A Sagittariun – Live From The Sea Of Tranquility (Craigie Knowes)
Nick Harris, der nun bereits seit einer Dekade unter dem Moniker A Sagittariun veröffentlicht und zuvor einer der Gründer von NRK Sound Division war, hat eine ganz eigene Definition von Detroit Techno. Anstelle eines für das Genre charakteristischen dystopischen Settings bevorzugt der Producer aus Bristol einen offeneren, gewissermaßen optimistischeren Klangraum. Aufgeladen mit der Energie UK-typischer Breakbeat-Spielarten, entfaltet er auch auf den drei Tracks für Craigie Knowes seine schier überbordende Kreativität. Stillstand, soviel ist klar, bedeutet für Harris Rückschritt. Acid trifft auf Electro-Grooves und prallt von elastischen Ping-Pong-Beat-Wänden ab. Dazu fällt immer wieder eine weitere melodische Wendung ein. Einen längeren Atem beweist er indes auf „Interzone”, der Trance-inspirierten B2-Nummer – ein Track mit dem Potential, schweißnasse Gestalten aus den dunklen Ecken des Clubs erneut auf den Dancefloor zu ziehen, wo die Crowd sich am Ende einer langen Nacht in Erwartung des Sonnenaufgangs nochmals neu formiert. Harry Schmidt
Forest Drive West – Terminus EP (R&S)
Joe Baker alias Forest Drive West war in letzter Zeit für eigentlich eher dubbigere Vibes bekannt. Nicht so die neue Terminus EP! Beats werden aufgebrochen, Klänge mehr verzerrt, und so entführen vier Neuschöpfungen in ein wildes Jungle-Abenteuer. Beim Eröffnungs-Track „Impulse” wechseln sich aufgekratzte Perkussionen mit schweren, stampfenden Drums ab, was an manchen Stellen fast schon rituell anmutet. Wenn zwischendurch dann fröhlich die Bässe bauchig von unten nach oben gepitcht werden, fühlt man sich schmunzelnd an die ein oder andere Uralt-Dubstep Stimmung erinnert. In brachialer Manier treiben die Sounds nach vorne, während schreiende Vocal-Samples und abgehackte, bratzige Riffs, wie in „Terminus”, klarmachen, dass die Sache verdammt ernst ist. Darf sich dann bei „Void Control” alles entfesseln, wird in einer Art Druckausgleich der klassische Drum’n’Bass-Hüpf obligatorisch. Das Rad wurde hier bestimmt nicht neu erfunden, trotz alledem ist der Weg zum Dancefloor für die komplexen Produktionen in jedem Fall geebnet. Lucas Hösel
Huerta – Ayo Skidlo EP (SlapFunk)
Huertas Ayo Skidlo EP auf SlapFunk startet überraschend schnörkellos. „Tatra Matokov” setzt techig und geradlinig ein, die scharfen Drums preschen in einen hypnotischen Groove. Eine satte Bassline sprintet mit und wird eingefangen von trancigen Chords und Bleeps. Im Verlauf der Platte bleibt das Tempo hoch und wuchtige Grooves bekommen viel Raum. Mit den sparsam angelegten Melodien liefert „Kollecta” eine ideale energetische Verschnaufpause inmitten eines Peak-Time-Sets. Das toolige Grundrezept bleibt erhalten, während Huerta seinen Entwurf von Tech-House ausbreitet: Jazz-Fetzen auf rumänischen Breaks („Explorateur”) oder G-Funk im Garage-Mantel („Butz Off Like”). Dieser Entwurf ist stripped down, ohne prollige Effekthascherei und dabei immer gen Dancefloor. In Ayo Skidlo entfernt sich Huerta etwas von der bekannten balearischen Verspultheit und liefert Material für heiß ersehnte Nächte auf schwitzigen Tanzflächen – minimalistischer House mit einem Hauch California. Shahin Essam
Ikonika – Hollow EP (Hyperdub)
Als Produzentin in einer von Männern dominierten Subkultur zeigte Ikonika vor gut zehn Jahren mit ihren Releases auf Hyperdub oder Planet Mu Frauen* wie Shy One oder Cooly G, dass sie nicht allein unter Männern sind, wie diese im neuerdings erschienenen Buch Bass, Mids, Tops – An Oral History Of Soundsystem Culture erzählen. Und nicht nur in dieser Hinsicht hat Ikonika Einfluss. Durch ihren konstanten und vielseitigen Output mit eigener Handschrift hat sie auf- und abtauchende Aufmerksamkeitswellen wie für Dubstep überdauert. Sie ist geblieben, weil sie ihren Sound nie durch eine einzige Schablone gezwängt hat. Das zeigt auch ihre zweite EP in diesem Jahr. Nach Bodies, bei der Ikonika ihren reduzierten, beinahe erzählerischen Ableger von Electro präsentiert hat, nimmt sie mit Hollow eine andere Abzweigung, erforscht aber weiter Breaks. Dabei baut sie Beats zwischen schiebendem Grime mit eingängigen Streichern, scharfen Claps und angefransten Synthesizern. Immer wieder rutschen die Instrumentals dabei auch in rotierenden Trap mit sympathisch zurückhaltenden Synthesizer-Orgel-Flächen. Ikonika verwischt in ihren auf den Punkt gebrachten Tracks Grenzen. Mit dem starken Stück „Body Servants” spannt sie den Bogen noch weiter, kreiert einen schwer kriechenden Riddim, der mit seinem Dreischritt an „Dem Bow” erinnert, ein Dancehall-Instrumental aus den frühen 1990ern, das später als ein rhythmischer Kern bei Reggaeton auftauchte. Dieses breite Spektrum bekommt von Ikonika durch ihre einprägsame Gestaltung der Synthesizer seinen eigenen Touch. Dazu gehört auch, dass die Instrumentals auf Wesentliches konzentriert sind. Gut könnten MCs oder Sänger*innen darauf ihre Texte bringen. Genauso gut funktionieren die warmen, umhüllenden Bässe, die abwechslungsreichen, dynamischen und energiereichen Beats und die Melodie-Einsprengsel aber auch ohne Vocals. Denn Ikonikas Musik bleibt für sich eine prägende Stimme in Clubmusik. Philipp Weichenrieder
Regina Leather – Portraits of a Collective Hallucination (Voam)
Obwohl es erst die fünfte Veröffentlichung auf Voam ist und man beim Namen Regina Leather nur unwissend mit der Schulter zuckt, wird einem noch vor Hören der ersten Synth-Explosion bewusst, dass man man den Labelheads Pariah und Blawan eigentlich schon blind vertraut. Bisher schlug jedes Release brachial ein und brachte etwas Neues hervor. Schritt für Schritt bringen Karenn so ein immer schärfer werdendes Bild von Voam zustande, das schon jetzt das Potenzial zum Musikkunstwerk hat. Regina Leather, der nach Peder Mannerfelt der zweite gefeaturete Künstler ist, entpuppt sich übrigens doch nicht als so unbekannt, wie zunächst vermutet. Hinter dem Pseudonym versteckt sich nämlich der Italiener Paolo Di Nola, der auch als Cosmic Metal Mother schon das ein oder andere Leftfield-House-Release veröffentlichte. Wie Leftfield-House zu Voam passt? Natürlich gar nicht. Und um eine neue Facette des gebürtigen Römers adäquat zu präsentieren, war die Verwandlung zu Regina Leather essenziell. Portraits Of A Collective Hallucination öffnet mit „Tip”. Der Track kombiniert ein repetitives Vocal Sample, an dem von Zeit zu Zeit herumgefrickelt wird, mit verträumten gläsernen Mallets und schwerelos wirkenden Pads. Wie auch schon bei Karenns eigener Musik stechen bei Regina Leather die Drum-Sounds jedes einzelnen Tracks heraus. Wie viel Arbeit in das perfekte Modulieren von Decay, Reverb und Saturation der perkussiven Elemente gesteckt wurde, ist fühl- und vor allen Dingen hörbar. Genau das führt dazu, dass auch „Communicazione Uno” und „Communicazione Due” fresh und besonders klingen und man, gebannt und mit den Füßen wippend, jede Sekunde in sich aufsaugt. Beide Tracks charakterisiert ein deeper, fantasiereicher Sound, der weniger auf billige Ekstase als auf eine transzedentale Erfahrung abzielt. Könnte man auch über den letzten Titel sagen, der seinem Namen wirklich gerecht wird. „Industrial Collapse” kollabiert nämlich tatsächlich im Mittelteil – nur um dann wieder anzulaufen. Ein Abbild der Realität. Und genau in diesem Moment, in dem Bilder von verzweifelten Brokern beim letzten Börsencrash, still stehenden Fabrikbändern und erbost protestierende Arbeiter*innen vor dem inneren Auge auftauchen, wird einem klar, wie tiefschürfend und kraftvoll Regina Leathers Musik eigentlich ist. Andreas Cevatli