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Pantha du Prince: „Der Pantha schleicht sich in diese Zwischenzonen”

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Hendrik Weber klopft auf Holz. Das große Geläut hat er schließlich längst durch. Nach den Glockenklängen seines Ensembles The Bell Laboratory und dem Album The Triad bricht er mit seinem Alter Ego Pantha du Prince jetzt auf ins Dickicht, zurück zu den Wurzeln: Seit fast zwei Jahren spielt Weber mit dem Projekt Conference of Trees Konzerte, nun erscheint es in Albumform. 

Seit seinen ersten Veröffentlichungen bei Dial wird Weber ein schwerer Hang zur Romantik und Naturmystik nachgesagt. Er scheut sich nicht, die Erwartungen mit Conference Of Trees jetzt beinahe überzuerfüllen. Sein Erweckungserlebnis hatte er schließlich lange vor dem Wald-Hype um Bestseller wie Das geheime Leben der Bäume. Mit dem Wald verbindet er Zusammenhalt, Intelligenz und natürlich auch ein bisschen Holz-House.

Im Club sieht sich der gebürtige Hesse in Zukunft allerdings weniger. Eher im Theater und mit Schlamm an den Stiefeln auf einem Feld in Brandenburg, wo er Bäume pflanzen und Gemüse ziehen will. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass in zwei, drei Jahren das nächste Pantha-du-Prince-Album inklusive Bio-Gemüse ausgeliefert wird. Arno Raffeiner hat Hendrik Weber erzählen lassen, was ihn umtreibt und warum er oft lieber dem Land zuhört als einer 4/4-Kickdrum.

„Mein Leben findet gerade zwischen den Schweizer Bergen und einem Feld in Brandenburg statt. Das sind die beiden Pole, meine Hauptlebensenergiespender und Heimatorte. Mein Haus in Brandenburg ist die Raststätte zwischen anderen Aufgaben. Hier verbringe ich die Zeit zwischen den Touren, hier stehen die Instrumente, hier zahle ich Steuern.

Gemeinsam mit anderen Leuten bin ich gerade dabei, zu horchen, was das Stück Land rundherum möchte. Es lag drei, vier Jahre lang brach und hat sich jetzt entschieden, eine solidarische Landwirtschaft zu werden. Übernächstes Jahr wird es wahrscheinlich die Möglichkeit geben, Gemüse von hier zu bestellen. Dann können wir die Leute mit liebevoll ökologisch gezüchtetem, schmackhaftem Gemüse beliefern. Jeder kann Teil eines Vereins werden, sich an der naturnahen Bewirtschaftung erfreuen und vorbeikommen. Auf einem Teil des Grundstücks werde ich auch einen kleinen Wald pflanzen.

Panta du Prince Feature 1

Den Winter über habe ich in Zürich Theater gemacht, am kleinen und feinen Theater am Neumarkt. Wir haben den Stoff des Animes Prinzessin Mononoke von Studio Ghibli inszeniert. Ich war eine Art künstlerischer Berater, habe intensiv an der Form des Stücks mitgewirkt und Klänge dazu gebaut. Es ging darum, eine konsequente und ursprüngliche Form des Erzählens zu finden. Das war ein Gruppenprozess, in dem wir sowohl klanglich als auch zwischenmenschlich und inhaltlich neue Formen von Theater entwickelt haben. Das bekommt eine besondere Sogkraft, im Idealfall ist der ganze Raum in dieser Geschichte drin.

Nachdem ich mich für Conference Of Trees so intensiv mit dem Thema Wald beschäftigt habe, war Prinzessin Mononoke mit diesen Elementen des japanischen Animismus für mich natürlich eine willkommene Vorlage. Das ging Hand in Hand.

Video: Prinzessin Mononoke (Trailer)

Im Blätterrauschen

Was vor meiner Haustür in den Wäldern passiert, ist hingegen wirklich zum Haareraufen und im Gegensatz zu Animes sehr real. Das ist katastrophal. Daher finde ich es super, wenn ein Förster in Brandenburg einen Bestseller wie Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben gelesen hat. Wenn er sich das zu Herzen nimmt, wird es unserem Wald wirklich besser gehen. Aber im Endeffekt ist in den Forstämtern noch gar nicht angekommen, wie wichtig die Renaturierung ist, die wir in Gang setzen sollten, wo immer wir können. Es wäre schön, wenn sich das Bewusstsein darüber verändert, was Wald ist: ein neurologisches System, das man unter Schutz stellen muss. Wenn wir Denkmalschutz haben, müssen wir auch unsere Bäume schützen.

Sollten diese Ökosysteme funktionieren, werden wir überleben. Ist das nicht der Fall, wird unser Leben extrem eingeschränkt sein. Sachen wie der Coronavirus und Zivilisationskrankheiten wie Burn-out werden weiter zunehmen. Das nehme ich auch an mir selbst wahr. Wenn ich nicht regelmäßig mit diesen Lebenskräften in Verbindung bin, funktioniert das nicht mehr. Die Sensibleren unter uns spüren eben, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Durch die digitale Revolution befinden wir uns in einer kompletten Überreizung und unter fast schon zwanghaftem Druck, Teil davon zu sein. Das ist eine Form von Entfremdung, die auf allen Ebenen stattfindet. Eine Entleerung. Ich finde vieles, was in dem Bereich passiert, auch schön. Aber wenn es nicht mehr im Gleichgewicht ist, wird es schnell leer und fremdgesteuert. Sich einfach unter einen Baum zu setzen, ist das biologisch reale, wahre Leben, aus dem wir eben auch bestehen. Es ist cool, wenn wir diese Lebenskraft, die in uns wohnt und um uns ist, wieder respektieren.

Dahin gehen, wo die Musik herkommt

Was die Musik betrifft, kann ich nur meinem Herzen folgen und mich nie rational entscheiden, womit ich mich beschäftige. Das Thema Wald ist gerade so wichtig und steht derart im Fokus, dass man nicht darum herum kommt. Beim letzten Pantha-du-Prince-Album The Triad ging es um gesellschaftliche Formen und die Idee eines sich nicht verbrauchenden sozialen Gemeinwesens, um die utopischen Zusammenhänge von Zivilisation und ihren Werten. Das hat mich einfach gerufen, das ist nicht steuerbar. Es ist, als würde ich den Fluss des Lebens aufhalten wollen, wenn ich das rationalisieren würde.

Bei diesen Themen verstehe ich im präfrontalen Cortex, der unsere gedankliche Arbeit leistet, immer erst nachträglich, was um mich herum passiert. Meistens ist schon etwas losgegangen, bevor es soweit kommt. Das ist grundlegend für meine Arbeitsweise und meine Art, das Leben wahrzunehmen: Ich glaube, dass die Rationalität nur ein kleiner Teil dessen ist, was unsere Existenz ausmacht. Wir versuchen ständig, mit diesem kleinsten aller Teile Sinn zu erzeugen, was uns manchmal in totale Sackgassen führt, wenn wir zum eigentlichen Fluss des Lebens keinen Zugang mehr haben. Wenn man Musik macht, kann man immer nur dahin gehen, wo die Musik herkommt. Meistens sind das eher mythische, bildhafte, atmosphärische Räume.

Verwurzelt in Zwischenräumen

Die Musikindustrie ist im Grunde nicht der richtige Ort dafür, das Thema Wald so zu bearbeiten, wie ich es getan habe. Für mich ist Conference Of Trees ein Projekt im Rahmen von Kunst und Theater. Es geht eher um Kulturanthropologie als darum, eine Top-Ten-Platte zu kreieren. Insofern ist die Idee, damit in einem Konzertsaal aufzutreten manchmal ein bisschen komisch. Aber das ist bei mir immer so gewesen: Der Pantha schleicht sich rein in diese Zwischenzonen. Das funktioniert dann eine Zeit lang und ist irgendwie magisch. Aber es hat im musikindustriellen Rahmen auch seine Grenzen.

Es geht darum, in beiden Systemen unbequem zu sein. Es ist ja nicht das Selbstverständlichste, dass man mit einer geraden Bassdrum in der Elbphilharmonie sitzt. Und wenn wir im Clubkontext auftreten, wird es noch schwieriger, weil wir die leisen Passagen der Platte gar nicht spielen können. Da kommen wir an unsere Grenzen. Es geht darum, einer Sache Recht und Aufmerksamkeit zu verschaffen, die sonst keine bekommen würde. Es steckt schon im Thema Wald drin, dass man sich in diesen Zwischenräumen bewegt, dass es sich in alle Bereiche hinein verwurzelt und verästelt. Insofern bin ich froh, dass wir in mehreren Ökonomien drinstecken und das Projekt sich dadurch tragen kann. So wird ein System geschaffen, das aus Vielschichtigkeit besteht, sich gegenseitig bereichert und stützt.

Panta du Prince Feature 2
Auch auf dem Baum im Zwischenraum: Hendrik Weber

Ob aber Clubmusik im Museum unbedingt sein muss, weiß ich nicht. Ich habe mal mit Wolfgang Tillmans in der Eremitage in Sankt Petersburg aufgelegt, ich im Keller und Wolfgang Tillmans oben neben den Gemälden von Cézanne. Das ist eine Form von Dissidenz, die finde ich gut. Aber man muss sich immer klar sein, wo man sich befindet. Das tue ich mit meinen Arbeiten und versuche dann, über den jeweiligen Rahmen hinauszuweisen und andere Sachen mit hineinzuholen. Dass aus diesen Räumen neue entstehen können, finde ich total wichtig. Auf einmal nehmen Leute aus anderen Kontexten die Begeisterung wahr, die seit 30, 40 Jahren rund um elektronische Musik entstanden ist. Ich arbeite mit Musikprofessor*innen zusammen, die unglaublich interessiert daran sind, mehr darüber zu erfahren. Das verschränkt sich, verbindet sich, es entstehen neue Sachen. Das kann ich nur toll finden.

Dass nicht alle aufspringen und geil auf Ecstasy in der Philharmonie tanzen, finde ich nicht so schlimm. Ich weiß ja, wohin ich gehen muss, um das zu tun. Aber wenn etwas aus diesen Orten da reinschwappt und aus den Philharmonien wiederum in die Clubs, ist das doch wunderbar. Das Herausfordernde daran ist, Spannungsfelder zu erzeugen, die trotzdem funktionieren. Im Idealfall ist das eine Utopie. Aber an manchen Abenden passiert eben einfach nichts.

Art-Life-Balance

Vor einer Weile habe ich Anna Halprin kennengelernt, eine Choreografin aus Kalifornien, die mittlerweile fast 100 Jahre alt ist. Sie hat tänzerische Eingriffe in soziale Verhältnisse gemacht, hat mit indigenen Einwohnern Nordamerikas gearbeitet und deren Kulturtechnik in ihre Praxis einbezogen. Sie ist schon vor Jahrzehnten an Krebs erkrankt und hat begonnen, anders mit ihrem Krebs zu arbeiten. Und sie hat eben neue Formen von Kunst entwickelt.

Diese Art-Life-Balance ist mir auch wichtig. Andere sagen Work-Life-Balance, aber es geht nicht darum, Kunst zu einem bestimmten Zweck zu machen. Sondern darum, Kunst und Leben zu verbinden. Ich gebe meinen Künstlerhut ja nicht am Gartentor ab, und umgekehrt lege ich auch meine Gartenschuhe und alles, was ich gerade im Garten gelernt habe, nicht ab, wenn ich ins Studio gehe. Wobei ich nie sagen würde, ich bin Gärtner. So wenig wie ich Musiker bin. Ich habe einfach einen künstlerischen Umgang mit dem Leben, versuche, in allem das zu finden, was es lebenswert macht. Ich möchte mich mit Dingen beschäftigen, die mir die Lebenskraft schon von vornherein erhalten. Und nicht, um hinterher etwas dafür zu bekommen – dass da 500 Leute stehen, dass ich Betrag X verdiene und dass alle mich lieben.

Panta du Prince Feature 3

Der Pantha ermöglicht mir natürlich, persönliche Themen in die Welt zu tragen und für ein größeres Publikum abzubilden. Wenn ich auf Großveranstaltungen spiele, schwappt manchmal auch sowas rüber. Dann denke ich: „Hey, wieso hab ich keine Motorjacht wie Jay Z? Was soll das?” Oder: „Ich hab noch keinen Privatjet wie Paul Kalkbrenner. Ey, was’n hier los? Die Welt ist ungerecht!” Solche Momente gibt’s auch, wenn man immer wieder vor so vielen Menschen spielt und denkt: „Die Welt gehört mir.” Aber ich habe festgestellt, dass mich das ablenkt von dem, was mich ausmacht. Ich möchte mich noch mehr vertiefen in das, was mir eigentlich Freude macht: diese Felder, die man aufmacht mit Theater, Konzerthaus, Club, Rockkonzert, Festival, moderner Kunst.

Im Grunde geht es mir darum, Veränderung zu ermöglichen. Das ist meine Lebensleitlinie. Meine Platten sind wie eine Aufforderung, eine andere Richtung einzuschlagen, Transformationsprozesse anzustoßen. Das interessiert mich, da möchte ich weiterforschen. Ich will die Veränderung an die Hand nehmen und sagen: „Hey, cool, dass du da bist.”

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