Gabi Delgado (Alle Fotos: Joe Dilworth)
„Und ab nach links! Und jetzt nach rechts!” Es ist ein Samstagabend im Juli 2015, und Gabi Delgado marschiert durchnässt, aufgedreht und mit leicht wahnsinnigem Funkeln in den Augen über die Bühne im Berliner Astra. Es ist eine Hitparade. Die Deutsch Amerikanische Freundschaft, das vielleicht nachhaltigste Produkt der Neuen Deutschen Welle und Pioniere der elektronischen Musik, gibt dem Publikum, was es will. Robert Görl drischt im Hintergrund auf sein Schlagzeug ein, doch gegen das Aufziehmännchen da vorne, diese Rampensau, die mit 57 Jahren immer noch als coole, unantastbare Diva über die Bühne schwebt, wirkt er fast unbeteiligt. Es gibt wenige Bands, die über 30 Jahre nach ihrer Glanzzeit noch solche Konzerte spielen können – eine völlig unpeinliche retrospektive Revue, die immer noch eine merkwürdige Relevanz und Dringlichkeit besitzt. Wer hätte das gedacht?
Zehn Tage vor diesem Auftritt trafen wir Gabi Delgado. Er hatte ein neues Solo-Album gemacht, aber uns interessierte auch die Vergangenheit. Wir sprachen über den jungen Punk in Düsseldorf, den DAF-Sound als Blaupause für EBM und Techno, die ersten House-Partys in Berlin und die neue Offenheit in der elektronischen Musik, die Gabi selbst gewohnt martialisch und keck als „Neue Deutsche Klubmusik” bezeichnete. Der Technik-Aficionado erkundigt sich zu Interviewbeginn sofort nach dem Aufnahmegerät. Er selbst würde für Field Recordings neuerdings wieder mit einem alten Walkman von Sony arbeiten.
Gabi, bist du nicht eigentlich ein sehr unnostalgischer Mensch?
Ja, bin ich auch! Das hat für mich nichts mit Nostalgie zu tun. Ob DAT- oder Mini-Disc-Recorder, da ich sehe da keine Unterschiede. Allerdings bin ich gegen diesen Analog-Synthie-Hype. Ich verstehe das, wenn jemand Oldtimer-Liebhaber ist und seinen Mercedes aus den 70ern fährt. Aber das so zu verherrlichen? Viele denken, nur weil sie drei Analog-Synthies aufgetrieben haben, kommt automatisch DAF dabei heraus – so ist das eben nicht. Es ist leichter, DAF aus einem Nord rauszuholen als aus einem Korg.
Viele Produzenten wollen einfach raus aus dem Computer.
Ich mag es auch nicht, mit der Maus Büromusik zu machen. Das ist so lustfeindlich, und an einem Knopf zu drehen macht natürlich mehr Spaß. Aber wie gesagt: Viele Leute holen sich einen Korg in der Erwartung, einen DAF-Sound zu kriegen. Damit das alle mal wissen: Das Geheimnis der DAF-Korgs ist, dass wir sie über Gitarren-Amps in den Raum geschickt haben. Wir hatten richtige Marshall-Türme! Das war Conny Planks Idee, denn er fand den Klang der Synthesizer so dünn. Er war ein Meister der Mikrofonie und hat diese Mischung aus Direktsignal und Verstärkersignal ganz toll aufgenommen – das ist der DAF-Sound.
Dein neues Album hast du komplett alleine aufgenommen. Brauchst du solche genialen Ideengeber wie Conny nicht mehr?
Soloalben sind Soloalben. Es gefällt mir einfach, alles selbst zu machen. Bei mir entsteht ein Album auch anders: Ich mache unheimlich gerne Musik, immer. Wenn ich nicht X-Box oder Playstation spiele, dann spiele ich im Studio herum. Oft arbeite ich völlig absichtslos an unterschiedlichsten Sachen – mal ist es nur Soundforschung, dann fast ein Salsa-Stück, Ambient, House oder Hip Hop. So sammeln sich Stücke für mögliche Alben an. Ich bin ja unter keinem Druck, weil ich alles selber fertig mache und alles bezahle, sogar Mastering und Cover. Ich kenne das Musikbusiness mittlerweile – wer zahlt, hat die Kontrolle. Ein Label kriegt von mir deshalb am Ende ein richtiges finished product. Dafür will ich dann aber sehr hohe Royalties.
Eine eher ungewöhnliche Position, die du da hast.
Die aber jeder anstreben sollte! Finanziell kann sich das jeder leisten. Früher kostete das Studio 2.000 Mark am Tag, heute kannst du mit 5.000 Euro eine tolle House-Platte machen. Die Produktionsmittel liegen endlich in den Händen der Werktätigen. Das ist im Prinzip Kommunismus! (lacht)
Nochmal zur Nostalgie: DAF-Konzerte sind heute Mehrgenerationen-Events mit Grufti-Veteranen und neugierigem Nachwuchs. Ein gutes Gefühl?
Als wir vor fünf oder sechs Jahren wieder angefangen haben, live zu spielen, war es noch überwiegend das Publikum von „früher”. Das hat sich total geändert, heute sind viele unter 20.
Denkst du nicht: Jungs und Mädels, verschwendet eure Zeit nicht mit der Musik eurer Eltern?
Das denke ich tatsächlich oft, so sehr einem das schmeichelt. Ich bekomme Musik zugeschickt mit der Notiz „Hör mal, ist total daffig geworden!” und denke meistens: Gibt es aber schon, vielleicht sogar in besser. Entferne dich doch mal von den Vorbildern, es ist doch toll, was Neues zu machen.
„Eines muss man verstehen: Bis auf ganz kurze Zeit waren Robert und ich eigentlich nie befreundet. Es gibt diese romantische Vorstellung von uns, aber DAF lebt nicht von einer Freundschaft. DAF ist eine Arbeitsgemeinschaft, keine Jungsband.”
Das sagt sich so leicht.
Es gibt Arbeitstechniken, die dazu führen. Du willst was Neues machen? Benutze erst mal neue Werkzeuge, die nicht jeder benutzt. Zweitens: Wenn dich deine Musik an irgendetwas erinnert, sei es noch so gut, schmeiß es weg! Ganz am Anfang trafen wir uns immer, um überhaupt erstmal alles auszuchecken, damals noch mit Kurt Dahlke, dem Pyrolator, und Michael Kemner an der Bassgitarre. Wir hatten tolle Stücke, die sofort wieder im Papierkorb landeten, weil sie uns irgendwie bekannt vorkamen: „Das erinnert total an Suicide. Das erinnert ein bisschen an Devo, diese Harmonien kenne ich doch irgendwo her”, und so weiter. Das kam alles weg! Die Konservativen werfen der Jugend ja oft vor, dass sie immer nur Nein sagen. „Schlag doch mal was vor!”, heißt es dann. Nein, manchmal muss man einfach Scheuklappen aufsetzen und sagen: „Ich weiß noch gar nicht, was ich will, aber ich weiß auf jeden Fall, was ich nicht will.” Über diesen Weg kann man auch Neues kreieren. Man muss nicht immer schon den fertigen Entwurf für die Zukunft haben, sondern das Alte muss erst mal weg. Allein durch diese Leere entsteht schon etwas Neues.
Gutes Stichwort: Du bist gerade mit Robert Görl auf „Auf Wiedersehen”-Tour. Ist das der endgültige DAF-Abschied?
Dieser DAF-Split und die Abschiedstour waren Roberts Idee. Ich würde mit DAF liebend gerne weitermachen und bin auch optimistisch, dass es weitergehen wird. Im Prinzip fand ich das unnötig, eine Pause hätte es auch getan. Aber ich respektiere Robert als Künstler, so war eben sein Empfinden.
Was waren Roberts Beweggründe?
Eines muss man verstehen: Bis auf ganz kurze Zeit waren Robert und ich eigentlich nie befreundet. Es gibt diese romantische Vorstellung von uns, aber DAF lebt nicht von einer Freundschaft. DAF ist eine Arbeitsgemeinschaft, keine Jungsband. Nach dieser kurzen Phase [in den frühen 80ern, Anm. d. A.], als wir auch zusammen gewohnt haben, sind die unterschiedlichen Auffassungen von Leben und Kunst zwischen mir und Robert immer größer geworden. Wenn wir nicht gerade was für DAF machen, haben wir überhaupt nichts miteinander zu tun.
Was wurde aus dem geplanten neuen Album um 2010?
Wir haben uns getroffen und musikalisch ausgetauscht, aber es hat nicht geklappt. Momentan sind wir in dem Punkt, wie eine neue DAF-Platte klingen müsste, sehr weit voneinander entfernt. Das kann sich aber auch wieder ändern.
Sind DAF-Skizzen in deine eigenen Sachen eingeflossen?
Das hat nichts damit zu tun. DAF-Sachen sind immer ausschließlich in DAF-Produktionsphasen entstanden, man kam nicht schon mit fertigem Material an. DAF ist Kunst: Zwei Künstler treffen sich und machen etwas in dem Moment des Zusammentreffens. Nichts wird vorbereitet, das war unser eisernes Grundprinzip.
Welche Maßstäbe hast du heute für deine eigene Musik?
Dass ich mich dazu bewegen und tanzen kann. Ich probiere alle Stücke auch immer über den Körper aus. Manchmal finde ich auch reine Atmosphäre schön, aber zu Gabi Delgado muss man tanzen können!
Du hast erwähnt, dass du gerne zockst und deine Produktionen teilweise aus der Playstation stammen. Wie bist du dazu gekommen?
Ich war ja Gründer und Präsident vom KDB – Konsoleros de Berlin, einem der ersten Underground-Zocker-Clubs. Das Potenzial der Playstation 1, die man cracken und zu einem Sampler machen kann, haben wir schon früh erkannt. So bin ich auch schon aufgetreten – wie ein DJ mit zwei Playstations, der die Bits & Pieces live von der Memory Card mixt.
Angefangen hast du als genialer Dilettant, doch über die Jahre bist du auch technisch zu einem ziemlich kompletten Musiker geworden.
Ich bin bei Conny Plank richtig in die Lehre gegangen. Wir hatten ja keine Ahnung von Dingen wie Kompression oder Equalizern. Conny hat uns verstanden und konnte es deshalb so gut interpretieren, aber irgendwann wollte ich das auch mal selber machen können. Conny meinte: „Prima Gabi, dann machst du eine Lehre bei mir. Du machst alles, von Schneiden bis Mikros aufbauen.” Ich war sein Hiwi-Engineer, habe mit ihm die Streicher vom WDR-Rundfunkorchester aufgenommen und solche Dinge. In meinem Studio arbeite ich noch genau so, wie ich es bei Conny gelernt habe. Vor zehn Jahren habe ich auch mit MIDI aufgehört, mit Notator, Cubase oder Ableton. Das ist alles nichts für mich.
„Ich kannte die Leute vom Ex’n’Pop, das war der Laden, wo Nick Cave immer war. Eine ganz andere Szene, aber sie ließen uns machen.
Die Texte auf deinem neuen Album finde ich so erzählerisch wie noch nie, teilweise sogar sehr persönlich.
Ja, es sind weniger Slogans und mehr Geschichten. Aber ich bin nach wie vor ein Stand-Up-Texter. Man hat natürlich so ein paar Worte parat, wie die Hip Hopper ihren Reimkatalog. Bei mir ist es aber wirklich reduziert auf einzelne Worte, die ich sexy finde. „Mussolini” fand ich klanglich einfach geil – Mussolini, Mousse au Chocolat, ganz Dada-mäßig und lautmalerisch, fast ohne Sinn. Ich wollte nur dieses Wort benutzen, und dann kam dieser Text dabei raus. Ich habe so gesehen noch nie Texte geschrieben. Immer wenn die Plattenfirma die Texte fürs Booklet wollte, musste ich mir noch mal genau anhören, wie ich was gesagt habe.
Die DAF-Geschichte ist strukturiert von vielen Trennungen und Soloprojekten. Dich hat es schon sehr früh in die noch junge House-Szene gezogen.
House Music hat mich tief beeindruckt. Die erste House-Platte, die ich gehört habe, war We’re Rocking Down The House von Adonis. Da dachte ich: Mensch, die Jungs haben das wirklich verstanden mit DAF, im Gegensatz zu Front 242 oder VNV Nation. Die waren viel näher an DAF, weil sie Track-orientierte Musik machten. Da fühlte ich mich direkt wohl. Der Erste, den ich in Europa traf, der House kannte, war Westbam, der Maximilian. Mit ihm zusammen habe ich 1986 die erste House-Party in Deutschland gemacht.
Wie habt ihr euch getroffen?
Wir hatten gerade das DAF-Album 1st Step To Heaven gemacht, und ich sagte zu Robert, dass ich nicht mehr so auftreten wollte wie bisher, mit Kassettenrekordern und so weiter. Ich wollte DJs haben, die die Backing-Tracks auf Dubplates abspielen, was für 1985 eine völlig neue Idee war. Der Maxi war da noch in Münster und hieß Westfalia Bambaataa. Wir kannten William Röttger [Gründer von Low Spirit und der Mayday, Anm. d. A.], der hatte schon mal ein DAF-Konzert organisiert in Münster, und meinte: „Hier, der Westfalia Bambaataa!” Als wir uns getroffen haben, war direkt eine totale Geistesverwandtschaft da. Ich fragte: „Kennst du schon House?” Und er: „House, jaaa, super, dass du das kennst! Du bist der erste, den ich treffe! Hast du denn House-Platten?” Ich hatte zwei: We’re Rocking Down The House und Donnie von The It, und er besaß auch zwei oder drei Platten. Jack Your Body von Steve „Silk” Hurley war, glaube ich, dabei und noch eine alte Platte von Chip E. Und so beschlossen wir, eine House-Party in Berlin zu machen. Die Frage war wo? Ich kannte die Leute vom Ex’n’Pop, das war der Laden, wo Nick Cave immer war. Eine ganz andere Szene, aber sie ließen uns machen. Und dann haben wir wirklich sechs, sieben Stunden mit dieser Handvoll Platten Party gemacht, sehr zur Verwunderung der Leute da, die ja eher auf Die Haut und Einstürzende Neubauten standen.
Die waren wohl skeptisch, was diesen neuen Disco-Sound anging.
Absolut, die fanden das ganz scheußlich. Aber es war ihnen egal, weil sie alle betrunken waren oder sonst wie drüber. Die saßen alle an der Bar, während wir fleißig aufgelegt und gemixt haben – und noch mal „Rocking Down The House”, und noch mal.
„Heute ist House ein Begriff, den man kaum noch benutzen kann, weil die Leute denken, David Guetta sei House.”
Dann hast du dich kopfüber ins Berliner Partyleben gestürzt?
Manchen ist das bekannt, vielen aber auch nicht. Hier, im Cafe Moskau, habe ich mit Saba Komossa das „It” gemacht, hatte mehrere eigene Labels wie Delkom Club Control oder Sunday Morning Berlin. Das war schon lustig: Von den Delkom-Platten haben wir immer 10.000 Stück gepresst, das muss man sich mal vorstellen. Und die gingen auch alle weg, weil es einfach nichts gab! Die Leute sind zu Rokki [aka DJ Rok, Anm. d. A.] ins Hardwax gegangen und wollten immer wieder Neues. Die Nachfrage war viel höher als das Angebot und Techno-House-Platten haben sich da automatisch verkauft. Als ich und Saba als Future Perfect 1989 Sato Agrepo rausgebracht haben, waren nach einer Woche 5.000 Stück aus und wir mussten nachpressen. Die Leute haben danach gelechzt.
Mit Saba hast du damals die meisten deiner House-Platten veröffentlicht, unter Namen wie 2 German Latinos, Delkom oder F/X. Wie habt ihr euch getroffen?
Im Potsdamer Abkommen haben wir uns kennengelernt, einer Bar. Sie war auch eine der ersten House-Begeisterten, und wir wussten sofort: Wir müssen zusammenziehen und Musik machen! (lacht) Sie war ein bisschen später dran als Westbam, und es wurden bald immer mehr. Ich erinnere mich noch, wie ich zu der Zeit mal zu Motte ging, als er irgendwo aufgelegt hat, und fragte, ob er auch House-Platten habe – kannte er noch gar nicht, sondern hat immer nur Grace Jones gespielt. Aber die Erleuchtung kam bald. Heute ist House ein Begriff, den man kaum noch benutzen kann, weil die Leute denken, David Guetta sei House.
„Im Prinzip hat Trance sehr viel kaputtgemacht, gerade dieses Dissonante, das im Techno aufkam. Trance hat die Pfefferminz-Harmonien zurückgebracht, und den schlechten DJs die Chance gegeben, da reinzumixen, wo kein Beat ist.”
Die Techno-Bewegung hat dich bald wieder ernüchtert, als sie im Zuge der 90er dann so richtig groß wurde.
Es waren zwei, drei wunderbare Jahre, und das kam ja mit der politischen Situation zusammen, dem Mauerfall und so weiter. Ich denke immer: Eine Jugendbewegung will so richtig die ganze Welt verändern, das Leben auf den Kopf stellen. Und die nächste Bewegung will nur noch das Wochenende verändern. Und so folgte auf die Hippies Disco, auf Punk folgt Techno. Jetzt wäre eigentlich eine Bewegung dran, die die Welt verändern will. Aber die nächste Jugendrevolution findet nicht in der Musik statt, da bin ich mir ganz sicher. Musik hat nicht mehr das Monopol für die Darstellung von Jugendkultur. Früher wir uns alle nur über Musik definiert, und damals war das konkurrenzlos. Du hattest eine Lederjacke, ne Jeans und ne Platte. Heute musst du dich zwischen Smartphone, Markenklamotten oder Games entscheiden, du hast ja nicht ewig viel Geld.
Ich habe gelesen, dass du auch Probleme mit dem Aufkommen von Trance hattest?
Diese spießigen Harmonien! Im Prinzip hat Trance sehr viel kaputtgemacht, gerade dieses Dissonante, das im Techno aufkam – The Hypnotist etwa, richtig Hardcore. Trance hat die Pfefferminz-Harmonien zurückgebracht, und den schlechten DJs die Chance gegeben, da reinzumixen, wo kein Beat ist.
Kannst du deine eigene Musik wie auf 2 überhaupt richtig knackig in ein Wort fassen? Dein Glück ist ja, dass du mit deiner Stimme all die verschiedenen Stile irgendwie bündeln kannst.
Ist schwer, aber ich sage zur Zeit gerne NDKM – Neue Deutsche Klubmusik. Ich empfinde tatsächlich, dass das jetzt entsteht. Und nicht in Berlin, sondern in den Provinzdiskos. In den Agrardiskos, sage ich gerne. Das halte ich gerade für einen Megatrend, die Mischung aus all diesen Spielarten der elektronischen Musik. Das liegt daran, dass es in den meisten kleinen Städten, was weiß ich, in Pratteln oder in Herne, genau eine Diskothek gibt. Da ist Donnerstag Gothic-Nacht, Freitag Techno, Samstag House und Sonntag EBM beispielsweise. Vor drei, vier Jahren sind die Leute noch brav zu ihren Abenden gegangen, doch irgendwann haben sich die Goths gedacht: „Nur Donnerstag ist auch blöd. Komm, wir gehen mal zu den Techno-Leuten!” Dann kam die Mischung. Heute hörst du Kombinationen, speziell in Osnabrück oder so, die wären vor fünf Jahren undenkbar gewesen.
Gab es neben Conny Plank noch andere einflussreiche Personen in deinem Leben? Vielleicht Daniel Miller, der euch mit den ersten DAF-Platten auf Mute in England groß gemacht hat?
Er hat uns die Chance gegeben, etwas rauszubringen – ein total netter Typ, mit dem ich immer noch befreundet bin. Immer wenn ich ihn treffe, sage ich: „Daniel, mach doch endlich eine The-Normal-LP!” Er war kein großer musikalischer Einfluss, ich habe ihn zu der Zeit immer mit Chic geärgert – er wollte neue DAF-Tracks hören, und ich habe die „Le Freak”-Kassette eingelegt. Aber einige Business-Taktiken habe ich von ihm gelernt. Etwa, dass man Business machen kann, ohne sich zu verstellen – du musst keine Krawatte anziehen, um 100.000 Pfund rauszuholen!
War er böse, als ihr zu Virgin gewechselt seid und dort eure drei erfolgreichen Alben veröffentlicht habt?
Er hätte das einfach nicht bewältigen können. Es hat ihn traurig gemacht, und uns auch in gewisser Weise. Aber er konnte nicht mehr stemmen. Bei Virgin und Ariola haben wir nicht mehr 3.000, sondern 30.000 Stück pro Woche verkauft.
Mit Depeche Mode hat er das kurz darauf auch gemeistert. Ihr wart wohl einfach zu schnell für ihn.
Stimmt. Wir waren zu schnell und mussten wechseln, das hat uns auch Conny geraten. Er hat uns den Kontakt zu Simon Draper von Virgin gegeben. Aber nach ein paar Jahren war Daniel wieder Fan und Freund von uns.
Eine weitere wichtige musikalische Person in deinem Leben war Chrislo Haas, Ex-DAF und Gründer von Liaisons Dangereuses.
Vom Haas habe ich sehr viel gelernt, auch weniger musikalisch, aber was eine radikale Einstellung zu Leben und Kunst angeht. Dass man sich wirklich was trauen muss und anecken sollte. Der Haas war ein sehr extremer Mensch, stark beeinflusst von radikaler Kunst. Er war ja bei Minus Delta t, dieser Perfomance-Truppe, die wirklich mit Blut gespritzt haben und ganz harte Sachen machten. Da war ich noch ein ganz junger Typ, und Chrislo war tausendmal punkiger als ich, ohne überhaupt Punk zu sein. Ich werde nie vergessen, wie wir mal bei Tchibo waren und die ihn blöd angemacht haben. Da hat er die ganze Theke abgeräumt, ist drauf gesprungen, hat rumgeschrien und alle als Fotzen beschimpft. Dann ist er einfach rausmarschiert und nichts ist passiert. Das hat mich schwer beeindruckt.
2004 ist er früh verstorben, an den Folgen von Alkohol. Das ist wohl die Kehrseite des radikalen Lebens? Chrislo war nur bis 1981 DAF-Mitglied, aber sehr wichtig für die Entstehung eures Sounds.
Viele fragen sich immer, wer es denn nun erfunden hat? Der Robert, der Haas und auch der Pyrolator, alle drei haben es zeitgleich auf ihre Art entwickelt, so mit dem Sequencer umzugehen. Man kann nicht sagen, dass irgendwer irgendwen nachgemacht hat, der Görl den Haas zum Beispiel. Alle drei hatten zur selben Zeit mit denselben Geräten diese Idee, leicht anders, aber doch ähnlich. Da gehört der Haas mit Sicherheit dazu, zu den großen Erfindern der Sequencer-Musik
Drei Klassiker
Deutsch Amerikanische Freundschaft – Alles Ist Gut (Virgin, 1981)
Der Klassiker, an dem kein Weg vorbeiführt. Alles ist gut ist das dritte Album von DAF, aber das erste in der auf Görl und Delgado zusammengeschrumpften Zweier-Besetzung. So konnten sie ihren Sound perfektionieren und auf Songs wie „Der Räuber und der Prinz”, „Alle gegen alle” oder „Der Mussolini” die ganze harte und (homo-)erotische Essenz von DAF bündeln. Hier und auf den innerhalb eines Jahres nachfolgenden Virgin-Alben Gold und Liebe und Für immer sind Gabi und Robert textlich wie musikalisch auf ihrem Zenith.
Gabi Delgado – Mistress (Virgin, 1993)
Als Für Immer 1983 erschien, hatten sich DAF schon aufgelöst und veröffentlichten englischsprachige Soloalben. Robert Görl sang auf seinem grandiosen Mute-Album von 1984 einfach selbst, Gabi entwickelte zusammen mit Conny Plank auf Mistress einen ungewöhnlichen aber hypnotischen Mix aus Funk, Jazz und südamerikanischen Elementen.
Delkom – Futur Ultra (Delkom Club Control, 1990)
Zusammen mit seiner Freundin und musikalischen Partnerin Saba Komossa veröffentlichte Gabi zwischen Ende der 80er und den frühen 90ern einige Dance-Platten, die sich irgendwo zwischen Italo-Disco und Acid-House bewegen. Delkom war eines ihrer vielen Pseudonyme, und gerade dieses relativ unbekannte Album ist eine herrliche Sammlung von Tracks, die Electroclash völlig vorwegnehmen. Miss Kittin & The Hacker waren offensichtlich Delkom-Fans.