Al Wootton – Maenads EP (Trule)
Allen Wootton konnte man vor seinem Al-Wootton-Alias unter anderem schon als Deadboy kennenlernen. Das Debütalbum Witness seines jüngsten Projekts aus dem vergangenen Jahr war einigermaßen sparsam gehalten in seinen Dubstep-Reflexionen. Die Maenads EP reduziert die Verhältnisse noch einmal mehr, ohne dabei den Eindruck von Leere entstehen zu lassen. Alles, was er an polyrhythmischem Beat, viel Perkussion darunter, Bass und Hintergrundhauchen zulässt, erzeugt eine wie herbeigezauberte Dichte. Das magische Wort dafür lautet Rhythmus. Den beherrscht Al Wootton in feinsten Akzentzeichnungen. Und wer bei alledem feingeistige Schwurbelei vermuten sollte, kann sich mit den Ohren davon überzeugen, dass das Ergebnis dem Körper immer noch gibt, was des Körpers ist. Egal, ob man sich nun auf nachdenkliches Tanzen verlegt oder gepflegt die Kontrolle verliert. Tim Caspar Boehme
Chez Damier & Ron Trent, M.D. – Hip To Be Disillusioned Vol. 1 (Prescription Records)
1994, als diese EP zum ersten Mal erschien, hatten einige stilistische Entwicklungen im schon recht weit aufgefächerten House-Genre ihren Höhepunkt bereits überschritten. Sowohl DJ Pierres Wild-Pitch-Verfahren als auch dessen oft schon ins Karikierende kippende Interpretation von DJ Duke konnten energetisch nicht mehr getoppt werden, Deep-House wiederum marschierte mit immer überdrehteren Vocal-Hymnen straight in Richtung Mainstream. Musiker wie Todd Terry hatten zwar bereits in den frühen 90ern sehr reduzierte, überwiegend auf den Groove konzentrierte Housetracks heraus gebracht, aber was Chez Damier und seine Posse auf Prescription seit 1993 veröffentlichten, war ein entscheidender Schritt in Richtung Besinnung auf die Essenz dieser Musik und in Richtung Minimalismus. Was – sehr verkürzt zusammengefasst – zwei Jahre später ein wesentlicher Geburtshelfer von Minimal werden sollte. Auf Hip To Be Disillusioned Vol. 1 dominieren immer noch die Groove- und Synthiesounds der späten 80er und frühen 90er, die Chords transportieren eine unüberhörbare Wild-Pitch-Verwandtschaft, Soul-Vocals werden ebenfalls in bekannter Deep-House-Manier eingesetzt, aber über allem schwebt ein ästhetischer Ansatz in der Produktion, dem Abstraktion und Reduktion wichtiger sind als maximale Euphorisierung. Beispielhaft zu hören im zweiten Stück der vier unbetitelten Tracks auf dieser EP, in dem Soul-Vocals in bekannter Ad-Lib-Manier auf einen Höhepunkt zustreben, der in klassischen Strictly-Rhythm-Songs in einem fulminanten Breakdown inklusive abschließendem Snarewirbel geendet hätte. Damier und Trent lassen den Gesang aber in einer in sich zusammenfallenden Percussion-Passage verebben, die dann wieder in ihre stilprägenden repetitiven Chord-Sounds übergeht. Noch stilvoller und überragend schön kann dieses Verfahren übrigens auf der im gleichen Jahr erschienen Prescription Underground EP der beiden Produzenten studiert werden. Mathias Schaffhäuser
Gebby Dibson – Tales From The Edge (Pink Room)
Die dritte Release von Gebby Dibson aus Rostock in den letzten zehn Jahren bringt wie gewohnt sphärisch-harmonische und leicht verwehte Klangforschung zwischen Beatdown-Ambient, Dub-Techno und sommerlich-tief fliegenden, epischen Cosmic-Tomahawk-Breaks („Schabowski”) auf den Punkt. Das bewährte Prinzip paart sich aber neuerdings auch mit fieser, flächig-dystopischer Endzeit-Düsterkeit („We Are Aliens”). Jedoch klingen die Produktionen der EP wesentlich stärker nach modularen Stromkreisläufen a lá Doepfer als die Vorgängerproduktionen auf dem Hamburger Label Waterkant Souvenirs oder auf From Any Direction. Interessant ist vor allem die Gegenüberstellung von kristallinen, gepannten Bleeps und leicht angezerrten, harmonischen Delay-Flächen, die das Gefühl von Elektroakustik vermitteln („Mekong Surprise”). Die EP erscheint auf dem – seit 2018 existierenden – Pink Room Records der recht umtriebigen Heart-Beat-Techno-Promoter aus Südvietnam, die in verschiedenen Clubs und Rooftop-Bars in Saigon – zum Beispiel dem Arcan, The Observatory oder The Lighthouse – ihre Partys hosten. Letzten Dezember feierten sie ihren achtjährigen Geburtstag und pflegen seit vielen Jahren auch regen Kontakt zur deutschen Technoszene. Mirko Hecktor
Nox – Mint Until Played EP (Schmob)
L-Wort, das wievielte? Irgendwann verliert sich der Überblick. Stream für Stream langweilt man sich #united durch eine Minenlandschaft der Missverständnisse, um irgendwann einzusehen, dass Peaktime-Techno-Ballern zum chilligen Spaghetti-Futtern mit der 6er-WG doch nicht so reinpasst. Irgendwie. Oder so. Ist aber alles egal, Nox hat die Lösung. Der Typ mit den geilen Igelhaaren aus Weinsheim in der Pfalz köchelt für sein (weitestgehendes) Netlabel Schmob an seinem eigenen Sößchen, das sich – lausch, lausch – anhört, als hätte Blawan einen alten Fiat Punto versehentlich mit dem falschen Chip frisiert, das Teil zwischen Kirn und Wöllstein aber dermaßen durchgetreten, dass der Griff in den Zigarettenanzünder zu zerebralen Zuckungen im Oberstübchen und „Brei in der Tube” führt. Diagnose: Mit 140 Sachen auf der Autobahn rumgeiern, den Tankdeckel zur Snare umfunktionieren und die ollen Stefan-Jürgens-Jokes aus der Samstag Nacht in zeitgemäße Deichkind-Sprache übersetzen. „Lang nese der König”, weil der „Affe fällt nicht weit vom Stamm”. Rumms-di-bumms, da schleckt sich „Winnie Who?” doch glatt die Honiggrapscher ab. Christoph Benkeser
Volruptus & Jensen Interceptor – Big Bang Energy (Sweaty)
Unter den Dingen, die verpasst zu haben man ernsthaft bedauern kann, steht der Urknall ganz weit oben. Anders als beim Ende der Welt, das man immerhin noch erleben könnte, ist die Sache einfach gelaufen. Volruptus und Jensen Interceptor geben allen, die damals nicht dabei waren, einen Eindruck von der Energie, die seinerzeit freigesetzt wurde. Der in Berlin lebende Isländer Volruptus und sein australischer Kollege, die auf Big Bang Energy zum ersten Mal gemeinsame Sache machen, übertragen diese Kräfte in Electro-Strukturen, bei denen durch weltraumkompatible Sounds immer wieder die von Volruptus gern eingenommene außerirdische Perspektive durchschimmert. In der abschließenden Nummer „End of the Human Race” – womit man wieder bei der Apokalypse wäre – gerät der Beat dann zum gerichtet aufgekratzten Techno-Pulsieren. Der Natur der Sache gemäß eine hektische Angelegenheit, versorgt den Körper aber mit so etwas wie dem akustischen Äquivalent der Ursuppe, woraus bekanntlich Neues entsteht. Und sei es bloß der Wille zum Tanzen. Tim Caspar Boehme