Aena Spitz und Markus Ossevorth von der Nation of Gondawana (Foto: Lutz Vössing)
Am Ende machen sich die intensive Recherche und das gemeinsame an-einem-Strang-Ziehen der Organisator*innen bezahlt: Die Nation of Gondwana darf dieses Jahr stattfinden. Auch persönlichen Rückschlägen zum Trotz hielt das Team um Markus Ossevorth an dem Vorhaben fest, dieses Jahr trotz Pandemie wieder ein Festival zu veranstalten. Maßgeblich war dabei die Arbeit am ausführlichen Hygienekonzept, dem voran eine tiefgehende Recherche über das Virus selbst ging. Im Gespräch mit GROOVE erzählt Ossevorth von diesem Prozess und der Verantwortung, die auf den Schultern des Teams als Teil eines brandenburgischen Modellprojekts mit drei Großveranstaltungen lastet.
Als eine von drei Veranstaltungen in Brandenburg habt ihr es geschafft, einen Modellstatus zu erhalten. Deshalb kann die Nation in diesem Jahr stattfinden. Wie ist euch das als vergleichsweise kleinem alternativen Festival gelungen?
Markus Ossevorth: Man kann auch unter pandemischen Bedingungen ein Festival machen – das wollen wir jetzt mal beweisen. Als Grundlage haben wir uns erstmal massiv mit diesem Virus beschäftigt. Wir haben viele Forschungs- und Studienergebnisse gelesen aus der Aerosol-Forschung, über die Impfung, über Medikamentenforschung. Wir haben den Drosten-Podcast rauf und runter gehört. Und uns erstmal einen Monat wirklich nur mit diesem Virus beschäftigt: Was macht der, was kann der, wie wird der übertragen? Welche Variante ist wie gefährlich?
Drosten liegt auf der Hand, was habt ihr sonst gelesen?
Wir haben [die medizinische Fachzeitschrift] Lancet gelesen, Spektrum der Wissenschaft und diverse Wissenschaftsblogs. Oftmals mussten wir dann nachfragen. Es gibt eine Gruppe auf Facebook, die Drosten-Ultras. Da kann man Leute fragen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Wir mussten viel nachfragen, weil wir ja keine Virolog*innen oder Aerosolforscher*innen oder keine Mathematiker*innen sind. Aus diesem Wissensstand heraus haben wir uns dann überlegt, wie das funktionieren kann, ein Festival zu machen, ohne einen einzigen Menschen zu gefährden. Und dann sind wir auf die Containment-Lösung gekommen.
Was bedeutet das?
Markus Ossevorth: Das bedeutet, dass wir eine Art Bubble erschaffen. Und alle, die in diese Bubble kommen, testen wir derart, dass nachweisbar ist, dass diese Personen nicht infiziert sind. Das machen wir einerseits durch die vorgelagerte PCR-Testung und andererseits durch die zweite, digital-diagnostische, Labor-basierte Antigen-Testung.
Wie seid ihr auf diesen Ansatz gekommen?
Aus dem ganzen Wissen, das wir uns angeeignet haben, und auch unter Einfluss von Ansätzen der No-Covid-Idee. Die haben wir dann auf unser Projekt übertragen. Da haben wir Mathematiker*innen von der Humboldt-Universität kontaktiert und uns das mal ausrechnen lassen: „Wie sicher ist das? Was müssen wir machen? Wie funktioniert das mit der Sensitivität und Spezifität? Was ist mit der Inkubation in der Zeit?” Und so weiter und so fort. Dann sind wir auf ein Ergebnis gekommen, bei welcher Inzidenz wir dieses Festival wirklich sicher machen können. Und aus diesem ganzen Wissen heraus haben wir dann das umfangreiche Test- und Hygienekonzept entwickelt. Das haben wir dann ganz frech eingereicht.
Wie verlief der Kontakt mit den Behörden? Im Fall der Fusion scheint es auch daran gescheitert zu sein.
Wir haben geschaut, mit wem wir reden, wer sich dafür interessieren könnte und wie wir einen Kontakt zu den betreffenden Ministerien bekommen. Das hat geklappt. Dann haben wir das Konzept eingereicht und erstmal gar nichts gehört. Und dann irgendwann ist man auf uns zugekommen und hat gesagt: „Wow, cooles Konzept. Ihr habt euch da echt gute Gedanken gemacht und offensichtlich intensiv mit der Thematik beschäftigt.” Und dann ging die Diskussion los: „Können wir das wirklich machen? Funktioniert das?” Danach musste das Gesundheitsministerium das Konzept noch durcharbeiten, und am Ende dieses langen Prozesses sind wir zu einem Ergebnis gekommen, von dem wir der Meinung sind, eine Blaupause entwickelt zu haben für uns und für alle übrigen Festivals.
Worauf ist da besonders zu achten? Wo liegen die größten Risiken?
Wir werden, was Testungen angeht, ein großes Augenmerk auf die Crew legen. Gerade die Crew wird sich deutlich mehr Testungen unterziehen lassen müssen als die Gäst*innen. Wir testen täglich beim Aufbau auf dem Gelände die Crew durch, um sicher zu sein, dass wir da keine Super-Spreader-Geschichte haben werden. Das sind die Menschen mit den vielen Kontakten, genau da müssen wir uns absolut sicher sein. Es sind mittlerweile viele von uns geimpft, auch weil sie in den letzten Monaten in Impf- oder Testzentren gearbeitet haben. Wir haben medizinisches Fachpersonal vor Ort, das die Testungen durchführen wird. Dabei wird mit digitaler Diagnostik in einem kleinen Labor vor Ort gearbeitet. Wir setzen also nicht auf Kassettentests, sondern arbeiten mit höchstmöglicher Qualität. Wir machen das mit der lumiraDx [Anm. d. Red.: Ein Gerät zur schnellen Bestätigung einer Infektion], das ist ein ziemlich gutes Verfahren. Es wird echt anstrengend, aber es geht nicht anders.
Musstet ihr für die Genehmigung besondere Zugeständnisse machen oder Einschränkungen in Kauf nehmen?
Die Einschränkungen, die in Kraft treten, sind keine Zugeständnisse an irgendein Ministerium oder an irgendeine Behörde. Das sind Zugeständnisse, die man dem Virus gegenüber machen muss. Das muss ich auch betonen: Wir haben immer sachorientiert und faktenbasiert diskutiert. Da ging es nicht darum, dass jemand meinte: „Ich möchte aber, dass das so oder so ist”. Sämtliche Besprechungen und Diskussionen, die wir mit den Ministerien hatten, waren konstruktiv und faktenorientiert. „Wir ziehen an einem Strang, wir haben da einen Virus. Wir wollen dieses Modellprojekt machen, wie kriegen wir das sicher hin?”
Neben diesem wissenschaftlichen Beirat braucht es ja auch ein gutes Team, um so eine Riesen-Sache zu stemmen.
Man braucht großartige Leute um sich herum, und die haben wir hier. Wir haben halt nie den Kopf in den Sand gesteckt. Niemand aus dem Team hat das. Und wenn eine*r mal nicht mehr konnte, gab es immer eine*n aus diesem Team, der*die die Energie hatte und gesagt hat: „Nö, das klären wir, das lösen wir.” Denn in so einen Prozess gibt es immer Momente, in denen man nicht mehr kann. Das war wie so ein Ball, der immer weitergespielt wurde innerhalb des Teams. Und eine Person war immer da, die gesagt hat: „Wir machen das. Es gibt keine Probleme, es gibt nur Lösungen.”
Und ihr hattet vermutlich viele Plan-Bs.
B? C, D, E und F! (lacht) Bis Z. Wir haben immer versucht, jedes Szenario, das eintreten könnte, durchzuspielen und dafür eine Lösung parat zu haben. Wir müssen uns auf die unfassbarsten Dinge vorbereiten. Ich denke, dass uns das auch gelungen ist. Sieht man ja auch jetzt. Sonst wären wir nicht Modellprojekt geworden. Das Land ist durchaus sehr kritisch, hat genau hingeschaut. Die haben nicht gesagt: „Juhu, Techno, machen wa!”
Hilft dir dabei dein Erfahrungsschatz als jahrzehntelanger Festival-Planer, oder ist das jetzt eine total neue Situation mit Corona?
Markus: Es hilft auf alle Fälle. Aber am meisten hat geholfen, sich wirklich intensiv mit der Pandemie auseinanderzusetzen und zu verstehen, wie dieser Virus übertragen wird. Was macht er, warum ist es bei dem einen so und bei der anderen so. Wo lauert die Gefahr und wo ist es ungefährlich. Der Erfahrungsschatz bringt natürlich auch richtig, richtig viel. Man weiß, wie die Abläufe funktionieren, wie die Besucherströme verlaufen. Das war viel Kopfarbeit.
Wie habt ihr Corona überhaupt überstanden? Als Pyonen betreibt ihr ja außerdem noch vier Bars in Berlin.
Hochverschuldet. Mit ‘nem fetten Kredit der KfW-Bank. Wir haben natürlich auch alle vorhandenen Hilfsgelder beantragt. Aber das allein hat nicht gereicht, um die Krise zu überstehen. Wir haben letztes Jahr einen riesigen Kredit von der KfW erhalten, den wir die nächsten zehn Jahre zurückzahlen müssen. Und das ist vermutlich der Stand bei ganz, ganz vielen aus unserer Branche. Die meisten haben nur durch Kredite und Hilfsgelder überlebt. Und ich muss hier nochmal ganz klar sagen: Die Pandemie ist nicht vorbei! Jetzt hab’ ich so viel gelesen, bin so informiert darüber und kann sagen, dass das Thema definitiv noch nicht durch ist. Wenn wir uns nicht alle am Schlüpper reißen und weiterhin vorsichtig sind, was Innenräume, Kontakte und so weiter angeht, dann wird uns das im Herbst oder sogar im Sommer nochmal ganz böse um die Ohren fliegen. Man muss unbedingt noch vorsichtig sein.