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Tapestry: Sechs Tapes für Solidarität in der Isolation

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Als die Sache mit Lockdown und Ausgangsbeschränkungen ernst wurde, tönten immer wieder dieselben Meinungen: Der Virus treffe alle gleich. Die Krise sei auch eine Chance. Und wenn wir nur fest genug daran glauben, nähmen wir vielleicht sogar was mit –  Bullshit! Die Krise ist weder gerecht noch führt sie automatisch in eine linke Utopie. Sie mag manche hart treffen, aber die Unterprivilegierten und Ärmsten noch härter – weil strukturelle Defizite unserer kapitalistischen Konsumgesellschaft durch Coronaviren nicht krepieren. Auch wenn die Kulturszene keine unmittelbaren Leben rettet, sie leidet. Und sie fehlt. Mit Abstandsregeln sind keine Clubnächte zu schmeißen. Künstler*innen mögen sich in ihre Bedroom-Studios zurückziehen oder aus leeren Locations streamen. Doch von Luft und Likes zahlt sich keine Miete. Deshalb müssen wir solidarisch sein. Mit unseren Clubs, mit unseren Labels, mit DJs und den Leuten, die ihnen seit 31 Jahren eine Plattform bieten. Dazu gehört auch die GROOVE. Dazu gehören wir selbst. Und dazu gehören all jene, die Tape für Tape an einem Underground basteln, der nicht sterben darf. Christoph Benkeser mit dem Überblick zu Tape-Veröffentlichungen von King Rambo Sound, Competition, IHHH, Abby Lee Tee, German Army und Coil.


King Rambo Sound – Strange Reality (Chinabot)

King Rambo Sound - Strange Reality

Gäbe es einen Preis für passende Albumtitel zur beschissenen Jetzt-Situation, der Japaner Atsushi Akama hätte mit seinem neuen Tape auf Chinabot gute Chancen auf die vorderen Ränge. Das Londoner Diaspora-Label für Künstler*innen aus Asien macht mit dem Album von King Rambo Sound die halbe Wahrheit voll. Hinter Strange Reality steht kein Fragezeichen, sondern japanische Filetierkunst für Clubmusik mit Nachdruck, die klingt, als hätten sich transhumanistische Fabelwesen in einem Anflug von altruistischer Menschlichkeit ins Gesicht geniest, um zu beweisen, dass die Subwoofer dieser Welt zwar verstaubt, aber noch lange nicht eingeschlafen sind. Das Cover grätscht mit Mühe an einer Harakiri-Mischung zwischen japanischer Gameshow aus den 90ern und einem Bad Trip auf Vaporwave vorbei, die Mukke schmatzt dafür mit Bässen aus dem Feuertopf und schießt die nächste Power-Veröffentlichung in den Bandcamp-Äther. 303-Bässe zum Wändehochstapfen, Kicks mit Kompressionsstrümpfen und auch sonst nur fun, fun, fun zum Sonnenuntergang.

Competition – Repetititive Music (Slip)

Competition - Repetitive Music

Mit Repetititive Music bekommt man das, was draufsteht – und irgendwie nicht. Einerseits, weil sich eine Silbe in den Titel gesneakt hat. Und andererseits, weil das stinknormale Adjektiv repetitive sowieso nur was für Menschen ist, denen Loops beim Workout auf der Selbstisolation-Dachterrasse zu ordinär sind. Craig Pollard, der sich als Competition in einem ständigen Wettbewerb mit sich selbst misst und am Studio-Ergometer die Kilometer an der englischen Atlantikküste runterspult, hat sich nach seinem 2018er-Album You turned into a painting wieder hinters Mikro geklemmt, um Minimal Music zu machen, ohne den Philip-Glass-Gedächtnisschrank aufzureißen. Für seine Labelhomebase Slip croont er Textfetzen ins Mikro und leitet den YoutubeYoga-Schnellkurs von der Couch aus an. Ein Sampler, viele Stimmen – klingt einfach, hinterlässt aber den Eindruck, dass hier jemand Bock drauf hat, die im Pub zerbrochene Stimme durch die Maschinen zu jagen. Einfach so. Aus Spaß. Kaum zu glauben, aber die Sache funktioniert richtig gut und hat was von Babyfather ohne Beats im Gitterbett zwischen Kuscheltieren und Kraftraum.

IHHH – Memory Palace (Salmon Universe)

IHHH - Memory Palace

Wenn Jazz-Schlagzeuger den Besen gegen Synthesizer eintauschen, steckt sich David Lynch drei Zigaretten in den Mund und zieht erstmal ein paar durch. Da schleifen zerschnipselte Rhythmen durch modulare Gewächshäuser, und am Ende kommt doch was raus, zu dem die Kniescheiben rumschlackern wie Med-Studis auf Adderall. Ba dum tss – der argentinische Producer Carlos Falanga hat für Memory Palace die Trommeln aus dem Studio gewuchtet, um stattdessen den Sampler zu verdrahten. Als IHHH baut Falanga für das britische Label Salmon Universe einen Gedächtnispalast, schleppt Beat für Beat durchs Oberstübchen, bis das Ding als Zweitwohnsitz von Autechre taugt. Nur nicht zu viel Farbe an die eigenen vier Soundwände schmieren, aber gerade so verkopft herumspachteln, dass sich die Innendesign-Schablone vom schwedischen Möbeloutlet verzweifelt aus dem Browserfenster stürzt. Da stapfen schon mal Deep-House-Kicks über biologisch abbaubare Matten aus Moos, bevor der „Neon Demon” sich aufs Palettenbett stürzt, angesoffenes Gebimmel über den Mischer gießt und den elektronischen Shutdown mit drei Kannen Kamillentee runterspült. Zwischen totalem Chaos fromOuterspace, Ambient für Sessions in der Horizontalen und Sampling aus der Kategorie „Setzen, Eins!”.

German Army – Blending Landscapes (Soil)

German Army - Blending Landscapes

Zwischen Industrial-Techno im Masterseminar für Metallurgie und blutverschmiertem Synthpunk aus dem Grufti-Keller haben German Army schon viele Rollen Magnetband runtergekurbelt. Allein in den ersten fünf Monaten 2020 sind links, zwo, drei Alben der US-Gruppe erschienen. Mit Imperialismus und echten Kanonen hat das Kollektiv freilich nix zu tun, der Name soll aber durchaus provozieren. Dafür gibt es genügend Gründe. Wer sich durch deren Output der letzten Jahre hören möchte, bräuchte locker fünf weitere Lockdowns, genügend Klopapier und reichlich Hefe, um die Sache durchzudrücken. Schließlich ballert die aus Kalifornien stammende Armeefraktion mehr Songs raus als Pizza-Influencer Capi in einem Jahr. Das Magazin der German Army wird auch auf Blending Landscapes nicht leer. Wer dahinter steckt, wissen nur sie selbst. Das Rattern spricht aber für sich wie drei Tonnen TNT neben einem Treffen für anonyme Kettenraucher. Auf dem spanischen Label Soil hinterlassen German Army nichts als verbrannte Erde, bohnern den Maschinenraum und pflügen mit dem großkalibrigen Drumcomputer durchs Cabaret Voltaire. Abtreten und weitermachen!

Abby Lee Tee – imaginary friends II (Czaszka Records)

Abby Lee Tee - Imaginary Friends#

Was ist Geräusch, was schon Musik? Wann erkennen wir, wann wissen wir, was wir erkennen? Und was hören wir eigentlich, wenn wir nichts hören? Fabian Holzinger, der als Abby Lee Tee mit Field Recordings zwischen Wirklichkeit und ihren Grenzen laboriert, hat überzeugende Antworten. Imaginary Friends II ist ein Flashback zurück zu einer unschuldigen Naivität, in der man Dinge entdeckt, sie angreift, berührt, an ihnen lauscht und sie zum Leben erweckt. Mit seinen konsequenterweise als simulacra durchnummerierten Titeln sehen wir aus den Augen eines Kindes, hören aus seinen Ohren, greifen mit seinen Armen, nehmen die Welt auf allen Vieren wahr, krabbeln neben Wasser, klopfen auf Holz, stochern mit Stöcken, hören das Gebimmel von Glocken, während Schweine schmatzen und ein Flugzeug über unseren Köpfen hinwegdonnert. Geräusche beziehen sich aufeinander, aber haben keinen Bezugspunkt – die Natur rauscht nicht nur an uns vorbei, sie beginnt Gestalt anzunehmen. Was davon ist wahr? Was nur synthetisches Trugbild? Wer sich mit dem bei Czaszka Records erschienen Tape 20 Minuten Zeit nimmt, spart sich zwei Semester Philo und die anschließenden Kopfschmerzen.

Coil – The Gay Man’s Guide To Safer Sex +3 (Mental Groove Records)

Coil - The Gay Man's Guide To Safer Sex

Für alle, die den Vinyl-Release letztes Jahr verschlafen haben: Mental Groove Records hat das Sex-Tape von Coil ausgegraben. Klingt wie Clickbait von der Bild, ist aber gar nicht so verkehrt. John Balance, Peter Christopherson und Danny Hyde haben 1992 eine Doku über Safer-Sex vertont – ohne cringy Overdub-Gestöhne und Peitschengeschnalze, sondern mit Beats, die sich zwischen Balearen und Twin Peaks nicht entscheiden konnten und deshalb den All-inclusive-Urlaub bei Dr. Sommer im Megasoft Office gebucht haben. Anfang der 90er war das eine gute Idee. Die Mukke war rough, die Gefühle noch echt. Kein Wunder, dass The Gay Man’s Guide To Safer Sex so angestaubt rüberkommt wie Metallic-Jeans und Batik-Shirts. 1992 ist die Zeit stehen geblieben. Oder die Geschichte wiederholt sich. Immer und immer wieder dieselbe New-Age-Chose. Wer gegen Nostalgie immun ist, packt sich das Tape in eine Boombox, dreht auf Anschlag und marschiert auf Abstand durch Kreuzberg.

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