Roza Terenzi (Alle Fotos: Henry King)
Mit neun nahm sie ihren ersten Rapsong auf, mit 21 spielte sie im Boiler Room: Katie Campbell macht nahezu ihr ganzes Leben lang Musik. Ihren Sound fand sie jedoch erst als Roza Terenzi. Die vorläufige Krönung ihrer Karriere als DJ und Produzentin sollte ihr Debütalbum Modern Bliss sein – doch es erschien mitten in eine Pandemie hinein. Zwischen finanziellen Sorgen und Vorfreude hat Katie Campbell Groove-Autorin Cristina Plett ihren Weg erzählt.
„Wenn es das Coronavirus nicht gäbe, würde ich übermorgen früh nach Südamerika für meine Tour fliegen und mich gerade darauf vorbereiten”, sagt Katie Campbell alias Roza Terenzi. „Aber jetzt passiert das natürlich nicht.” Stattdessen sitzt die Australierin an diesem Dienstag Ende März in ihrem neuen Zuhause, einer Untermiete in Berlin Neukölln. Sie kocht, richtet ihre neue Wohnung ein, liest. „Wenn ich wegen dem Geld nicht so gestresst wäre, wäre das sogar gut”, sagt sie lachend – am Telefon natürlich, Abstand muss zur Zeit des Interviews noch streng gewahrt werden.
Ende März ist es schwer, ein Gespräch zu führen, ohne das große C-Wort zu erwähnen. Clubs haben zu, DJs haben ihre Gigs abgesagt bekommen. Auch Katie Campbell. Neben Südamerika stand im April eine Tour in Nordamerika an. Beides fällt aus. „Das war vor allem finanziell ziemlich stressig.” Anfang des Monats erst war Campbell aus Melbourne nach Berlin gezogen. Dass sie so kurz hier ist, macht die Sache mit dem Geld nicht einfacher: In ihrer Heimat Australien ist sie nicht mehr gemeldet und in Deutschland hat sie noch keine Steuern gezahlt. Es sieht danach aus, als würde die 27-Jährige in beiden Ländern keine staatlichen Hilfen erhalten.
Eine Basis in Berlin statt ein Leben aus dem Koffer
Dabei wirkte 2020 eigentlich, als würde es für Campbells Karriere als Roza Terenzi weiter nach oben gehen. Erst der Umzug nach Berlin, näher dran an vielen großen Clubs und Festivals als Australien, dann ihr Debütalbum Modern Bliss und schließlich ein mit Gigs durchgeplantes Restjahr. Letzteres sei mit ein Grund für ihren Umzug gewesen: „Ich war schon für Auftritte ziemlich spät im Jahr gebucht und wollte nicht noch eine fünf Monate lange Tour machen, ohne eine Basis zu haben. Um an den Wochenenden touren zu können, aber unter der Woche ein normales Leben zu führen, statt aus dem Koffer zu leben”, sagt sie.
Solche Phasen, in denen Campbell monatelang unterwegs war, hatte sie schon in den vergangenen zwei Jahren. Beide Male stellten sie einen großen Schritt in ihrer Karriere dar: 2018 ihre erste Europa-Tour, im 2019 Touren durch Indien, Europa und Nordamerika. Trotzdem sind sie für Campbell als Produzentin herausfordernd: „Auflegen und Touren macht viel Spaß, aber wenn du das vier oder fünf Monate lang machst und gar nicht an deiner Musik arbeitest” – am Laptop könne sie nicht gut produzieren – „denkt man sich ein bisschen: Was bringt das?”
Primär sieht sich Katie Campbell nämlich mehr als Produzentin denn als DJ. Ihre ersten Schritte als Musikerin reichen weit in ihre Kindheit zurück: Ihr Profilbild auf Twitter zeigt sie als Kind mit einer hellblauen E-Gitarre. Auf Bandcamp lud Campbell vor einigen Jahren einen Track hoch, den sie mit neun Jahren aufgenommen hatte, „Clap To The Crap Rap”. Ihr Vater hatte Zuhause ein Studio und half ihr dabei, Lieder aufzunehmen. Auch erste Schritte in Logic zeigte er ihr. Es seien vor allem technische Aspekte gewesen, die ihr Vater ihr konkret beibrachte, erinnert sich Campbell. Dennoch: „An Musik zu arbeiten fühlte sich immer sehr natürlich an.”
Eine bewusste Entscheidung, Musik einmal zu ihrem Beruf zu machen, traf sie damals noch nicht. Als Teenager spielte sie mit ihrer Gitarre in Indie Rock-Bands und solo Jazz-Gitarre. Nach der Schule ging sie den nächsten logischen Schritt und studierte Technologie und Komposition in ihrer Heimatstadt Perth. Anders als die meisten Städte Australiens liegt Perth an der Westküste des Kontinents. Das Outback trennt die Zwei-Millionen-Stadt von Metropolen wie Sydney oder Melbourne. „Man fühlt tatsächlich die Distanz zu überall”, sagt Campbell, „Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es dort eine sehr lebendige und gesunde Musik-Community gab.” Die Bandszene sei traditionell groß gewesen und zur selben Zeit, als Campbell anfing auszugehen, habe auch die Club-Szene an „Momentum” gewonnen, wie sie es ausdrückt, und ungewöhnliche, internationale Acts nach Perth geholt.
Babyschritte, um einen Sound zu finden
In dieser Szene lernte und wuchs Campbell als Performerin. Während ihrer Zeit an der Uni begann sie in Clubs zu spielen. Damals noch unter dem Namen Catlips. Ein Projekt, mit dem sie housigen Synth-Pop produzierte. Im Internet bleibt Catlips in kreativen Musikvideos und einem Live-Set im Boiler Room von Perth für die Nachwelt erhalten. Für Campbell war es vor allem ein Weg, sich das Musikproduzieren beizubringen; Ableton, Logic, unterschiedliche Hardware und Software. „Das waren Babyschritte, um zu lernen, was ich für Sounds wollte, wie man sie macht und wie man sie zusammenfügt”, erzählt sie.
Das Ende von Catlips kam vor rund drei Jahren ganz natürlich: Ihre Gigs als Roza Terenzi nahmen mehr und mehr Zeit ein. „Catlips war zum Herumexperimentieren geboren, aber es hatte keine Richtung oder einen klaren Fokus”, blickt Katie Campbell zurück. Für Roza Terenzi hingegen hatte sie eine „klare Idee von dem Sound, den ich machen wollte”, sagt sie. Sie beschreibt es vage als „tanzflächenorientierter“. Wenn man sich durch Roza Terenzis Diskografie hört, merkt man jedoch genau, was sie meint. Den Namen für das neue Projekt hatte sie sich von der italienischen Astrophysikerin und Musikerin Fiorella Terenzi geliehen, für Campbell eine inspirierende Figur.
„Yeh Yeh Yeh” aus Roza Terenzis The „O.G.” EP von 2017
Schon auf ihrer ersten The „O.G.” EP – entstanden 2016, erschienen 2017 – hört man die drei Charakteristika, die nun ihr Debütalbum Modern Bliss prägen. Eine verträumte breeziness wie von einem Sommerwind, ein pumpender, treibender Rhythmus und knackige, crispy Drum-Elemente. Damals sind die Track-Strukturen noch etwas jammiger und man hört, dass der LoFi-House-Hype noch nicht allzu lange her ist. In den sechs Solo-EPs seit The „O.G.” hat sie weiter an ihrem Sound geschliffen, sodass er jetzt klar und deutlich definiert ist, über die neun Tracks von Modern Bliss verteilt.
Genau das ist so besonders an Roza Terenzi: Campbell hat darin einen wiedererkennbaren Sound, der vor allem in ihren Produktionen, aber auch in ihren Sets deutlich zu hören ist. Ein Stück dieses Roza-Terenzi-Klangs ist sicherlich auch Teil eines Trends. Breakige, an den Neunzigern und Progressive House orientierte Musik hatte in den vergangenen Jahren international Konjunktur; möglicherweise eine Weiterentwicklung des Electro-Hypes. Terenzi hat auf den meisten Labels veröffentlicht, die man damit assoziiert: Kalahari Oyster Cult, Klasse Wrecks, Planet Euphorique, das Label von D. Tiffany, auf dem nun auch Modern Bliss erscheint. Trotz der vielen Labels setzt sich Roza Terenzi stets mit ihrer eigenen Handschrift ab.
Tanzfläche und Homelistening gleichermaßen im Blick
Auch beim Auflegen lässt sich beobachten, dass sie dezidiert einen eigenen Stil verfolgt. Sie scheint von Tracks rasch gelangweilt zu sein und mixt schnell, die Aufmerksamkeit die ganze Zeit bei den CDJs. Die Energie bleibt konstant hoch, Electro und tranciger Rave sorgen für eine geladene Stimmung, DJ Stingray kommt einem in den Sinn. So zumindest vergangenen Sommer bei ihrem Auftritt in der Säule im Berghain. Eine Nacht, die gerade ewig weit weg scheint. Doch Campbell kann auch anders. In einem Mix für die barcelonesische LGBTQ-Technoparty Maricas zeigt sie eine sehr viel ruhigere Seite ihrer Trackauswahl. Auch auf Modern Bliss wabern zwei Tracks nahezu im Downtempo-Bereich („Spiral”, „Jungle in the City”).
Diese Atmosphäre hält sie auch bei höherem Tempo. Zum Beispiel den 130 BPM, die der Titeltrack des Albums hat. Denn ihr kommt es vor allem auf den Vibe an: „Wenn ich Sachen produziere, denke ich oft an die Situation. Zum Beispiel die Musik Zuhause zu hören, nachdem ich aus war, oder morgens, während ich an Sachen arbeite”, sagt Campbell. „Ich möchte Leuten einfach die Option geben, dass sie wählen können, wie sie das Album hören möchten.” Ein Gedanke, der sich in der aktuellen Situation zu ihrem Vorteil entwickelt hat.
Eigentlich dachte sie schon im Mai vergangenen Jahres, vor ihrer langen Tour, das Werk sei vollendet. „Ich wollte dem noch ein paar Monate geben, um zu sehen, ob ich mich gut damit fühle”, sagt sie. Dann kam in Montreal gegen Ende der Reise ein weiterer Track dazu, der das ganze Album ins Wanken bringen sollte. Es war der neue Titeltrack, „Modern Bliss”. Zurück in Australien sortierte sie radikal Stücke aus, neue kamen hinzu. Was nach einem mühseligen Prozess klingt, dafür ist Campbell dankbar: „Normalerweise bin ich sehr ungeduldig und impulsiv. Da war das sehr gut.” Nun finde sie das Album stimmiger.
Eine Zwangspause war es also, die Modern Bliss zu dem machte, was es jetzt ist. Neun Tracks, die den Roza-Terenzi-Sound in ihre DNA eingeschrieben haben und trotzdem unterschiedlich genug sind. Eine Zwangspause ist es, die ihre Veröffentlichung begleitet. Vielleicht, hoffentlich, hinterlässt sie wieder etwas Positives im Werk von Katie Campbell.