Christopher Rau – The Keys (Smallville)
Die neueste Smallville begrüßt einen alten Bekannten, der sich auf dieser EP von einer für ihn relativ technoiden Seite präsentiert. Christopher Rau bastelt gerne detailverliebte Tracks mit schönen Flächen und warmen Sounds, was sich auch beim Design dieser ansonsten recht geradlinigen Tools zeigt. Das wiederum konterkariert er durch intelligentes Arrangement, das den Tracks genügend Leben einhaucht, um nicht fade zu werden. So straight diese vielleicht zuerst anmuten, so auflösend wirkt das analoge, soulige Element, das Rau seinen eigenen Kanten zur Seite stellt. Die liebevollen Details aus kleinteiliger Percussion und gefühlvollen Synthies schmiegen sich perfekt abgemischt unter das sonst tighte rhythmische Konstrukt und entwickeln so einen hypnotischen Sog, der Kraft und Anmut in einem reduziert bouncigen Groove vereint – Smallville at its finest! Leopold Hutter
Elles – summers_of_love (Naive)
Letztes Jahr debütierte Elles mit emo_ecstasy_everything auf dem experimentellen Naive-Sub-Label Naivety, jetzt erscheint EP Nummer zwei auf dem Mutterlabel selbst. Und die Londonerin bleibt nicht nur den Unterstrichen in ihren EP-Titeln treu, sondern auch dem Vermengen von Stilen und Einflüssen in ihren Stücken – orientiert an der jeweiligen Labelausrichtung, klar. Während es 2019 kaum Drums gab, dominieren auf summers_of_love Dubstep-Einflüsse und Breakbeats, die aber auch, wie im Opener „gotchu”, phasenweise in gerade Beats kippen können. Ein in UK beliebtes, hierzulande aber leider immer noch eher selten geschätztes Stilmittel. Aber Elles überstrapaziert dieses Fusionieren auf Groove-Ebene nicht, die folgenden zwei Tracks bleiben im Breakbeat-Terrain und überschreiten Genregrenzen eher subtil im Arrangement der Chords und Melodien. Das finale „end of the nite” vollführt dann schließlich einen radikalen Schwenk in Richtung Frühneunziger-Rave mit House-Piano, trancigen Synths und verhallter Stimme, was einen euphorischen und erstaunlicherweise vollkommen stimmigen Abschluss der EP bildet – erst recht nach dem Einsetzen einer Acid-Sequenz nach dem obligatorischen Breakdown des Tracks. Aber aufgepasst, DJs – dieser Song-Teil ist extrem kurz und beendet das Stück erbarmungslos abrupt. Mathias Schaffhäuser
Johannes Volk – Soldered Minds (Made of Concrete)
Antreiben, austreiben, vertreiben – Gießens finest Johannes Volk schält sich aus seiner selbstgebauten Exploration-Kapsel und beehrt die Erde. Zwar nur, um eine Platte in den Paulanergarten der Technoclubs zu werfen. Aber hey, die Leute im Tresor freuen sich! Der Winter lässt sich mit Soldered Minds auf Made Of Concrete genauso wie die neuen Trainers über Nacht passgenau einstampfen. Nix mit Bimmel-Bammel im Bummelzug nach Buxtehude, die 909 spult die letzten 20 Kilometer mit 135 Sachen auf der Überholspur ab. Das Gebleepe auf „Asphalt Flowers” ist der baumelnde Plüschwürfel für die Generation X, der Remix von Rebar zu „Soldered Minds” der imaginäre Schmuse-Ausflug ins Autokino. Wer gerade keinen Bock auf das 22. Gabber-Revival unter falschen Vorsätzen hat und für die HATE-Selection zu alt ist, dafür atmosphärisch zwischen Peacefrog-Platten aus den Neunzigern und Steffis Dolly eine Line zieht, verbringt mit der Scheibe ein paar schöne Stunden im Dunkeln. Solange bis die Kids den Minimal von 2007 entdecken und alles wieder kaputt machen. Bis dahin, schöne Reise! Christoph Benkeser
Nite Fleit – Dance Trax Vol.26 (Dance Trax)
Wer sich in den letzten Jahren gefragt haben sollte, wo die Reise hingeht, sollte sich diesen Fourtracker zu Gemüte führen. Denn Alysha Fleiter alias Nite Fleit schaltet auf Dance Trax Vol. 26 mal eben in den Referenzmodus. Der liegt in diesem Falle ganz sicher hinter dem sechsten Gang. Hi-NRG-Electro wie auf Crack, brutal treibend, so prügelt „Usual Suspects” auf die Crowd ein. Dass es trotzdem noch eine Spur mieser zugehen kann, zeigt D. Tiffany in ihrem Remix zur A1. Die Hi-Hats und Snares fliegen locker bei 145 BPM umher, trommeln einem die Hirse aus dem Schädel und lassen die Schlachthaus-Szene aus Blade wie einen Kindergeburtstag aussehen. Man könnte fast meinen, dass die Planet-Euphorique-Betreiberin der Gastgeberin die Show stiehlt. Doch auf der B1 wartet Nite Fleit nochmal mit F1-Soundtrack auf. Genauso treibend wie auf der ersten Seite spielt sie mit gepflegten Moll-Pads, die das Elektro-Gehämmer kontrapunktisch untermalen. Die Breaks sind hier effektvoll gesetzt und lassen genug Platz für „Uhs”, „Ahs” und ähnliche Interjektionen des Nachtlebens auf drei Disco-Schorlen. Jensen Interceptor möchte da mit seinem Remix nicht hinten anstehen und legt die Akzente auf die Snare, um den Elektro nochmal rauszukitzeln. Dafür wird auch die gute alte 808-Cowbell bemüht, was immer dieses Achtziger-Boogie-Sentiment auslöst. Was aber ja nicht schlecht sein muss. Lars Fleischmann
Stanislav Tolkachev – Be Careful And Nobody Dies. (Semantica)
Unter osteuropäischen Techno-Produzent*innen gab es in jüngster Zeit so manchen Heißsporn, der aus dem Stegreif für sich eine passgenaue Nische ins Genre-Massiv zeitgenössischer Clubmusik schlug und unbeirrt ausbaute. Man denke nur an Borusiade, Vladimir Dubyshkin, Giriu Dvasios oder Zamilska. Schon seit Remine von 2010 hoben sich auch die frostigen Techno-Cuts von Stanislav Tolkachev immer scharf konturiert vom regulären Sound der Dekade ab, selbst für erfahrene Köpfe. Kaum jemand staffelt in diesen Tagen atonal ziselierte Synths so bedrückend eng auf Platte, dass bei fahrlässiger Anwendung ausgeprägte Zustände der Unruhe vorprogrammiert sind. Das haben höchstens Jeff Mills oder James Ruskin, vielleicht phasenweise auch Richard D. James vor zig Jahren mal in ähnlicher Form hinbekommen. Wie Tolkachev auf den kalten Langspielern When You Are Not At Home oder It Will Be Too Late Then seinen Sound zunehmend präziser zu schleifen begann, war daher bei aller Reduktion der Mittel nicht immer angenehm zu hören. Das gilt für die Be Careful And Nobody Dies.-EP zwar auch, doch gewinnt das Harmonische in seinen Produktionen nun stellenweise genug Bedeutung, um die Bleeps und Blurps in einer Atmosphäre zu verorten, die greifbar ist. „Farewell” gibt mit konträrem Sounddesign aus raunenden Pads und quietschenden Höhen das entsprechende Intro. Effektiv bereitet es den Titeltrack der EP fürs Ohr vor, der sich dann tatsächlich als eine von Tolkachevs besten Arbeiten entpuppt. Mit sauber gelayerten Arps, durchdachter Beatstruktur und einer melodischen Dringlichkeit wird hier deutlich, zu was er fähig ist, wenn er sich nur etwas an wohlklingende Tonleitern hält. Dagegen sind „Manhunt” und „Everything Ends” wieder im bekannt schrägen Tenor verfasst, spielen mit grellen Klangfarben und evozieren eine gewisse Paranoia. Doch es bleibt dem letzten Track „Emptyness” vorbehalten, den Stil Tolkachevs erstmals als ein flackerndes Modulationsschauspiel zu zeigen, das in Abwesenheit eines Beats so unwirklich tief erscheint wie nichts, was der Mann bisher gemacht hat. Wann kommt es also endlich, das Ambient-Album des Ukrainers? Nils Schlechtriemen