – wenn auch zu solchen, die noch nicht gedreht wurden?
In gewisser Weise schon. Meine Arbeit ist definitiv von Filmen und Videospielen inspiriert. Oft läuft das Zeug im Hintergrund, wenn ich arbeite. Wahrscheinlich werde ich von jetzt an noch spezifischer an einem Soundtrack zu einem Film arbeiten, den es schon gibt. Aber ich werde niemandem sagen, um welchen es sich handelt. (lacht) Oder vielleicht doch! (lacht) Ich arbeite gerne so, für mich und meinen Stil fühlt sich das natürlich an.
Welche Musik hat dich bei der Arbeit an Yasuke inspiriert, abgesehen vom offensichtlichen Vangelis? Ich höre zum Beispiel etwas Pink Floyd.
Ja, definitiv. „On the Run”! Ich habe mit dem Synthesizer herumgespielt. Und dieses Arpeggio, dieses dodeldudeldideldoo kam dabei heraus. Und ich dachte: „Unmöglich! Ist das dein Ernst? OK, ich schätze, so machen wir’s!” Also habe ich es einfach benutzt, und dann hat es auch funktioniert. Und ich dachte mir: „Das könnte so ein cooler Vibe sein, wie in einer Action-Szene.” Abgesehen davon war Jean-Michel Jarre eine große Inspiration. Und, wie gesagt, die Lo-Fi-Szene. Offensichtlich Dilla-Zeugs. Und (denkt lange nach) ich habe viel japanische Percussion und generell japanische Musik gehört. Wen ich noch nicht oft genug erwähnt habe, ist Ryuichi Sakamoto. Ich hab bisher noch nicht viel mit ihm gearbeitet, aber schon so viel allein durch seine Energie von ihm gelernt. Nicht einmal durch seine Musik. Nur durch seine Sensibilität für Stille, Raum und Klang. Vor allem, als ich mich den melodischen Parts gewidmet hab’, hab’ ich an ihn gedacht.
„Für mich war es Method Composing.”
Wie war deine Arbeitsweise?
Für die Show habe ich ungefähr 200 Demos für verschiedene Parts und Szenen produziert. Natürlich hat nicht alles funktioniert, und einige Dinge werde ich vielleicht für andere Shows nutzen, wer weiß? Meine Arbeitsweise war interessant, weil ich nicht immer genau mit den Bildern gearbeitet habe. Manchmal hab’ ich mir einfach eine Szene angeschaut und versucht, die Energie, die ich gefühlt habe, mit mir durch den Tag zu tragen. Das ist so seltsam. Ich habe so eine krasse Verbindung gespürt und hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich selbst wäre Yasuke. Und dann schien es so, als würde meine Musik ihm helfen, seine Kämpfe zu gewinnen. So intensiv wurde das. Ich hab’ mir eine Szene angeguckt, bin dann ins Fitnessstudio und hab’ beim Trainieren darüber nachgedacht. Und dann bin ich nach Hause und schrieb einfach ein Stück. Und irgendwie passte es dann genau zu dem Thema. Aber auch die simultane Vorgehensweise war spannend. Ich habe mich dabei linear durch die Show gearbeitet, um Yasuke emotional nicht voraus zu sein. Dabei habe ich versucht, im selben Moment zu sein wie er, also versucht, in Echtzeit zu arbeiten. Vielleicht ist das vergleichbar mit Schauspieler*innen, wenn sie an einem Film arbeiten. Wie Method Acting. Für mich war es Method Composing.
Wie kann man sich das vorstellen?
Manchmal hab’ ich direkt zum Videobild gearbeitet, manchmal hatte ich meinen Kumpel Chris Fishman dabei, ein großartiger Musiker. Und wenn da was war, das ich nicht spielen konnte, hab ich es ihm vorgesungen, und er hat es nachgespielt. Es gibt auf dem Album einige Klavierstücke, die ich selbst nicht aufnehmen konnte. Die kamen dann von ihm. Es fühlte sich an, als würde ich die Führung der Serie übernehmen. Ich wollte Yasukes Welt noch magischer und interessanter machen. Das war eine wirklich schöne Erfahrung.
Wie fühlst du dich, wenn du jetzt das Ergebnis siehst?
Ich liebe es. Wäre ich der Regisseur, würde ich einige Dinge anders machen. Aber insgesamt bin einfach so stolz auf die Arbeit, die darin steckt. Es wäre schön, wenn wir mehr Episoden in der Staffel hätten. Mit zehn Episoden könnten wir noch mehr Ideen ausarbeiten. Vielleicht wird es eine Fortsetzung geben, wer weiß.
Besonders der Titeltrack hat diese Spannung zwischen Melancholie und Optimismus. Drückt dieser Track auch deinen eigenen Charakter aus, oder ist das nur die Psyche des Hauptdarstellers, die du versuchst, auszudrücken?
Das ist der Geist der Serie und der von Yasuke. Leider ist Yasuke verflucht. Aber nur weil man verflucht ist, heißt das nicht, dass einem nur schlechte Dinge passieren. Verfluchte Menschen haben aber ein hartes Leben. Nichts kommt ohne viel Schmerz, Blut und Opfer. Das ist typisch für Yasuke. Er hat schreckliche Dinge erlebt und ein chaotisches Leben geführt. Aber zu welchem Preis? Für mich gibt es diesen Schmerz in der ganzen Musik. Ob sie nun optimistisch ist oder nicht. Es gibt immer diese Andeutung von: „Mann, ich habe viel Scheiße durchgemacht.” (lacht) Das merkt man in der Musik. Man spürt die Schwere seiner Reise.
Du hast gerade von einer möglichen zweiten Staffel gesprochen. Wie verlief die Zusammenarbeit mit Netflix?
Die Arbeit mit Netflix war großartig und meine Beziehung zu ihnen super. Bei vielen Dingen kommt es leider auf Zahlen an, es hängt von Algorithmen und Analysen ab, ob wir eine zweite Staffel machen können oder nicht. Aber ich würde gerne diese oder eine andere Serie oder was auch immer machen. Oder beides, zwei Serien zur gleichen Zeit! (lacht) Ich wäre dabei!
Yasuke bleibt also kein einmaliges Projekt?
Ich habe das Gefühl, dass Animes und ich auch für meine Fangemeinde sehr gut zueinander passen. Außerdem habe ich dadurch auch einen Haufen neuer Fans gewonnen. Wenn also möglich, würd ich da gerne weiter machen.
2008 hast du im Groove-Interview gesagt, dass du extrem beschäftigt bist. Wie haben sich die Dinge geändert, besonders während Corona?
Ich bin immer noch sehr beschäftigt. (lacht) Ich war froh, während der Pandemie an Yasuke arbeiten zu können. Das war ideal. Wäre ich nicht zu Hause festgesessen, hätte ich mich wahrscheinlich nicht so intensiv auf die Serie konzentrieren können. Wenn es Ablenkungen gegeben hätte, und meine Leute mit mir hätten abhängen wollen. Aber niemand wollte irgendetwas unternehmen, man konnte ja auch nirgendwo hingehen. Die Welt war deprimierend, Trump fabrizierte diese Scheiße, und es war furchtbar hier in Amerika. Aber ich konnte mich für eine Weile in das alte, futuristische, feudale Japan flüchten. Und für mich war es das Beste, was man während einer Pandemie machen kann. (lacht)
Vermisst du deine Live-Shows überhaupt oder bist du sowieso lieber der Nerd im Studio?
(laut) Warum soll ich ein Nerd sein? (lacht) Nee, Scherz. Ich liebe es, für Leute zu spielen und werde dessen nie müde. Ich hab’ eine große Leidenschaft dafür, aber keine große Leidenschaft für frühe Flüge, Kater, Zwischenlandungen und den Zoll. (lacht) Diesen Teil vermisse ich sicher nicht. Aber natürlich fehlt es mir, vor Leuten zu spielen. Ich wünschte, ich könnte das ohne diesen ganzen Bullshit machen. (lacht) Aber das ist halt der Preis, den man dafür zahlen muss. Natürlich genieße ich es auch, zu Hause zu sein, und bin dankbar über die Auszeit. Ich hatte Zeit für mein Privatleben und Zeit Dinge zu lernen, die ich sonst nie angegangen wäre.
Verlässt du die Pandemie also als ein besserer Mensch?
Ja, und darüber bin ich echt froh. Zwar bin ich vielleicht nicht mehr in der Form, die ich vor der Pandemie hatte, aber ich bin auch nicht schlecht in Form. (lacht)
Hast du erst während der Pandemie angefangen zu trainieren?
Nein, eigentlich habe ich schon vorher trainiert. Als die Fitnessstudios geschlossen wurden, hat mich das ausgebremst. Man fängt einfach an, den ganzen Tag zu snacken und sich Essen liefern zu lassen. Man reist nicht mehr nirgendwo hin. Ich bin nicht mehr so fit, wie ich es mal war, aber dich mach ich immer noch fertig! (lacht laut)
Wir haben gerade über das Spielen von Live-Shows gesprochen. Planst du, den Yasuke-Soundtrack mit auf Tour zu nehmen? Oder ist das nur ein Projekt für die Netflix-Show?
Als Tour möchte ich das nicht machen. Aber es wird Teil meiner Show sein. Man wird wohl einige Yasuke-Bilder und andere Teile der Serie sehen. Ich glaube aber nicht, dass es in nächster Zeit eine Tournee geben wird. Ich werde für eine Weile nur Einzel-Shows spielen.
Jetzt, wo du den Score zu einer Anime-Serie beigesteuert hast, gibt es noch andere Kindheitsträume, die du dir erfüllen willst? Was können wir in der Zukunft von dir erwarten?
Nun, ich denke, der nächste große Meilenstein wäre, meinen Namen unterm Marvel- oder DC-Logo zu sehen. (lacht) Oder HBO! Man würde sagen: „Er hat es geschafft. That’s it!” Im Moment bin ich aber nicht unzufrieden. Ich lebe gerade meinen Traum, bin extrem glücklich. Aber das wäre schon cool.
In der Titelgeschichte von 2008 meintest du, dass du wieder nach Hause gehen wolltest, um GTA zu spielen. Würdest du die Popkultur als deine Haupt-Inspirationsquelle betrachten?
Interessante Frage. Sie ist definitiv eine Inspiration. Aber gefühlt schöpfe ich immer zuerst aus meinem echten Leben. Denn das ist ziemlich deep. (lacht) Eigentlich muss ich nie weit ausholen. Ich fange immer bei meinen Kumpels, bei meiner Familie, in meiner eigenen Welt an. Und alles andere ist zweitrangig. Aber es gibt Teile von Yasuke, wo ich sagen könnte: „Ja, das ist ein bestimmter Homie. Ich habe da einen Teil von einem Freund rein gepackt.” Es ist ein Raum, in dem man das eigene Leben verarbeiten kann.