Matrixxman (Alle Fotos: Presse)

Techno in den USA hatte nach Detroit in den 90er-Jahren lange einen schweren Stand. Zu den Künstler*innen, die das geändert haben, gehört Matrixxman. 2012 erschien er mit roughen Drum-Workouts und seinem Kumpel Vin Sol aus San Francisco auf der Bildfläche. Seitdem legte er 28 EPs, unter anderem mit Echologist, Bauernfeind oder Physical Therapy auf Labels wie Ghostly International oder Dekmantel, einen Longplayer und dutzende Remixe vor – plus Produktionen für Größen wie Depeche Mode oder Mykki Blanco. Dabei deckt er die ganze Bandbreite von Techno ab und fusioniert gekonnt kühle Maschinen-Grooves mit einer menschlichen Note. GROOVE-Redakteur Raoul Kranz hat mit Matrixxman am Telefon über anstehende EPs, seine Zeit in der Bay Area und Techno-Futurismus gesprochen.


Das Gespräch will nicht in Gang kommen, Skype hat eine Macke und die wackelige WhatsApp-Verbindung immer wieder Aussetzer. Doch davon lässt sich der gebürtige Charles Duff nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil, mit reißerischen Slogans und zynischen Meinungen hält sich der US-Produzent aus Virginia alles andere als bedeckt. Seine Antworten kommen wie aus der Pistole geschossen, ihm persönliche Anekdoten zu entlocken, gestaltet sich als schwieriger.

Als Matrixxman begann, Techno zu produzieren, fand die Musik in den USA so gut wie gar nicht statt. Vielleicht gab ihm das die Freiheit, die europäische Acts im Techno-Boom der 2010er nicht hatten. Er trieb einen spröden, punkigen Sound voran, der für Dystopian oder Token offensichtlich keine Option war. Damit machte Matrixxman als einer der wenigen relevanten US-Techno-Artists nach der Detroiter Gründungsbewegung überraschend schnell Karriere. Wie so oft wurden seine kantigen Produktionen danach immer glatter.

Auf Peaktime-Bretter und Big-Room-Techno will er aber nicht reduziert werden: „Den Begriff kann ich nicht leiden, meine Musik ist eher für Warehouses und düstere Kerker gemacht. Höchstens klinge ich nach Big Room, weil ich mit Kram herumspiele, der gut in großen Hallen wie dem Berghain oder anderen dunklen, abgefuckten Orten kommt. Der Begriff ist mit Kommerz konnotiert und das ist das genaue Gegenteil von mir.”

„Ich könnte mit Mord davonkommen, weil ich echten Minimalismus beherrsche – nicht die Bullshit-Variante.”

Matrixxmans Produktionen sind alles andere als überladen und konzentrieren sich meist auf einige sauber herausgearbeitete Elemente. Weniger ist mehr – manche seiner größten Tracks seien einfach gute DJ-Tools, so Charles: „Ich könnte mit Mord davonkommen, weil ich echten Minimalismus beherrsche – nicht die Bullshit-Variante. In gutem Minimal Techno erreichst du eine Art Zen-Balance. Es nicht zu übertreiben und zugänglich zu bleiben, ist essenziell.” Der Wahrnehmung, dass sein Sound über die Jahre immer aufpolierter geworden ist, widerspricht er: „Ich finde meinen Sound eher aggressiv als sauber.” Aber Charles fügt nicht ohne eine gehörige Prise Selbstironie hinzu: „Ich schätze, das ist einfach Handwerkskunst – mehr Jahre im Studio bedeuten, dass ich nicht mehr so beschissen klinge wie früher.”

Matrixxman (Foto: Presse)

Eine feste Routine im Studio habe er nicht, seine Lieblings-Drum-Machine sei natürlich die Roland TR-909. Was er gemacht hätte, wenn seine Karriere nicht an Fahrt aufgenommen hätte? „Genau dasselbe wie jetzt.” Das Geheimnis, um so produktiv zu bleiben? „Ich arbeite andauernd, weil es das Einzige ist, was ich kann.” Schwer einzuschätzen, ob das Prahlerei oder tatsächlich seine Einstellung ist.

„Techno ist nur ein Vehikel, eine spezielle Ausdrucksweise, aber ich will mich nicht limitieren. Meine Bandbreite ist, gelinde gesagt, psychotisch.”

Dafür, dass er nicht „der Techno-Typ” sei und sich fest verankert im Underground sieht, kommt Matrixxman fast ein wenig reißerisch rüber: „Die Leute sind sich nicht im Klaren darüber, dass ich eigentlich ein Musiker bin, der jedes Genre bedienen kann. Techno ist nur ein Vehikel, eine spezielle Ausdrucksweise, aber ich will mich nicht limitieren. Meine Bandbreite ist, gelinde gesagt, psychotisch.” Gerade arbeite er nebenbei ein bisschen an Oldschool-Reggae und Gangster-Beats für namhafte Rapper. Die dürfe er namentlich nicht nennen, doch mit seinen früheren Arbeiten für Le1f, Mykki Blanco, YG oder Ty$ scheint Charles durchaus einen guten Draht zu kalifornischen Rappern zu haben.

Von Virginia über die San Francisco Bay Area nach Berlin

Zu Schulzeiten hörte Matrixxman Eastcoast-Hip Hop von Slick Rick, KRS1 und Eric B. & Rakim. Mit 15 kam er durch seine Schwester mit Drum’n’Bass in Berührung, ein Schlüsselerlebnis für ihn: „Sie hatte diese CD mit verschiedenen Jungle-Hymnen und bevor wir uns versahen, zogen wir uns D’n’B auf Raves rein.” Damals lernte er auch Paavo Steinkamp kennen, mit dem er das Bassmusik-Duo 5kinAndBone5 gründete: „Wir schlossen den Pakt, für den Rest unseres Lebens Musik zu machen. Diese raue Underground-UK-Musik hat uns für immer verändert.” Charles sei immer klar gewesen, dass er Produzent werden will: „Ich wusste schon als Kind, dass mir Musik mehr liegt als dem Durchschnittsmenschen. Als ich 16 oder 17 war und in Washington DC rumhing, nahmen wir Ecstasy und hörten D’n’B – da machte es Klick. Musik zu machen fühlt sich für mich total normal an.”

Ende der 90er-Jahre zog Charles wegen eines (abgebrochenen) Kunststudiums in die San Francisco Bay Area, wo D’n’B langsameren Spielarten wie House und Techno wich. Im Club 550 Barneveld erlebte er ums Jahr 2000 Größen der Detroiter Schule wie Derrick Carter oder Juan Atkins, gleichzeitig fanden viele Warehouse-Partys statt. Das motivierte Charles, seine Musikkarriere ernsthaft anzugehen, und er begann, Platten, Synthesizer und Sampler zu kaufen.

„Als ich 16 oder 17 war und in Washington DC rumhing, nahmen wir Ecstasy und hörten Drum’n’Bass – da machte es Klick. Musik zu machen fühlt sich für mich total normal an.”

Nach Zwischenstopps in Japan und New York fand sich Matrixxman in den frühen 2010ern erneut in der Bay Area wieder und wurde für erste Gigs gebucht. Wilde Zeiten, nicht nur in den häufig beschworenen 90er-Jahren: „Es war verrückter als jetzt und hat mein Leben verändert. Ich bin froh, die zweite Welle mitbekommen zu haben, total ausgeflippte Partys in Läden, die jetzt geschlossen sind. Jetzt ist es nicht mehr das Gleiche. Es ist super teuer geworden und alle coolen Kids sind abgehauen. Die alte Geschichte von Gentrifizierung und so weiter, die überall passiert.”

Besonders einprägsam waren die sonntäglichen Honey-Soundsystem-Partys im Holy Cow, wo viele Ostgut-Ton-Residents auftraten – eine „ordentliche Prise Panorama Bar in den Staaten”. Damals lernte er Vin Sol kennen – bis heute einer seiner besten Freunde. Sie machten nicht nur gemeinsam Partys unsicher, sondern bauten sich langsam ihr Studio auf: „Wir legten uns ordentlich ins Zeug, damit wir möglichst viel Musik machen konnten. Vin Sol riss sich den Arsch mit DJ-Sets auf, ich machte ein paar Barkeeper-Schichten und verkaufte ab und zu Drogen. Ein primitives Leben ohne einen Cent in meiner Tasche. Eine Weile musste ich sogar auf einem schrecklichen Futon in einem alten Tonstudio pennen – aber die Freiheit war es wert.” Der Erfolg gibt ihnen Recht: Mit ungeschliffenen Kollaborationen auf ihrem mittlerweile eingeschlafenem Label Soo Wavey starteten die beiden Produzenten dann ums Jahr 2012 durch.

Mittlerweile residiert Matrixxman seit vier Jahren in Berlin. Wenn er nicht gerade hinter den Plattentellern im Berghain steht, treibt sich Charles gerne im Kumpelnest 3000 herum, einer Kneipe, die als Kunstprojekt von Basic-Channel-Mitglied Mark Ernestus in den 80er-Jahren entstanden ist. Klar vermisse er Vin Sol in San Francisco: „Obwohl er eher auf House steht und ich auf Techno, versuchen wir, gemeinsam Musik zu machen, wenn es unsere Zeit und die Distanz zulassen.”

Matrixxman (Foto: Presse)

Das ist doch nicht normal!

Letztes Jahr legte Matrixxman drei EPs vor, auch für 2020 hat er einiges auf dem Zettel: „Gerade bin ich mit Techno-Legende Mike Parker im Studio, wir machen unsere EP fertig. Außerdem will ich mit Stanislav Tolkachev kollaborieren, ich bin ein großer Fan. Plus der Solo-Kram natürlich.“ Typisch US-amerikanisch legt er nach: „Das wird ziemlich kranker Scheiß, da bin ich mir sicher.” Die Übersicht zu behalten, fällt bei der schieren Menge an Releases schwer – kurz vor Ende des Gesprächs fällt Charles noch ein: „Oh, und ich habe schon vor ein paar Monaten eine Menge Kram mit Ø [Phase] produziert, der dieses Jahr rauskommt.”

https://www.youtube.com/watch?v=XlMJHSsizy0

Eine seiner Kollaborationen hervorzuheben, fällt ihm schwer. Bauernfeind habe er bei einem fantastischen Industrial-Set im San Franciscoer Plattenladen RS94109 kennengelernt – ihr 4-Tracker No Rush erschien im Januar 2019 auf Live From Earth Klub: „Wir wollten frühen Terrence Fixmer mit EBM und ein paar Steve-Stoll-Vibes fusionieren und sind ziemlich stolz aufs Ergebnis.”

2017 hatte er plötzlich Martin Gore an der Strippe und fand sich wenig später mit Depeche Mode im Studio in Santa Barbara wieder, um an Tracks für ihre Spirit-LP zu arbeiten – eine große Ehre für den Fan der Synthie-Popper. Gore hätte sein Sounddesign super gefunden und die Tatsache, dass er so musikalischen Techno produziere. Als das Album abgemischt wurde und sie noch im Studio herumhingen, hätten sie aus Jux und Dollerei ein paar Remixe angefertigt, die als Bonus-Disc der Deluxe-Edition erschienen. Für einen Videodreh mit der kompletten Band musste Charles noch schnell die richtigen Moves lernen. Darüber witzelt er: „Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben mit einer Band gespielt und das erste Mal ist dann direkt mit Depeche Mode. Ich glaube nicht, dass das normal ist.”

Mit dem aktuellen Gabber-Revival in Europa kann Matrixxman nichts anfangen – womöglich auch traumatisiert von der US-amerikanischen EDM-Szene: „Was für eine Kinderkacke, so ein Hipster-Bullshit. Das wird nicht von Dauer sein.” Dagegen inspiriere ihn der New Yorker Techno-Nachwuchs um AceMo, MoMa Ready oder DJ Swisha: „Sie sind die neue Generation – eine spannende Techno-Interpretation mit Footwork-, Ghetto- und Jungle-Einflüssen.”

Matrixxman (Foto: Presse)

Am Soundtrack der technologischen Singularität schrauben

Das knallige Synonym Matrixxman bezieht sich übrigens nicht auf die Matrix-Trilogie der Wachowski-Geschwister, sondern auf die US-Cyberpunk-TV-Show Max Headroom aus den 80er-Jahren: „Klassische Cyberpunk-Tropen: Ein Mensch in der Maschine. Was einst fest in die Gefilde von Science Fiction gehörte, wird schnell Realität. Wir sind doch alle schon längst an die Matrix angeschlossen.” Hier zeigt sich Matrixxmans Interesse an Science Fiction und Techno-Futurismus, das sich in seiner Musik und Tracktiteln wie „Necronomicon”, ein Verweis auf Weird-Fiction-Legende H.P. Lovecraft, „Network Failure” oder „False Pattern Recognition“ widerspiegelt: „Durch mein gesamtes Schaffen zieht sich dieses dunkle musikalische Thema.”

Wie passend, dass seine jüngste EP auf Exos’ jungem Label Planet X erschienen ist. Fanboys und -girls dürften die A-Seite „Hong Kong (Day)” mit fetter Kickdrum und aufrüttelnden Sirenen aus seinem Boiler-Room-Set vom Dekmantel 2018 kennen – „eine Last-Minute-Anfrage, weil Recondite abgesprungen ist, aber natürlich ziemlich spaßig. Doch wenn du ständig auf großen Partys spielst, wird das schnell normal.” Also habe er ein gutes Jahr lang an dem Tune weiter geschraubt? „Nein, die Nummer hat sich seitdem nicht verändert. Die Leute wissen nicht, ob ein Track vor einer Woche oder einem Jahr entstanden ist, das spielt keine Rolle.”

In die Zukunft schaut der Techno-Futurist nicht gerade optimistisch: „Wir leben doch längst in dystopischen Zeiten. Das ist keine Science Fiction mehr, sondern unsere Realität.” Das ist kein Spruch, sondern scheint Charles ernsthaft zu beunruhigen: „Wir fangen gerade erst mit Sachen wie künstlicher Intelligenz an – in 20 Jahren wird das das totale Chaos. Klar könnten wir damit Gutes bewirken, aber schau dir die Welt an. Es wird nur noch schlimmer werden. Ich finde es spannend, wie besessen Japaner*innen von Puppen, Robotern, A.I. und diesem Kram sind. Fast wie bei Ghost In The Shell, die Vorstellung, Maschinen könnten ein menschenähnliches Bewusstsein entwickeln und so zu Selbsterkenntnis gelangen – früher oder später wird das passieren. Ich spiele mit solchen Vorstellungen über die Zukunft herum.”

„Wir leben doch längst in dystopischen Zeiten. Das ist keine Science Fiction mehr, sondern unsere Realität.”

Bastelt Matrixxman am Soundtrack der technologischen Singularität, also dem Zeitpunkt, ab dem sich Maschinen selber verbessern können und exponentiell schnell schlauer werden? Durch seine reduzierten, maschinellen Produktionen zieht sich stets eine Spur Wärme und Menschlichkeit. Ein Weilchen dauert es noch, bis die Maschinen übernehmen, und solange braucht es zum Glück noch versierte Produzenten wie ihn, um Techno Seele einzuhauchen und mit Androiden von Kickdrums zu träumen.

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