Über die Feiertage erscheinen keine neuen Technomaxis, auch die Plattenvertriebe gönnen sich eine Auszeit. Das macht Sinn, denn diese Tage sind eher eine Zeit, um zurückzuschauen als nach nach vorne zu blicken. Das Techno-Jahr haben wir bereits in einer Reihe von Beiträgen Revue passieren lassen, in den nächsten Tagen werden wir auch noch die wichtigsten Compilations, Alben und Singles von 2020 vorstellen. Für die Platten der Woche an Heiligabend haben wir uns eine besondere Aufgabe gestellt: In einem Roundtable sprechen wir über fünf Indie-Alben, die im vergangenen Jahr essenziell waren.
„Was wisst ihr über Indie?”, werdet ihr da sagen und manche*r uns Hybris vorwerfen. Und wo ihr Recht habt, habt ihr Recht: Von Indie und Rock verstehen wir so gut wie nichts. (Außer von Nick Cave, aber das ist eine andere Geschichte.) Ein Glück, dass mit Louisa Neitz eine Expertin nicht weit war. Louisa hat bei uns ein Praktikum absolviert – und das, ohne mit Techno irgendetwas am Hut zu haben. Wie sie dazu gekommen ist? Unser Verlag hat sie ursprünglich für ein Praktikum bei unseren schmerzlich vermissten Nachbar*innen von der Spex verpflichtet, doch das Magazin fiel unerwartet und abrupt Corona zum Opfer. Wir haben Louisas temporäre Verwirrung anschließend schamlos ausgenutzt und sie zu einem Praktikum in unserem kleinen Mekka der geradlinigen, monotonen Grooves überredet.
Für die Musik konnten wir sie nur in Ansätzen begeistern. Geschrieben hat Louisa über Techno, House, Breakbeats und Ereignisse in der Szene dennoch, als würde sie von Kindesbeinen an nichts anderes machen. Louisas Arbeit hat uns erstaunt und begeistert, herzlichen Dank dafür nochmal an dieser Stelle. Nachdem sie bei uns drei Monate dem Technodiktat folgen musste, befassen wir uns an dieser Stelle mit Louisas Musik: Für uns und für euch hat sie fünf Indie-Alben ausgesucht, die in diesem Jahr besonders rausgestochen sind.
Swamp Dogg – Sorry You Couldn’t Make It (Joyful Noise)
Swamp Dogg – „Sleeping Without You Is A Dragg”
Alexis: Natürlich habe ich zuerst Snoop Dogg gelesen.
Max: Als alter Techno-Head.
Louisa: Der ist aber tatsächlich älter als Snoop Dogg, hätte theoretisch also Vorrang auf den Namen.
Alexis: Der Sänger kommt offensichtlich aus dem US-amerikanischen Süden und gibt sich gereift und lebensklug.
Max: Offensichtlich?
Alexis: Vom Akzent, der stilistischen Verortung und dem Duktus der Songs her.
Louisa: Er ist 1942 geboren und macht auch schon seit den Siebzigern Musik, daher die Reife.
Max: Klingt wie aus der Zeit gefallen, ich würde spontan tippen, dass der seitdem seinen Stiefel runterspielt, oder?
Louisa: Schon, aber einen schönen Blues- oder Soul-Song kann man, finde ich, immer hören. Aber bei seinem letzten Album hat er auch viel mit elektronischen Spielereien wie Autotune rumprobiert.
Alexis: Ohne zu wissen, wer er ist, habe ich zu seiner Melancholie der dritten Lebenshälfte (wie wir bei der GROOVE sagen) schnell Zugang gefunden. Dogg münzt seine Lebenserfahrung in den Songs zu eingängigen Weisheiten.
Max: Mir gefällt’s auch. Klingt der Besinnlichkeit dieses Anlasses angemessen. Dritte Lebenshälfte ist auch gut.
Alexis: Eine davon ist „Sleeping Without You Is A Dragg”, ohne die*den Geliebte*n zu schlafen, ist beschwerlich. Wer will da widersprechen?
Louisa: Ich glaube, niemand.
Swamp Dogg – „Good, Better, Best”
Alexis: Aber Louisa: Was ist die kulturelle, politische Signifikanz dieser Songs, die uns Rave-Köppen entgeht?
Max: Haha, das klingt definitiv nach Autokassette der Eltern in Kindertagen. Keineswegs negativ gemeint, aber ist für mich ja eine der großen Qualitäten des Indie, akustische safe spaces zu bieten.
Alexis: Das ist eine schöne Beschreibung.
Louisa: Bei dem Album gibt es keine wirkliche politische Dimension, außer, dass es das Soul-Erbe weiterträgt.
Max: Was ist die kulturelle und politische Signifikanz von Drumcode-Platten?
Max: Selbstzweck ist ja auch was Schönes. Da scheint für mich jemand einfach unverändert Spaß an seiner Musik zu haben. Ich tu’ mich nur immer schwer dabei, mich in das Mindset von Musik einzufühlen, die so gar nichts mit meiner Lebensrealität zu tun hat.
Louisa: Aber Herzschmerz und Verlangen empfinden ja jede*r einmal.
Max: Touché. Vergleichsgrößen?
Alexis: Genau, die Genialität von ihm als Songschreiber liegt darin, dass sich in der emotionalen Botschaft der Lieder jede*r wiederfinden kann.
Max: „Williams (Swamp Dogg) wurde als „eine der großen Kultfiguren der amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts” beschrieben.”, sagt Wikipedia. Sein Album von 2018 heißt Love, Loss and Auto-Tune.
Alexis: Wer Vergleichsgrößen sein könnten, habe ich mich auch gefragt.
Louisa: Da würde mir zum Beispiel Ann Peebles einfallen.
Swamp Dogg – „Memories”
Max: Ein Bewusstsein für die Fallhöhe seiner Soul-Gravitas ist also definitiv vorhanden. Was ist für dich der perfekte Anlass für eine Runde Swamp Dogg, Louisa?
Louisa: Mhh ich denke, gemütlich im Zimmer zu ein wenig Selbstmitleid.
Max: Treffender geht’s kaum.
Alexis: Das Gegenüber in seinem Songs ist meistens eine Frau, deren Abwesenheit er betrauert. Insofern wäre auch eine feministische Kritik der Songs denkbar. Allerdings ist er zu entrückt, zu altersmilde, zu melancholisch, als dass man sich über konkrete Zeile aufregen könnte. Oder wie siehst Du das, Louisa?
Max: Genau, lasst uns die Sehnsüchte eines 78-Jährigen dekonstruieren.
Alexis: Es ist ja eher der Rückblick auf sein Sehnsüchte als junger Mann vor 50, 60 Jahren.
Max: Klar, schon in der Vergangenheit schwelgend. Ich könnte mir trotzdem vorstellen, dass man auch jenseits der 70 noch Gefühle hat.
Louisa: Ähnlich, wobei er nicht direkt Frauen objektifiziert. Da wäre es vielleicht interessanter zu sehen, wie Frauen sich in Liebesliedern im Soul präsentieren. Da ist die Rollenverteilung ja meist noch sehr traditionell, besonders bei älteren Songs. Wobei diese Kritik auch sehr gut bei so typischer Indie-Bandmusik z.B. aus den 2000ern anwendbar wäre, da bestanden ja die meisten Bands vorrangig aus Männern, die die vorrangige Erzählperspektive auf Frauen eingenommen haben.
Alexis: Das stimmt, er spricht sie direkt an.
Max: Kommt natürlich auch auf die eigene Projektionsfläche an. Wer will, liest auch aus dem PC-Music-Katalog angestaubtes Schmachten. Bin jedenfalls großer Fan des Verfremdungseffekts am Ende des Lieds, wo die Memories sozusagen verblassen. Hm?
Alexis: Ich finde interessant, dass es bei aller Milde und Gefälligkeit doch eine bestimmte Drastik und Härte in den Songs gibt. Das gibt ihnen eine (potenzielle) Größe. Etwa bei „Family Pain”, wo er berichtet, wie seine Familie von der Crack-Epidemie in den 1980ern erwischt wurde und mehr oder weniger daran zu Grunde ging.
Angel Olsen – Whole New Mess (Jagjaguwar)
Angel Olsen – „We Are All Mirrors”
Max: Da liegt mächtig was in und über der Stimme. Erleuchte uns, Louisa, wer singt hier?
Louisa: Angel Olsen kommt aus den USA und ist, meiner Meinung nach, so ein bisschen zum Indie-Liebling weiblicher Künstlerinnen avanciert. Viele Songs des Albums wurden bereits letztes Jahr auf dem Album All Mirrors in aufwendigerer Produktion veröffentlicht. Die Lieder hier wurden in einer alten Kirche aufgenommen.
Max: Das erinnert mich an Bon Iver, der sein Debütalbum ja laut Legende in einer Hütte im Wald aufgenommen hat – allein.
Alexis: Ah, ich hab mich gefragt, warum es so blechern klingt.
Louisa: Bon Iver war bei dem ersten Song von Swamp Dogg, den wir gehört haben, dabei, wurde aber unter seinem bürgerlichen Namen Justin Vernon kreditiert.
Alexis: Angel Olsen war die einzige Musikerin, die ich von deiner Liste kannte. Ich hab sie mal auf der Pitchfork-Stage auf einem Festival erlebt. Da hat sie ein Country-lastiges Set gespielt mit einer großen Band, alle hatten Cowboy-Hüte auf. Glaubwürdig und ernsthaft, aber für mich ziemlich unverständlich. Sehr US-amerikanisch auf jeden Fall.
Max: Und ja, auch John Talabot campiert inzwischen ja in irgendwelchen Höhlen. Der hat aber klare Anknüpfungspunkte zum Eso-Indie. Ich bin jedenfalls ziemlich angetan hiervon. Ist bisschen wie Mazzy Star in extremer Lo-Fi-Akustik und mit weniger Effekten. Und skizzenhafter.
Alexis: Ja, das Klangbild ist interessant und ungewöhnlich. Mich stört aber der Effekt auf der Stimme, der macht das ganze doch stereotyp.
Louisa: Im Vergleich zu ihrer sonstigen Musik ist das Album aber auch schon sehr reduzierter.
Alexis: Was ist das Thema ihrer Musik außer alltäglicher Verzweiflung?
Louisa: Vieles bleibt in der sehr persönlichen Sphäre. Aber beispielsweise hat sie zu der US-Wahl gemeinsam mit Cass McCombs den Song „Don’t (Just) Vote” veröffentlicht.
Angel Olsen – „Lark Song”
Max: Will nur sagen: Viel mehr Indie-Klischee geht nicht. Grundfrage: In der Gitarrenmusik wird immer ein unheimliches Brimborium drum gemacht, wo und unter welchen Umständen die Musik entstand. Wie kommt’s?
Alexis: Das macht man ja bei Techno auch, bei Cercle z.B.
Max: Schiefer Vergleich, Cercle will ja DJ-und Live-Sets in irgendwelche möglichst spektakulären Kontexte einbetten. Bei Indie passiert das Spektakulum schon vor der Veröffentlichung.
Alexis: Max, ich kann mir Dennis Sulta live at Cercle in der Cité du Train in Mulhouse als opulentes Doppel-Vinyl (mit Video-Download-Code) durchaus vorstellen.
Max: :D
Alexis: Oder auch Forest Drive West unter einem Strommast somewhere in Brandenburg.
Louisa: Aber gute Frage, habe ich mir noch gar nicht so gestellt.
Alexis: Louisa, was löst das bei dir aus, wenn Du das hörst? Wenn du dich bei Swamp Dogg erinnerst wie du als Kind im Auto deiner Eltern auf der Rückbank eingeschlafen bist.
Max: Das war ich, haha.
Louisa: Naja, bei dem Album sagt Olsen selber, dass es um eine Trennung geht. Also sind es schon schwere und traurige Songs, man kann ihrer Verzweiflung über die gekippte Beziehung stark mitfühlen, aber ich sie finde sehr schön vertont.
Angel Olsen – „Too Easy (Bigger Than Us)”
Max: Sind jedenfalls ungemein intensive Songs, die ihre Intensität aus einer ganz anderen Sphäre ziehen als beispielsweise der gute, alte Techno.
Alexis: Schwer und traurig ist nicht per se schlecht.
Louisa: Wollte ich auch nicht als negativ ausdrücken. Aber ja, ruft viel Melancholie hervor. Sehr viel beschwingter wird es auch nicht mehr bei den anderen Alben.
Max: Ich denke, dass jede Musik ihre Schubladen hat, in die sie eben passt. Techno propagiert Exzess, Indie eben Herz-, Welt- und Existenzschmerz. Finde nur diese Unterscheidung immer etwas einfach. Das soll aber Olsens Songs nicht schmälern.
Alexis: 😊
Max: Wir besinnen uns ja, das macht gar nichts. Allerdings habe ich gesehen, dass keine einzige Tocotronic-Platte besprochen wird. Ein veritabler Skandal! (Die haben dieses Jahr aber auch nichts gemacht, soweit ich weiß.)
Alexis: Elektronische Musik (Deconstructed Club etc.) verzweifelt eher an der Welt bzw. an der Abwesenheit derselben, Rock an einem bestimmten Menschen.
Louisa: Oft ja, aber beispielsweise ist das bei Kevin Morby, der gleich kommt, etwas anders.
Kevin Morby – Sundowner (Dead Oceans)
Kevin Morby – „Campfire”
Max: Und zwar wie? Campfire ist hier schon mal ein Buzzword.
Louisa: Sein letztes Album ging um Glauben und Gläubigkeit im weiteren Sinne, ohne dass er selbst religiös ist, und sein aktuelles ist entstanden, als er wieder in seine Heimat nach Kansas gezogen ist. Diese Gegend vertont er nun.
Max: Hier sind wir wieder bei einer klassischeren Instrumentierung. Quasi das große Homecoming?
Louisa: Ja, finde man hört auch ein bisschen Country raus.
Max: „There’s a campfire inside her soul” – schmacht!
Alexis: Wie die anderen beiden Alben wirkt Kevin Morby auf mich sehr US-amerikanisch und mit seinem minimalen Set-up nostalgisch.
Max: Ja, sehe ich aber näher an Swamp Dogg denn an Angel Olsen.
Alexis: Voll.
Max: Nostalgie scheint unser übergreifendes Thema zu sein. Was hören wir hier?
Louisa: Immer noch dasselbe Lied.
Max: Kaum gibt’s keine Loops, bin ich hoffnungslos verloren.
Alexis: Seine Songs kommen mit einer kindlichen Naivität daher, sie sind ähnlich klar und pointiert wie die von Swamp Dogg. Sie unterscheiden sich in zwei Aspekten aber doch deutlich von ihnen.
Max: Zufall eigentlich, dass wir bis jetzt drei US-Künstler*innen gehört haben? Was gefällt dir daran tendenziell besser?
Louisa: Ist eigentlich eher Zufall, die anderen beiden Alben kommen aus Europa.
Kevin Morby – „Don’t Underestimate the Midwest American Sun”
Alexis: Zum einen hat Morby ein Bewusstsein für das, was zwischen der Musik steht, die er nostalgisch verehrt, und der Gegenwart: Hip Hop, Rap und Trap. In seinem Singsang ist der Rhythmus oft wichtiger als die Melodie, und die Strophen sind stärker als der Refrain.
Max: Mellow. Singsang ist gut, kann nebenher laufen, hat aber eigentlich die volle Aufmerksamkeit verdient.
Alexis: Zum anderen gibt es ein Thema, dass sich durch die Songs zieht: Der Tod. Manchmal richten sich die Songs an Weggefährten Morbys, die nicht mehr leben, einen verstorbenen früheren Mitschüler etwa.
Kevin Morby – „Brother, Sister”
Max: Hier ist wiederum richtiggehend Drive mit einer asiatische Volte drin. Ich warte immer noch, bis ich einen Song als gerade gut genug für eine Vodafone-Werbung abkanzeln kann, aber Louisa tut mir den Gefallen nicht.
Louisa: Lel, hoffentlich kommt es bei ihm nicht so weit.
Max: Das Prädikat der ehrlichen, handgearbeiteten Musik spare ich mir natürlich auch.
Alexis: Und was für ein Bild oder ein Gefühl gibt dir diese Musik, Louisa?
Max: Was für ein Bild oder Gefühl gibt dir ein einstündiger Ricardo-Livejam, Alexis? Aber ne, lass beim Indie bleiben.
Louisa: Fand das Album irgendwie passend zur US-Wahl nicht allzu lang nach der Veröffentlichung des Albums. Es geht viel um Leere in der Natur in Kansas und auch etwas um Hoffnungslosigkeit, was die Jugend dort anbetrifft.
Max: Kansas hat Trump gewählt, nehme ich an?
Louisa: Ja, genau.
Alexis: Ah, das ist interessant, so habe ich ihn gar nicht gehört.
Alexis: Wenn man so sehr im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit lebt, kann man alle möglichen politischen Schlüsse ziehen. Das ist ein guter Übergang zu L.A. Salami. Er ist der erste explizit politische Künstler in unserer Runde, der erste auch, der nicht aus den USA stammt.
L.A. Salami – The Cause of Doubt and a Reason to Have Faith (Sunday Best)
L.A. Salami – „Things Ain’t Changed”
Max: Das ist die bislang hochgradig aggressivste Nummer des Roundtables.
Louisa: Das Album war auch eigentlich als EP gedacht, doch ist dann zur LP geworden.
Max: Was gibt’s über ihn zu wissen?
Louisa: Er kommt aus London, und das ist sein drittes Album. Ich habe ihn mal fürs Campusradio interviewt, wo er meinte, dass er sich eigentlich gar nicht als politischen Künstler sieht, sondern nur seine Gefühle zu Geschehnissen aufschreibt.
Max: Ah, Campusradio Jena. Quasi ein modernerer Bob Dylan.
Louisa: Ja, der Vergleich kommt oft auf.
L.A. Salami – „The Talis-Man on the Age of Glass”
Max: Wow, endlich die erste Mundharmonika. Bisher auch der konkreteste Einsatz des Klaviers. Ist bei ihm weitaus mehr im Vordergrund und taktgebender als etwa beim zurückgelehnten Rhythm ‘n’ Blues von Swamp Dogg. Ist der Kritikerliebling? Klingt irgendwie so.
Alexis: Lookman Adekunle Salami ist kein Geschichtenerzähler wie Swamp Dogg oder Kevin Morby, er singt nicht von quälenden, bisweilen überwältigenden Gefühlen wie Angel Olsen. Seine Texte wirken eher wie assoziative Gedichte, die die Sinnzusammenhänge unserer modernen Sprache mit einem Mal spielerischen, mal sarkastischen Ton zerreißen.
Louisa: Ja, seine Wortgewandtheit wird immer hoch gelobt. Lässt auf jeden Fall etwas an Folk-Musiker*innen aus dem letzten Jahrhundert denken.
Max: Wer fällt dir da so ein?
Louisa: Dylan, wie du schon sagtest, aber auch Nick Drake zum Beispiel oder in der Rock-Richtung Lou Reed.
Alexis: Es hat auch was von moderner Lyrik, in der Verweigerung von Pop-Qualitäten schon fast Hochkultur. Kunstig auch die Field Recordings, die in die Songs fließen an deren Ende.
L.A. Salami – „When You Play God (The 2018 Copyright Blues)”
Alexis: Was hast du in deinem Interview über ihn erfahren?
Louisa: Er ist zwischen seiner leiblichen Mutter in London und Pflegeeltern an der englischen Küste aufgewachsen, sein musikalisches Vorbild ist Joanna Newsom, und er sieht sich ein wenig als optimistischen Pessimisten.
Max: Das fasst es doch schön zusammen. Die aktuelle Nummer ist theatralischer als der Rest, da schwingt viel angebrachtes Pathos mit. Pointiert, mal Sprechgesang, sehr assoziativ, in der Botschaft aber klar konzipiert.
Louisa: Er hat sich bei „The Cage” auf dem Album zum Beispiel noch mehr im Sprechgesang versucht.
Alexis: Pathos mit einer Criticality, die das Bewusstsein der Falschheit oder Unmöglichkeit von Pathos immer mitdenkt.
Max: Und: Es tut sich im Klangbild extrem viel, quasi der Tobias. des Indie. Ganz leichte Ariel-Pink-Vibes bekomme ich ab und an auch.
Louisa: Ah echt, habe ich noch gar nicht so gehört.
Alexis: Stimmt. Mäandern auf hohem geschmacklichen Niveau.
Max: Bin mir auch nicht ganz sicher, haha.
Olmo & Mathilda – Hiroshima Tarantula (Fake People)
Olmo & Mathilda – „Melancholy Sophie”
Max: Was gibt’s zu Olmo & Mathilda zu wissen?
Alexis: Mit Olmo & Mathilda sind wir in Berlin angekommen, zumindest zum Teil. Was die Exposure angeht, bewegen sich die beiden auf einem anderen Niveau als die Vorgänger.
Max: Ein Geheimtipp zum Abschluss?
Alexis: Wo bei den anderen das Homestudio eher gemimt wird, ist es hier Realität.
Louisa: Olmo heißt eigentlich Francesco lo Giudice und kommt aus Italien, lebt aber in Berlin. Mathilda ist eigentlich Frank Dillane, der zum Beispiel den jungen Voldemort im zweiten Harry Potter spielte und wohnt in London.
Olmo & Mathilda – „Lovesong”
Alexis: Ah wow!
Louisa: Und ja, sie sind leider sehr unbekannt, aber vor allem live sehr empfehlenswert.
Max: Ach, Tom Riddle aus dem Tagebuch?
Louisa: Haha, ja.
Max: Wo hast du die beiden erlebt? Auf den Straßen Berlins? Mathilda ist also eher für die Melodien verantwortlich?
Louisa: Beide singen, soweit ich weiß.
Alexis: Olmo hat auch mit Alice Phoebe Lou musiziert.
Louisa: Zuerst als Vorband von L.A. Salami und dann im mjut in Leipzig. Da waren dann aber auch nur rund 20 Personen da.
Alexis: Insofern liegst Du da mit Straßenmusik gar nicht so falsch, Max. Aber Louisa teacht uns.
Olmo & Mathilda – „Little Camera”
Max: Ok, also bricht Mathilda mit gängigen Rollenbildern? Viele Leute würden sich in diesen Zeiten über 20 Zuschauer*innen freuen, übrigens.
Louisa: Ich weiß nicht so genau, was die Intention dahinter ist, aber es wirkt so. Zumindest als Spiel mit gängigen Rollenbildern. Bei Live-Auftritten trägt Dillane auch manchmal Kleider und schminkt sein Gesicht theatermäßig weiß mit schwarzem Eyeliner.
Max: Oh, das kommt jetzt unerwartet. Die Instrumentierung ist die Freiförmigste in diesem Roundtable.
Alexis: Die beiden sind so sympathisch, wie es nur Amateure sein können.
Max: Stimmt. Das wirkt gewagt, aber nicht überkandidelt.
Alexis: Zeit für das Verdikt. Erstmal herzlichen Dank Louisa, dass du uns an diese fremde Musik und die für uns weitgehend unbekannten Gefühle herausgeführt hast. Denn wo bei dir das Herz schlägt, pulsiert bei uns kalt, unerbittlich und funky eine (Drum-)Maschine.
Max: Ich fühle mich ebenfalls ein gutes Stück lebendiger!
Louisa: Freut mich. Ja, mir wird oft gesagt, dass die Musik, die ich mag, wirklich sehr melancholisch ist.
Max: Vielen lieben Dank für die Kuration. Jetzt aber natürlich die alles entscheidende Frage: Was hörst du zum Feiern?
Louisa: Tatsächlich doch eher Techno, zumindest ist das in Jena, wo ich studiert habe, auch sehr präsent und die Stimmung dort mag ich meistens ganz gerne. Um das genauer zu bestimmen, kenne ich mich doch leider immer noch nicht gut genug aus.
Alexis: Mir haben die ersten drei Künstler*innen am besten gefallen. Swamp Dogg und Kevin Morby mit ihrem eigentümlichen Mix aus Naivität und Ernst. Leichte Unterhaltung mit einem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. Angel Olsen ist dann nochmal eine Nummer größer, überwältigend und unergründlich, zumindest auf den ersten Blick.
Max: Na, Home Listening und Club ist eben doch noch was anderes. Ich denke, diese Dichotomie ist nicht aufzubrechen. Und es ist wohl auch schwer zu erklären, wieso man sich in diesen Zeiten eine Baller-Scheibe nach der nächsten in den eigenen vier Wänden reinziehen sollte.
Alexis: Olmo & Mathilda finde ich sympathisch, aber unspezifisch. L.A. Salami beflissen, er hat für mich aber in seiner Stipendientauglichkeit nicht die Edge der Kolleg*innen von der anderen Seite des Atlantiks.