Ein Haufen gecancelter Gigs, jede Menge Livestreams, die erschwerte Label-Arbeit und allgemeine Ungewissheit: Aufstrebende Künstler*innen sind von der Coronakrise oft besonders hart getroffen. Wir haben mit Jonas Yamer, Madalba und Leibniz darüber gesprochen, was sie gerade am meisten beschäftigt und wie die aktuelle Lage sie persönlich betrifft.
Seit dieser Woche geht ein Aufatmen durchs Land: Die Ausgangsbeschränkungen und Geschäftsschließungen werden zumindest schrittweise gelockert. Trotzdem bleibt unklar, wann Clubs und Festivals wieder für Besucher*innen eröffnet werden. Gerade vielen freien Künstler*innen bereitet das Sorge um ihre Existenz. Ein Ende der Einschränkungen, und somit auch der Partypause, ist nämlich noch lange nicht in Sicht. Das ist hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken natürlich richtig, findet auch Madalba, DJ und angehende Fachärztin.
Dennoch fallen augenscheinlich vor allem die Kontaktbeschränkungen vielen Leuten schwer. Viele können die Wiedereröffnung des Nacht- und Konzertlebens kaum mehr erwarten. Für die Akteur*innen der Kulturbranche geht es dabei um weit mehr als Spaß und Zerstreuung: ihre finanzielle Existenz steht auf dem Spiel je länger der Lockdown andauert.
Allgemeine Ungewissheit und bedrohte Label-Arbeit
„Wenn die Krise so jetzt noch eine Weile andauert, weiß ich ehrlich gesagt nicht so richtig, wie ich weitermachen soll”, sagt der Bayer Jonas Yamer, Label-Chef von Molten Moods. „Die Situation wirft gerade viel über den Haufen. Eigentlich hätte ich in nächsten Monaten ein paar der spannendsten Gigs meines Lebens gehabt.” Dazu zählen ein Solo-Auftritt im OHM und Gigs mit seiner Band Carl Gari auf dem Rewire-Festival in den Haag und im Berliner Kraftwerk. Auch sein Nebenjob, der ihm bislang zusätzlich half, sein Kunststudium zu finanzieren, fiel krisenbedingt weg. Der Frust sitzt tief, die staatliche Soforthilfe helfe nur temporär. Sollte sich diese Krise über längere Zeit strecken, ziehe er in Betracht, sein Kunststudium auf einen pädagogischen Zweig umzuschwenken, um in Zukunft auch als Lehrer arbeiten zu können.
„Künstler*innen, die sich auf diese wahnsinnige Techno-Szene eingelassen haben, hatten es auch schon vorher nicht leicht, aber die Situation gerade macht es besonders schwer.”
Leibniz
„Es ist eine außerordentlich schwere Situation”, bestätigt der Berliner Labelmacher, DJ und Produzent Leibniz. Doch die Situation sei für viele Künstler*innen schon vorher schwierig gewesen, meint er. Deshalb arbeite auch er mit seinem zweiten Standbein als Produktdesigner in einem Berliner Büro. Für gewöhnlich spielt er mehrere Gigs pro Monat, darunter wären unter anderem Auftritte im City Club in Augsburg, in der Rakete in Stuttgart oder eine seiner Labelnächte im Hamburger Frappant gewesen. Neben Soloauftritten und seinem Job als Produktdesigner organisiert er mit seinem Label Hundert regelmäßig Veranstaltungen, deren Einnahmen vor allem die Kosten der Vinyl-Pressungen decken. Denn der Verkauf amortisiere den finanziellen Aufwand oft nicht komplett: „Wenn wir 300 Platten pressen lassen und wir alle verkaufen, legen wir meistens immer noch etwas oben drauf”. Doch die Frage danach, für wen man Vinyl herausbringen sollte, wenn gerade niemand im Club auflegen könne, macht Leibniz ratlos.
Diese Ratlosigkeit teilt auch Jonas Yamer, der mit Kareem el Morr schon seit einiger Zeit ein fertiges Release auf Platte bereithält. „Da gerade keine Clubs offen haben, habe ich das nächste Vinyl-Release erstmal verschoben. Es gibt nur diesen einen Moment dafür – da müssen alle Kanäle verfügbar sein. In diesem Initialmoment muss es ordentlich abgehen.” Die Meinungen gehen in diesem Punkt auseinander. Manche empfehlen, gerade jetzt zu veröffentlichen, da die Leute die Musik bräuchten. Andere raten davon ab, da die Szene gerade keinen Kopf dafür hätte. Jonas Yamer versucht einen Mittelweg zu finden. „Ich bringe jetzt Digital-Releases und Merch raus. Das nächste Vinyl-Release habe ich um ein paar Monate verschoben.”
Der emotionale Verlust
Die finanziellen Einbußen durch nicht verkaufte Platten sind jedoch nicht die einzigen Sorgen von Leibniz: „Einerseits denke ich, dass die Maßnahmen notwendig sind, da es eine ernsthafte Situation ist. Andererseits mache ich mir Sorgen, keine Kontakte mehr über die Clubszene zu machen. Das trifft mich emotional, dass das so weg bricht. Dass gerade kein persönlicher Austausch in Clubs oder auf Festivals stattfindet, ist schon wirklich bitter für die Szene. Wenn ich woanders auflege, gehe ich auch oft in einen Plattenladen, um zu checken, ob jemand da ist, den man kennt. Oder frage, was am Wochenende so geht”.
„Tanzen gehen ist für mich wie Atmen.”
Madalba
Diesen emotionalen Verlust verspürt auch Madalba stark: „Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die Clubs dieses Jahr nicht mehr aufmachen würden. Tanzen gehen ist für mich wie Atmen. Keinen Dancefloor zu haben, finde ich auf Dauer sehr anstrengend.” Die aus dem italienischen Bari stammende Unfallchirurgin steht eigentlich kurz vor ihrem Facharzt-Abschluss, doch auch der verschiebt sich durch die Krise weiter nach hinten. Über die queere Szene fand sie vor gut zehn Jahren ihre Liebe zum Auflegen: „Auflegen ist für meinen Kopf sehr wichtig. Das hat mir immer richtig gut getan, um den Stress meines anderen Jobs zu kompensieren und mich auch politisch zu involvieren.”
Auch sie bedauert den Verlust ihrer DJ-Auftritte, auf die sie sich schon sehr gefreut hatte. Darunter wären Gigs in Barcelonas Moog, in der Distillery in Leipzig, auf dem Lighthouse Festival in Kroatien oder bei der Qreclaim-Party in Athen gewesen. Für Letztere stünde zwar schon ein Nachholtermin im Raum, doch Madalba bleibt kritisch. Als Medizinerin macht sie sich viele Gedanken über die Wiedereröffnung von Clubs und Bars. Dabei reflektiert sie vor allem ihre persönliche Schnittstelle zwischen Club und Krankenhaus.
Risikofaktor Nachtleben
Durch ihren Job als Ärztin ist Madalba besonders sensibilisiert für die Krise. „Wenn alles wieder aufmacht, weiß ich nicht, inwiefern ich mich trauen kann, aufzulegen, weil ich sonst vielleicht etwas ins Krankenhaus schleppe”, meint sie. Deshalb behält sie sich vor, die Clubs zu Beginn erst einmal zu beobachten, bevor sie sich, egal ob als Tänzerin oder DJ, wieder hineinwagt. Aus medizinischer Sicht sollten die aktuellen Maßnahmen ungefähr ein Jahr lang anhalten, sagt Madalba. Eine Pause vom Auflegen komme für sie eigentlich nicht infrage, weil ihr das Nachtleben jetzt schon so sehr fehle. Trotzdem führe gerade kein Weg dran vorbei. Es sei unerlässlich, dass man sich gerade jetzt gegenseitig unterstütze und alle zusammenhalten: „Ich glaube, es ist wichtig, auf die soziale, ökonomische, und wissenschaftliche Perspektive zu achten, danach zu handeln, und unsere Rolle in der Gesellschaft zu re-evaluieren. Sich zu fragen, inwiefern das, was wir als Künstler*innen machen, eine Rolle in der Entwicklung der Gesellschaft spielt”.
Livestreams und ihr Potential für die Zukunft
Eine Möglichkeit, weiter einen musikalischen Austausch mit den Hörer*innen zu pflegen, entdecken gerade viele Künstler*innen neu für sich. Livestreams sind derzeit der letzte Strohhalm für die Szene.
„Livestreams bringen natürlich was, wobei die Fülle mittlerweile inflationär ist.”
Jonas Yamer
Da die Krise gerade viele in der Isolation hält, stehen die Streams oft an erster Stelle. Neben bekannteren Streamingprojekten wie United We Stream oder Streaming from Isolation von Boiler Room bieten unzählige Künstler*innen ihre eigenen Streams im Netz an. Doch die Fülle davon sei mittlerweile inflationär, meint Jonas Yamer. Trotzdem überwiegt der Gedanke, gerade jetzt der Szene dadurch etwas geben zu können. Für sein live gestreamtes Set aus dem Blitz Club in München wählte er das Thema „Industrial+Decay”. Dabei schuf er neben Julietta, Tobi Neumann oder Benjamin Fröhlich einen Übergang von eher untypischer Clubmusik zu einer Selektion von Tracks, wie man sie bei einem seiner regulären Clubauftritte gehört hätte. Madalba plant einen Stream mit den Leuten von der Fiesen Remise, möchte sich jedoch mehr auf das Hochladen von mitgeschnittenen Clubmixen und Podcasts konzentrieren „Streaming finde ich schwierig. Diese Musik muss auf den Dancefloor – ohne gibt es diese Kontinuität nicht”. Der oder die ein oder andere dürfte sich wohl trotzdem auf den Mittschnitt ihres Closing-Sets von der Herrensauna freuen.
Auch Leibniz sieht in Livestreams eine gute Möglichkeit, die Szene zu unterstützen. So spielte er kürzlich einen Livestream beim Mother’s-Finest-Showcase bei HÖR Berlin. Dennoch gebe es auch Verbesserungspotenzial: „In den Streams hat man den Fokus auf ein einzelnes Stück Musik nicht mehr so richtig”, findet Leibniz. Deshalb lege er sowohl als Solokünstler als auch mit seinem Label mehr Wert auf Plattformen, die auch den Fokus auf eine einzelne Single ermöglichen: „Wir wollen Digital-Releases jetzt mehr Aufmerksamkeit schenken. Nicht nur als Story auf Instagram, das ist zu kurzlebig.” Beispielhaft spricht er dabei von Bandcamp. Außerdem könne man sich noch mehr bei den Gamer*innen abschauen. „Die Gaming-Szene lebt total von YouTube- und Twitch-Streaming. Gerade wenn man etwas ausprobieren will, hat man jetzt die Chance. Einfach mal auf einer der Seiten zu zeigen, wie man etwas macht, könnte eine Möglichkeit sein.”
Ausblick
Eine weitere Idee ist, das engere Umfeld noch stärker zu integrieren. Diesem Weg folgt Leibniz mit seinem Label: „Wir wollen unser soziales Umfeld mehr einbinden und mehr Möglichkeiten bieten zu releasen. Eine Radioshow ist auch eine Überlegung. Wenn wir viel Output haben, können wir vielleicht eine neue Plattform schaffen, die es Leuten ermöglicht wieder miteinander in Kontakt zu treten.” Jonas Yamer arbeitet an einem Uni-Projekt, das klassenübergreifend die diversen musikalischen Beiträge der Studierenden der Münchner Kunstakademie an die Öffentlichkeit bringen soll. So kam Ende 2019 in Kooperation mit einem der Dozenten eine 12″-Vinyl auf Akascope heraus. Darauf zu hören ist auch ein Track von Jonas Yamer zusammen mit Rosa Anschütz. Auch Madalba glaubt an die Szene und appelliert: „Gerade jetzt sollten wir mit unserem Einfluss als Künstler*innen die Szene ein bisschen sensibilisieren, zeigen, was gerade passiert, und eine gute Nachricht senden.”