DJ Hell mit Jonathan und Brigitte Meese in den Trixx-Studios in Berlin-Kreuzberg (Foto: Jan Bauer)

Hier der bayerische Asket, da der Hamburger Kindskopf: In ihrem Naturell könnten Hell und Jonathan Meese kaum unterschiedlicher sein. Mit einer Lust an der Provokation, einer bestimmten Sturköpfigkeit und vielen gemeinsamen Held*innen teilen sie dann aber doch ziemlich viel. So ist ihr gemeinsames Album nur auf den ersten Blick eine Überraschung, Hells reduzierte, oldschoolige Grooves und Meeses monotoner Sprechgesang fließen ganz selbstverständlich ineinander. 

In Hell und Meese treffen zwei Stars verschiedener kultureller Felder aufeinander. Hier Techno, da die bildende Kunst. Hell hat in den 1990er Jahren Techno mitgeprägt wie nur wenige andere DJs, er steht für ein kompromisslosen Verständnis der Musik, das von einer Affinität zu den anstachelnden, aggressiven Sounds der Achtziger getragen wird. Seine düsteren, aufpeitschenden Grooves trieben Techno die Hippie-Attitüde und die Gefühlsduseligkeit aus, die die Musik bisweilen befällt. Jonathan Meese ist aus der bildenden Kunst nicht wegzudenken wie Hell aus der elektronischen Musik. 

Als erstem hiesigen Künstler gelang es Jonathan Meese, die Mythen deutscher (Geistes-)Geschichte und angloamerikanischer Popkultur auf einer Ebene zu verhandeln, das Spektrum reicht da von Richard Wagner bis Scarlett Johansson, von Adolf Hitler bis Nina Hagen. Auch formal feiert Meese die Aufhebung der Grenzen zwischen High und Low: Malerei und Zeichnungen werden von Performances, Theaterinszenierungen und Videos flankiert, die die Düsterkeit und die Schwere seiner Gemälde und Zeichnungen mit einem unerwarteten Humor brechen. 

DJ Hell und Jonathan Meese in den Trixx-Studios in Berlin-Kreuzberg (Foto: Jan Bauer)

Bisweilen kommt auf dem Album eine zweite Stimme dazu, die von Meeses 91-jähriger Mutter Brigitte. Brigitte ist für ihn eine Art Sparringspartnerin, die seine Arbeit von Beginn an bis heute begleitet, die Teil diverser Performances und Videos ist. Sie kommt im zweiten Teil unseres Gesprächs dazu, in dem es um die einzigartige Beziehung der beiden geht und darum, was die Begegnung mit Mutter und Sohn in den Trixx-Studios in Berlin-Kreuzberg in Hell ausgelöst hat. Jetzt geht es erstmal um die beiden, um Jonathan Meeses Zugang zu Techno, um Hells Zugang zu dessen Sprach-Performance – und warum es manchmal nur hilft, hundertfach draufzuhauen.  

Hells Arbeit verfolgt die GROOVE schon von Beginn an, seit mehr als 30 Jahren. Dich featuren wir zum ersten Mal, Jonathan. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr mal zusammen Musik macht, dass du dich mal für Techno interessieren wirst.


Jonathan: Das ist der Hammer. Und es war sogar meine Mutter dabei. Die ist gerade in der Physio und kommt später noch dazu. Ich freue mich auch total, ich werde nur angesprochen. Gestern auch wieder jemand, der ist voll begeistert und freut sich, dass wir zusammenarbeiten. 

DJ Hell: Das ist schon fast verdächtig, es gibt keine negative Kritik.

Jonathan: Ja, das ist aber auch ein Gesamtkunstwerk. Ich höre es ja nur noch, in der Badewanne auf Repeat. „Motherdance” höre ich mir 30 mal am Tag an, das ist unglaublich. 

DJ Hell: Einer der schönsten Songs auf dem Album. 

Jonathan: Aber alle Lieder sind toll. Das baut sich so auf. 

Hell, du hat schon mit diversen Sänger*innen zusammengearbeitet. Die Form ist hier aber freier: Jonathan und Barbara singen nicht, rappen nicht, sie sprechen rhythmisch – eine Form, die man von deinen Performances kennt, Jonathan, die aber auch an Samples in klassischem Chicago House erinnern. 

Jonathan: Es passiert einfach. Nichts ist erzwungen, es kam automatisch. DJ Hell hat mich gefragt, ob ich das Artwork für sein Album mache, das ist mir natürlich eine große Ehre, das habe ich mit Liebe gemacht. Daraus hat sich ergeben, dass wir zusammen ins Studio gegangen sind.

Jonathan Meese (Foto: Jan Bauer)

Was ist dort passiert? 

Jonathan: Die Kunst hat sich in uns abgespielt, und DJ Hell hat die Lieder auf eine Weise zusammengeführt und bearbeitet, dass sie zu einem Gesamtkunstwerk geworden sind. Das ist so komplex und zugleich auch tierisch und natürlich. Ich bin hin und weg. Das ist auch so kindlich und optimistisch und zukünftig. Ich höre jetzt, wie gesagt, die ganze Zeit alle Lieder – aber hauptsächlich „Motherdance”, wahrscheinlich jetzt ein halbes Jahr lang, immer in der Badewanne. Dann werde ich das nächste Lied angehen, weil ich da in die Tiefe will. Ich will auch später noch über diesen Song reden, weil ich ihn so wahnsinnig gut finde.  Wahrscheinlich, weil das mit Mami zu tun hat, meiner Mutter, der Muttertanz. 

Was hast du da über deine Mutter und eure Beziehung in Erfahrung gebracht?  

Jonathan: Es ist für mich wie eine Reise zur Mutter. Dann geht es weiter zu Dr. No und auch zu Dr. Mabuse, zu Hitler, zu Tieren. Es ist so düster, aber auch so liebevoll nach vorne gerichtet, es ist Musik für einen Ameisenhaufen oder für ein Bienenvolk. Es ist Insektenmusik, die ist so unfassbar hypnotisch. Ich fühle mich wie unter Dr. Mabuse, als ob ich hypnotisiert werden würde. Für mich ist da auch Mad Max, Zardoz, Wicker Man drin. Mir geht das Herz auf. Bei allen Liedern, ich muss sie aber abarbeiten. (lacht) 

DJ Hell: Ich wusste, dass Jonathan Sprachtalent hat und von der Performance kommt. Ich wusste aber nicht, dass er über ein ein so geniales Improvisationstalent verfügt. Ich versuche mal zu erklären, was da im Studio passiert ist: Ich habe Loops vorbereitet, monotone Wiederholungen, ich habe die Jonathan über Kopfhörer eingespielt, er hat in einer ersten experimentellen Phase am Mikrofon improvisiert. „Keine Angst”, „Motherdance” – Tanz die Mutter, „Dr. No” – das waren zuerst 15-minütige, 20-minütige Live-Performances. Aus dem Material habe ich dann Sachen geschnitten und verändert und natürlich auch Effekte auf Jonathans Stimme gelegt. „Motherdance” ist für mich fast ein Chicago-artiger Track, jackin’ Chicago-Sound.

Wie habt ihr die Songs erarbeitet? 

DJ Hell: Jonathan ist echt ein Sprachgenie, das kann ich nicht anders erklären, und ein Performancekünstler, wie ich noch nie einen erlebt habe. Das war so faszinierend, Brigitte und Jonathan zu beobachten, was er aus Dr. No macht. „Hab’ keine Angst, hab’ keine Angst, ich bin deine Angst” sind DAF-artige Zeilen. Ich weiß ja, dass Jonathan großer DAF-Fan ist. Das habe ich alles mit einfließen lassen.

DJ Hell und Jonathan Meese (Foto: Jan Bauer)

Was für Vorgaben hast du Jonathan gemacht? 

DJ Hell: Jonathan hatte völligen Freiraum. Ich habe nie gesagt, du musst das so oder so machen. Weil Jonathan noch nie im Studio gearbeitet hatte, habe ich ihm eine ungefähre Anleitung gegeben, wie das technisch abläuft, mit Kopfhörer und wann es losgeht, also nur ganz simple Sachen. Und er hat performt, performt, performt. Nicht nur textlich, auch in der Aussprache. Das hört man ja in allen Songs, was er mit seiner Stimme machen kann. Das ist bewundernswert. Ich kann das nicht. 

Ich habe früher mal eine Performance von dir, Jonathan, in der Berliner Volksbühne gesehen, da hast du ein Ritterduell mit Lanzen inszeniert, dazu immer wieder den Text wiederholt: „Sei Marquis de Sade, sei DAF”. Das hat mich noch lange verfolgt. Zum einen hat diese Form des Loops auch mit der elektronischen Musik zu tun, zum anderen erinnert das an religiösen Ausdruck, es klingt wie ein Mantra, ein Gebet. Haben dich sakrale Formen inspiriert?

Jonathan: Nein, gar nicht. Man schmiedet etwas. Auf das Samuraischwert musst du 100.000 mal draufhauen, damit es scharf wird. Du musst es wiederholen, wiederholen, wiederholen, das wird immer schärfer. Der Stahl bricht auf, dann geht er wieder zusammen. Die Moleküle gehen auseinander, sie sprengen sich. Wieder ins Feuer halten. Für mich ist die Wiederholung essenziell, in allen Bereichen, auch in der Malerei. Ich guck’ mir Wörter auch ganz genau an. DAF zum Beispiel, eben auch Donatien Alphonse François de Sade. Dann gibt es die Deutsche Arbeitsfront, und dann gibt es DAF als Deutsch-Amerikanische Freundschaft. Es gibt so vieles, das muss alles auch bringen, das ist so ein ganz natürlicher evolutionärer Prozess.

Du scheinst Hell sehr inspiriert zu haben, was hat er in dir ausgelöst? 

Jonathan: Vertrauen ist das Wort, was ich gesucht habe. Ich vertraue DJ Hell totalst. Ich kann dem was hinwerfen, und der macht daraus was. Das finde ich großartig. Der macht das so mit Liebe, der intensiviert es, setzt es unter Druck. Das kann ich nicht: Das rohe Material zu einem Diamanten umformen. Darin spiegelt sich alles wider, das sind Laserstrahlen, das ist Zardoz. Diese Stimm-Veränderungen, da habe ich sofort an den Wüstenplaneten gedacht. Diese Stimme, wenn die kommt, von dieser Priesterin, dieser Mutter, hat man keine Chance mehr, dann ist man geliefert. So sprechen auch Insekten, so sprechen Tiere. Da ist so viel drin. Ich finde auch die Einstiege in die Musik toll, dieses Gebrabbel, ich fall’ fast um. Es ist mal wie aus dem Radio, dann kommt so eine Art Gong, eine Glocke. Es ist wirklich eine Oper, es ist Richard Wagner pur. Das sollte man in Bayreuth spielen, das reicht. Und einen riesigen Spiegel hinstellen. Dann könnten die dazu tanzen. Das reicht.

Die Begeisterung ist also gegenseitig. 

Jonathan: Das hat nichts mit Eigenlob zu tun, ich denke, dass da zwei Kräfte zusammen gekommen sind, die sich exponentiell verstärken. Das passiert manchmal, ich bin dafür sehr dankbar, und das muss auch weitergehen. Fehler sind da ja auch drin, das finde ich auch toll. Es ist liebevoll. Der DJ Hell hat mich auf eine Reise mitgenommen, und zwar weltweit, über den Kosmos hinaus. Ahrensburg, Deutschland, Europa, die Welt, die Planeten, die Milchstraße. Das kann man auch auf der Venus spielen oder auf dem „Planet Claire” der B-52s. Es erinnert mich auch an David Bowie, ich denke sofort an Ziggy Stardust, und an DAF natürlich. Ich liebe Gaby Delgado oder Robert Görl und die anderen, Der Plan und so weiter. Ich bin ja nicht doof. Das sind Liebeserklärungen an diese wunderbaren Künstler.

Jonathan Meese, Brigitte Meese, DJ Hell (Foto: Jan Bauer)

Was kann Hell als Musiker, was du als Künstler nicht kannst? 

Die Verkleidungsfähigkeit von DJ Hell, die macht mich einfach an. Das ist für mich kosmisch, Universum pur. Das ist aber auch Beatles, „Across the Universe”, ABBA, „Eagle“, „Dancing Queen” und natürlich Boytronic, „You”, „Luna Square”, da ist alles drin. Und die Neue Deutsche Welle natürlich auch. Und DJ Hell kennt natürlich noch 100.000 Sachen, die da auch noch drin sind.

DJ Hell: Ich unterschreibe natürlich alles, was du sagst, Jonathan. Es entspricht genau dem, was in meinem Kopf vor sich geht. Im Umgang mit dir wird mir immer deutlicher, dass eben alles Kunst ist. Auch wenn du schläfst, ist es Kunst. Ich habe das nie anders gehandhabt, ich habe immer künstlerisch gedacht, auch schon als Jugendlicher und in allen anderen Lebensphasen. Ich lerne viel, das bringt einen ziemlichen Push in mein Leben, was gerade passiert, mit Brigitte und dir und mit Daniel natürlich auch. [Daniel Richter, Maler und Mentor von Jonathan Meese, hat vor 15 Jahren das Hamburger Punk- und Indie-Label Buback übernommen, auf dem das gemeinsame Album von Jonathan Meese und DJ Hell erschienen ist, d. Red.] Diese ganze Entwicklung hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Auf der anderen Seite denke ich, das ist so eine logische Kombination, warum habe wir das nicht schon früher gemacht? Unsere Power ergänzt sich da in Perfektion. 

Warum, denkst du, war das möglich? 

DJ Hell: Ich habe so viel gelernt, in der Produktion, im Studio bei Trixx in Berlin, während wir das alles gemacht haben. Das war ein fließender Prozess, es gab nie einen Moment, wo ich keine Ideen hatte oder konzeptionell nicht weiter kam. Ich habe mich oft selbst geschüttelt und gewundert, wie das so perfekt ineinander läuft. Stimme, Musik, die ganze Entwicklung. Zuerst hatten wir ja vier Songs, dann kamen nochmal vier, und dann kam Brigitte dazu. Mein Konzept war eben, dass jeder Song einen anderen Ansatz, eine eigene Idee und eine besondere musikalische Aussage hat.

Jonathan: Das ist ein Sprungbrett für was Neues. Ich finde finde das toll, was der DJ Hell gerade gesagt hat. Das ist so logisch, das ist wie Mr. Spock. Das ist eine logische Geschichte, die ist außerhalb des Geschmacks. Das ist was Notwendiges. Das ist so wie eine Unterhose anziehen, aber das ist ja noch nicht mal notwendig. (lachen) Das ist wie Schlafen, Essen oder Trinken. DJ Hell hat schon recht, das hätte man schon vor 20 Jahren machen müssen.

Man kann euch beide nicht von eurer Kunst bzw. euer Musik zu trennen. Es gibt keine Privatperson hinter Jonathan Meese und Hell. Wann ist euch klar geworden, dass das das so sein muss?

Jonathan: Im Nachhinein weiß ich, dass ich nie ohne Kunst leben konnte. Ich wusste nur nicht, was Kunst ist. Das hat sich erst so mit 22 herauskristallisiert. Ich habe aber schon mit zwölf Kunst gemacht und auch schon mit acht. Wie jedes Kind, jedes Kind macht Kunst, das ist klar. Dann wird es dem Kind irgendwann ausgetrieben. Kunsthochschulen sind Orte, wo die Kunst ausgetrieben wird. Entweder du überlebst es, weil du mit Spiel und Spaß dabei bist, oder du lässt dich indoktrinieren. Und dann machst du eben keine Kunst mehr. Kunsthochschulen sind auch gute Orte, da kommen auch Spinner und komische Leute hin, aber leider heute nicht mehr. Damals wurden wirklich extreme Leute aufgenommen, heute nur noch aalglatte, weichgespülte. Das ist falsch, da sollten alle hin, die merkwürdig sind. Manche lassen sich die Kunst abdressieren und andere überleben. Das Überleben ist ganz leicht, du musst nur spielen. Ich habe das Glück gehabt, das machen zu dürfen. Und DJ Hell kam an einem Punkt, an dem es so flutschte.

DJ Hell, Jonathan Meese (Foto: Jan Bauer)

Was für ein Punkt war das? 

Jonathan: Es war nichts los. Und ich dachte so: Oh, da lass ich mich mal fallen, da rutsch’ ich mal rein, wie auf so einer riesigen Rutsche. Dann wird man ja auf dieser Rutsche auch immer schneller, die hat ja kein Ende. Das war genau richtig, es hätte auch schon früher sein können, aber es brauchte seine Zeit. 

DJ Hell: Bei mir war das ein langer Weg. Mir wurde auch immer erklärt, was alles nicht möglich ist. Und ich dachte auch immer: Warum soll das nicht gehen? Dass ich mein Leben lang DJ, Musiker, Labelinhaber sein werde, wusste ich erst mit Mitte 30. Das hat gedauert. Ich habe durch meine Kompromisslosigkeit alle DJ-Jobs immer verloren. Du spielst nicht für das Publikum oder Du bist zu experimentell habe ich immer wieder gehört. Aber auf lange Sicht war das natürlich der einzige Weg. Ich habe dann auch versucht, mit Gigolo Records eigene Regeln zu erschaffen im Musikbusiness. Ich habe mich an nichts gehalten, was vorgegeben war. Ich habe immer gedacht, ich kann das auch anders angehen, und habe vier Maxi-Singles im Monat und zwei Alben veröffentlicht. Die Vertriebe haben gesagt, das kann man nicht machen, du überschüttest ja den ganzen Markt. Aber ich musste releasen, weil ich schon die nächsten zehn Maxis und vier Alben hatte, die gewartet haben. Um 2000 war das.

Jonathan, das weißt du vielleicht gar nicht, weil das relativ speziell ist. In den 90ern und 2000ern hat Hell auf seinem Label International Deejay Gigolo mehr als 300 Platten veröffentlicht, für ein Techno-Label war das eine enorme Schlagzahl. Auch musikalisch hat er sich dabei mehr oder weniger gegen die gesamte Szene gestellt, die auf minimale Musik stand. 

DJ Hell: Die Spex hat damals geschrieben: Wo soll das alles enden? Was will der Hell eigentlich? (lachen) Das war nur so ein Fragenkatalog, ohne dass ich den beantwortet hätte. Wie geht das weiter? Wo will der hin? Was kommt da noch alles? Das fand ich schon faszinierend. Gigolo war in dieser Zeit überall präsent. Damals gab es diese minimale Welle. Ich habe immer gesagt: Ich will nichts minimieren, ich will maximieren. Bei uns ist alles maximal. Ich kann nichts zurückhalten. Ich werde das alles releasen und meinen Weg gehen. Der war in der Zeit nicht so unerfolgreich. Ich hatte da – ohne jetzt Namen zu nennen – viele Künstler, die Karriere gemacht haben. Das war in der Zeit schon eines der aufsehenerregendsten Label weltweit – und es waren auch weltweit Künstler gesignt. 

Jonathan: Für mich ist das genauso. Ich mache auch wahnsinnig viel, in vielen Bereichen. Ich kann nicht anders. Man muss mich manchmal zügeln, aber ansonsten sollte man das laufen lassen, auch in der Malerei. Man sollte sich fallen lassen und sich die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Ich habe hier gerade mal aufgeschrieben: Man kann nie zu viel machen. Man muss sich auch die ganze Zeit überfordern und andere auch. Unterforderung ist das Schlimmste in der Kunst. Ich kenn’ das auch noch: Kannst du nicht, darfst du nicht führt dich in die Falle.

Was war dein Gegengift? 

Jonathan: Selber machen und weiterdenken führt dich nie in die Falle. Was mit anderen machen, sich auf andere verlassen, Dampf ablassen, die Aggression in die Musik tun. Räume aufmachen und nichts hinter dem Berg halten. Für mich ist das auch Marschmusik, Marschmusik nach vorne, man marschiert in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit. Für mich ist das ein Befreiungsschlag, ich bin sowas von euphorisiert, das ist Wahnsinn. Das fließt jetzt in alles rein, in die Malerei, die Skulptur, auch in Mode. Wir werden weitermachen, und die Leute werden sagen gut, schlecht, scheiße, ist aber auch egal. 

Warum ist das egal? 

Jonathan: Weil man weitermacht. Ich seh’ das wie der Hell, ich muss machen. Das muss auch gezeigt werden. Aus allen Rohren schießen. Diese Leute, die wenig zeigen, haben auch meistens nicht mehr zu bieten. Manchmal ist es ein gutes Konzept, man will verknappen. Aufspielen, überprüfen, raus. Dann hat man einen Fehler gemacht, den macht man nächstes Mal nicht. Dafür macht man einen anderen Fehler. Machen, machen, machen. Das habe ich von meiner Mutter. Die sagt auch nur: Machen! Obwohl die 91 ist. (lacht)

Jonathan Meese, Brigitte Meese (Foto: Jan Bauer)

Vorhin ist der Name Daniel Richter gefallen. Was war sein Anteil am Album? 

Jonathan: Ich finde das so super, dass der jetzt Buback übernommen hat. Das ist Familie, das sind Leute, die wir kennen, der weiß genau, was zu tun ist. Ich kenn mich mit Labels überhaupt nicht aus, der DJ Hell hat da eine bestimmte Vorstellung gehabt, und ich hab ihm gesagt: Mach, wie du meinst. Daraus ist das entstanden. Vielleicht kann DJ Hell auch was dazu sagen. Daniel kenn ich am allerlängsten in der Kunst, seit 28 Jahren, ich hab’ viel mit dem gemacht. 

DJ Hell: Ich wusste natürlich auch nicht, wem ich das Album anbieten sollte. Ich dachte natürlich an Ostgut Ton. Ich habe es denen auch gleichzeitig angeboten mit Buback. Ostgut Ton hat gesagt: Tolles Album, das wird seine Aufmerksamkeit bekommen, aber wir haben schon unseren Release-Plan für ein Jahr festgelegt, wir werden das im Moment nicht machen. Dann kam Daniel, und dann hat sich das für mich erst erschlossen, dass Daniel und Jonathan schon soviel zusammen gemacht haben. Dann habe ich Daniel getroffen und erlebte ihn als einen sehr intelligenten, auch lustigen Typen. Er ist auch ‘62 geboren, wie ich selber. Wir redeten stundenlang. In der Konstellation von Brigitte, Jonathan und Daniel wird hoffentlich noch mehr entstehen. Ehrlich gesagt, habe ich auch schon Konzepte für das zweite Album im Kopf. Daniel ist auch total musikbegeistert, der weiß noch mehr über Musik als ich. Dass er Buback übernommen hat und dort unser Album erscheint, das ist ein perfect match. Eine Supergroup featuring Brigitte hat Monopol das genannt, das trifft es am besten.

Jonathan: Man muss jetzt die Ketten sprengen, irgendwo weitermachen und auch in die anderen Medien rein. Ich bin dir auch so dankbar, dass du mit meinen Zeichnungen spielst, damit arbeitest. Mach’ das noch mehr, du kannst alles benutzen. Ich mache jetzt auch privat Videos zu den Songs, Performances. Ich werde mit Mami Videos drehen, die schick’ ich dir, die kannst du zerschneiden.

DJ Hell: Toll. 

Jonathan: Ich liebe, wie du und deine Freunde mit den Videos umgehen, das Flickernde, das Schwarzweiß. Du hast dich schon so verändert in der Vergangenheit. Dir immer die Maske aufsetzen, das finde ich Wahnsinn. Du spielst mir dir und deinem Gesicht und deinem Körper, das mach’ ich auch. Ich würde dir gerne Rohmaterial geben, und du verarbeitest es, wie du willst. 

DJ Hell: Gute Nachrichten, ich hatte gehofft, dass sowas kommt. Das macht das Ganze perfekt.

Jonathan: Benutz’ auch noch das alte Material und mach daraus so langatmige Videos. Jeden Song kannst du auf 60 Minuten hochziehen.

DJ Hell: Wir hatten bei den Aufnahmen in den Trixx-Studios auch Kameras auf Stativen stehen, wir haben alles gefilmt, da gibt es zehn Stunden Material. Das kann man natürlich irgendwann alles zeigen.

Jonathan: Close-ups von meiner Mutter oder auch von Dir und mir, das kannst du alles machen. Ich fand auch das Video so toll. Brigitte ist da! 

Hier findet ihr den zweiten Teil unseres Gespräches mit DJ Hell, Jonathan Meese und Brigitte Meese.

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