Josey Rebelle – Josey in Space (Beats in Space)

Die britische DJ Josey Rebelle ist bekannt und beliebt für ihre facettenreichen Mixturen, die Genregrenzen sowohl austesten als auch willentlich überschreiten. Ob Acid, House, Breakbeat, UK Bass, Jazz, Reggae oder R&B – der Plattenkoffer der Londonerin mit vergangener Residenz im legendären Club Plastic People ähnelt einer großen Wundertüte, aus der bei jedem neuen Auspacken eines Vinyl ein komplett anderes Exemplar hervorgeholt wird. Während ihr Schaffen erstaunt, erstaunt es nicht unbedingt, dass Tim Sweeney für seine Kompilationsserie Beats In Space, welche Formen wie auch Formlosigkeiten moderner Tanzmusik erkunden möchte, nach der Senkrechtstarterin Moko Shibata aka Powder eben Josey Rebelle ins spacige Boot geholt hat. Mit der Rinse-FM-Residentin möchte die Serie offensichtlich etwas wagen und eine Botschaft für mehr musikalische Diversität in der aktuellen Dance Music vermitteln. Denn Rebelle zählt nicht unbedingt zu denen, die man als Konsens-DJs bezeichnen könnte. Ihre sonoren, kaleidoskopischen Potpourris fordern und spalten Publika. Auf der Intention von Tim Sweeneys Kompilationsreihe aufbauend, präsentiert Rebelle eine eindrucksvolle Selektion, in der eine musikhistorisch-genealogische Linie erkennbar wird. Fancy 90er-Breakbeats vom britischen Duo Rum & Black werden vom minimalistisch-verträumten „Glitch Bitch“ der Hyperdub-Newcomerin Loraine James gefolgt. Dann haut Rebelle House-Kracher von Robert Owens und Hieroglyphic Being neben energetischen Breakbeats von rRoxymore und Afrodeutsche raus. Aber auch der Mitbegründer des Techno-Kollektivs Body Release, Titonton Duvante, ist auf der Kompilation nicht weit von der jungen Londonerin Shy One entfernt. Nicht nur unterschiedliche Genres treffen in Josey In Space aufeinander, auch Generationen: Pioniere treffen auf Millennials, zuweilen mit afro-futuristischen Lyrics verbunden. Josey In Space mag vielleicht nicht jedes Gehör gleichermaßen überzeugen, weil der Mix nicht immer ganz smooth fließt, aber die außergewöhnliche Auswahl und ihre Bedeutung für Tanzmusik heute machen das wett. Franziska Finkenstein

Kemistry & Storm – DJ-Kicks (Studio !K7)

Ursprünglich 1999 erschienen, bekommt der damals wie heute Genre-definierende Drum’n’Bass-Mix von Kemistry & Storm eine Neuauflage zum 25. Jubiläum der traditionsreichen Serie. !K7 veröffentlichte das Set im Januar 1999, nur wenige Monate vor dem tragischem Unfalltod Kemistrys. Die vorangegangen Jahre hatten sie und Partnerin Storm die Drum’n’Bass-Szene gemeinsam im Sturm erobert. Sie wohnten zusammen, gingen jede Woche gemeinsam aus, um Vorbilder wie Grooverider und Fabio zu hören. Der damals noch musikalisch unbedarfte Graffiti-Tagger Goldie wurde der dritte im Bunde. Alle waren so von der frühen Acid-House-, Rave- und Breakbeat-Szene Großbritanniens infiziert, dass sie beschlossen, ihr Leben diesem Sound zu widmen. Goldie als Produzent, die beiden anderen als DJs. Mit ihrer Arbeit für das Label Metalheadz prägte das Trio die Drum’n’Bass-Ära Ende der 90er so stark wie kaum jemand anders. Der Mix, entstanden auf dem Höhepunkt von ihrer DJ-Karriere, spiegelt die rohe und vielleicht authentischste Seite des oft totgesagten Genres wieder. Es knallt, scheppert und knarzt aus allen Ecken und Enden – aber ob bei aller Wildheit und schnellem Tempo halten am Ende Groove und Deepness alles zusammen. Die Tracklist umfasst neben bekannten Metalheadz-Künstlern von damals sowie Goldie selbst auch weiterhin bestehende Größen wie Dom & Roland, DJ Die oder J Majik. Man fühlt sich zurückversetzt in eine kreative Hochzeit, spürt die Euphorie dieser Tage mit, aber natürlich schwingt auch das Drama um Kemistry Tod mit. Ein historisches Dokument in jeder Hinsicht. Leopold Hutter

Love Saves The Day: A History Of American Dance Music Culture 1970-1979 Part 1 (Reappearing Records)

Es gibt viele Arten von Sammlern, und in jeglichem Sammeln eine Fülle von Impulsen am Werk. Im letzten Jahr erschien auf Reappearing Records bereits die Compilation Life & Death On The New York Dance Floor 1980-1983. Mit Tracks von Material, Alan Vega und James White war sie musikalisch weitgehend dem Funk-Siegeszug in der sich damit quasi selbst auflösenden New Yorker Post-Punk-Szene gewidmet. Nun ist mit Love Saves the Day: A History Of American Dance Music Culture 1970-1979 auf demselben Label die Nachfolge-Compilation erschienen. Und wie es sich mit Wiedergängern und Wiederscheinungen oft verhält, ist der Nachfolger ein Vorläufer. In diesem Fall so konkret chronologisch wie es das Material vorgibt. Es dominieren Soul von Willie Hutch, James Brown, Wilson Picket und Margie Joseph und etwas, das man Disco nennen könnte. Die Frage zu beantworten, was letzteres dann konkret überhaupt war, ist und sein wird, ist dann eine lange Geschichte.

Eine Plattensammlung oder eine zunächst vielleicht eher willkürlich anmutende Ansammlung von Tracks ist eine Geschichtsschreibung in actu. Sammlungen, die eine Geschichte erzählen, sind zwangsläufig dabei auch eine der Sammler. Die Compilations auf Reappearing Records sind quasi der Soundtrack zu der New Yorker Dance-Culture-Historie, die der Londoner DJ, Historiker, Sammler, Kurator und Partyveranstalter Tim Lawrence zunächst in Buchform veröffentlicht hatte. Love Saves the Day History Of American Dance Music Culture 1970-1979 erschien 2003 in der Duke University Press, 2009 folgte Hold On to Your Dreams: Arthur Russell And The Downtown Music Scene, 1973-1992, 2006 erschien dann Life & Death On The New York Dance Floor 1980-1983. Die Liner Notes von Tim Lawrence für das Booklet dieser Kompilation sind die Zusammenfassung dieser enzyklopädischen Arbeit. Ihren Titel bekommt sie vom Namen der, wie es heißt, legendären House-Party, die David Mancuso, eine der überaus einflussreichen DJs, die Gegenstand dieser New Yorker Hagiographie sind, im Februar 1970 organisierte. „Love“ war zu jener zweifellos ein Codewort für „Droge“. Aber nicht nur. Da war noch etwas anderes, mehr oder minder Überirdisches. Lawrence notiert: „In Mancuso’s terms, a ‘third ear’ — the aural equivalent of the all-seeing ‘third eye’ — had started to beat, directing the path of both the music selector and the crowd according to sonic trajectories that had acquired a supernatural momentum. There was neither the DJ nor the dancer. Someone would approach me to play a record and I would already have it in my hand or it would already be on the turntable (…). The musical journey had begun.“ Das Abenteuer wird an einer Straßenecke geboren und landet im Archiv. Wo es sich fortsetzt, um irgendwann wieder an einer anderen Straßenecke zu landen. Andreas Hahn

Pacific Breeze 2: Japanese City Pop, AOR & Boogie 1972-1986 (Light in the Attic)

Slick und funky beginnen Bread & Butter mit „Pink Shadow“. Bevor der Gesang einsetzt, kann man glatt an eine Nummer von Fela Kuti denken. Neben der ziemlich coolen afro-kubanischen Percussion schafft der Refrain ordentlich Laune und genau das, was man von der zweiten Ausgabe der gehypten Reihe von Light in the Attic erwartet: 70er- und 80er-Feel mit Sonne im Herzen. Ähnliche beschwingte Vibrationen kommen von Kimiko Kasai. Als dem Japanischen Unkundige*r versteht man wohl bloß die ständig wiederholte Phrase „Magic Vibration“. Doch ist es nicht das, was man von so einem Mix erwartet? Und dann gefühlt mit dem Mazda durch Tokyo rast, wenn man die Vibes aus Mamoko Kikuchis „Blind Curve“ wörtlich nimmt. Und „Hidari Mune No Seiza“ von Tetsuji Hayashi liefert das wohl coolste Keyboard-Lick, das man so gerne hören will, wenn man wirklich mal Auto fährt und das Radio anschaltet. Zeitlos schön und gleichzeitig in der Zeit hängengeblieben. Herzallerliebst betört die Instrumental-Nummer „Kindaichi Kosuke Nishi E Iku“ von Yu Mai. Entspannt in die Kaffeepause mit Junki Ohashi & Minoya Central Station. Ihr „Rainy Saturday Coffee Break“ hat was von einem Anime-Intro. Kyoko Muratas „Harumifutuo“ ist vielleicht der schönste Song, gleichzeitig groovig, aber bringt mit dem wunderbaren Refrain auch noch ein wenig Deepness hinein, und tanzt mit dem trockenen, dreckigen Sound etwas aus der Reihe dieser super glatten Produktionen. Yuji Toriyama schnappt mit „Bay/Sky Provincetown 1977” dieses Gefühl auf und führt es fort. Ein schönes Ende einer stimmigen Compilation. Lutz Vössing

Place : Ecuador & Place : Vancouver (Place)

Hinter den von Air Texture initiierten Place-Compilations verbirgt sich mehr, als man auf den ersten Blick zu erkennen vermag. Das Konzept ist hierbei denkbar einfach: Das Label holt die Lupe heraus, richtet sie auf ein schönes Fleckchen Erde und gewährt uns – in fruchtbarer Kollaboration mit lokalen Heads und Musikszene-Kenner*innen – tiefe und intime Einblicke in sonst nur äußerst schwer zugängliche musikalische Parallelwelten. Wer kann schon ernsthaft behaupten, sich mit der energievollen ecuadorianischen elektronischen Musik auszukennen? Vancouver hingegen ist da schon etwas anderes. Vor allem das Label Mood Hut zog bekannterweise von 2013 an mit seinem sympathischen DIY-Approach und dem Fokus auf feine House-Tracks noch größtenteils unbekannter Künstler einige Blicke auf sich und die „City of Glass“. Aber auch Key Player wie beispielsweise Jayda G, Lnrdcroy oder Konrad Black kommen ursprünglich von dort. Also wäre es alleine aus wirtschaftlichen Gründen doch naheliegend, die mit ins Boot zu holen. Aber so spielt Air Texture nicht. Dafür alleine gebührt ihnen schon mal Lob. Der einzige bekanntere Künstler und eine der Leitfiguren dieses Projekts ist der Illbient-Producer DJ Olive. Von Detroit-Techno über Drum’n’Bass bis hin zu feinen Ambient-Perlen ist hier eigentlich alles dabei, und auch wenn man Parallelen zu europäischen Produzent*innen ziehen kann, so ist diese Musik doch irgendwie eigen und erfrischend. Was die Compilation aus Ecuador angeht: Selten macht es so viel Spaß, Musik von noch nie gehörten Artists zu entdecken. Pur, perkussiv und so unglaublich vielfältig, zeigen sich die vertretenen Musiker*innen, sodass man immer wieder aufs Neue darin eintauchen will. Aber wie auch hinter deren Kunst und Kultur, und das ist der eigentliche Clou dieser beiden Releases, so stecken auch hinter diesen faszinierenden Orten  verletzliche und fragile Ökosysteme und deren Bevölkerungen, die es zu schützen gilt. Aus diesem Grund fließen die Einnahmen auch nicht in die eigene Tasche, sondern kommen den Hilfsorganisationen Pacific Wild und Amazon Frontlines zugute. Prädikat wertvoll. Andreas Cevatli

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