Das Krake hat sich längst unter den Berliner Festivals etabliert. Mit seinen Wurzeln im hauptstädtischen Elektronik-Underground der 1990er steht es für einen roughen, punkigen Sound, der sich vom glatten Professionalismus anderer Veranstaltungen absetzt. 2020 stand das Team vor der Herausforderung, Krake digital umzusetzen. Unser Autor Jan Goldmann hat sich vor dem Rechner die Nacht um die Ohren geschlagen, um euch sagen zu können, was das Ganze taugt.


2020 ist das Krake Festival zehn Jahre alt geworden. Und da runden Geburtstagsfeiern selbst ein hochinfektiöses Virus nicht im Wege stehen sollte, wurden die Feierlichkeiten unter großem Aufwand in den virtuellen Raum verlegt. Damit das Fest trotzdem etwas ganz Besonderes wird, hatte die Crew um Gründer DJ Flush ein möglichst breites mediales Programm ausgearbeitet. Ein Programm, das mit diversen Formaten versuchte, über den gewöhnlichen, einfachen Stream hinauszugehen.

Eröffnet werden die drei Abende jeweils mit eigens produzierten Fernsehshows. Krake TV beinhaltet unter anderem Künstler*innen- und Label-Features, samstags etwa mit Mechatronica, die später selbst einen der neun Stream-Floors hosten. In einer kleinen Reportage stellt sich das Projekt Ick mach Welle vor, das behinderten Menschen Zugang zur elektronischen Musik verschaffen möchte. Für besonderen Unterhaltungswert sorgen zwei weitere Formate im Krake TV. Das Leipziger Satiremagazin Backstage hat mit Sicherheit schon vielen von euch ein Schmunzeln aufs Gesicht gezaubert. Im Stile einer Sport-Konferenzschaltung, wie man sie zum Beispiel aus der Fußball-Bundesliga kennt, wird hier durch die DJ-Bundesliga geschaltet. Die Arenen sind dabei Clubs und Musiklocations wie Hör und Berghain.

Anschließend performt FOLD-Resident Wes Baggaley in passendem Outfit sein Techno-Workout: Auf und ab und auf und ab, nach links, nach rechts und in die Knie. Begleitet von pumpenden Techno-Beats und in feinster 80er-Jahre-Video-Workout-Ästhetik wird hier ein perfektes Warm-Up für eine lange Nacht geboten. Endlich hält ein Festival der Szene mal den Spiegel vor und nimmt ihre oftmals allzu ernsten Rituale aufs Korn.

Berlin, London, Seoul, Den Haag und Los Angeles

Um 20 Uhr fällt der Startschuss für den großen, im Zentrum des Events stehenden Multi-Stream-Rave. Für die zum Höhepunkt neun simultan laufenden Streams hat das Festival mit Crews aus der ganzen Welt kooperiert. Die Mainstage übernimmt Krake zusammen mit dem Stream-Giganten United We Stream. Desweiteren überträgt Mechatronica live aus dem Sameheads. HÖR, Ismus und Ick Mach Welle senden ebenfalls aus Berlin. International wird das Angebot um Universe of Tang und das FOLD aus London, das Seoul Community Radio aus Südkorea, Onderwereld aus Den Haag und Omen Records aus Los Angeles ergänzt.

Die Mainstage beeindruckt mit einem Star-getränkten Line-Up: Mit dabei ist unter anderem die Hamburgerin Helena Hauff, die mit einem astreinen Vinyl-Only-Set glänzt. Sie gehört zu den wenigen Künstler*innen der Szene, die absolute Sicherheit ausstrahlen. Sie steht für die Garantie, ein lupenreines Set abzuliefern und stellt ihre Reputation als brillante Selekteurin auch beim Krake erneut unter Beweis. Ebenfalls mit von der Partie: Detroit-Legende DJ Stingray, der mit seinem Stage-Outfit mit Maske den Look von 2020 vorweggenommen hat, oder D. Tiffany und Roza Terenzi mit einem Back-to-Back-Set.

Bei Mechatronica geht es gewohnt Electro- und Synth-geprägt zu. Auch visuell macht der Stream dem Ort der Übertragung alle Ehre: Wie bereits erwähnt, überträgt die Crew live aus dem Neuköllner Club Sameheads. Vor vollplakatierten Wänden in knalligen Farben fungieren die Künstler*innen selbst als Greenscreen und Projektionsflächen für verrückte Visuals, sodass nur noch ihre Silhouetten sichtbar sind.

Mechatronica überträgt live aus dem Berliner Club Sameheads


Der Greenscreen hat 2020 generell einen Einzug in die Welt der virtuellen DJ-Sets erlebt. Mit Visuals aller Art wird versucht, den heimischen Streamgenuss auch um eine visuelle Komponente zu bereichern. So auch das Seoul Community Radio. Wer schon mal in dessen Shows geschaltet hat, weiß, dass Spaß und Selbstironie hier groß geschrieben werden und hinter den DJs auch mal ein paar Kaninchen hin- und herhoppeln. Beim Krake-Stream finden sich im Hintergrund flächige Gestaltungen, die mit bunten Farben und Rautenmustern an traditionelle indonesische Ikat-Webekunst erinnern. Aber auch musikalisch überzeugt die südkoreanische Crew. Gegen zwei Uhr nachts zieht Resident Hakiim das Tempo nochmal an und liefert ein präzises, abwechslungsreiches Techno-Set, das beim Zuschauen richtig Spaß macht. Ein Ergebnis, das nicht jede*r im Streamland 2020 erreicht.

HAKIIM für das Seoul Community Radio

Aufmerksamen Social-Media-Veteran*innen dürfte nicht entgangen sein, dass die HÖR-Crew aus Berlin in der Woche vor dem Festival via Instagram-Story nach einer Nebelmaschine suchte. Die Auflösung, wozu die ansonsten eher schlicht gehaltenen Streams eine solche brauchen, erfolgt am Wochenende. Ausnahmsweise wird der kleine geflieste Raum ein wenig mehr in Szene gesetzt, bunt beleuchtet und vernebelt. Ein bisschen Festival-Feeling für zu Hause. An den Decks stehen hier Kris Baha oder Rabih Beani.

Die Navigation durch den Abend verläuft flüssig

Auch technisch überzeugt der Ansatz der Krake: Die Website des Festivals ist übersichtlich konstruiert, von einem Floor zum nächsten zu wechseln funktioniert einfach und verlangt nur ein bis zwei Klicks. Informationen über das Programm sind schnell und simpel einsehbar, die Navigation durch den Abend verläuft flüssig. Man merkt: die Initiator*innen haben in jede Nische einige Arbeit gesteckt, um den Gästen ein möglichst komfortables und gleichzeitig spannendes Erlebnis zu liefern. Das steht außer Frage.

Und doch wird eines wieder sichtbar: Es ist eine unmögliche Aufgabe, ein Festival oder eine Clubnacht im Virtuellen mit dem gleichen Maß an Erlebnissen, Spaß und Freude zu füllen wie bei den physischen Vorbildern. Es fehlt die Masse der Menschen, der Schweiß im Raum, das zwischen Bühnen hin- und herrennen und vor allem der Dancefloor. Trotzdem muss man dem Wochenende etwas lassen: Die unzähligen Streams haben viel versucht. Manche waren spannender und innovativer als andere. Mit dem umfassenden Programm und den durchdachten und teilweise witzigen Programmpunkten hat das Team nicht nur die Musik auf der Bühne, sondern auch das Drumherum eines Festivals immerhin ein bisschen in die heimischen vier Wände zu verfrachten versucht. Das setzt die Erlebnisse des Krake-Festivals definitiv in eine Kategorie, die sich vom gewöhnlichen DJ-Stream abhebt und zum Spaßhaben einlädt.

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