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Dr. Motte & Westbam: „Die Loveparade hat Deutschland besser gemacht” (Teil 3)

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Dr. Motte und Westbam (Sämtliche Fotos: Alexis Waltz)

Im ersten Teil unseres Interviews mit Dr. Motte und Westbam haben wir über die Anfänge der beiden Musiker gesprochen, im zweiten ging es um den Umgang mit der Corona-Krise. Im letzten Teil geht es um die Loveparade. Was beschäftigt Dr. Motte als Gründer dieses Techno-Meilensteins und Westbam als Resident und Co-Producer der Loveparade-Hymnen heute im Rückblick an dem Thema? Warum ist heute – unabhängig von Corona – eine Technoparty in Berlin mit 1,5 Millionen Besucher*innen nicht mehr vorstellbar? Alexis Waltz und Louisa Neitz wollten wissen, wie genau die Loveparade in Berlin in die Knie gezwungen wurde.

Als drittes Thema würden wir gerne über die Loveparade sprechen. Innerhalb von zehn Jahren wurde aus dem Umzug mit 150 Menschen eine gigantische Veranstaltung mit 1,5 Millionen Besucher*innen. Du, Motte, willst mit Rave the Planet eine neue Parade an den Start bringen. Wo liegt für dich, Westbam, heute die Relevanz der Loveparade?

Westbam: Wie war das mit der ersten Loveparade? Woran erinnere ich mich heute? Dass ich dachte: „Geil, der Motte will hier dieses Demonstrationsrecht für unsere Zwecke missbrauchen. Jetzt würde Motte sagen, dass das kein missbrauchtes Demonstrationsrecht war, aber…”

Dr. Motte: Damals hat man noch anders gedacht als heute. 

Westbam: Für mich war das eine anarchistische Idee, die mit bestimmten Elementen des Staates spielt. Ich habe aber nicht gedacht, dass die Idee war, dass man Staatsbürger ist und will, dass der Staat und die Polizei einen unterstützen, wenn man über den Ku’damm läuft und feiert.

Dr. Motte: Der Staat hat die Verantwortung, zu unterstützen, dass Kunst frei sein kann. Die hat er.

Westbam: Ja, gut, da bin ich auch wieder dabei. Und bei der Geschichte der Loveparade, da bin ich bis heute verärgert über den Staatsstumpfsinn. Speziell den Stumpfsinn der Berliner Politik des linken Spektrums.

Das musst du unseren nachgeborenen Leser*innen erklären.

Westbam: Die Berliner Politik hat zur Loveparade gesagt: „Das ist gar keine Demo.” Weil sie ihre alten 68er-Werte verletzt gesehen haben. Und die Grünen waren so, dass sie gesagt haben: „Das sind üble Disko-Leute, die machen sich über unsere Anti-Vietnam-Demos lustig. Und die verdienen damit auch noch Geld.” Weil die alle selbst noch nie ein Geschäft gemacht hatten.

Da habt ihr auch als Unternehmer positioniert. 

Westbam: Mit der SPD und den Grünen haben eher die geschäftsfernen Leute den Staat regiert. Die haben gesagt: „Diesen Geschäftemachern stellen wir ein Beinchen.” Und das wäre für mich ein Beispiel, wo der weise Staat sagen sollte: „Unterm Strich ist das ein riesiger Gewinn für mich.” Ein weiser Staat hätte gesagt: Das lassen wir laufen. Das wäre im Interesse der Bevölkerung gewesen, im Interesse des Staates, im Interesse der Loveparade, im Interesse von Berlin.

Dr. Motte: Im Interesse der Außenwirkung. 

Westbam: Genau! Zu erkennen, dass die Loveparade das Land verbessert und Deutschland dabei geholfen hat, sich selbst neu zu erfinden. Das hat Generationen von Menschen auf der Welt einen völlig anderen Blick auf Deutschland ermöglicht, und das war ein riesiges Ding. Natürlich finde ich es falsch, dass der Staat nicht sagt: „Das lassen wir laufen, weil das ein Segen ist. Wir können uns für die Privatinitiative dieser Leute, dieses Herrn Mottes und so weiter nur bedanken, und wir können ihm ein Bundesverdienstkreuz geben dafür.” Ab dem Punkt, wo du eine Million Leute hast und eine globale, tolle Wirkung, da erwartest du vom Staat nur, dass er das einfach laufen lässt. Feg’ mal hier den Müll weg und bezahl’ die Polizei selber. Weil du dann immer noch hundert Millionen verdient hast, du Staatstrottel. 

„Aber da gab es ja den Martin Kliem, den Veranstalter der Hateparade, jetzt Fuckparade. Der ist inzwischen nach Frankfurt gezogen, hat lange geklagt und hat dann auch Recht bekommen, dass man sehr wohl mit Musik demonstrieren kann. Der hat am Ende das Rad auch zurückdrehen können.”

Dr. Motte

Aber du sagst ja selber, dass das eine Subversion des Demonstrationsrechts war. Insofern war es erwartbar, dass der Staat irgendwann erkennt: „Ich werde hier übertölpelt.

Dr. Motte: Aber was steht da im Grundgesetz? Jeder Deutsche kann sich unter freiem Himmel friedlich versammeln. Mehr steht da nicht. Eine Versammlung ist eine Versammlung ist eine Versammlung und weiter nichts. Und was haben wir getan? Am Ende haben wir uns einfach nur versammelt.

Westbam: Das hat das Bundesverfassungsgericht anders entschieden.  

Dr. Motte: Nein. Am Anfang haben sie zwar gesagt, wir können die Verwaltungsgerichte aufgrund der Kürze der Zeit nur bestätigen. Aber in dem finalen Papier steht, dass es sehr wohl möglich sein muss, in Deutschland nonverbal zu demonstrieren oder sich zu versammeln. Im Grundgesetz steht auch nichts anderes.

Aber warum konnte die Loveparade dann nicht mehr stattfinden? 

Dr. Motte: Das ist eine lange Geschichte, da machen wir eine Sondersendung zu. Aber am Ende, 2001, waren das 20 gelangweilte Gelangweilte, die auf unserer Strecke an der Straße des 17. Juni eine Versammlung vor uns angemeldet haben. Und dann ging die Katastrophe los. Wir haben dann Pressekonferenzen gemacht, aber Herr Werthebach, der damalige Innensenator, hat nicht mit uns geredet. Und dann sind wir so zusammengesessen und haben über Worst-Case-Szenarien nachgedacht. Wir sind auch regelmäßig an die Presse gegangen und haben Pressemitteilungen gemacht – ohne Effekt. 

Warum habt ihr kein anderes Datum gewählt?

Dr. Motte: Wir hätten die Strecke woanders hin verlegen können, da haben wir selbst nicht richtig gedacht. Dann hätten wir die Parade doch machen können. Das Problem war, dass wir auf unser Recht geklagt hatten – und bei den Verwaltungsgerichten verloren haben und verloren haben und verloren haben. [Das Bundesverfassungsgericht in, d.Red.] Karlsruhe hat dann gesagt: „Ihr seid aber keine Versammlung”, und das zunächst auch bestätigt. Dann kam ein Problem nach dem anderen dazu, und das hat bewirkt, dass wir 2005 verkauft haben.

Westbam: Naja, die haben gesagt, dass die Loveparade vom Charakter her mehr eine Musikveranstaltung ist als eine Demo.

„In Großbritannien war der Staat immer dazu da, auf die Jugendkultur runterzukloppen, die zu kontrollieren, die zu verbieten, denen die Bullen auf den Hals zu hetzen. Und das hat diese ganze wunderbare britische Popkultur hervorgebracht, die übrigens auch eine der ganz großen Inspirationen für die Loveparade war.”

Westbam

Dr. Motte: Und wenn schon. 

Westbam: Ehrlich gesagt, kann ich das hundertprozentig verstehen. Die Loveparade war eine Subversion des Dingsbums [Demonstrationsrechts, d.Red.]. Ich habe vorhin sehr bewusst das Wort des weisen Staats benutzt. Es war ja offensichtlich so, dass das über zehn Jahre gelaufen ist. Es gab Leute wie die entspannteren Konservativen, Typen wie Diepgen [Eberhard Diepgen, Berliner Bürgermeister von 1991-2001, d.Red.], die selbst vielleicht nicht gegen den Vietnamkrieg demonstriert haben. Die haben das einfach ein bisschen entspannter gesehen und gedacht: „Wenn man die Parade vor das Bundesverfassungsgericht bringt, wird es zu dieser Entscheidung kommen.” Und ich bin da schon der Meinung, dass das Bundesverfassungsgericht richtig entschieden hat. 

Aber? 

Westbam: Wo kein Kläger, da kein Richter. Der weise Staat hätte gesagt: „Ich weiß nicht genau, ob das eine Demo ist, aber ich weiß eins ganz genau: Dass das gut für Deutschland ist, gut für Berlin, gut für die Leute, die da hin gehen, gut für die Leute, denen es erlaubt ist, Deutschland auch mal unter einem anderen Aspekt als Hitler zu sehen. Das ist alles gut, und deshalb werde ich das nicht infrage stellen, nicht pedantisch werden. Und muss ich nicht sagen: Dürfen die das überhaupt?” Da denke ich: Lieber Staat, das ging los mit deinem Demonstrationsrecht, und du hast den Müll weggeräumt und so weiter. Mach’ das doch einfach weiter und kack’ dich nicht auf. Dann würde ich auch sagen: Das ist mein Staat, das ist ein toller Staat. Ich bin ja auch auf eine Art Etatist.

Dr. Motte: Das Urteil liegt aus, und zwar in unserer Ausstellung in der Mall of Berlin. Da kann man das auch aus einem Glaskasten rausholen. Und da ist auch noch eine andere Geschichte, die hierzu passt. Wir waren an dem Punkt, dass wir nicht mehr mit Musik demonstrieren durften. Aber da gab es ja den Martin Kliem, den Veranstalter der Hate Parade, jetzt Fuckparade. Der ist inzwischen nach Frankfurt gezogen, hat lange geklagt und dann auch Recht bekommen, dass man sehr wohl mit Musik demonstrieren kann. Der hat am Ende das Rad auch zurückdrehen können.

Als letztes Thema würde uns noch interessieren, wo ihr das Potenzial der aktuellen Situation seht. Du, Max [Westbam, d.Red.], hast es ja mehr theoretisch formuliert. Subkultur und Kultur brauchen auch mal die Stunde null. Du, Motte, sagst, dass wir die ganzen Institutionen, die wir haben, auch verteidigen müssen. Also die Clubs, die DJs, die ganze Infrastruktur. Aber was denkt ihr, auch als Musiker und als Menschen mit Gespür für subkulturelle Entwicklungen und Potenziale, wird jetzt passieren?

Westbam: Um das aus Deutschland rauszuholen, nehme ich jetzt mal die Popkultur in England als klassisches Beispiel. Dass der Staat irgendeinem Künstler helfen und die Jugendkultur unterstützen muss, hat es in England nie gegeben. Der Staat war immer dazu da, auf die Jugendkultur runterzukloppen, die zu kontrollieren, die zu verbieten, denen die Bullen auf den Hals zu hetzen. Definitiv nicht, um Staatsgelder dafür auszugeben. Der Staat war da immer nur der, der mit dem Knüppel hinter den jungen Leuten hergerannt ist. Und das hat diese ganze wunderbare britische Popkultur hervorgebracht, die übrigens auch eine der ganz großen Inspirationen für die Loveparade war.

Passen die USA da auch ins Bild?

Westbam: Das kam mehr aus England als aus Chicago. Aber wir können uns auch nochmal Chicago und Detroit angucken und uns fragen, wo da der Staat war, der das gütig ermöglicht hat, dass Juan Atkins und Jeff Mills irgendwelche Platten gemacht haben. Wo war der Staat, der das Warehouse unterstützt hat und Frankie Knuckles oder Farley Jackmaster Funk? Diesen Staat gab es nicht. Wenn irgendeine Firma mehr Miete als das Warehouse gezahlt hat, dann muss das Warehouse rücken, dann muss das woanders hin. Und ehrlich gesagt – ich weiß, da wird jetzt die Clubcommission wieder sagen: „Du Bösewicht”, und ich bin da ein bisschen sozialdarwinistisch in meinen Vorstellungen – aber wenn die Herde immer wieder gehetzt wird von den Wölfen und von den Löwen, dann führt das dazu, dass die Herde fit bleibt.

„Da gibt’s ganz viele, die durchs Raster fallen. Und da bin ich auch weiterhin dafür, dass man als freier Künstler davon leben können sollte, ohne dass einem jemand reinredet. Und das darf der Staat auch nicht, weil die Kunst frei zu sein hat.”

Dr. Motte

Wie lässt sich das auf die hiesige, aktuelle Situation übertragen? 

Westbam: Dass man jetzt sagt: „Wir hatten mal den Tresor, und der stand am Potsdamer Platz. Und der Potsdamer Platz war mal ein No-Man’s-Land, kurz nach der Wiedervereinigung. Und da sind die Leute hingetaumelt und haben gesagt, wow, hier in Berlin, sowas. Da kann jetzt die Clubcommission kommen und sagen: „Wir haben ein Recht, hier zu sein, und wir müssen lebenslänglich hier feiern dürfen.” Ich glaube da nicht dran. Es ist logisch, dass in einer großen Stadt in einem der wirtschaftlich reichsten Länder der Welt irgendwann eine größere Firma kommt. Und dann musst du da weg. Da kann man sich natürlich sagen, dass das gemein und blöde ist. 

Aber die Herde bleibt fit, weil sie sich jetzt nach Niederschöneweide treiben lassen muss.

Westbam: Genau, das hält mich fit. Ich weiß, dann sagen Leute: „Du saturiertes Schwein.” Ich hab’ das aber in meinem Leben erlebt. Ich habe eine Plattenfirma aufgemacht, dann gab es wirtschaftliche Veränderungen, dann habe ich das nicht mehr gemacht, weil mir das so nicht mehr gefallen hat. Ich hatte die Mayday, da gab es wirtschaftliche Veränderungen, dann haben wir das nicht mehr gemacht. Ja, und? Ich mach dann verdammt nochmal was anderes. Und ich stell mich drauf ein, und ich versuche meinen Ausdruck zu finden. Das lasse ich mir von Staat schon gar nicht verbieten, aber ich brauche da auch nicht die Hilfe des Staates.

Danke für dein Schlusswort, Westbam. Jetzt dein Schlusswort, Motte. 

Dr. Motte: Mein Schlusswort ist: Der Staat hat etwas entschieden, und das behindert die Kultur und verhindert Kultur. Und deshalb gibt es da ja auch bestimmte Gesetze …

Westbam: Wie die Corona-Regeln?

Dr. Motte: Das ist ja jetzt keine höhere Gewalt, sondern eine Anordnung, eine Verordnung, die muss durchgesetzt werden. Und dann muss man als Staat auch mit Verantwortung dazu beitragen, dass die Wirkungen nicht so hart sind, sondern gemildert werden. Wofür sind denn Steuern da? Genau dafür, dass sie am Ende besondere Situationen abmildern. Dass sie am Ende auch beim Bürger ankommen und beim Künstler. Und bei dem, der nicht so stark im Business ist. Ich habe eigentlich auch versucht, Soforthilfe zu beantragen und habe das Geld dann schon auf meinem Konto gehabt. Mein Steuerberater meinte dann: „Du hast ja gar keine Betriebsstätte, schick’ das mal wieder zurück.” Da gibt’s also ganz viele, die durchs Raster fallen. Und ich bin weiterhin dafür, dass man als freier Künstler davon leben können sollte, ohne dass einem jemand reinredet. Das darf der Staat auch nicht, weil die Kunst frei zu sein hat.

Dennoch wäre staatlich geförderter Techno in den Neunzigern ein Unding gewesen.

Dr. Motte: Es gibt auch Beispiele aus den 90ern. Die Clublandschaft, die sich gebildet hatte nach der Schließung des Flughafens Riem. Nach dem Umzug zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen mussten die da auch weg. Da haben die sich zusammengeschlossen und eine GmbH gegründet. Die haben gesagt: „Weil hier gebaut werden soll auf dem alten Flughafen, wollen wir adäquaten Ersatz.” Genauso muss man sich jetzt auch zusammentun und den Erhalt von Kunst und Kultur fordern. Und mir geht es da nicht darum, staatstragend zu sein. Das ist ein Nebeneffekt, der daraus entstanden ist. Auch weil viele Steuereinnahmen aufgekommen sind, weil die Loveparade in Berlin stattgefunden hat und viele davon profitiert haben. Wie Ralf Brendler, der rief mich mal an und hat sich für die 10.000 Menschen bedankt, die bei der Loveparade in seinem Club Eintritt bezahlt haben an einem Wochenende.

Welcher Club war das? 

Dr. Motte: Das Casino [in den späten 1990ern und frühen 2000ern aktiver Club an der Holzmarktstraße in Berlin-Friedrichshain, d.Aut.]. Und deshalb ist es wichtig, dass es eine starke Lobby gibt. Nicht nur für die Veranstalter, sondern auch für DJs, Künstler und alle Freiberufler. Aber die gibt es nicht. Die hängen alle in den Seilen. Da ist jetzt etwas passiert, wofür sie nichts können. Da muss man überlegen: Wie kommen wir dahin, dass wir keine Grundsicherung beantragen müssen? Das ist eine Katastrophe, das will keiner. 

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