Marcel Dettmann – SPND20 Mixtape (Spandau20)
1995 legte Marcel Dettmann noch als DJ M.aD auf. So geschehen auch in der Fürstenwalder Punk-Location Club in the Park, in der der spätere Ostgut- und Berghain-Resident damals eine eindrucksvolle Duftmarke hinterließ. Diese hat er der Mixtape-Serie von FJAAKS Label Spandau20 zur Verfügung gestellt. Über knapp 80 Minuten hangelt sich ein junger Dettmann darauf mit Tracks von Jeff Mills, Maurizio oder Robert Hood einerseits gekonnt an der Berlin-Detroit-Achse entlang, streut mit Phortunes Acid-lastigem „Can You Feel The Bass” aber auch Chicago-Referenzen mit ein.
Ein früher Beleg dafür, dass Dettmann nicht nur auf dem düsteren Berghain-Floor funktioniert, sondern ebenso gut im housigen Kontext als Open-Air- oder Festival-DJ. Das Zeitdokument, das beileibe nicht nur aus historischen Gründen relevant ist, sondern auch heute noch Spaß macht, zeugt vom breiten, offenherzigen Zugang, den Dettmann zur elektronischen Musik seit jeher pflegt. Die traumwandlerische Routine, die ihn heute auszeichnet, hatte sich damals allerdings noch nicht ausgeprägt. Nicht jede Platte passt zur nächsten, hin und wieder eröffnen sich Kontraste, die sich aber relativ schleunig in Wohlgefallen auflösen. Experimentierfreude, Verspieltheit und Risiken definieren diesen Mix, der 26 Jahre nach seiner Aufnahme erklärt, wieso Marcel Dettmann kurze Zeit später der Durchbruch vergönnt war. Maximilian Fritz
Hadj Sameer invite 1-Drink (Rinse France)
Einmal im Monat lädt stöbert Hadj Sameer in seiner überaus extensiven Vinyl-Sammlung. Dann sucht er einige seiner liebsten Fundstücke heraus und mixt sie für Rinse France zusammen. In diesem Monat hat er es sich anders überlegt und einen Gast eingeladen, den japanischen DJ 1-Drink. Dieser geht mit dem aktuellen Mix geht auf kuriose Entdeckungstour. Angefangen mit experimentellem Ambient geht das Set in atmosphärischen House über, gefolgt von einer angenehm rhythmischen Mischung aus Jazz und House, in der ein Klavier tänzelnd seine Kreise zieht. Und wenn man dann denkt, 1-Drink hätte sich in einer Schiene eingegroovt, kommt die deutsche Avantgarde Band F.S.K. daher. In den Lauf des Mix fügt sich dann noch fröhlich herumhoppelnder Synth-Pop, psychedelische Gitarrensoli, verträumte Electronica-Klänge und schließlich noch japanischer Funk dazu. Die Trackauswahl klingt angenehm eklektisch und macht nostalgisch auf die Momente, in denen man beim Stöbern im Vinyl-Laden neue Glücksfunde entdeckt. Louisa Neitz
Tresor 30 Special – LNS (HÖR)
Zum 30-jährigen Geburtstag lädt der Tresor die versierte kanadische Wahl-Berlinerin Laura Sparrow alias LNS hinter die Decks des bekanntesten Badezimmers Berlins zu einem besonderen Set ein. Dieses Mal verwandelt sich der weiß gekachelte HÖR-Raum (und die Maske von LNS) in eine Zeitkapsel. Videos aus den Archiven des Tresor zeigen neben trippigen Visuals nostalgische Sequenzen aus Clubs und Festivals der frühen Techno-Tage im Berlin der 90er.
LNS, die regelmäßig in Clubs wie dem Tresor, der Griessmuehle oder dem OHM spielte, liefert als erfahrene DJ sowohl technisch mit großartigem Mixing als auch musikalisch ein wunderbar hypnotisches Vinyl-Only-Set, das vor allem durch die Breite an Genres heraussticht. Neben Klassikern wie „Amenity” von Link (1992), mit dem die Reise in diesem farbenfrohen Kaleidoskop der elektronischen Musik beginnt, finden sich neben euphorischen Tribal- und House-Tracks auch warme Acid-Grooves, die unmissverständlich zum Tanzen auffordern und die eigenen vier Wände im Stil der 90er, natürlich so, dass die Nachbarn nicht gestört werden, zum Beben bringen. Ganz nach dem Motto der Loveparade 1994: „The Spirit Makes You Move”. Leon Schuck
Rey Colino – Delayed with… (Delayed)
Das Wort Rey bedeutet auf spanisch König. Ein holder Titel. Ob Colin Volvert ihn sich selbst gegeben hat oder ob andere die Adelung vollzogen haben, spielt hierbei keine Rolle. Während die Thronfolger europäischer Herrschaftshäuser reichlich wenig für ihre Ernennung zu Königen tun mussten, hat Rey Colino sehr viel getan, um sich mit solch einem Titel unter der neuen Generation von House-Musiker*innen schmücken zu dürfen. 2017 gründete er sein Label Kalahari Oyster Cult. Und damit eines der spannendsten jungen Imprints der umtriebigen holländischen, wenn nicht sogar europäischen elektronischen Musikszene. Bisher zählt der Label-Katalog um die 30 Releases von bekannten Künstler*innen wie Roza Terenzi und Reptant, aber auch von aufstrebenden Newcomer*innen wie dem Franzosen Too Smooth Christ oder dem Australier Furious Frank. Ob bekannt oder nicht – Rey Colinos Auswahl für sein Label ist fast ausnahmslos ein Siegel für absolute Qualität. Gleiches gilt für seinen Vinyl-Vertrieb One Eye Witness, der stets eine sprudelnde Quelle für neue Musik darstellt.
Für das Brooklyner Magazin Delayed hat er einen Mix aufgenommen, der vieles birgt, auf das es sich zu freuen lohnt. Denn, sofern die Beschreibung von Delayed der Wahrheit entspricht, ist der Mix gespickt mit einem Haufen an noch unveröffentlichtem Material. Zusammengetragen durch präzises Mixing entstehen 72 Minuten von purem, euphorischem Power-House. Jan Goldmann
Métaraph für DURCH (HÖR)
Nicht nur mit seinem außergewöhnlichen Look sorgt Métaraph für Aufsehen – als junger Produzent gelingt es ihm, dem Klang seiner Musik über Genregrenzen hinweg stets eine Mischung aus Angst und Hoffnung zu verleihen. Neben seiner Leidenschaft fürs Auflegen ist der in Italien aufgewachsene Raffaello Donnaloia auch als Schmuck-Designer, Visual Artist, Tänzer und Performer tätig. 2018 gründete er gemeinsam mit ØTTA, P RISCO und Olha Korovina das Londoner Techno- und Künstler-Kollektiv Орфей [Orpheus]. Dort fand Métaraph vor allem in der queeren Undergroundszene Anklang. Mittlerweile performt er in vielen Ländern Europas und ist mit zahlreichen Releases auf Labels wie Hardest Soft aus Berlin oder TSA Records aus Chile vertreten. Mit seinem Auftritt bei HÖR für das Kollektiv DURCH beschallt uns Raffaello hier knapp eine Stunde lang mit harten, schnellen und industriellen Sounds. DURCH ist ein in Berlin und Tel Aviv beheimatetes Label, das neben seinen queeren und sex-positiven Partys vor allem für die nötige Dosis Dark Techno sorgt. Mit seinen rohen und melancholischen Klängen gelingt es Métaraph uns aus dem individuellen inneren Chaos herauszureißen und uns auf eine höhere Bewusstseinsebene zu transportieren. Es wird gesprungen zwischen Genres – hier und da ein paar harte Kicks und scharfe Percussions immer gebündelt mit sehnsuchtsvollen Melodien und düsteren Vocals. Der Maestro der Metamorphose vermischt Hardcore mit Industrial Techno, welchem er mit einem Funken Acid den nötigen Schliff verleiht. Franziska Nistler