Machinedrum (Alle Fotos: Bethany Vargas)

Drum’n’Bass ist zurück. Richtig böse und düster, mit Streicherschmelz und R’n’B-Zuckerguss. Also mutiert zu einer Form von Hyper-Pop, wie sie nur ein Produzent wie Travis Stewart beherrscht. Stewart, 1982 in Eden, North Carolina geboren, ist einer der vielseitigsten Studiotüftler, den die Clubmusik in den letzten 15 Jahren gesehen hat. Auf seinem neuen Machinedrum-Album A View Of U packt er aggressive Breaks und Wobblebässe neben die Raps von Gaststars wie Freddie Gibbs. Beatgewitter voller Melancholie ziehen vorbei an synthetischen Wohlfühllandschaften, die nach New Age duften. Kurz: Es gibt jede Menge Glamour und Gegensätze.

Ästhetisch sitzt Machinedrum damit zwischen den Stühlen, ungefähr auf halber Strecke von den Pop-Charts in die Subkultur und fühlt sich hörbar wohl dabei. Das bestätigt er auch im Gespräch mit GROOVE-Autor Arno Raffeiner von seinem neuen Zuhause in Kalifornien aus. Nach einigen Jahren in Berlin lebt Stewart jetzt in Thousand Oaks, 40 Meilen nordwestlich von Los Angeles. Hier genießt er die Freuden der Meditation und seinen entrückten Zustand beim Musikmachen. Sofern er sich nicht wieder über den Zustand des Planeten Erde aufregen muss. Und über Kanye West.


Travis, im Refrain des ersten Stücks deiner neuen Platte heißt es: “I’ve been dreaming, don’t wake me up.” Also: Lasst mich weiterträumen! Eine Flucht vor dem, was in der Welt passiert?

Da geht es um die Möglichkeit, sich von der äußeren Realität abzukoppeln und mehr auf die innere Welt einzulassen. Ich versuche, mir mehr Raum zu schaffen, um das öfter zu tun. Oder um mich mit anderen Menschen auf einer persönlichen Ebene auszutauschen, ohne ständig davon abgelenkt zu sein, was da draußen noch so vor sich geht.

Ich musste bei der Zeile an einen deiner letzten Tweets denken. Du hast geschrieben: „Ich wollte hier nur was über wunderbare Musik posten und werde in die aktuellen Nachrichten reingezogen. Ich hasse das.” Was hast du konkret gemeint?

Ich liebe es, direkt mit meinen Fans zu interagieren. Aber es ist unmöglich, Twitter zu benutzen, ohne dass man links und rechts von Schlagzeilen und Hashtags angeschrien wird. Wer die Nachrichten verfolgt, sollte dabei aufmerksam sein und nicht gedankenlos. Daher entscheide ich lieber vorab, wann ich mich damit konfrontieren will, was für trostlose und schreckliche Dinge passieren. Es ist besser, sich darauf vorzubereiten. Aber ich kann mir oft nicht helfen. Ich muss einfach drauf klicken. Ein Mangel an Selbstbeherrschung.


Beim Musikmachen vergesse ich oft, wer ich bin. Und genau dann mache ich meine beste Arbeit. Ich vergesse, wie spät es ist und welchen Wochentag wir haben. Ich vergesse, was ich später noch zu tun habe.


Wie gehst du mit dieser Art von Situationen um?

Seit einigen Jahren ist es wichtig für mich, eine bestimmte Achtsamkeit zu entwickeln, die mich durch den Tag führt und sicherstellt, dass ich nicht komplett hirnlos irgendwelche Dinge tue. Ich meditiere regelmäßig. An Tagen, an denen ich das nicht tue, bin ich viel schneller abgelenkt und werde auch leichter wütend. Das beeinflusst meine gesamte Stimmung. Wenn ich mich in diesen News-Strudel auf Twitter reinziehen lasse, ist mein Tag praktisch ruiniert.

(Die Skype-Verbindung wird plötzlich unterbrochen. Travis ruft zurück.)

Entschuldige. Ich habe eine App auf dem Telefon, die meinen Konsum sozialer Medien einschränkt.

Und die grätscht genau dann dazwischen, wenn wir über die negativen Auswirkungen von Social Media sprechen.

Ja! (lacht) Ich habe die App auf 15 Minuten pro Tag eingestellt. Aber sie zählt offensichtlich auch Skype zu den sozialen Medien, was in Situationen wie jetzt echt nervig sein kann.

15 Minuten klingen ja ziemlich gesund. Wann hast du mit dem Meditieren angefangen?

Vor fünf, sechs Jahren. Eher intuitiv, ohne Methode. Ich wollte bestimmte Denkmuster und Verhaltensweisen in meinem Leben ändern. Zugleich habe ich viel über die Verbindung von Neurologie und Meditation gelesen: was dabei im Gehirn vor sich geht, wie sich neue Nervenbahnen bilden, wie sich die Denkweise verändern kann. Als ich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse mit meinen praktischen Erfahrungen in Verbindung gebracht habe, hat das richtig Sinn gemacht.

Du hast im Zusammenhang mit der Arbeit an deinem neuen Album von außerkörperlichen Erfahrungen gesprochen. Erinnerst du dich an die Erste davon?

Beim Musikmachen vergesse ich oft, wer ich bin. Und genau dann mache ich meine beste Arbeit. Ich vergesse, wie spät es ist und welchen Wochentag wir haben. Ich vergesse die Probleme von gestern. Ich vergesse, was ich später noch zu tun habe. Die Zeit scheint einfach stillzustehen. Es ist wirklich wie eine außerkörperliche Erfahrung. Wenn man diese Sicherheiten loslässt, verliert man im Grunde auch die Bindung an seinen Körper. Man fließt einfach. Wenn ich danach das Studio verlasse, kommt es mir vor wie ein Traum.

Was siehst du, wenn du dich so von außen wahrnimmst?

Das erste Mal war ziemlich beängstigend. Ich bin erschrocken und war sofort wieder in meinem normalen Bewusstseinszustand. Aber irgendwann konnte ich die Angst loslassen und in diesem Zustand verharren. So lange, bis ich mich grenzenlos fühlte. So, als ob ich alles tun könnte. Eine fantastische Erfahrung, sehr inspirierend.

Und etwas schwer nachvollziehbar, wenn man nicht selbst dabei war. Dein Urgroßvater soll eine Art Heiler gewesen sein. Siehst du eine spirituelle Tradition in deiner Familie?

Mein Urgroßvater war kein ausgebildeter Heiler. Er hat das intuitiv gemacht, hauptsächlich für Leute aus der Familie und dem privaten Umfeld. Wenn zum Beispiel jemand Kopfschmerzen hatte, legte er seine Hand auf die Stelle, und sobald er sie wegzog, waren die Schmerzen verschwunden. Das soll sogar mit Verbrennungen funktioniert haben. Ich finde interessant, dass Menschen diese Fähigkeiten in sich tragen können. Das hat mich dazu gebracht, mich mehr mit solchen Phänomenen zu beschäftigen.

Lebte dein Urgroßvater auch in dem Städtchen in North Carolina, wo du aufgewachsen bist?

Nicht im selben Ort, aber nur rund eine Stunde entfernt, ein Stück die Straße runter vom Haus meiner Großeltern. Die habe ich jedes Wochenende besucht, als ich ein Kind war. Manchmal nahmen sie mich auch mit zu meinem Urgroßvater.

Der Legende nach hast du bei deinen Großeltern als kleines Kind auch begonnen, Musik zu machen.

Das stimmt. Mein Großvater spielt immer noch die Pedal-Steel-Gitarre und macht Country. Er hatte Effektpedale und Drumcomputer zu Hause und zeigte mir, wie man mit einem Tonbandgerät eine Mehrspuraufnahme macht. Natürlich habe ich an den Geräten herumgespielt und sie so benutzt, wie es nicht wirklich gedacht war. Ich interessierte mich zunehmend mehr für die Technik und die Elektronik dahinter.


Kanye West ist eine sehr spezielle Persönlichkeit. Durch seine Popularität und Reichweite hat er die Sache nur komplizierter gemacht.


Wie beurteilst du die aktuellen Entwicklungen in der elektronischen Musik und der Clubkultur? Erleben wir einen großen Wendepunkt?

Ich muss in letzter Zeit öfter daran denken, dass meine Beschäftigung mit elektronischer Musik an einem Punkt anfing, an dem ich die Kultur rundherum gar nicht wirklich verstanden hatte. In North Carolina gab es keine Clubs oder Raves, auf die man gehen konnte. Meine Vorstellung dieser Musik kam also aus einer anderen Perspektive. Es ging mir schon immer darum, Clubmusik zu machen, die man zu Hause hören kann. Das hat sich auch aktuell nicht verändert. Aber viele meiner Freund*innen stecken in einer existenzielle Krise. Sie haben, anders als ich, erst wegen der Clubkultur begonnen, Musik zu produzieren: für den Dancefloor, für ihre DJ-Sets und ihre Touren. Jetzt fragen sie sich, warum sie überhaupt noch Clubmusik machen sollen, wenn sie niemand mehr im richtigen Rahmen erleben kann. Das ist hart.

Du selbst bist in ökonomischer Hinsicht also nicht so betroffen.

Nicht so sehr. Ich versuche schon seit einiger Zeit, mich von dieser Abhängigkeit zu lösen, ständig überall Shows spielen zu müssen. Ich habe andere Möglichkeiten gefunden, mit Musik meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mit Filmmusik zum Beispiel oder durch die Zusammenarbeit mit Sänger*innen und Produktionen für andere Leute, durch Remixe und Sample-Packs. Ich werde in Kürze auf der Videoplattform Twitch Tutorials geben und generell mehr unterrichten. Dieser Übergang ging für mich bereits vor der Pandemie los.

Bist du in den letzten Monaten vor Publikum aufgetreten?

Nein. Leider gibt es in den USA derzeit keine Shows, es sei denn illegale Raves, was ich sehr unverantwortlich finde. Den letzten Gig hatte ich im Februar, kurz vor dem Lockdown. Derzeit plane ich eine interaktive Online-Show, an der ich mit dem japanischen Videokünstler Daito Manabe arbeite. Er ist wirklich unglaublich.

In den USA muss man sich registrieren lassen, um bei der Präsidentschaftswahl mitzustimmen. Hast du das getan? 

Ja, habe ich. Wie die meisten meiner Freund*innen. Ich bin vielleicht nicht mehr so lautstark und politisch artikuliert wie früher. Ich versuche, optimistisch zu bleiben. Ich will auf das reagieren, was jetzt passiert, und weniger über mögliche Ereignisse in der Zukunft spekulieren. Vor der Wahl 2016 war ich wie besessen. Fast zwei Jahre lang habe ich jede Umfrage gelesen und überlegt, was passieren könnte. Letztlich war alles, was ich vorhergesehen hatte, falsch. Also will ich das diesmal bleiben lassen.

Was war dein erster Gedanke, als Kanye West im Juli ankündigte, Präsident werden zu wollen? 

Ich dachte: „Noch eine weitere Ablenkung.” Kanye ist eine sehr spezielle Persönlichkeit. Durch seine Popularität und Reichweite hat er die Sache nur komplizierter gemacht.

Auf deinem Album A View Of U erscheint jetzt „Ur2yung”, ein Track, der ursprünglich für Wests Album Yeezus gedacht war. Das wurde 2013 veröffentlicht, aber ohne deinen Beitrag. Trotzdem, wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Ich habe zu der Zeit für Azealia Banks produziert und eng mit Hudson Mohawke zusammengearbeitet. Die beiden spielten Kanye meine Musik vor, und er schrieb mir darauf via E-Mail, wie toll er sie fand. Ich war dann laufend mit seinem Team in Kontakt und habe Musik geschickt. Am Ende der Produktion hieß es: „Hey, tut uns leid. Das Stück hat es nicht auf das Album geschafft. Aber wir wollen das und zwei weitere nach wie vor verwenden. Kannst du die für uns reservieren?” Ich meinte: „Klar, geht in Ordnung.”

Kanye West hat vor Kurzem das Geschäftsgebaren großer Plattenfirmen kritisiert. Er meinte, das sei reine Ausbeutung der Musiker*innen, und veröffentlichte ein Video, das zeigt, wie er auf eine seiner Grammy-Trophäen pisst. Zugleich hat er jemanden wie dich sieben Jahre lang davon abgehalten, deine eigene Arbeit selbst zu veröffentlichen.

Wir hatten keinen Vertrag. Nur eine Vereinbarung, den Track vorläufig für Kanye aufzubewahren. Ich hatte „Ur2yung” ursprünglich für mein Album Vapor City aufgenommen. Auf das nächste, Human Energy, hat er nicht gepasst, weil ich damit versuchte, musikalisches Neuland zu betreten. Also konnte ich das Stück genauso gut in der Schublade liegen lassen. Für das neue Album bin ich jetzt viel Musik aus den letzten zehn Jahren durchgegangen, unfertige Tracks oder eben solche, die aus unterschiedlichen Gründen bisher nicht veröffentlicht wurden. Ich wollte einen Weg finden, sie in einem schlüssigen Werk zu bündeln. So ist A View Of U entstanden.


Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen haben – was ich in meinem Leben auch getan habe –, können die besten Dinge passieren, die man sich vorstellen kann. Und trotzdem sind sie am Boden zerstört.”


Du hast darüber gesprochen, wie Meditation dir einen neuen Blick auf dich selbst ermöglicht. Aber was siehst du, wenn du nach außen schaust?

Ich ignoriere nicht, was in der Welt geschieht. Mir geht es einfach darum, weniger von Dingen besessen zu sein, die ich nicht selbst kontrollieren und beeinflussen kann.

Hat das auch mit deiner Vorstellung von Glück zu tun?

Ich bin überzeugt: Man kann sich für Freude und Glück entscheiden. Das war eine große Erkenntnis für mich. Niemand findet sein Glück in äußerlichen Erfahrungen. Das ist eine Illusion. Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen haben – was ich in meinem Leben auch getan habe –, können die besten Dinge passieren, die man sich vorstellen kann. Und trotzdem sind sie am Boden zerstört. Dadurch wurde mir klar: Glück ist eine Entscheidung. Nach dieser Erkenntnis nehme ich all die guten Dinge in meinem Leben viel bewusster wahr.

Eine Kleinigkeit noch: Hast du die Wahl deines Künstlernamens je bereut?

Ja, habe ich. Aber ich habe mich noch in der Highschool für das Pseudonym Machinedrum entschieden, und später steckte ich schon zu tief drin, um den Namen noch zu ändern. Mittlerweile finde ich ihn gut und lustig, auch wenn er meine Musik nur bis zu einem gewissen Punkt beschreibt. Es gibt Bands, die sehr alberne Namen haben. Aber ich mache mir nie Gedanken darüber, wie bescheuert ihr Name ist. Ich denke daran, wie großartig ihre Musik ist.

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